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Auffällig verhielten wir uns nicht, wir waren einfach wir, ohne Versteckspiel. Wir zeigten unsere Beziehung jetzt öffentlich, weil wir es satt hatten, jemand anderen zu mimen. Und die Reaktionen waren gar nicht so scheußlich oder zumindest nicht schlimmer als erwartet. Komisch war es nur in Umkleiden und allgemein beim Sport. Für die Anderen, nicht für uns. Wir hatten damit, wie ich fand, kein großes Problem, schließlich konnte man den anderen Jungen kaum etwas wegschauen und Jamie und ich waren glücklich zusammen. Um spitze Kommentare kamen wir nicht herum, aber die meisten unterdrückten den Drang, uns etwas fieses an den Kopf zu schmeißen.

Nun, im Nachhinein frage ich mich, ob wir wirklich glücklich waren oder einfach nur ein Klischee lebten. Immer strahlend lächeln, ein wenig verhasst in der Schule und ein dunkles Geheimnis im Hinterkopf. Man könnte eine Geschichte über uns schreiben. Aber das würde ich gar nicht wollen. Geschichten konnten doch nie die wahren Gefühle auffassen, wenn der Autor sie nicht selbst erlebt hatte. Bin ich deshalb selbst der Autor dieser verstörenden Geschichte geworden? Schließlich weiß ich sogar noch besser als Jamie, wie das Ganze hier ausgeht. Wie alles endet.

Aber ans Ende war damals immer noch nicht zu denken, auch wenn es immer näher rückte. Und ein richtiges Ende war es ja auch nicht, nur das Ende einer Beziehung, das Ende zweier bedeutungsloser Leben – ein Wimpernschlag in der Geschichte, wenn überhaupt. In der Geschichte, in die wir eingehen würden, lange nach unserem Tod. Wie Jamie schon sagte: Fast wie Bonnie und Clyde, mit dem Unterschied, dass wir eher Ken und Clyde waren. Aber ich hatte schon damals längst aufgegeben, mit ihm darüber zu diskutieren.

Ein paar Monate ging dann alles gut. Aus September wurde Oktober und aus Oktober November und dann war irgendwann Chanukka. Da meine Mutter unbedingt wollte, dass ich wenigstens zum Lichterfest zu ihr kam und da Jamie kein Jude war, hatte sie eine perfekte Ausrede, mich allein bei sich zum Abendessen zu haben. Ohne Jamie.

Diese Gelegenheit nutzte sie dann auch direkt, um ihn schlecht zu machen und mir auszureden, diese Beziehung weiter beizubehalten. Das einzige, was ich erwiderte, war, dass ich Jamie liebte und wenn es sein musste auch den Kontakt zu meiner Mutter abbrechen würde, wenn sie das nicht akzeptieren konnte. Und siehe da, sie hatte es ganz plötzlich akzeptiert.

Das war das Gute daran, dass ich ihr einziges Kind war: Wir hatten so vieles gemeinsam durchgestanden, da konnte sie nicht einfach zulassen, dass ich ihr den Rücken zukehrte. Nicht wegen eines kindlichen Streits. Und deshalb gab sie auch lieber nach, als ich sie vor ein Ultimatum stellte.

An sich war das Essen danach nicht mehr schlimm. Wir redeten und lachten, aber immer und immer wieder drängte sich mir der Gedanke an Jamie auf. Was machte er wohl gerade? Ging es ihm gut? Vielleicht hatte er es nicht verdient, dass ich mir Sorgen um ihn machte, schätze ich jedenfalls jetzt, im Nachhinein. Aber in diesem Moment hatte ich ja auch keine Ahnung, was in naher Zukunft alles passieren würde. Und dass es definitiv besser gewesen wäre, an diesem Abend nicht zu Jamie zu fahren.

Man kann jetzt natürlich viel erzählen und sagen, was man hätte besser machen können. Jetzt weiß ich ja auch, wie Jamies Sicht der Dinge war, auch wenn ich das Meiste nur schwer nachvollziehen konnte. Aber alles zusammen ergab einen Sinn, jetzt, nachdem alles schon längst vorbei ist. Und mit alles meine ich nicht nur mein, sondern auch Jamies Leben.

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