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Es war inzwischen September geworden. Die Ermittlungen wurden langsam eingestellt – Verdächtige waren wir also nicht mehr – und alles als 'ungeklärt' eingestuft. Die ganze Geschichte geriet in Vergessenheit. Jamie und ich lebten quasi zusammen in seiner Wohnung, da meine Mutter ihm immer noch nicht wirklich vertraute, ich aber auf gar keinen Fall auf meine tägliche Dosis Jamie verzichten konnte, weshalb wir schließlich einige meiner Sachen zu ihm verfrachteten und dort einlagerten.
Ganz so friedlich, wie es war, sollte es natürlich nicht bleiben. Denn an einem verregneten Dienstag klingelte es genau um siebzehn Uhr einunddreißig an unserer Tür, die Jamie kaum eine halbe Minute später öffnete. Warum ich die genaue Uhrzeit bis heute weiß, liegt an unserem Besucher. Sie hatte sich einfach eingeprägt und immer, wenn ich heutzutage auf die Uhr sehe und diese genau die Uhrzeit anzeigt, zu der es damals geklingelt hat, stehen mir sofort die Tränen in den Augen.
"Ja, das ist mein Name. Wie kann ich Ihnen helfen, Sir?", sagte Jamie in dem Moment, als ich zu ihm stieß. Vor der Tür stand einer der städtischen Officers, Burnett Fray, in Uniform. Als ich ihn verwirrt fragte, wie spät es sei, bestätigte er mir zwei Vermutungen: Erstens, dass das eine verfluchte Minute war, und zweitens, dass er eine Waffe bei sich trug, als könnten wir uns ihm widersetzen. Jamie hatte wohl das Gleiche gesehen wie ich und sich auch daran erinnert, dass die Polizisten – nicht sonderlich viele, in einer Kleinstadt wie dieser passte jeder auf sich selbst auf, sodass Polizisten kaum von Nöten waren – normalerweise keine Waffen mit sich herumtrugen, wenn es um einen einfachen 'Hausbesuch' ging. Außer, wenn sie der Meinung sind, dass es gefährlich für sie werden könnte.
"Ich würde Sie beide gern mitnehmen", erwiderte Officer Fray und sah vor allem mich mit ernster Miene an. Heute weiß ich, dass er damals eine Affäre mit meiner Mutter hatte. Diese hatte ihm ganz klar versichert, dass ich nichts von dem getan hatte, wofür ich beschuldigt wurde. Tja, falsch gedacht, Elsa.
Ohne zu zucken stiegen wir in den Streifenwagen. Jamie hinten, ich vorne, warum auch immer. Als ich mich das erste Mal zu ihm umdrehte, starrte er aus dem Fenster, beim zweiten Mal sah er mich mit einem verträumt wirkenden Blick an und beim dritten Mal wirkte er entschuldigend. Dann hielt Officer Frey vor der Wache und wir wurden wieder, wie ein paar Wochen zuvor, in einen Verhörraum gebracht.
Dieses Mal jedoch zeigte man uns lediglich die Aufnahmen der Straßenkameras und Phantombilder von Typen mit Masken – den Masken, die wir an dem Abend aufhatten. Da das hier nicht geplant war, begann ich langsam, Panik zu schieben, aber wie immer eigentlich war es Jamie, der uns aus dieser Situation befreite.
"Was haben diese Filmchen, die Sie uns hier vorsetzen, zu bedeuten? Ist wieder ein Mord geschehen, für den Sie Verantwortliche brauchen? Sie hätten anrufen sollen, dann hätte ich uns die Masken von diesen zwei Gestalten da besorgt und sie in meiner Wohnung deponiert." Er grinste den Polzisten, der uns gegenüber saß, an, während er eine wirkungsvolle Pause hinlegte. "Ach, warten Sie – das habe ich." Jetzt lachte er und riss die Augen ein wenig auf, jedoch erstarb dieses Lachen schnell wieder. "Aber jetzt mal ernsthaft, Officer: Was wollen Sie von mir und meinem Freund? Wir haben definitiv Wichtigeres zu tun, als hier auf der Polizeiwache zu sein und uns irgendwelche- Was auch immer. Kommen Sie zum Punkt, oder wir werden verschwinden."
Jamie verschränkte zielgerichtet die Arme vor der Brust und ein sanftes Kribbeln ließ meinen Unterleib zucken. Ich liebte diesen Kerl! Aber die Zeiten waren jetzt sowieso vorbei. Nicht meinet- oder seinetwegen, wie er gesagt hatte. Einfach, weil es geschehen musste, nach dem, was wir getan hatten. Und damit hatte er nicht den Mord gemeint, sondern alles, was damit zusammenhing, da bin ich mir sicher. Fragen kann ich ihn ja nicht.
"Wir haben keine handfesten Beweise, deshalb würde ein Anwalt Sie beide aus dem Verfahren herausholen können, aber Sie stehen unter starkem Verdacht, Theodore Valton umgebracht zu haben. Verhalten Sie sich unauffällig, ansonsten werden das nächste Mal härtere Maßnahmen ergriffen. Und sobald wir Beweise haben, werden Sie beide für eine lange, lange Zeit hinter Gitter wandern." In Anbetracht der vorliegenden Tatsachen, wäre das wahrscheinlich besser gewesen.
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