Kapitel 24 - Advent, Weihnachten, Silvester 2006

In der Adventszeit schleppte Felix Lichterketten an, schmückte das Haus außen und innen, Maja kaufte ein paar Adventskränze, stellte sie in dem riesigen Haus auf. Sie trafen sich mit Freunden auf dem Christkindlmarkt, hauten sich die Bäuche voll mit Knackersemmeln und gebrannten Mandeln, tranken Glühwein, lachten mit den anderen, küssten sich in den kalten Winternächten.

Ihr Glück strahlte heller als die ganze Beleuchtung, ihre Liebe erwärmte die Herzen aller Passanten. In diesen Nächten brauchten sie manches Mal das Schlafzimmer in seiner Wohnung.
„Kluger Felix!" lobte Maja ihn jedes Mal für seine weise Voraussicht.
„Reiner Eigennutz!" antwortete er dann immer.

An den Adventssonntagen hatten sie offenes Haus, es waren immer irgendwelche Freude oder Nachbarn zu Besuch. Sie hatten zusammen Plätzchen gebacken, manches Blech in den Abfall gekippt, weil ihre Küsse länger als die Backzeiten gedauert hatten, aber sie hatten trotzdem eine beachtliche Vielfalt geschafft.

Einmal stand Felix lachend vor dem ausgerollten Teig. „Das hätte ich jetzt auch nicht gedacht, dass ich mal ein Zimtsterne backender Softie werden würde!"
Sie sah ihn mit anzüglichem Blick an, fasste ihm zwischen die Beine. „Softie? Na, ich weiß nicht!"

Er liebte ihre frivole, offene Art.
Danach mussten sie das Bett neu beziehen, weil alles voll Teig und Mehl war. Sie mussten auch erst einmal lüften, weil das Blech mit Gebäck, das sie im Ofen vergessen hatten, inzwischen zu Kohle geworden war.

Und weil sie eh nicht weitermachen konnten, bis der Rauch abgezogen war, legten sie sich erst noch ein wenig hin, denn Backen war sehr anstrengend.
Während sie sich wohlig räkelte, sagte sie: „Ich liebe die Liebe mit dir, Felix!"
„Und ich erst!" antwortete er und streckte sich nicht weniger wohlig.
Sie stützte sich auf einen Arm, sah ihn entsetzt an. „Du liebst die Liebe mit dir auch? Das hätte ich jetzt nicht von dir gedacht!"

Er zog sie auf sich. „Du bist eine dumme Nuss!" rief er lachend.

„Wenn du das jetzt zu mir gesagt hättest!" Sie alberten noch eine ganze Weile, zogen sich auf, lachten, rollten im Bett hin und her, wurden von einem Moment zum anderen wieder atemlos, versanken im Rausch der Leidenschaft, puschten sich mit schmutzigen Worten auf, holten sich mit zärtlichen wieder herunter.

Beides konnten sie meisterlich, sie hatten schon eine Menge Übung.
Er war zwar schon länger ein Könner auf dem Gebiet, aber sie hatte schnell aufgeholt. Außerdem konnte auch er immer wieder etwas von ihr lernen.

Wenn sie zum Beispiel mit ihren Hüften kreiste, wenn er in ihr war, bescherte ihm das ungeahnte Gefühle. Wenn sie ihn zwischen ihren Schenkeln aufnahm, die Muskeln anspannte, sah er lauter neue Sterne. Wenn sie ihn ritt, verzögerte, beschleunigte, verzögerte, wenn sie spielte mit ihm, hatte er oft Bedenken, sie mitnehmen zu können.

Aber sie kannte seinen Körper schon genau, kannte die Anzeichen, wenn er es nicht mehr viel länger aushalten konnte, dosierte ihre Bewegungen und das Spiel ihrer Muskeln exakt. Sie waren sich absolut ebenbürtig.

Sie kannten keine Tabus, sprachen offen über ihre Vorlieben, forderten gewisse Liebesdienste auch ein und verließen das Bett jedes Mal singend, lachend, tanzend vor Glück - wenn sie frei hatten und alleine waren, allerdings meistens nicht für lange.

Sie hatten beide fest damit gerechnet, dass das Feuer zwischen ihnen ein bisschen schwächer brennen würde mit der Zeit, dass die Anziehungskraft, die sie wie Magnete aneinander zog, abnehmen würde.

Aber das Gegenteil war der Fall. Sie brannten immer mehr füreinander.
Besucher schmunzelten oft, wenn sie die Anzeichen der Leidenschaft bemerkten. Wenn die beiden immer schwerer zu atmen schienen, wenn sich ihre Augen ineinander verhakten, wenn sie sich ständig irgendwo berühren mussten, wenn die anfangs zärtlichen Küsschen langsam heißer wurden, dann wussten die Gäste, dass es Zeit war aufzubrechen.

