Kapitel 31 - Ab Mitte Juni 2007

Von diesem Tag an war Maja nicht mehr alleine im Ort unterwegs. Überall, wo sie auftauchte, war Stefano an ihrer Seite. Sie hatte ihr Lachen zurückbekommen, wurde jeden Tag hübscher.
Er war verliebt bis über beide Ohren! Er versuchte immer wieder, sie zu küssen, aber sie wich ihm aus.

Ein bisschen Streicheln ließ sie zu, ein paar Berührungen an den Schultern, am Nacken, aber nicht mehr. Er brannte, seine Hormone fuhren Achterbahn in ihrer Nähe, aber er bedrängte sie nicht.
Sie gingen zum Essen, zum Tanzen, sie machten Ausflüge, sie schwammen im Meer. Aber sie wurde nicht sein Mädchen!

Maja liebte Stefano, aber sie liebte ihn wie den Bruder, den sie nie gehabt hatte. Er sah sehr gut aus, war fröhlich, intelligent, lebensbejahend. Seine Gesellschaft tat ihr gut, aber sie begehrte ihn nicht.
Seine unschuldigen Zärtlichkeiten erregten sie nicht, sie hatte nicht das Bedürfnis, ihn zu küssen.

Sie fühlte, dass er mehr wollte, aber sie konnte ihm nicht mehr geben.
Sie fand sich schrecklich, hatte das Gefühl, sie nutzte ihn aus, aber sie konnte nicht über ihren Schatten springen.

Sie arbeiteten zusammen an seiner Wohnung. Sie fuhren in Baumärkte, kauften Fliesen und die Badausstattung, suchten in Möbelhäusern die Einrichtung aus.

Immer wieder fragte Stefano Maja, was ihr denn gefiel, was sie kaufen würde.
Immer wieder antwortete sie ihm lächelnd: „Das ist doch deine Wohnung! Das muss doch nicht mir gefallen!"
Für die Dorfbewohner waren sie ein Paar, die schöne Deutsche und der Lehrer. Sie erwarteten bald eine Hochzeit, freuten sich für den Sohn von Benito und Anna.

Doch seine Eltern wussten, dass das eher unwahrscheinlich war. Sie sahen zwar Stefanos verliebte Blicke, aber sie sahen nichts von dieser Liebe in Majas Augen. Aber ihr Junge war glücklich in der Nähe des deutschen Mädchens, und wer wusste denn schon....? Gottes Wege waren unergründlich.

Manche Nacht lag Maja in ihrem Hotelbett und suchte automatisch nach Felix, noch immer!
Noch immer weinte sie dann den Rest der Nacht.
Noch immer nahm ihr die Sehnsucht ganz plötzlich den Atem.
Noch immer überfiel sie von Zeit zu Zeit die Schwermut mit aller Macht und sie lehnte Stefanos Einladungen ab, weil sie wusste, dass sie stundenlang nur heulen würde.

Er fühlte es, wenn sie diese Stimmungen hatte, wusste nicht, was er tun sollte, wie er ihr helfen konnte, wusste nicht, wie er den anderen aus ihrem Kopf bringen konnte.
Aber er stellte sein Werben nicht ein, gab die Hoffnung nicht auf. Irgendwie hatte er auch das Gefühl, dass die Phasen, in denen sie sich von ihm zurückzog, seltener und kürzer wurden. An diese Hoffnung klammerte er sich mit aller Kraft.


Zwei Monate hielt Stefano durch, dann konnte er nicht mehr. Sie hatten einen Ausflug in die Weinberge gemacht, es war ein herrlicher Tag gewesen. Er hatte sie die ganze Zeit an der Hand gehalten, hatte sich jung gefühlt und verwegen. Das schönste Mädchen der Insel war bei ihm. Heute musste er sie küssen. Wenigstens küssen!

Am Auto hielt er ihr die Türe auf, stellte sich ihr aber in den Weg, nahm sie in die Arme. Als sie seine Lippen auf ihren fühlte, horchte sie in sich hinein.
Es war gut! Er fühlte sich gut an. Er fühlte sich an wie ein netter Mann, der sie küsste. Aber er fühlte sich nicht an wie Felix.

Und da packte sie der Zorn auf sich selbst.
Was wollte sie eigentlich?
Felix? Nie und nimmer!
Einen Mann wie Felix? Eins zu eins?
Und wie sollte ein armer anderer Mann das machen?

