Kapitel 57 - Die Katastrophe 3


Maja träumte. Georg hatte sie geschlagen, noch einmal! Sie war wieder ohnmächtig geworden, aber sie konnte nicht wach werden. Sie würde ihn auch schlagen, wenn sie wach würde! Ihn und Larissa, die hässliche Frau, die mit Felix schlafen wollte.
Felix? Wo war Felix? Sie bekam keine Luft, atmete krampfhaft, sie versank in tiefem Schwarz.
Der Überwachungsmonitor piepste, der Intensivpfleger funkte den Notarzt an.

„Verdammt! Wir verlieren sie!" Der Arzt setzte einen Tubus, kontrollierte das EKG. „Zu schwach!" Er spritzte Adrenalin direkt ins Herz.

Jemand ohrfeigte sie schon wieder! „Bleiben Sie bei uns, Engelchen!" rief eine fremde Stimme. Die Stimme sprach Spanisch. Das war nicht Georg, Georg konnte nicht Spanisch, nur Italienisch.
Felix? Aber die Stimme war fremd! Und warum sollte Felix Spanisch mit ihr reden? Und warum sollte er sie siezen? Und vor allem, warum sollte er sie schlagen?

Sie wollte nicht denken. Da war die Schwärze besser. Batsch, die nächste Ohrfeige!
„Bleiben Sie bei uns, Maja! Bleiben Sie bei uns!" Batsch, die nächste!

Bei euch bleiben? Damit ihr mich dauernd schlagt? Felix! Warum hilfst du mir nicht?
Bei dir würde ich bleiben, bei dir schon!
Aber nicht bei dem bösen Mann!
„Noch eine Dosis! Schnell!" hörte sie. „Und holt ihren Freund!"

Sie wurde geschüttelt und geschlagen.
Ich bringe euch um! schwor sie. Lasst mich doch gehen! Bei euch will ich nicht bleiben, ihr verrückten Spanier!

Margarita stürzte mit einem Rollstuhl ins Zimmer. „Schnell!" rief sie und riss Felix aus seinem Erschöpfungsschlaf. Sie half ihm auf den Sitz, hängte die Infusion ab, packte Blut- und Urinbeutel auf seinen Schoß, warf eine Decke über seine Knie und raste los.

Unterwegs erklärte sie ihm: „Ihrem Mädchen geht es schlechter! Sie müssen mit ihr sprechen! Der Doc bringt sie alleine nicht zurück!"
„Zurück?" schrie Felix. „Was heißt zurück? Sie schläft doch nur!"

Sie hatten die Intensivstation erreicht, alle Türen wurden ihnen aufgehalten.
Felix erschrak bis aufs Blut. Er hatte an Maja als sein schlafendes Bienchen gedacht, lächelnd, das lange Haar um sie ausgebreitet, entspannt!
Doch hier neben all den Maschinen lag ein blasses Mädchen mit Blutergüssen um die tiefliegenden Augen, die Haare waren struppig abgeschnitten, blutverkrustet, um den Kopf ein weißer Verband.

Schwestern und Ärzte standen um das Bett, der Monitor sandte laute Warnsignale aus.

Was hatten sie mit seinem Mädchen gemacht? Woher wollten sie sie zurückholen?

Margarita schob ihn ganz nah an ihr Bett. Er griff nach ihrer Hand, streichelte ihr Gesicht, während ihm Tränen über das Gesicht liefen.
„Maja! Bienchen! Was machst du denn für Sachen?" flüsterte er mit erstickter Stimme.
Felix! dachte sie. Endlich! Er wird jetzt diese Menschen schimpfen und wegschicken, die mich dauernd ohrfeigen. Aber warum weinte er so sehr? Hatte er sich wehgetan?
Sie musste ihm helfen! Sie musste ihn trösten! Aber dann durfte sie nicht mehr in dieses beruhigende Schwarz zurück.

Der Arzt sah erleichtert das EKG, das einen starken, fast ruhigen Herzschlag zeigte. Auch die Hirnströme hatten ausgeschlagen.

„Sie reagiert auf Sie! Gott sei Dank!" erklärte er dem Freund der jungen Frau. „Ich hatte Angst, wir können sie nicht stabilisieren! Reden Sie mit ihr! Berühren Sie sie!"