Ihr Haus und ihr Grundstück erstrahlten unter den Lichtern, wurden zum leuchtenden Mittelpunkt der Straße.
Heilig Abend wollten sie alleine feiern. Sie hatten sich fest versprochen, sich nicht zu beschenken, sie kauften sich bei ihren Raubzügen durch die Städte sowieso ständig irgendwelche sinnvollen oder unsinnigen Dinge.

Sie kochten ein leckeres Menü, genossen den Nachtisch, der mit vielen Küssen gewürzt war.
Kurz vor zehn machten sie sich auf zur Christmette. Felix musste noch einmal zurück, er hatte etwas vergessen, wie er sagte.

Maja konnte sich zwar nicht vorstellen, was man zu einer Weihnachtsmesse brauchte, war aber abgelenkt, als sie auf die ganzen Nachbarn trafen, die mit ihnen gemeinsam weitergingen.

Sie sangen inbrünstig die bekannten Lieder, bei Stille Nacht liefen Felix die Tränen übers Gesicht.
Die anderen Kirchenbesucher hatten ihr Augenmerk mehr auf die beiden gerichtet als auf den Pfarrer. Die jungen Leute, beide so gutaussehend, beide so offensichtlich verliebt, die sich dauernd anlächelten, an den Händen hielten, den Arm umeinander gelegt hatten.
Sogar zur Kommunion gingen sie Hand in Hand.

Weihnachten war in seiner Kindheit und Jugend stets eher zur Katastrophe mutiert. Seine Mutter hatte den Jungen immer in irgendwelche sozialen Einrichtungen geschleppt: Obdachlosenunterkünfte, Frauenhäuser, Kinderheime. Großeltern gab es keine, die hatten mit der Tochter gebrochen, als sie mit 19, direkt nach dem Abitur schwanger geworden war und sich geweigert hatte, abzutreiben.

Felix genoss dieses Mal das Fest der Liebe wie noch nie in seinem Leben, liebte all den Kitsch, der dazu gehörte. Sie hatten einen riesigen Baum aufgestellt, ihn total überladen geschmückt, mit echten Kerzen bestückt. Sie hatten dabei gelacht wie übermütige Kinder, hatten immer wieder die Hände auf ihre Herzen pressen müssen, damit die nicht platzten vor Glück.

Nach dem Gottesdienst gingen sie engumschlungen durch die eiskalte Winternacht. Als sie die Wohnhalle wieder betraten, sah Maja, dass unter dem Baum ein Berg von Geschenken lag.
„Du Verräter!" schimpfte sie. „So hältst du deine Versprechen!"
„Ich habe jedes Mal die Finger gekreuzt, wenn ich geschworen habe!" gestand er lachend ein.

Um nichts auf der Welt hätte er darauf verzichten können, sein Bienchen zu beschenken, wenigsten an ihrem ersten gemeinsamen Weihnachtsfest. Nächstes Jahr könnte er sich vielleicht an die Abmachungen halten, oder auch nicht!
Maja konnte nicht weiter zetern. Da war zum einen wieder dieser vermaledeite Dackelblick in seinen Augen, zum anderen stand die Freude zu sichtbar in seinem Lächeln und zum dritten freute sie sich einfach über die Geschenke.

Sie setzte sich wie ein Kind unter den Baum und packte strahlend aus. Ein neues Handy, ein Laptop, ein Fotoapparat!

„Die anderen Geschenke sind sowieso eher für mich!" Er grinste sie an, verwuschelte seine dichten dunklen Haare, wie er es immer machte, wenn er etwas nervös war.
Sie fand einen Berg an wunderschöner Wäsche, nichts zu sehr Aufreizendes, sondern wunderhübsch. 

Ein paar heiße Shirts, Jeans und Miniröcke, einen Ledertrenchcoat.
Im letzten Päckchen war ein atemberaubendes Ballkleid, darin versteckt zwei Karten für den großen Silvesterball, auf den sie unbedingt hatte gehen wollen, was er aber strikt angelehnt hatte.
Da begannen aber schon die Tränen über ihre Wangen zu laufen, das war dann etwas zu viel!

Er nahm sie in den Arm, wiegte sie wie ein Kind, bis sie sich beruhigt hatte.
Mein Gott, er musste ja täglich unterwegs gewesen sein, um all das zu besorgen! dachte sie.
„Danke!" flüsterte sie an seiner Brust.
„Ich danke dir, Bienchen, für dich!" antwortete er in ihre Haare.

