Kapitel 28 - Ende Januar 2007 / 2
Maja fuhr und fuhr, tankte, trank Kaffee und fuhr weiter. Ihr Handy meldete ununterbrochen neue Nachrichten, sie ignorierte sie. Es war ihr schon klar, dass er versuchen würde, sie zu erreichen.
Mittlerweile hatte er sich sicher auch eine wunderbare neue Story zurecht gelegt.
Aber sie wollte keine neue Geschichten von Liebe und Vertrauen mehr hören, nie mehr und schon gar nicht von ihm.
Und immer wieder kam dieses Warum an die Oberfläche ihrer Gedanken.
Warum lebte er bei ihr, wenn er die andere liebte, vermisste und begehrte?
Er hatte keine finanziellen Vorteile, im Gegenteil, er gab Unmengen für sie aus.
Er konnte jede Frau haben, brauchte also auch einen sexuellen Notstand nicht zu befürchten.
Sie hatten kein Bratkartoffelverhältnis, so dass er jemanden nötig hatte, der für ihn kochte.
Er konnte sich eine Wohnung kaufen oder ein Haus, war also auch nicht auf ihres angewiesen.
Warum?
Warum also musste er ihr die große Liebe vorspielen? Warum?
Weil es ihm Spaß machte, ein Mäuschen gefügig zu machen, in sich verliebt zu machen?
Aber sie war doch kein Mäuschen mehr! Sie war eigentlich nie eines gewesen! Sie war eine erfolgreiche Schriftstellerin! Und sie war nicht hässlich!
Hässlich? War es das? Hatte er eine sexuelle Störung, dass Hässlichkeit ihn anturnte?
Aber dann hätte er ja bei ihr Schwierigkeiten im Bett haben müssen! Ihre Gedanken drehten und drehten und drehten sich, während sie fuhr und fuhr und fuhr.
Sie zitterte noch immer vor Kälte. Aber sie wusste, dass sie dieses kalte Gefühl nie wieder aus sich bringen würde.
Die einzige Antwort, die sie fand und die Sinn machte, war Grausamkeit. Es hatte ihm einfach Spaß gemacht, sie eine Zeitlang zu haben, mit ihr gesehen zu werden, weil er das Spiel liebte. Vielleicht als Abrechnung mit seinem Leben als Call-Boy, als er die Wünsche der Damen erfüllen musste.
Er wollte ein williges Spielzeug, das seine Wünsche erfüllte. Eine, die nicht lange überlegte, die leicht zu überreden war. Eine, mit der man ruhig noch ein bisschen weiter spielen konnte.
Und so nebenbei konnte man ja auch noch ein wenig in anderen Betten naschen, gegen Bezahlung oder nicht, interessierte einen Dr. Felix Steiner nicht. Ihn interessierte nur das Spiel an sich.
Und sie hatte mit fliegenden Fahnen die Rolle angenommen, die er ihr zugedacht hatte.
Sie fuhr die Nacht, den Tag und die nächste Nacht durch. Als sie merkte, dass ihr schwindlig wurde, stopfte sie eine Tafel Schokolade in sich hinein, spülte sie mit einem Energy-Drink hinunter.
In den frühen Morgenstunden kam sie an ihrem Ziel an, von dem sie gar nicht gewusst hatte, dass sie es angesteuert hatte.
Ein kleines Fischerdorf in Sizilien, mit einem guten Hotel, in dem sie mit ihren Eltern öfters gewesen war.
Pietro, der Nachtportier, konnte sich noch an das hübsche Mädchen erinnern. „Signora von Calsow!" rief er ihr entgegen. Er erschrak fürchterlich! Sie sah entsetzlich aus!
„Hallo, Pietro, ich brauche ein Zimmer, für lange. Eines, das warm ist, ich friere so fürchterlich!" sagte sie in perfekten Italienisch. Dann begann die Tränen zu laufen
Der alte Herr nahm sie in die Arme, führte sie in den dritten Stock, gab ihr die beste Suite, hielt sie lange fest, bis der Tränenstrom ein wenig abnahm.
Er nahm ihren Autoschlüssel. „Ich hole Ihr Gepäck, Signora von Calsow." bot er an.
„Ich habe kein Gepäck, Pietro. Und bitte sagen Sie Maja!"
Der Portier ging hinaus und kam kurz darauf mit ein paar Kleidungsstücken aus dem Fundus der liegengelassenen Sachen, natürlich alles frisch gewaschen, zurück.
