Kapitel 104 - Nicola und Bob
Am nächsten Morgen war Nicola zu Felix' Schrecken schon da, als er die Firmenräume betrat. Seltsamer Weise kam sie aus seinem Büro.
„Was haben Sie in meinem Zimmer gemacht?" fragte er schroff.
Sie machte einen Schmollmund, was nur affig aussah. „Ich habe dich gesucht, Felix!" sagte sie mit tiefer Stimme.
Ihm schwoll der Kamm. „Ich würde die Anrede Dr. Steiner bevorzugen!"
„Ich habe dich gesucht, Dr. Steiner!" Ihre Stimme war noch dunkler geworden.
„Frau Bronner!" Er überlegte krampfhaft, wie Maja mit der Frau reden würde, aber er hatte nicht ihr Talent zum Zusammenfalten. „Sie suchen einen Job! Ich habe Ihnen einen gegeben, weil die Jungs mich überstimmt haben. Aber letztendlich habe ich als Chef das letzte Wort! Sie sollten mich also nicht herausfordern und wütend machen!"
Damit ließ er sie stehen. Auf seinem Tisch stand ein Teller mit einem gebackenen Herzen mit Marzipan gefüllt, seine Lieblingsleckerei. Er warf sie in den Abfall. Majas Bild war schon wieder umgefallen. Er würde einen neuen Rahmen kaufen.
Nicola ahnte, dass sie zu weit gegangen war, zu forsch gewesen war. Sie musste sich eine neue Taktik überlegen, wenn sie sich dieses Goldstück angeln wollte.
Sie setzte sich auf einen freien Arbeitsplatz und machte den Job, der ihr zugewiesen worden war.
Heute trug sie einen kurzen Rock und eine sehr durchsichtige Bluse. Sie hatte sich zwar für Felix so hergerichtet, aber die Jungs ein wenig anzumachen und auf ihre Seite zu ziehen, konnte auch nicht schaden.
Ihr offizieller Arbeitsbeginn war erst in einer Woche, aber sie wollte keine Zeit verlieren, Felix zu erobern.
Vielleicht musste sie aber auch warten, bis die Ablaufzeit des Püppchens erreicht war, um dann in ein Vakuum zu stoßen? überlegte sie.
Nur, ihr ging das Geld aus. Das Gehalt war ja mehr als ausreichend, aber es würde halt erst in fünf Wochen kommen.
Sie setzte sich auf Bobs Armlehne, der für ihre Annäherungsversuche empfänglicher war als Felix.
„Du, Bob!" Sie schenkte ihm einen tiefen Blick. „Meinst du, der Chef würde mir einen Vorschuss bewilligen? Ich bin ein wenig blank, weil ich meine Eltern in ein Pflegeheim geben musste, und das kostet Unsummen an Vorauszahlungen. Dann muss ich mir ja hier eine Wohnung suchen, aber es dauert, bis ich meine Eigentumswohnung verkaufen kann." Sie fantasierte wild drauf los.
Bob sah sie mitleidig an. „Das kann ich auch! Ich habe Prokura."
„Wow! Das wäre mir wirklich eine große Hilfe!" hauchte sie.
Bob schwanden ein wenig die Sinne. Er hatte schon lange keine Frau mehr gehabt.
Wenn er annähernd so gut aussehen würde wie Felix, wäre das kein Problem, aber er war eher das genaue Gegenteil des Chefs. Manchmal konnte seine Kohle ein Mädchen in sein Bett locken, aber so richtig hübsch waren die meistens auch nicht.
Hin und wieder gönnte er sich ein wenig Spaß mit einer Escort-Lady, das kostete halt eine Stange Geld, war aber nicht so stressig wie ein Besuch im Puff.
Für ihn war Nicola eine Göttin und dann auch noch eine Kollegin, mit der er fachsimpeln konnte! Das wäre perfekt!
Sofort startete er das Bankprogramm. Nicola speicherte die Kennwörter in ihrem Kopf ab, die er unvorsichtiger Weise vor ihr eingab. Er ließ sie auch den Kontostand sehen, der ihre Augen flimmern ließ.