Plötzlich erinnerte sie sich an etwas und machte sich vorsichtig frei. Sie lief schnell aus dem Zimmer und kam mit einem Buch zurück.
„Für dich!" sagte sie lächelnd.
„Dein Neues?" fragte er.
„Ja! Du musst es auch nicht lesen! Nur die zweite Seite!"
Er schlug die Seite auf. „Für Felix! Für immer!" stand da als Widmung.
Jetzt liefen die Tränen bei ihm. Ich bin echt zur Heulsuse geworden! dachte er.

Dann brach das Lächeln wieder durch. „Du musstest meine Geschenke wohl unbedingt toppen, hm, Bienchen?" Und wieder hielten sie sich lange einfach nur im Arm. Sie waren sich so nah, sie waren so sehr eins, wie sie es nie für möglich gehalten hatten, dass es zwei Menschen sein könnten.

„Sollen wir eine Runde kniffeln?" fragte er schließlich leise.
„Logo! Aber heute gewinne ich!" Sie schniefte noch immer ein bisschen.
„Das werden wir ja sehen! Ich werde gnadenlos sein!" drohte er.

Schnell bauten sie die Tablets auf, warfen sich in den Zweikampf. Wie immer lachten sie Tränen bei all den Wendungen, die das Spiel nahm, bei allen Zufällen, und wie immer lagen sie sich irgendwann in den Armen, schnappten nach Luft, atmeten immer schwerer, fühlten die Erregung hochsteigen.

„Bitte Maja! Schlaf mit mir! Ich begehre dich so sehr! Bitte, Maja! Ich muss dich jetzt haben!" flehte er.
„Ja!" antwortete sie. „Ja, natürlich!"
Und wie immer, wenn er sie lieben durfte, glaubte er an Wunder, glaubte er, sich in einem Traum zu befinden.
Sie war der Hammer, sie passte so eins zu eins zu seinen Wünschen und Vorstellungen, im Bett wie im Leben.

Alles mit ihr war der reine Wahnsinn, alles mit ihr brachte ihn höher, als er je gewesen war. Er war ja schon erfahren, nicht nur mit Kundinnen, die meistens eher weniger seinem Idealbild von einer Bettgenossin entsprochen hatten. Er hatte sich dazwischen auch schöne Frauen gegönnt, kluge Frauen, Frauen, die ihn reizten. Und er hatte durchaus auch erfüllende sexuelle Beziehungen gehabt, aber so wie mit ihr hatte er noch nicht annähernd gefühlt. Darüber war er sich schon nach dem ersten Mal klar.

Am ersten Feiertag trafen sie sich mit ihren Eltern, die überglücklich waren und Felix liebevoll in die Arme schlossen. Sie aßen Gänsebraten, nachmittags tranken sie Punsch und aßen ihre Plätzchen, für die sie sehr gelobt wurden.
Sie schenkte ihnen ihr neuestes Werk, machte ein paar Fotos mit der neuen Digitalkamera, vor allem natürlich von Felix. 

Ihre Mutter hatte den beiden viele Paare Socken gestrickt, weil Maja immer so kalte Füße hatte, was bestimmt an diesem riesigen Haus lag, so dass sicher auch Felix frieren würde.
Der musste schmunzeln. Also, kalt war es ihm an ihrer Seite noch nie gewesen, heiß schon, sehr heiß sogar. Und dass sein Bienchen keine kalten Füße bekam, dafür hatte er schon auch immer gesorgt!

Früher, gut, da war es ihr sicher oft kalt geworden in diesem Haus, doch die Kälte war wohl aus dem Herzen gekommen.

Er schloss den Calsows den neuen Fernseher mit Receiver an, den sie sich zu Weihnachten geschenkt hatten, Technik war ja sein Element. Er hatte für seine Quasi-Schwiegereltern Senioren-Smart-Phons besorgt und ein paar hilfreiche Apps installiert. 

Die meisten hatte er programmiert. Er erklärte ihnen die Handhabung der Geräte, sie waren sehr stolz, alles so gut zu verstehen.
Maja schüttelte wieder einmal den Kopf über ihren hübschen Jungen! Auf die Idee wäre sie in hundert Jahren nicht gekommen.

Am zweiten Feiertag besuchten sie seine Mutter, die natürlich die Bude voll hatte mit Obdachlosen und Prostituierten, denen sie ein schönes Fest bereiten wollte.
Maja war etwas verwundert, dass sie auch auf Mischa traf. Doch sie erfuhr, dass die mittlerweile eine schöne Wohnung gefunden hatte und sich bei der Sozialstation nützlich machte. 

Sie war kaum geschminkt und gut gekleidet, sah wirklich gut aus.
Sie nahm Maja in den Arm. „Weißt du, dass ich jeden Tag für dich bete, Mädchen?" fragte sie mit Tränen der Rührung in den Augen.

