Kapitel 35 - Maja und Felix / 1

Felix saß nach dem Mittagessen in seiner Zelle. In einer Stunde würde der nächste Kurs beginnen.
Er schloss die Augen, versuchte ein wenig Schlaf nachzuholen. Er war nervös, seit ihre Eltern bei ihm gewesen waren und ihm gesagt hatten, dass sie heiraten wollte.

Heiraten! Seine Maja! Einen anderen Mann! Sein schlimmster Albtraum war Wirklichkeit geworden!

Würden Bruno und Marga etwas erreichen?
Würde sie seine Briefe lesen?

Wenn sie nur das schaffen würden, sie dazu zu bringen.
Dann hätte er vielleicht noch eine winzig kleine Chance!
Dann würde sie zu mindestens verstehen, dass er sie nicht betrogen hatte!

Dann würde sie begreifen, wie sehr er sie liebte. Aber wenn sie sich weigerte, seine Worte anzunehmen, dann war alles verloren! Dann war alles aus! Dann war sein Leben endgültig vorbei!
Dann konnte er gleich für immer in dieser Zelle bleiben.

Seit Tagen schwankte er zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Er schlief kaum noch, noch weniger als vorher schon, konnte das fürchterliche Essen noch schwerer hinunterbringen.
Es musste jetzt bald eine Entscheidung geben, sonst würde er verrückt werden.
Wenn die Eltern sich nur mal rühren würden!

Da wurde seine Türe entriegelt, der Wärter trat ein. Es war einer der freundlicheren.
„Doc? Besuch! Auf geht's!"
Felix erstarrte. Das werden ihre Eltern sein, die mir sagen, dass sie nichts erreicht hätten, dass sie nicht umzustimmen war!
Er wollte das nicht hören!
Er wollte die Endgültigkeit nicht hören!
Er würde einfach sitzen bleiben, dann könnten seine Träume weitergehen.

Doch schließlich stand er auf. Komisch, dass der Aufseher so grinste!
Da hatten sie den Besucherraum auch schon erreicht.
Felix stockte, sah den Beamten an. 

„Geh nur rein! Ich glaube nicht, dass sie beißt, so süß wie sie aussieht!" zog der ihn auf.
Felix riss die Türe auf. Einen Moment lang hatte er Angst, in einem seiner Träume zu stecken. So oft hatte er sich vorgestellt, er käme in den Besucherraum, und sie stünde da. Sein Mädchen würde an einem der Tische stehen.

Und jetzt war sie wirklich hier, in diesem Raum, alleine stand sie da, verheult, müde, er sah das gleich, aber wunderschön.
Der Wärter, der ihn gebracht hatte und der, der eigentlich Aufsicht führen sollte, verließen diskret den Raum, schlugen sich vor der Türe ab. Sie freuten sich diebisch, dass die Kleine endlich aufgetaucht war. Den Doc mochten alle.

Felix stand immer noch bewegungslos da, schaute sie nur an. Sie war Wirklichkeit, sie war da, sie hatte seine Briefe gelesen und war gekommen!
Er machte einen vorsichtigen Schritt, sie kam ihm entgegen. Dann rasten zwei Kometen aufeinander zu, fielen sich in die Arme, hielten sich fest, klammerten sich aneinander, drückten sich, dass sie kaum noch atmen konnten.
„Maja!" flüsterte er. „Maja!" rief er, und drehte sich mit ihr im Kreis. Sie lachten beide wie verrückt.

„Felix!" rief sie. Und immer wieder: „Felix!"
Vor der Türe lachten die beiden Beamten. Der eine ging wieder in seine Abteilung zurück, der andere hielt Wache vor der Türe. Eigentlich sollte er ja im Raum bleiben, aber er glaubte jetzt nicht wirklich daran, dass die beiden sich etwas antun würden, oder dass die Kleine ihren Doc befreien würde.

Felix hielt sie ein wenig von sich weg. „Du bist wirklich gekommen!" sagte er leise.
„Wurde ja auch Zeit, oder?" antwortetet sie.
„Das kannst du laut sagen!" brachte er gerade noch hervor, denn dann wagte er es endlich, sie zu küssen. Ihre Lippen fühlten sich noch genau so wunderbar an wie beim allerersten Mal.
Sofort wurde er hart, aber das war ja wohl klar!

Maja presste sich an ihn, war erregt wie damals in ihrem Wohnzimmer, als sie gedacht hatte, vor Lust zu sterben.

Sie konnten beide unmöglich aufhören, sich zu küssen, sich anzusehen, sich zu küssen, sich vorsichtig zu streicheln, sich aneinander zu pressen, sich zu küssen.

„Ich liebe dich, Maja!" keuchte er atemlos. „Mein Gott, ich habe dich so vermisst!"
Seine Hände waren überall, er wollte sie überall anfassen, und Maja schalt sich eine Närrin, dass sie geglaubt hatte, Stefano, der gut für sie war, wäre genug gewesen.
Genug war nur der Beste, der Meister, Felix!
Eine zarte Berührung von ihm löste in ihr so viel mehr aus als Stefanos ganzes Bemühen.