„Reichen 4000 fürs erste?" fragte er sie.
„Nein, um Gottes willen! Drei reichen auch!" spielte sie die Bescheidene.
„Ach, komm! Ihm tut's nicht weh! Und du musst ja sicher auch Kaution bezahlen, wenn du eine Wohnung gefunden hast!"
„Ja, du hast Recht! Danke!" Ihre Stimme klang tief und verheißungsvoll.
Mit einem Klick wies er die Summe auf ihr Konto an.
„Willst du auch nicht meine Programme sehen?" fragte sie mit einem Kleinmädchenschmollen.
Da vergaß Bob alle Vorsichtsmaßnahmen, die in der Firma oberstes Gebot waren: Niemals Übertragungen von ungeprüften Datenträgern, niemals Fremdprogramme!
„Ja, zeig mal!" Er lächelte sie glücklich an, steckte den Stick ein und erstarrte kurz darauf. Fast augenblicklich wurde der Bildschirm schwarz, ein Totenkopf erschien, der grinsend eine Sprechblase losließ. „You're a Thief! You're dead!" stand darin.
Nicola hatte nicht geahnt, dass Charlie seine Programme gegen Diebstahl mit einem bösartigen Virus geschützt hatte.
„Verdammte Scheiße!" brüllte Bob. „Wo hast du das Zeug her?" Er zog den Stick aus seinem Computer, warf ihn in die Ecke.
Nicola überlegte krampfhaft nach einer Ausrede. „Mein letzter Chef hat mir meine Programme zum Abschied geschenkt! Er war wohl sauer, weil ich gegangen bin! Aber ich musste doch nach Hause wegen meiner Eltern!" Sie vergoss bittere Krokodilstränen.
„Der Chef, der dir dieses wahnsinnig gute Zeugnis ausgestellt hat?" Bob kam die ganze Geschichte mittlerweile doch spanisch vor.
„Ja!" Sie schluchzte laut. „Ich wusste doch nicht, dass er eine so linke Bazille ist!"
Die anderen kamen aufgeregt zu Bob. „Komplettbefall!" sagte Nick nur. „Alles tot!"
Bob schwitzte aus allen Poren. Der Worstcase war eingetreten, das ganze System war verseucht, die Arbeit von Wochen zerstört, nur weil seine Hormone ein paar Minuten lang verrückt gespielt hatten.
Er wusste, dass seine Unvorsichtigkeit nach Arbeitsvertrag Grund für eine fristlose Kündigung waren. Aber er musste ja nichts zugeben, wenn Nicola dicht hielt.
Er sah sie an, sie zwinkerte ihm zu. Jetzt hatte sie ihn in der Hand.
Felix fuhr seinen Computer runter. Er hatte genug für heute, wollte noch mit seinem Bienchen in die Stadt.
Als er sich von den Jungs verabschieden wollte, sah er das Chaos. Sein Computer war zum Glück an kein internes Netzwerk angeschlossen, damit auch vom Virus verschont geblieben.
„Wer hat was gemacht?" zischte er. Alle zuckten die Schultern, alle sahen ihn offen an.
„Keiner hat was falsch gemacht, Chef!" versicherte Nick.
„Und woher kommt dann die Scheiße?" Felix war auf zweitausend. Alles bei ihm war abgesichert, vielfach abgesichert! Es konnte kein Virus von außen in ihr System kommen! Es war auch noch nie geschehen!
Irgendeiner musste Mist gebaut haben.
„Frau Bronner, wo sind die drei Sticks, die Sie mir gestern angeboten haben?" Seine Stimme war eiskalt.
„Die habe ich im Hotel gelassen!" Sie sah ihm regungslos ins Gesicht.
„Dann fährt jetzt Bob mit Ihnen hin und holt sie!" Er drehte sich um und ging mit Nick und Jack zum Hauptserver. „Alle Geräte runterfahren oder killen!" kommandierte er.
Bob atmete aus. Das war bis jetzt ja noch mal gut gegangen! Er holte den Stick aus der Ecke, ging mit ihr zu seinem Wagen. „Wir müssen zu mir, die Viren entschärfen! Ich muss halt einen meiner Computer opfern, die Daten löschen. Dann spielen wir drei von meine privaten Programmen drauf!"