Eins zu eins wie Felix zu sein?
Vor allem wird er dich dann auch wieder eins zu eins reinlegen!
Und sie ließ sich auf diesen Kuss ein.

Das hast du nun davon, Felix Steiner, verdammte Bastard! dachte sie.
Stefano ahnte nichts von ihren Gedanken, fühlte nur, dass sie sich nicht mehr sperrte gegen seinen Kuss! Glücklicher hätte ein Mann nicht sein können! Sie küssten sich sehr lange, sehr zärtlich.

Majas Gefühle waren gut. Es war nicht die Leidenschaft, die alles wegspülte, aber es wurde durchaus etwas wie Leidenschaft, je länger sie in seinen Armen lag.
Mannomann, das Mädchen konnte vielleicht küssen, dachte Stefano. Das hatte er von einer Deutschen jetzt nicht erwartet. Aber er hatte ja keine Ahnung, was für einen guten Lehrer sie gehabt hatte.
Fast verlor der junge Italiener seinen Kopf, fast hätte er sie gebeten, mit ihm zu kommen. Aber er wollte ihr Zeit lassen. Doch es war verdammt hart.

Er brachte sie zu ihrem Hotel, sang die ganze Zeit Liebeslieder für sie, verschlang sie mit den Augen, streichelte ihr Gesicht, ihre Hand, ihre Finger, küsste ihre Finger. Er war erregt wie noch nie in seinem Leben, noch nie hatte er eine Frau so sehr begehrt!

Vielleicht würde er sie heute doch fragen? Vielleicht fragte sie ja auch ihn?
Aber wenn nicht, würde er es auch überleben, irgendwie. Er hatte sie geküsst! Endlich sah sie nicht mehr nur den Freund in ihm!

Maja war etwas, was glücklich sein sehr nahe kam. Sie fühlte sich endlich wieder einmal als Frau.
Die Sehnsuchtsanfälle wurden weniger, ihre Gedanken gingen immer seltener in die Vergangenheit.

Sie schrieb an Band drei, es lief flüssig, die Geschichte nahm wieder eine etwas glücklichere Wendung.
Ende September, nach einem Tanzfest auf der Piazza, bei dem sie ihm erlaubt hatte, ein bisschen zu fummeln, wagte Stefano, sie atemlos zu fragen: „Maja, bella mia, würdest du, würdest du mit mir schlafen?" Wenn du nein sagst, sterbe ich! dachte er.

Doch sie sagte ja. Sie wollte auch diesen Schritt noch gehen. Den letzten Schritt, um Felix endgültig zu vergessen.
Es war gut, doch, es war gut! Es war nicht der Rausch der Lust, wie mit ihm, aber es war gut.

Vergleichst du schon wieder, Maja von Calsow?
Stefano war zärtlich, kannte sich mit Frauen aus, wusste, wo er sie berühren musste, liebte sie ..... gut!

Für ihn war es das Größte, was er je erlebt hatte. Sie war offen und frei im Bett, sie gab und nahm, sie ließ sich lieben und liebte ihn. Sie hatte kein Problem damit, ihn anzufassen, ihm höchste Lust zu bereiten. Sie war eine erfahrene Frau, das spürte er, aber alles andere als ein leichtes Mädchen!
Sie liebte die Liebe, und er liebte sie bis zum Wahnsinn.

Zwei Tage später flehte er sie an, seine Frau zu werden, und sie sagte ja. Er war gut für sie, sie würde ein gutes Leben an seiner Seite haben.
Irgendwann tauchte in ihrem Kopf der Gedanke auf, dass es insgesamt zwar viele „gut" waren, die sie im Zusammenhang mit Stefano dachte und kein einziges fantastisch, großartig, überwältigend.

Aber sie wusste ja, was ihr diese Adjektive eingebracht hatten.
Sie legten das Hochzeitsdatum auf den 22. November fest, seinem 29. Geburtstag.
Benito und Anna suchten noch immer nach Zeichen von Liebe in den Augen Majas, fanden aber noch immer nichts davon. Sie machten sich große Sorgen um ihren Jüngsten, obwohl er glücklicher war als je in seinem Leben.

*

Felix

Felix saß in seiner Zelle, sein Elend brach über ihm zusammen. Er war tatsächlich im Gefängnis. Hier würde er jetzt mindestens 15 Monate leben, dann könnte er auf vorzeitige Entlassung hoffen, hatte sein Anwalt ihm versprochen.