„Hast du meine Briefe gelesen?" fragte er, als er sich schweratmend von ihr löste.
„Ja! Also, die erste Hälfte und den letzten, damit ich sicher sein konnte, dass du mich noch willst!" flüsterte sie.
Er lächelte sie an. 

Sein Lausbubenblick war zurück. „Und, will ich dich noch?"
„Ich glaube schon! Wenn ich es auch nicht verdient habe!" antwortete sie ernst.
„Du? Warum denn du? Ich habe dir doch weh getan!"
„Aber ich hätte mit dir reden sollen! Ich hätte dir vertrauen sollen! Ich hätte an uns glauben sollen!" Sie ging hart mit sich ins Gericht.

„Bienchen! Ich hätte mit dir reden sollen! Ich hätte nicht zuschlagen dürfen! Ich hätte nachdenken, sollen, bevor ich mit ihr mitging!" Er küsste sie zärtlich. „Andererseits – ganz so stur hättest du auch nicht sein müssen! Ein Tag hätte auch gereicht!"

Er drückte sie an sich. Seine Süße! Er hielt sie wirklich wieder im Arm! Es war kein Traum und auch keine Wunschvorstellung wie so oft in den letzten Monaten! Es war Wirklichkeit geworden. Er hatte sie noch einmal zurückbekommen.

„Aber ich werde jetzt eine elektronische Fußfessel für dich beantragen! Ich verstehe mich gut mit dem Direktor hier! Und die Richterin ist ein Fan von mir!" zog er sie auf.
„Das kann ich mir vorstellen! Welche Frau ist kein Fan von dir!" konterte sie lachend. Die alte Vertrautheit war wieder da, als wären sie nie getrennt gewesen.
Das Lachen war wieder da, ihre Wortgefechte waren wieder da, das Glück war wieder da.

Es klopfte an der Türe, der Aufseher steckte den Kopf herein. „Doc, sollen wir den Kurs absagen?"

Felix war versucht, ja zu sagen. Natürlich wollte er sein Bienchen weiter im Arm halten, natürlich wollte er mit ihr weiter lachen und küssen und streicheln und fühlen und küssen!
Aber der Fortgeschrittenen-Kurs hatte nächste Woche Abschlussprüfung als Fachinformatiker. Er musste sie noch ein bisschen trainieren, ihnen Sicherheit und Selbstbewusstsein vermitteln. Er war verantwortlich für die Jungs, die nach der Entlassung eine Chance im Leben haben sollten.

„Nein, der Tag heute ist wichtig! Aber, kann sie mitgehen?" fragte er. Denn ganz trennen wollte er sich von Maja noch nicht.

Der Beamte kratzte sich am Kopf. Das hübsche Mädchen und dreißig mittelschwere Jungs? Den Vorschriften entsprach das ganz und gar nicht. Aber der Doc war ein feiner Kerl, der so viel für seine Mithäftlinge getan hatte, sie konnten es ja mal probieren. Wenn zu viele Zoten gerissen wurden, konnte er sie ja immer noch hinausbringen.
„Okay! Versuchen wir es mal!" stimmte der Aufseher zu.

„Jetzt habe ich dich gar nicht gefragt, ob du das möchtest!" entschuldigte sich Felix, als sie vor der Türe zum Computerraum standen.
„Weil du mich kennst! Weil du weißt, dass du nicht zu fragen brauchst!" erwiderte sie lächelnd.
Oh! Oh! Dieses Lächeln!
Das solltest du zur Zeit vorsichtig dosieren, Bienchen! dachte er.

Er hielt sie im Arm, als sie den Arbeitsraum betraten. Lautes Gejohle ging los, Pfiffe schallten durchs Zimmer.
Felix hob nur den Arm, es wurde ruhig. Mit einer ganz natürlichen Autorität begann er zu sprechen.

„Also, ihr wilden und halbwilden Kerle, das ist Maja." Wieder pfiffen und schrien die Häftlinge, aber es klang freundlich, freudig. Einige klatschten.

„Ihr wisst also, wer Maja ist, in dieser Stadt sind wir ja berühmter als Romeo und Julia, und so wie es aussieht, werden wir nicht so tragisch enden wie die beiden. Gut, mein Bienchen wird heute hier bleiben, weil ich mich nicht von ihr trennen will, was ihr sicher verstehen könnt.

Ihr habt nächste Woche Prüfung, wir müssen noch ein paar mögliche Fehlerquellen ausschleifen! Na, dann mal los!"
Er stellte ihnen Aufgaben, die sie mehr oder weniger perfekt lösten. Wo es noch hakte, half er, die anderen lobte er und baute sie auf.
Maja sah und hörte ihm fassungslos zu. Der Programmierer war zum Dozenten geworden, der begeistern konnte, motivieren, verstärken, aufbauen, in die Schranken weisen, erklären, helfen, unterstützen konnte.