„Können wir nicht einfach neue Sticks nehmen?" fragte sie.
„Nein, das sind amerikanische, die gibt es bei uns nicht! Und Felix hat ein fotografisches Gedächtnis, der hat sich bestimmt die Marke gemerkt!"
Er realisierte gar nicht, dass er sich damit zu Nicolas Komplizen machte, dass er seinen verehrten Chef hinterging! Aber er wollte diesen Job nicht verlieren!
Als sie wieder zurückkamen, präsentierten sie Felix drei Datenträger mit virenfreien Programmen. Er steckte einen in ein altes ausrangiertes Laptop, startete und öffnete problemlos die Dateien.
Okay, er hatte sich getäuscht! Sie war nicht schuld!
Aber es blieb ein Rätsel.
Er rief Maja an. „Süße, wir haben einen Totalabsturz! Du wirst heute Nacht ohne mich schlafen müssen! Ich küsse dich!"
„O Gott! Ihr Ärmsten! Ich drücke euch die Daumen!" Schnell machte sie Hamburger und Brote und brachte sie nach nebenan.
Da sahen sich Maja und Nicola zum ersten Mal in die Augen.
Mein Gott, wie süß! Das Püppchen brachte Futter für den Herrn Dr. und seine Angestellten. Das gab morgen bestimmt ein paar Brillantohrringe als Bonus! dachte Nicola.
Das ist eine Feindin! dachte Maja. Eine Feindin wie Larissa. Ihr wurde schlecht vor Angst. Aber dieses Mal war sie gewarnt! Dieses Mal würde die Gegnerin nicht gewinnen!
Die Crew arbeitete die halbe Nacht. Der Server wurde gecleant, backups wurden hochgefahren, um vier Uhr morgens war alles sauber, aber die Arbeiten der letzten Wochen waren unwiederbringlich verloren.
„Wir sehen uns übermorgen!" bestimmte Felix, bevor er müde nach Hause wankte.
„Soll ich dich in dein Hotel bringen?" fragte Bob Nicola.
Sie sah in tiefgründig an. „Oder zu dir?"
Bob verlor fast den Verstand. Sie hatte ihn gedeckt, hatte sich in der Nacht als äußerst kompetent gezeigt, und sie wollte mit zu ihm.
„Okay!" brachte er nur heraus und verschwendete keinen Gedanken daran, warum diese Wahnsinnsfrau gerade mit ihm zusammen sein wollte!
Es wurde die heißeste Nacht seines Lebens, und der nächste freie Tag war auch nicht ohne.
Kaum konnte er sein Glück fassen, aber er hatte ja auch nicht bemerkt, dass sie in der Nacht aufgestanden war, seinen Computer hochgefahren, das Bankprogramm geöffnet und sich 40.000 Euro überwiesen hatte.
Am Abend fuhren sie in ihr Hotel, holten ihre Sachen ab und sie zog bei ihm ein. Der hässliche, übergewichtige Nerd mit der schlechten Körperhaltung hatte seine Traumfrau gefunden.
Nicola hätte zufrieden sein können. Sie hatte ein Dach über dem Kopf, das sie keinen Cent kostete, einen Job, der ihr gutes Geld einbrachte. Immer wieder vergriff sie sich an Felix' Konto, aber mit kleineren Beträgen, sie durfte nicht zu gierig werden. Die große Summe am Anfang war riskant gewesen, aber scheinbar fiel die Umbuchung niemandem auf.
Bob kaufte ihr neue, teure Klamotten, hin und wieder ein Schmuckstück und zum Geburtstag sogar ein Auto.
Er war verliebt in sie bis über beide Ohren, hatte sich die Haare schneiden lassen, war dabei abzunehmen, Sport zu treiben, zog sich auch schicker an.
Sie hätte zufrieden sein können, wäre da nicht die Besessenheit gewesen, die sie zunehmend für Felix entwickelte.