Das erste Abendessen im Speisesaal war ein Spießrutenlauf gewesen. Er war vorgewarnt, wusste, ein gutaussehender Mann könnte ganz schnell ganz große Schwierigkeiten bekommen. Zum Glück war er groß und kräftig, konnte auch seit seiner Kindheit Jiu-Jitsu.

Aber lieber wäre es ihm, er müsste sein Können nicht unter Beweis stellen. Noch immer glaubte er im falschen Film zu sein! Eine unbedachte Handlung, als er krank vor Liebeskummer war, hatte ihn hierher gebracht!

Dr. Felix Steiner, Liebling der Frauen, seit er 16 war, Überflieger im Studium, Inhaber eines sehr lukrativen IT-Start-Ups mit gut gefülltem Bankkonto war jetzt ein Knacki!
Weil er einmal seine Beherrschung verloren hatte! Weil dieses Miststück seine Liebe und sein Leben zerstört hatte.

Er schaltete den kleinen Fernsehapparat an, es lief ausgerechnet der Liebesfilm, den er mit Maja angesehen hatte, am Tag bevor......
Maja! Wieder gingen seine Gedanken auf die Reise.
Er vermisste sie noch immer wahnsinnig!

Würde das je aufhören?
Würde dieser Schmerz je leiser werden?
Seit fast einem halben Jahr hatte er sie nicht mehr gesehen!
Heute war ihr Jahrestag.
Vor einem Jahr war er in der Tür ihres Hauses gestanden und hatte sie das erste Mal gesehen.

Dieses schöne Mädchen mit der blonden Mähne!
Ein paar Stunden später hatte er sie im Arm gehalten, halb wahnsinnig vor Begehren!
Noch nie hatte er eine Frau so begehrt wie sie, und er war immer verrückter geworden nach ihr.
Er war jeden Tag glücklicher gewesen als am Tag zuvor, bis der Absturz kam.
Unerwartet, ungebremst!

Wieder liefen die Tränen, er konnte und wollte sie nicht aufhalten. Er weinte um die Liebe seines Lebens, er weinte um sein Leben.
Eine Woche lang vermied er es, zum Duschen zu gehen. Er wusch sich in seiner Zelle. Die Blicke, die im Speisesaal auf ihm lagen, machten ihm Angst. Nach einer Woche zwang ihn der Aufseher, ins Gemeinschaftsbad zu gehen.

„Wir wollen hier keine Krätze!" fuhr er ihn an. Er war klein und dick, mit einem roten Kopf und hatte schon wegen des guten Aussehens des Häftlings eine Stinkwut auf den Schnösel.

Felix packte seine Duschsachen und frische Wäsche zusammen, folgte dem Aufseher hocherhobenen Hauptes.
Er suchte sich eine Dusche in der Ecke, so hatte er vielleicht wenigstens den Rücken frei.
Schnell fielen die ersten anzüglichen Blicke auf ihn, die ersten Witze über das Frischfleisch wurden gemacht.

Sein Herz raste, doch er ließ sich nichts anmerken.
Er trug den Kopf hoch, er überragte die anderen fast um Haupteslänge.
Er spannte seine Muskeln an, um gar keine Zweifel an seiner Kraft aufkommen zu lassen.

Er versuchte alle anderen im Blick zu behalten.
Trotzdem traf ihn vollkommen unvorbereitet ein Faustschlag aufs linke Auge.
Er taumelte nur kurz, setzte ein ironisches Lächeln auf.
Da ertönte ein Pfiff, ein Bär von einem Mann betrat den Duschraum.

Felix verabschiedete sich vom Leben.
Die anderen stellten sich unter ihre Duschen, der Schrank stand neben ihm.
„Ich habe gehört, du hast Kohle!" sagte der vollkommen ungerührt zu Felix. „Du zahlst mir im Monat 2000 Mäuse, dann überlebst du hier als männliche Jungfrau! Ich gebe dir beim Essen eine Kontonummer, auf die können deine Leute draußen das Geld überweisen!" 

Dann wickelte er sich in sein Handtuch ein und verließ den Raum.
Keiner von den anderen würdigte Felix mehr eines Blickes, er war Luft für sie.
In seiner Zelle untersuchte er sein Auge. Es schwoll schon zu, aber es schien nichts ernstlich verletzt zu sein.
Seine Mutter würde durchdrehen, wenn sie das Veilchen sah! Er nahm den Löffel des Essbesteckes, hielt ihn unter das kalte Wasser und presste ihn auf die zunehmende Schwellung.