„Maja! Bienchen! Hallo! Hörst du mich?" fragte er leise.
Ja, mein Hübscher! Natürlich! O, ich bin vielleicht froh, dass du gekommen bist!

„Maja? Du solltest langsam mal aufwachen! Hörst du? Kannst du meine Hand drücken? Kannst du deine Augen vielleicht aufmachen? Maja, ich liebe dich! Bienchen, ich liebe dich so sehr!"
Das ist schön! Aber meine Augen gehen nicht auf, und meine Finger kann ich auch nicht bewegen! Wahrscheinlich bin ich zu müde! Ich schlafe jetzt ein bisschen, aber nicht in dem Schwarz, sonst ohrfeigen die mich wieder. Ich schlafe in dem Grau hier, wo alles so furchtbar piepst, wo ich aber deine Stimme höre, wo du meine Hand hältst, wo du mein Gesicht streichelst!

„Bienchen, hallo, hast du gehört? Ich liebe dich sehr!"

Der Arzt beobachtete die Kurven auf den Monitoren, legte Felix beruhigend die Hand auf die Schulter.
„Sie schläft! Aber sie ist wieder da! Verdammt, das war knapp!"

Felix verstand immer noch nicht, was los war.
„Frau von Calsow hat ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Der Druck ist zwar wieder am Sinken, aber das Gehirn war sehr gestresst, wollte aufgeben! Das Herz hatte schon beinahe aufgehört zu schlagen. Aber sie hat Sie gehört und beschlossen, zu bleiben!" Er ließ sich erleichtert auf einen Stuhl fallen, wischte sich den Schweiß von der Stirne.

Felix hörte fassungslos zu. „Heißt das, dass sie beinahe gestorben wäre?" Er hatte fast keine Stimme mehr.
Der Arzt sah ihn ernst an. „Ja, das heißt es! Das ist kein seltener Ausgang bei einer so schweren Verletzung!"
Felix sank im Rollstuhl zusammen, als hätte jemand einen Stöpsel gezogen, und ihm wäre die Luft ausgegangen wie einem Ballon.
„Und, und jetzt?" Er hatte rasende Angst vor der Antwort.

„Ich glaube, wir haben die schlimmste Krise überstanden!" Der Mediziner klang zuversichtlich.

„Sie glauben?" Felix klang schärfer als er wollte.
Doch Dr. Risano verstand ihn natürlich. Der Junge hielt sich mehr als tapfer, nach allem, was geschehen war.

„Ja, ich glaube! Ich kann nichts versprechen, ich bin Mediziner und kein Scharlatan!" erklärte er.

Margarita wollte Felix wieder in sein Zimmer bringen.
„Kann ich nicht hierbleiben?" fragte er und wieder einmal konnte eine Frau seinem Welpenblick nicht wiederstehen.
Sie sah den Arzt fragend an.

„Na, dann schieben wir halt ein Bett mit rein!" schlug der vor. Im Grunde war er erleichtert, dass Dr. Steiner diesen Vorschlag von sich aus machte.
Ein paar Anrufe später schoben zwei Pfleger eine Liege für Felix herein, Margarita brachte seine Infusionsflasche, schloss den Schlauch wieder an.
Sie sah seinen unglücklichen Blick auf den Katheder und lächelte. Sie verstand schon. Gut, er hatte keine Bauch-OP, war stabil, und er war der Prinz des Engels, das sollten sie nicht vergessen.

„Ich schicke Ihnen einen Pfleger!" versprach sie. Kurz darauf kam Antonio und zog den Katheter.

„Wenn Sie zur Toilette müssen, läuten Sie bitte!" sagte er lächelnd. Er half ihm vom Rollstuhl auf die Liege, schob sie näher an Majas Bett, damit Felix ihre Hand halten konnte.
„Brauchen Sie noch etwas?" fragte Antonio.
„Nein, im Moment nicht, danke, ich bin sehr müde!"
„Na, Sie haben ja auch einiges mitgemacht heute!" Der Pfleger verabschiedete sich.
Es wurde für beide eine ruhige Nacht. Felix hielt Majas Hand und schlief ein.

Am Morgen brachte ihm eine Schwester das Frühstück und ging im freundlich zur Hand, da ihn seine Beine doch sehr handicapten.
Danach kam Antonio, wusch ihn im Bad, half ihm auf die Toilette. „Noch eine Woche, dann dürfen Sie mit Krücken gehen!" versprach er. Felix atmete erleichtert auf.