Maja lächelte nur. Na, das kann ja auch nicht schaden, oder? dachte sie. Aber sie fühlte sich doch tatsächlich noch ein bisschen besser durch diese Worte.
Um sechs spendierte Felix für die ganze Gesellschaft Essen von einem Lieferdienst. 

Als sie gingen, ließ er einen Umschlag mit einer größeren Summe in der Jackentasche seiner Mutter verschwinden. Das war Tradition, seit er Geld übrig hatte. Er wusste, dass sie damit irgendwelche Therapien für irgendwelche Süchtigen bezahlen würde, aber so war sie eben! Und es war gut so!

Der Silverstertag kam schnell. Sie putzten sich beide so heraus, dass ihnen gegenseitig die Augen fast aus dem Kopf fielen. Ihr Kleid machte endgültig eine Prinzessin aus ihr, er war in seinem Smoking mit eng geschnittener Hose der passende Prinz.

Sie schritten in den Saal, und es schien, als würden die Gespräche verstummen ob so viel menschlicher Schönheit.
Sie begrüßten Freunde und Bekannte, Maja ignorierte die, die sich von ihnen wegdrehten, die "Freunde" von früher.

Verlogene Bande! dachte sie nur. Sie tanzten, als wären sie im Himmel, Felix war ein fantastischer Tänzer, sie tranken ein Glas Champagner an der Bar, machten Small-Talk mit Fremden, gaben dem Reporter der Tageszeitung ein kurzes Interview.
Doch dann fiel Felix' Blick auf Larissa, und die Stimmung war dahin. Die kam natürlich auf die beiden zu.
„Na, über die Feiertage zu Hause? Da freut sich das Schwesterchen aber, oder?" fragte sie süffisant.

Maja hatte keine Lust mehr, das Spiel fortzusetzen, sie war jetzt ein halbes Jahr mit Felix zusammen, die hässliche Frau musste irgendwann einmal begreifen, dass sich die Dinge geändert hatten. Sie schwieg einfach, genau wie Felix.

Doch irgendetwas in dem Blick Larissas ließ ihr Herz frieren. Noch nie hatte sie solchen Hass in den Augen eines anderen Menschen gesehen, nicht einmal bei Georg an diesem schrecklichen letzten Tag.

Sie versuchten beide den Abend zu retten. Aber überall, wo sie auftauchten, lagen Larissas Blicke auf ihnen, triefend vor Missgunst.
Als Felix sah, dass sie aus dem Saal ging, entschuldigte er sich bei Maja und lief ihr nach.
Auf dem Gang stellte er sie.
„Na, Sonnyboy? Sehnsucht nach deiner ersten Kundin?" fragte sie boshaft und nicht gerade leise.

Er zog sie in eine Ecke. „Larissa! Kannst du dich nicht mit den Tatsachen einfach abfinden? Du bist verheiratet, ich habe mich verliebt! Lass es doch gut sein, bitte!"

„Um der alten Zeiten willen? Vergiss es! Du gehörst mir! Hast mir immer gehört! Ich habe dich gekauft, schon vergessen? Und ich gebe nie her, was mir gehört!" Böser hatte noch nie ein Mensch mit ihm gesprochen. Er fror plötzlich bis aufs Mark. Aber ihn packte auch die Wut, eine hellrote, brennende Wut.

„Wenn du ihr irgendwie schadest, bringe ich dich um!" haute er ihr hin und ging zurück zu Maja.
Sie tanzten, holten sich etwas vom Büffet, hielten noch durch bis nach dem Feuerwerk, doch der Abend war verdorben.
„Verzeih mir, Süße!" bat er mit feuchten Augen. Er hatte ihr so viel sagen wollen zum Jahreswechsel, hatte so viel auf dem Herzen, doch das Gift Larissas hatte alles zerstört.

„Fahren wir nach Hause! Weg von dieser Frau!" bat sie schließlich.
Wortlos führte er sie zu einem Taxi, wortlos ließen sie sich heimchauffieren.
Sie nahm ihn in den Arm. „Felix, hör auf, dir die Schuld an irgendetwas zu geben! Es gibt böse Menschen! Und man kann nicht immer mit so viel Bosheit rechnen! Vor allem nicht, wenn sie einem selbst so fern liegt!"

„Aber sie ist verheiratet! Was treibt sie denn an, mich so fertig zu machen?"
„Sie ist verrückt, so wie Georg verrückt war! Irgendwann einmal hat eine Schaltung in ihrem Gehirn falsch reagiert! Da kommen wir nicht mit!"
Er musste lächeln über ihre Worte. Sie hatte es auf den Punkt gebracht, und sie hatte wohl recht!

Sie gingen ungewöhnlich früh schlafen, hielten sich im Arm, hingen beide noch ihren Gedanken nach.
Doch ihre Nähe beruhigte sie gegenseitig.


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