Heute begann sein Küchendienst. Da verging wenigstens die Zeit!
Er schnitt vier Stunden lang Gemüse, schrubbte Edelstahlflächen. Eine stupide Arbeit, sie hielt ihn leider nicht vom Denken ab.

Wenn er wenigstens gewusst hätte, wo sie war! Aber ihre Eltern hielten eisern dicht!
Beim Essen steckte ihm der menschgewordene Kleiderschrank einen Zettel zu. Er rief gleich seine Mutter an, gab ihr Anweisungen, einen Dauerauftrag anzulegen. Sonja fragte nicht viel, sie ahnte schon, wofür das Geld gedacht war.

Zwei Tage später flüsterte ihm Joe ein „Brav" zu, das Geld war wohl auf dem Konto eingegangen. Von diesem Tag an war wenigstens die Angst, vergewaltigt oder zusammengeschlagen zu werden, weg.

Doch er brachte den Gedanken nicht aus seinem Kopf, was die machten, die kein Geld hatten!

Am Abend schrieb er den ersten Brief an Maja. E rwusste, er würde ihn nie abschicken, denn er hatte ja keine Adresse, er wusste auch, sie würde ihn nie lesen, wenn er ihn abschicken würde.
Sie würde ihn zerreißen, wie sie seit Wochen seine Nachrichten auf der Mailbox löschte.
Sie war fertig mit ihm!

Er dachte an Larissas Worte. „Und du schaust ihr dann vom Gefängnis aus zu, wie sie sich von anderen Männern ficken lässt? Vielleicht angelt sie sich ja einen Kollegen von dir?"
Gut, damit musste er rechnen, dass sie einen anderen Mann kennenlernte, damit musste er umgehen können.
Aber er könnte es verstehen, er würde es vergessen können, wenn sie nur wieder zu ihm zurückkäme!

Er schrieb ihr, dass er im Gefängnis saß, erzählte von seinem blauen Auge, von den Schutzgeldzahlungen, von seinen Gedanken, wenn sie einen anderen Mann kennengelernt hätte, von seinen Hoffnungen, sie zurückzubekommen, ganz egal, was geschehen wäre in der Zwischenzeit, von seiner Sehnsucht, von seinen Qualen, von seiner Liebe.

Er steckte den Bogen in einen Umschlag, klebte ihn zu, legte ihn unter den Wäschestapel im Spind.
Danach fühlte er sich seltsamerweise etwas erleichterter.

Er schlief schlecht in den Nächten, war müde am Tag, langweilte sich beim Küchendienst, las, sah fern, versuchte, das Essen hinunterzubekommen.
Und jeden Abend schrieb er Maja einen Brief.

Er bekam viel Besuch, die Freunde hielten unverbrüchlich zu ihm, am meisten Majas vier Vasallen. Auch ihre Eltern nahmen die Strapazen auf sich, einen Besuchsschein zu beantragen. Sein Anwalt, der mittlerweile auch befreundet mit ihm war, und auch seine Kollegen, die das Unternehmen am Laufen hielten, kamen regelmäßig.
Sogar Mischa ließ sich ein paarmal sehen.

Nach einem Monat hatte er eine Idee. Er bat um einen Gesprächstermin beim Direktor.
Nach der Begrüßung fiel er gleich mit der Türe ins Haus.
„Ich würde gerne einen Computerraum einrichten. Ich würde die Geräte spendieren und Kurse abhalten. Ich denke, die Männer hier hätten mehr davon als von den Töpferkursen!" schlug er vor.

Der Direktor dachte kurz nach. Der Vorschlag gefiel ihm außerordentlich gut.
Sie machten gleich Nägel mit Köpfen, Felix bestellte alles Nötige im Internet, der Direktor holte die notwendige Genehmigung ein. Die Handwerker unter den Insassen bauten die Töpferwerkstatt zurück, Tische und Stühle wurden geliefert, dann die Computer und Drucker. Felix installierte alles.

Zwei Wochen später hielt er den ersten Lehrgang ab.
Bald hatte er vier verschiedene Gruppen, von Anfängern bis Halbprofis. Er wurde gegrüßt, angelächelt, abgeschlagen, geachtet.
Im September flüsterte ihm Joe zu: „Kannst aufhören zu zahlen! Dich rührt ehkeiner mehr an!"

Er hatte sich seinen Platz im Knast geschaffen. Stolz berichtete er am Abend Maja davon, legte den Brief auf den Stapel in seinem Spind.


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