„Danke!" flüsterte Maja. „Morgen kaufe ich alles neu!"
Er brachte ihr noch eine Flasche Wein, ein paar Sandwiches und Zigaretten.
Dann ging er wieder an seinen Arbeitsplatz. Er schüttelte den Kopf. Die hübsche Frau sah so fertig aus. Was war da wohl geschehen?
Maja ging auf die Dachterrasse, sah die Nachrichten auf ihrem Handy durch. 15 Mal Felix, sie löschte alle ungelesen. Ihre Eltern, Sonja, ein paar ihrer Freunde, allen voran ihre vier Vasallen, wie sie sich selbst immer nannten.
Alle baten dringend um Rückruf, da Felix außer sich vor Sorge wäre. Nett, dachte sie, hatte er eine neue Rolle für sich gefunden! Die des besorgten Liebhabers. Und wie immer schien er sehr überzeugend darin zu sein.
Sie würde sich nur bei ihren Eltern melden. Ihnen musste sie nicht noch mehr Kummer machen.
Sie aß zwei belegte Scheiben Weißbrot, trank die halbe Flasche Wein dazu, rauchte danach zwei Zigaretten.
Dann kam zwangsläufig die Erinnerung an das Hotel in Malcesine zurück. Dort war es der Blick auf den Gardasee, hier lag das Meer vor ihr.
Doch hier hielt sie Felix nicht in den Armen, hier saß sie alleine, weil er unbedingt Sex haben musste mit dieser hässlichen Hexe!
Und wieder begannen die Gedanken sich zu drehen, immer nur um ein einziges Wort: Warum?
Warum? Warum?
Warum hatte er ihr das angetan? Warum? Warum? Warum?
Um acht Uhr rief sie ihre Eltern an. „Mein Gott Maja! Wo steckst du denn? Wir sind krank vor Sorge!"
„Hallo, Papa! Mir geht es einigermaßen gut! Ihr müsst euch keine Sorgen machen. Ich möchte euch aber nicht sagen, wo ich bin. Dann müsst ihr euch nicht gegen den Charme eines Felix Steiner wehren, der euch sicher meine Adresse entlocken möchte. Aber ich will ihn nie mehr in meinem Leben sehen.
Ich bin weit genug weg, dass er mich nicht finden kann, er soll also gar nicht erst suchen!"
„Mädchen, was ist denn passiert? Ihr ward so glücklich! Er schien dich so zu lieben! Und er ist krank vor Angst um dich!" wandte ihr Vater ein.
„Papa, das einzige, das Felix ist, ist ein großartiger Schauspieler! Fallt nicht mehr auf ihn rein!"
Bruno von Calsow war am Verzweifeln. Er und seine Frau hatten den jungen Mann so in ihr Herz geschlossen. Sie konnten sich doch nicht so sehr getäuscht haben! Bei Georg wussten sie gleich, dass das kein Mann für ihre Kleine war. Sie hatten ihn von Anfang an durchschaut!
Aber Maja war um nichts auf der Welt von dieser Hochzeit abzubringen gewesen, hatte dann auch einen bitteren Preis dafür bezahlt.
Aber Felix! Da war doch nichts gespielt! Er liebte ihre Tochter doch wirklich!
„Willst du nicht wenigstens einmal mit ihm sprechen? Nur ein einziges Mal? Vielleicht hast du etwas missverstanden?"
„Nein, Papa! Das möchte ich nicht, und das werde ich auch nicht! Und er weiß genau, warum nicht! Ich möchte auch nicht mehr über ihn sprechen, bitte, ja? Nie mehr!"
Bruno verstand die leise Drohung. Wenn sie nicht aufhörten, in sie zu dringen, würde sie sich auch bei ihnen eine Weile nicht mehr melden.
„Ja, in Ordnung, Kleine! Melde dich bald wieder! Mama küsst dich auch!"
Maja legte auf, bevor die Tränen ihr wieder die Stimme nahmen. Ihre Eltern waren nicht mehr jung, sie hatten nur sie, sie sollte bei ihnen sein.
Aber dieser verdammte Bastard und seine hässliche Hexe hatten sie aus ihrem Paradies vertrieben, zu einem Zeitpunkt, an dem sie geglaubt hatte, nicht mehr glücklicher werden zu können!
Naja, das hatte ja auch gestimmt. Vom höchsten Glückspunkt aus war der Absturz im freien Fall gekommen!