Dreißig Knackis hingen an seinen Lippen, befolgten seine Anweisungen, baten ihn um Hilfe.
Sie bewunderte ihn unendlich.
Die zwei Stunden gingen viel zu schnell zu Ende. Sie hätte ihn ewig beobachten können. Als der Gong schlug, und die Gefangenen die Geräte ausschalteten, blieben fünf von ihnen wie ein paar Häufchen Elend sitzen.

„Ich packe das nie!" brummte einer.
„Wir machen nächste Woche noch zwei Extra-Stunden!" versprach Felix. „Und wenn ihr es dieses Mal nicht schafft, wir haben ja noch ein wundervolles Jahr zusammen vor uns! 

Dann klappt es eben beim nächsten Mal!"
Maja schmolz zu einer Pfütze aus Liebe. Wie hatte sie diesen wundervollen Mann so falsch einschätzen können? Wie hatte sie diesem Wahnsinnsmann misstrauen können? Wie hatte sie an seiner Liebe zweifeln können? Wie hatte sie diese Beziehung gefährden können?
War sie wahnsinnig gewesen?

Nein, sie war einfach noch immer ein dummes, kleines Mädchen gewesen, das beschlossen hatte, zu bocken, weil ihr etwas quergelaufen war. Sie war eine Träumerin und Geschichtenerzählerin gewesen, die vor dem wirklichen Leben wieder einmal kapituliert hatte.

Aber das würde ihr nie wieder passieren.

Sie standen im Computerraum, sie himmelte ihn an, er hielt sie im Arm.
„Du warst großartig! Du bist großartig! Du bist der großartigste Mann der ganzen Welt!" flüsterte sie.

Das tat ihm gut!.
Er hatte gewollt, dass sie ihn hier erlebte, dass sie sah, dass er nicht nur ein Häftling war, der seine Zeit absaß. Er war ein wenig stolz auf das, was er in der kurzen Zeit aufgebaut hatte und er wollte, dass sie stolz auf ihn war.
Sie sollte sehen, dass er kein tumber Schläger war, und sie sollte auch sehen, dass diese Jungs hier eine Chance bekamen, durch ihn.

Sie konnten sich nicht voneinander lösen, zu lange hatten sie sich vermisst.

Der Aufseher, der ihn zu seiner Zelle zurückbringen sollte, räusperte sich ein paar Mal, bekam aber keinerlei Audienz.

„Das Pärchenzimmer wäre frei!" sagte er schließlich lächelnd.

„Das ist gut!" stöhnte Felix. „Das ist sehr gut!"
Er nahm sein Bienchen in den Arm, folgte dem Beamten, der sie in einem absolut kitschigen Raum einschloss. „Eine Stunde?" fragte der Aufseher.
„Zwei!" stieß Felix hervor.
„Okay!" versprach der junge Mann verständnisvoll. „Zwei!"

Felix und Maja versanken in einem Strudel aus Leidenschaft, zum Glück fanden sie Kondome in der passenden Größe in einem Fach des Nachttisches. Sie sahen nicht das rote Plüschbett, die schreckliche Beleuchtung. 

Sie sahen nur die Schönheit ihrer Körper. Sie streichelten sich, wussten sofort genau, wohin ihre Hände mussten, um sich größtmögliche Lust zu bereiten. Sie erinnerten sich in Sekundenschnelle an alle erogenen Zonen, an denen sie sich zur absoluten Ekstase führen konnten. Sie liebten sich wie Verdurstende, stöhnten, seufzten, lachten.

Sie hauten sich schmutzige Worte um die Ohren, sie flüsterten sich zärtliche Worte ins Ohr. Sie hoben ab, flogen hoch und landeten wieder.
Sie hatten sich zurückbekommen, sie hatten die Liebe zurückbekommen, sie hatten die Leidenschaft zurückbekommen!

Fünf Minuten später waren die zwei Stunden um. Dem Beamten tat es fast leid, dass er klopfen musste. Aber er und seine Kollegen hatten heute schon so viele Vorschriften übertreten wegen dieses Liebespaares, und die nächsten warteten auf den Raum, nachdem alles frisch bezogen worden war.
Absolut unwillig trennte sich Felix von Maja. Er musste zum Abendessen, sie musste dringend schlafen, sie sah wirklich fertig aus nach der langen Fahrt.

An diesem Abend schrieb er ihr keinen Brief. Er hatte ihr alles sagen können, was er ihr hatte sagen müssen.
Und sie hatte ihm alles gesagt, was er hatte hören müssen: „Ich liebe dich, Felix!"
„Danke, Bienchen!" hatte er geantwortet.

Das Abendessen war reinstes Ambrosia, auch wenn es nur aus drei Scheiben Graubrot mit Margarine und ein paar Scheiben Wurst bestand. Der undefinierbare Tee schmeckte wie der teuerste Champagner.
Die wilden Kerle um ihn herum lächelten ihm zu. Es hatte sich schnell herumgesprochen: Maja war gekommen!

Er schlief tief und traumlos, er brauchte keine Träume mehr. Er hatte sein Leben zurück, er hatte Maja zurück!


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