Maja tauchte aus dem Grau auf, aber Felix war weg. Jetzt werden gleich wieder die Männer kommen und mich schlagen, und er passt nicht auf mich auf!
Vor Angst wollte sie lieber wieder in das Schwarz zurück!

Die Schwester sah am Monitor, wie die Kurven sich wieder verflachten.
„Dr. Steiner! Schnell!" rief sie angsterfüllt.
Ah, sie ruft nach Felix! Das ist gut! Dann wird er gleich da sein. Sabina sah überrascht, dass Herz und Gehirn wieder normal arbeiteten.
Da genügte wohl schon der Name ihres Liebsten, dass sie zurückkam. Sie streichelte Majas Hand.

„Er ist gleich wieder da! Er ist nur kurz im Bad." versprach sie.
Gut! dachte Maja. Gut! Er kommt gleich wieder.
Kurz darauf kam Antonio atemlos mit Felix angeschoben. Sabina beruhigte die beiden wieder.

Felix fasste nach Majas Hand, küsste ihre Wangen und ihre Lippen. „Bienchen, keine Angst, ich bin da! Ich muss nur ab und zu zur Toilette, aber nächstes Mal kannst du ja mitkommen!"

Er war lustig, ihr Felix!
Hatte sie gelächelt? Oder war es nur ein Reflex?

„Dann kann Antonio in der Zeit spazieren gehen und die hübschen spanischen Mädchen ansehen!"
Wieder lächelte sie, nur leicht, aber er konnte es eindeutig erkennen.

Du möchtest sie wohl gerne selber ansehen, du Schlingel!

„Vielleicht nimmt er mich ja mal mit! Weil mein Bienchen ist ja so eine Schlafmütze! Das macht einfach die Augen nicht auf!"

Ich möchte ja, du Affe, aber sie gehen nicht auf! Schau, ich probier's doch!
Hatten ihre Lider geflattert?
„So eine Maja-Schlafmütze! Wahrscheinlich will sie mich nicht mehr ansehen! Wahrscheinlich gefalle ich ihr nicht mehr!"

Du bist doof, Felix Steiner! Du bist ultra-doof!

Eindeutig! Sie lächelte und ihre Lider flatterten!

Er sprach den halben Tag mit ihr, sie reagierte eine Zeit lang, dann hörte alles wieder auf. Vielleicht war sie einfach müde geworden?
Als Dr. Risano zur Visite kam, berichtete Felix von seinen Beobachtungen. Der Arzt blickt skeptisch drein. Angehörige glaubten oft, Reaktionen bei Komapatienten zu sehen. Doch als er die Aufzeichnungen des EEG ansah, bemerkte er deutlich verstärkte Ausschläge.
„Sie haben recht!" Er lächelte Felix an. „Machen Sie weiter! Ärgern Sie sie, machen Sie Späße, reden Sie mit ihr."

Am Nachmittag kamen die Polizisten zurück.
„Kennen Sie eine Larissa Sanders?" fragte einer der Beamten.

Felix wurde leichenblass. „Ja, warum?"
„Sie hatte das Fahrzeug gemietet, das Sie in den Abgrund geschoben hat!"
Felix sank in sich zusammen. Larissa! Eine Mörderin! So sehr hasste sie ihn und Maja, dass sie sie umbringen wollte und drei unschuldige Menschen umgebracht hatte?

Aber warum jetzt? Sie hatte so lange Ruhe gegeben, war so lange aus ihrem Leben verschwunden gewesen!

„Ja, ich kenne sie aus Regensburg! Sie bildet sich ein, in mich verliebt zu sein, hat schon ein paar Mal versucht, uns zu schaden!"

Sie wollten alles genauer wissen, also musste er wieder einmal seine Vergangenheit offenlegen.
Die Spanier grinsten ein bisschen peinlich berührt, okay, es war sein Leben gewesen. Aber interessant war das schon, wie die beiden deutschen Helden der Insel sich kennengelernt hatten.

Da mussten sie schon aufpassen, dass sie sich bei Freunden nicht einmal verplapperten!

„Und Sie waren im Gefängnis, weil Sie sie geschlagen haben?" fragten sie nach.