Sie hielt sich zurück, machte ihn nicht mehr so offen an wie am Anfang, doch oft sah er ihre Blicke auf sich, was ihn zunehmend nervte. Aber sie machte sich nicht schlecht bei der Arbeit, sie schien auch Bob sehr gut zu tun, der plötzlich begann, am Leben teilzunehmen.
Aber warum schmachtete sie ihn dann dauernd an? Warum ging sie immer so knapp an ihm vorbei, dass ihn irgendein Körperteil streifte?
Warum setzte sie sich immer vor ihm auf den Tisch, schlug die Beine übereinander, damit der Rock noch weiter nach oben rutschte?
Warum beugte sie sich immer besonders nah zu ihm, um ihm Einblicke zu gewähren, die er gar nicht sehen wollte?
Er vermied den Kontakt zu ihr so weit wie möglich. Bob schien von all den Annäherungsversuchen nichts zu bemerken.
Maja dagegen merkte, dass Felix immer weniger gern in die Firma ging, zunehmend von zu Hause aus arbeitete.
Einmal sprach sie das Thema an. „Sie nervt!" sagte er nur.
Er wollte seine Süße nicht aufregen. Doch dann überlegte er, dass er ihr alles erzählen sollte.
Damals bei Larissa hatte er sie auch schonen wollen, hatte deshalb geschwiegen, mit fatalen Folgen.
Deshalb erzählte er ihr haarklein alles, was er so in den letzten Wochen beobachtet hatte.
„Ich weiß nur nicht, was in diesen Frauen vorgeht! Glauben sie, ich trenne mich von dir, um mit ihnen in die Kiste zu springen? Oder, ich würde dich mit so einer betrügen? Ausgerechnet ich dich? Oder geht es ums Jagen, um eine Kerbe am Bettpfosten? Erkläre du mir mal die Frauen!"
Maja lachte. „Da bin ich genau die Richtige dafür!"
„Zum Glück, Bienchen!" Er nahm sie in den Arm. So schlecht war ein Arbeitsplatz zu Hause auch nicht! stellte er fest. Da konnte man immer ein wenig fummeln, wenn man Lust drauf hatte! Und das Bett war auch nicht weit!
Nicola entlockte Bob immer mehr über die derzeitige Kleine des Chefs.
„Das Püppchen ist ja ganz niedlich!" begann sie das erste Gespräch, kurz nachdem sie angefangen hatte.
Bob begann zu lachen. „Das Püppchen! Das lass ihn ja nicht hören! Und sie erst recht nicht!"
„Warum denn das? Das ist doch nichts Schlimmes, wenn man so eine Discomieze Püppchen nennt!" Sie schien wirklich überrascht zu sein.
Bob lachte noch mehr. „Maja ist alles andere als ein Püppchen oder eine Discomieze! Sie ist eine sehr erfolgreiche Schriftstellerin, die mindestens so viel Kohle macht wie er!"
Verdammt! Da hatte sie die Frau wohl falsch eingeschätzt!
Immer wieder fragte sie Bob so nebenbei über die beiden aus, erfuhr höchst interessante Neuigkeiten.
Sie schmiedete Pläne, verwarf sie wieder, dachte sich die verrücktesten Dinge aus, wie sie den hochnäsigen Dr. Steiner, wie er sich immer noch von ihr nennen ließ, obwohl alle in der Firma sich duzten, für sich gewinnen konnte. In letzter Zeit schien er ihr auch noch aus dem Weg zu gehen, ließ sich kaum noch in seinem Betrieb sehen, was die Kollegen zunehmend ärgerte.
Vielleicht wollte er sich aber auch vor seinen Gefühlen ihr gegenüber schützen?
Damit hatte sie nicht einmal so Unrecht, nur dass diese Gefühle ganz andere waren als sie sich erhoffte.
Sie wurde immer verrückter nach ihm. Wenn Bob sie anfasste, träumte sie sich in die Arme des hübschen Chefs. Wenn Bob sie hart küsste, fühlte sie in Gedanken die weichen, zärtlichen Lippen des anderen auf ihren.
Stunden verbrachte sie mit Tagträumen von leuchtend grünen Augen, die sie begehrlich ansahen, von langen, schlanken Fingern, die ihrem Körper Zärtlichkeiten schenkten.
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