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Ende August bestellte man uns dann zur Polizeiwache unserer Stadt. Zusammen. Unsere Beziehung hatten wir nicht öffentlich gemacht, worüber meine Mutter scheinbar sehr froh gewesen war. Aber genau deshalb wunderte es mich auch, dass sie uns eben zusammen dort haben wollten. Jamie und ich gingen natürlich getrennt, aber zur gleichen Zeit hin.

Da uns – oder eher ihm – von Anfang an klar war, dass das passieren würde, haben wir uns vorbereitet. Aussagen abgeglichen und allgemein alles, was gesagt und gemimt werden würde. Wir fühlten uns sicher. Nun, ganz so sicher waren wir natürlich nicht, es ging schließlich um eine sehr lange Zeit im Gefängnis, die, je nach Auslegung, auch mit der Todesstrafe gekrönt werden könnte.

Aber von diesem Risiko, das wir da eingingen, ließen wir uns nicht aus der Bahn werfen, denn wenn alles gut laufen würde, wären wir so frei, wie man in dieser verdammten Stadt sein konnte. Als wir in einen Verhörraum gebeten wurden und uns nebeneinander setzten, wussten wir, dass das Spiel erst begonnen hatte. Jedoch hatten wir keine Ahnung, dass wir bei diesem Mal nicht als Sieger davonkommen würden.

Die erste Frage, die man uns stellte, war, ob wir das Opfer gekannt hatten. Beide verneinten wir diese, ähnlich wie die nächste Frage, die im genauen Wortlaut "Waren Sie je im Besitz einer Handfeuerwaffe?" lautete. Da wir uns nicht ansahen, konnte ich auch nicht wissen, ob Jamie die gleiche Scheißangst wie ich hatte, aber obwohl ich mir nicht sicher war, wusste ich, dass Jamie niemals Angst vor irgendwelchen Polizisten hatte. Wie ich heute weiß, waren sie für ihn Mittel zum Zweck, genauso wie ich damals.

Als man uns dann nach dem Spritzer von Blut auf Jamies T-Shirt – das Gleiche, das er unter der Jacke getragen hatte, als er seine Waffe gegen den armen Theo eingesetzt hatte – fragte, antwortete Jamie natürlich mit nichts als der Wahrheit, nämlich, dass es nicht sein Blut sei.

Der Rest dieses Gespräches ist jedem bekannt. Auch der Ausgang, dass wir nämlich nicht geschnappt wurden, zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht. Aber selbst Amateuren muss aufgefallen sein, dass wir viel zu einfach davon gekommen waren. Das war zwar nicht das, was uns im Endeffekt auffliegen ließ, aber wir fanden dadurch heraus, dass nicht alle Polizisten dumm waren. Definitiv nicht alle.

Jamie selbst war am Ende derjenige, der dafür sorgte, dass wir auffliegen würden. Kaum verwunderlich, schließlich hatte dieser verdammte Idiot sich auch in den Kopf gesetzt, am Tag nach unserem Verhör in genau der Kleidung in die Schule zu kommen, die er getragen hatte, als Theodore ins Gras gebissen hat.

Am Tag des Verhörs hätte ich weglaufen und nie wieder kommen können. Nur war da etwas, das mich abhielt, zu gehen – und das war nicht mal Jamie selbst gewesen, sondern meine Liebe zu ihm. Wäre ich ein ähnlich herzloses Miststück wie er gewesen, wäre ich womöglich heil davon gekommen. Nun, ich wäre gar nicht erst in dieses ganze Schlamassel hineingeraten. Und wäre er weniger herzlos gewesen, hätte er mich da auch nicht mit reingezogen. Aber es ist sowieso zu spät für Spekulationen, genauso wie es für etwas anderes zu spät ist.

In der Realität war Jamie nämlich wirklich in seinem blutbefleckten Outfit in die Schule gekommen. Und in der Realität hatte ich ihn schon lange bevor ich ihm meine Liebe gestanden hatte, an den Wahnsinn verloren. Auch wenn ich mir das nicht einmal heute, nachdem ich mit allen tatsächlichen Ereignissen vertraut bin, eingestehen würde.

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