O Gott! Wie sich das jetzt alles anhörte! dachte Felix. Er versuchte, alles noch genauer zu erklären, aber er spürte schon, dass er als ehemaliger Call Boy und als Knacki ziemlich verloren hatte in ihren Augen.
Er hätte sein Bienchen gebraucht, die mit Worten einfach besser umgehen konnte, und er hätte ihren Charme gebraucht.

Kühl verabschiedeten sich die Polizisten. Sie schienen etwas Verständnis für die Teufelin zu haben!
Felix war verzweifelt. War er Schuld an allem?
Lag der Ursprung von all dem Unglück in seiner Vergangenheit? Würde die Polizei weniger engagiert nach der Verrückten fahnden, weil sie ihre Reaktion für berechtigt hielten, zum Mindestens zum Teil?

Er musste mit jemandem sprechen, aber mit wem?
Kai! Er würde verstehen.
Er bat Antonio ihn auf den Flur zu schieben, dann wählte er die Nummer des Freundes.
Der war fix und fertig, als er erfuhr, was passiert war, versprach sofort zu kommen.

Die zwei Polizisten sprachen mit den Kollegen auf der Dienststelle über das, was sie heute erfahren hatten. Doch Felix fand starke Fürsprecher. Sie diskutierten eine Stunde lang, forschten im Internet nach den Geschehnissen, die zu Felix' Verurteilung geführt hatten, stießen auf das Interview, das Maja damals gegeben hatte, sahen die Tatsachen wieder in einem anderen Licht.

Sie hatte es doch noch geschafft, mit ihrer Wortgewandtheit und ihrer Schönheit, für Felix zu sprechen.

Die Polizisten baten in Deutschland um Amtshilfe, die Täterin war nach dem Unglück nach Hause geflogen, hatte ihre Spuren praktisch nicht verwischt.
In der Domstadt lief die Fahndung an. Man fand ihre Adresse in einem kleinen Dorf heraus, schickte einen Wagen vorbei, traf aber niemanden an, nicht an diesem Tag, nicht am nächsten, nicht eine Woche später.

Ihre Eltern, ihr Bruder, ihr Ex-Mann wurden befragt, erklärten, seit langem nichts von Larissa gehört zu haben.
Sie wurde deutschlandweit zur Fahndung ausgeschrieben, ihre Bankkonten wurden überwacht und gesperrt, was aber wenig Erfolg bringen würde, weil sie offensichtlich einen siebenstelligen Betrag abgehoben hatte.

Sie kontrollierten die Passagierlisten der Flugunternehmen, suchten nach online-Buchungen bei der Bahn, forschten bei Autoverleihern und Taxiunternehmen, nichts, keine Spur fand sich von der jungen Frau.

Felix war jede nur mögliche Minute bei Maja. Ihr Zustand war unverändert. Er machte Witze- sie lächelte, er flehte sie an, die Augen zu öffnen – ihre Lider flatterten, aber sie wachte nicht auf.

Er sang Liebeslieder für sie, las ihr vor, nichts.

Die Eltern mussten beerdigt werden, Felix entschied sich, sie auf der Insel zu begraben. Der Notar nahm alles in die Hände, suchte eine schöne Grabstelle aus mit Blick aufs Meer. Viele Spanier kamen zur Beerdigung, nur ihre beiden Kinder konnten ihnen die letzte Ehre nicht erteilen.

Kai kam drei Tage nach dem Anruf mit Chris, Benedikt und Nico. Sie waren verzweifelt, als sie Maja so da liegen sahen.

Doch sie reagierte auf den Besuch mit einem eindeutigen Lächeln.

Schau an, meine Freunde besuchen mich! Das ist aber schön! Schön auch für meinen Felix, der oft so traurig war, nur weil sie doch noch ein bisschen schlafen wollte!
Vielleicht kommen ja auch meine Eltern mal vorbei oder Sonja! Ich würde mich freuen!

Majas Vasallen sprachen mit den Polizisten, informierten sich über Ergebnisse, berichteten, was für wunderbare Menschen die beiden waren.
Sie erzählten den Beamten, wie Felix und Maja gelitten hatten durch die Intrigen von Larissa, rückten das Bild von Felix noch mehr zurecht.
Dann flogen sie wieder nach Hause, sie wollten sich vor Ort um alles kümmern.


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top