Sie trank noch ein Glas Wein in der aufgehenden Januarsonne, die hier im Süden auch wärmte, rauchte noch eine Zigarette.
Dann siegte die absolute Erschöpfung. Sie duschte, schlüpfte in ein Nachthemd, das Pietro ihr gebracht hatte und schlief 12 Stunden durch.
Felix konnte nicht mehr aufhören zu weinen. Er hatte sein Mädchen verloren, und jetzt hatte er auch noch die Teufelin krankenhausreif geschlagen.
Sie wollten ihn in die Psychiatrie einweisen lassen, weil er kaum ansprechbar war, aber in einem klaren Moment hatte er sie überzeugen können, dass das nicht nötig sei. Eine junge Frau hatte mit ihm gesprochen, er glaubte, sie war Staatsanwältin oder Untersuchungsrichtern, sie hatte etwas von Haftprüfungstermin gesagt, aber es war ihm egal.
Ein Mann war vorbeigekommen, er sagte, er sei sein Anwalt, Larissas Familie habe Anzeige erstattet, es war ihm egal.
Ein paar Tage später war er in einem Gerichtssaal, ein Richter sagte, er müsste nicht in Untersuchungshaft bleiben, weil er ein unbescholtener Bürger war, und es war ihm auch egal.
Der Mann, der sein Anwalt war, brachte ihn nach Hause, in Majas Zuhause, er hatte ja keines mehr.
Er kam mit in die riesige Wohnhalle, setzte sich zu ihm und sagte ruhig:
„Erzählen Sie doch mal!"
Und da sprudelten die Worte aus Felix heraus. Er heulte und redete, schluchzte und erzählte zwei Stunden lang.
Der Anwalt sagte die ganze Zeit kein Wort. Erst als Felix am Ende der vermaledeiten Geschichte, zu der sein Leben geworden war, angelangt war, stieß er hervor: „Das ist ja eine verdammte Scheiße!"
Er erklärte seinem Mandanten, zu dem Felix geworden war, dass die Staatsanwaltschaft wohl auf versuchten Mord plädieren würde. Ausschlaggebend dafür waren die Worte, die die drei Männer bezeugen würden, die Felix in seiner grenzenlosen Wut ausgestoßen hatte: „Ich bringe dich um!"
Er als sein Anwalt würde auf Körperverletzung im Zustand der verminderten Zurechnungsfähigkeit plädieren, wenn sie Glück hatten, käme eine Verurteilung wegen versuchten Todschlages heraus.
Felix wischte sich über das Gesicht.
Er, der friedliebendste Mensch der Welt, der nicht einmal als Junge geschlägert hatte, weil er zu Love and Peace erzogen worden war, war ein Beinahe-Todschläger geworden!
Weil die Teufelin sein Mädchen verletzt hatte, weil er die Liebe seines Lebens verloren hatte!
Weil er als Call-Boy das leicht verdiente Geld genossen hatte.
Weil er sein Leben zu spät ändern wollte, als Maja schon ein Teil davon geworden war!
Weil er deshalb Larissas Eifersucht angestachelt hatte!
Weil er Fehler gemacht hatte! Schlimme Fehler, unverzeihliche Fehler! Er würde ins Gefängnis gehen, und es wäre gerecht!
Er hatte einen Menschen, eine Frau schwer verletzt! Dafür musste er bestraft werden!
Maja versuchte, wieder einmal ins Leben zurückzufinden. Nach Georgs Tod war es schwer gewesen, sie war noch immer sehr unreif, konnte zwar Geschichten erfinden, die viele Menschen lesen wollten, aber sie hatte noch immer keine Ahnung vom Leben.
Sie kannte nur Träume vom Leben.
Sie hatte keine Freunde, außer ihren Eltern hatte sie niemanden.
Die Presse hetzte sie, die schöne, junge Frau des alternden Professors, der sie krankenhausreif geschlagen hatte und dann im Bett seiner Stamm-Hure gestorben war.
Solche Geschichten liebten die Menschen, noch dazu, da sie die wohlbehütete, begabte Tochter aus reichem Hause war.
Sie hatte sich nur mit Träumen retten können. Die Frauen von Georgs Freunden zerrissen sich den Mund über sie, erzählten jedem, der es hören wollte, dass sie ihn in den Tod getrieben hatte. Endlich konnten sie die ganze Häme über ihr auskippen, nachdem sie jahrelang darunter gelitten hatten, dass sie so viel jünger und auch hübscher war als sie, dass ihre Männer sie ständig angafften und bei jeder Gelegenheit begrapschten.
Sie ließ das alles nicht an sich heran, weil sie ja ihre Träume und Phantasien hatte, weil sie ja nicht in der Wirklichkeit leben musste.
Irgendwann einmal erlosch das Interesse an ihr, neue Skandale waren interessanter geworden. Was blieb und was wuchs, war die Einsamkeit.
Die Einsamkeit, gegen die Felix hatte helfen sollen.
Felix, der hübsche Call-Boy, den sie angerufen hatte.
Warum hatte er nicht eine Stunde mit ihr verbracht, hatte sein Geld genommen und war gegangen? Sie hätte ihn immer wieder für eine Stunde buchen können, vielleicht auch mal für zwei, sie hätten zum Essen gehen können, zum Tanzen, er hätte sein Kuvert eingeschoben, alles wäre in Ordnung gewesen!
Geld hatte sie genug, es hätte eine ganze Weile so weiter gehen können, bis sie vielleicht ins Lebens zurückgefunden hätte, bis sie vielleicht aus den Träumereien in die Welt gefunden hätte!
Bis sie vielleicht einen Mann gefunden hätte, der sie liebte, den sie lieben konnte, für immer.
Vielleicht einen ihrer vier Vasallen, nicht so hübsch, nicht so gut im Bett, nicht so charismatisch wie er, aber gut für ein Leben!
Warum hatte er ihr diese Chance genommen?
Es war nicht sein Job, sie verliebt in ihn zu machen, warum hatte er nicht nur seinen Job gemacht? Warum hatte er ausgerechnet sie von all den Frauen zu seinem Opfer auserkoren?
Sie versuchte wirklich alles, um wieder einmal ins Leben zurück zu kommen.
Sie kaufte sich Anziehsachen, Wäsche, sie aß jeden Mittag in der kleinen Trattoria am Hafen, sie saß stundenlang auf der Bank am Leuchtturm, sie aß abends mit Pietro im Personalraum, sie machte Ausflüge an die Orte, an denen sie mit ihren Eltern gewesen war.
Sie telefonierte jeden zweiten Tag mit ihren Eltern, Felix wurde nicht mehr erwähnt.
Die Freunde rief sie nicht an, fürchtete Vorwürfe, hatte Angst, von Felix zu hören!
In dem kleinen Ort war sie bald bekannt : Die schöne Deutsche mit dem langen blonden Haar und den traurigen dunkelblauen Augen.
Das schöne Mädchen, das stundenlang am Leuchtturm saß und aufs Meer hinaus sah.
Männer umwarben sie, Frauen wollten sie hassen, konnten es aber nicht. Die vielen ungeweinten Tränen, die in ihren schönen Augen standen, hielten sie davon ab.
Sie war zu allen freundlich, ließ aber niemanden den Panzer um ihr Herz durchdringen.
Sie kaufte sich ein Laptop, schrieb wie im Fieber Band 2 der neuen Trilogie, Band eins hatte die Verkaufszahlen der ersten vier Bände schon überholt.
Sie sandte das Manuskript per Mail an ihren Verlag.
Zwei Tage später kam die Antwort. Ihr Lektor bat energisch um ein Gespräch, ein persönliches Gespräch, sehr dringend.
Sie rief ihn an, ließ sich überreden, dass er sie besuchte.
„Aber wenn du irgendjemandem meinen Aufenthaltsort verrätst, habe ich die letzte Zeile für deinen Verlag geschrieben!" drohte sie.
Vier Tage später saß Pascal mit ihr am Leuchtturm. Er hielt ihre Hand. „Maja, wir werden dieses Manuskript nicht drucken! Es ist viel zu traurig! Das bist nicht du!"
Sie sah ihn an. „Doch, Pascal, das bin ich! Das bin ich heute!"
„Aber Maja, das passt nicht zu Band eins! Das ist ein so gewaltiger Bruch, das nehmen uns die Leserinnen niemals ab!"
„Aber solche Brüche schreibt das Leben!" wandte sie ein. „Alles andere sind Träume! Das Leben ist wie Band zwei!"
Pascal sah den Schmerz in ihren Augen und wurde nachdenklich.
Vielleicht hatte sie ja Recht!
Vielleicht verstanden die Leserinnen ja wirklich, dass eine Geschichte auch einmal furchtbar traurig weitergehen konnte!
Er flog zurück, sie verlegten das Buch, und es sollte ihr größter Erfolg werden.
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