3] Gassigehen im Schatten

Doch schließlich musste auch der wildeste Abend zu Ende gehen und die Räume des Güldenen Bären sich leeren.
Nicht nur blieb dann Zeit, die Scherben aufzusammeln und die neueste Kriminelle Meisterstrategie auszuhecken, die die Münzen lauter Klimpern ließ als den Münzschmuck bei Nevenas Tänzen, sondern auch für einen nächtlichen Gassigang durch Altingrad.
Immerhin mussten auch notorische Kriminelle, Tänzer und Kellner eine Auszeit haben.

So konnte man die Hauptstadt Velijas in all ihrer Liebenswürdigkeit genießen.
Denn je näher sie der anderen Seitd der Altinitsa kamen, desto übelerregnder wurde der Gestank nach Alkohol, Fäkalien und Kotzerei.
Gebäude reihten sich dicht an dich aneinander, die Gemäuer schief und krumm, als wären sie die Finger einer Ved'ma und ebenso furchterregend wie deren Seele war auch das innere dieser Baracken.
Schäbig, feucht, erstickend vollgestopft mit Menschen.

Natürlich hatte die Iskra wieder Vandalismus betrieben, denn die bröckelnden Mauern zierten große rote Lettern.

Sklaverei. Ausbeutung. Unterdrückung.
Wie lange noch, Zar, wirst du unsere Geduld missbrauchen?

Nevena nahm einen betont übertriebenen Atemzug und meinte mit der Zuneigung, die man vielleicht einem betrügerischen Partner gegenüber empfand:
"Wie liebe ich doch den Duft der Freiheit, Prosperität und Vernunft in unserer goldenen Stadt! Es lebe die Seele Ivan des Großen!"

Irgendein Betrunkener torkelte da an ihnen vorbei und reierte auf die Iskra-Parolen.
Scheinbar schätzte die Arbeiterklasse ihre Befreier sehr.

Robida brummte daraufhin nur und schmiegte sich etwas an ihre Herrin.
Wahrlich, viel einladendes oder angenehmes gab es in diesem Stadtteil nicht.
Nichts außer die Aussicht, zurück in ihrem Revier ein warmes, sauberes Bett zu haben.

Hier gab es nämlich selbst für eine Bärin nichts zu holen.
Aus diesem nachtschwarzen, regelrecht teerigen Teil der Altinitsa, der zu einem Abwasser versumpfte, würde nicht einmal Robida einen Fisch fressen.
Sollte es überhaupt noch lebendes Getier darin geben.

Und ihre... prominentesten Gäste des Abends mussten sich wahrscheinlich auch nicht in diesem größten aller Dreckslöcher abmühen.

Sicherlich würde vor allem Lisitsyn jetzt in den weichsten Laken des Zarenreichs schlummern. Nicht unbedingt, weil er so unermesslich reich war, sondern eher, weil die Zarin ihn abends gelegentlich einlud, ihr Gymnastikstunden zu geben. In ihrem Bett.
Da nickte man schon einmal ein.
Ergena hingegen bastelte wohl noch immer an ihrem DIY-Folterkeller -oder half ihren Kresnikninafreunden bei...was auch immer eine Magiergilde tat, wenn niemand des nachts allzu genau hinsah.

Und Draganov... Der tat es Zatsepina wohl mit dem Wachsein gleich und stürzte sich auf irgendeine unnötige Arbeit, hinter der er die Rettung des Reichs fantasierte. Oder er saß da und murrte darüber, warum ihn keiner beförderte.

Vielleicht schliefen ja zumindest ihre Roten Rädelführer. Das hieß, solange sie nicht verhaftet worden waren oder so... Obwohl, dann würden sie wohl bald für immer schlafen.

Erquickende Aussichten!

Nein, einen schönen Abend hatte sie sich so wirklich nicht vorgestellt. Und wenn sie sich nicht noch weiter in das Elendsviertel und Jaromirs Domäne wagen konnten....

Nun stupste die Schnauze der Bärin Nevena an, dann noch einmal, bis sie zu ihr herabsah und wissend nickte.

"Weißt du was, Mädchen, du hast recht!", verkündete sie daraufhin."Wir brauchen noch einmal eine Auszeit. Entspannung. Einen guten alten Raubzug eben! Nur wir beide!"

Da sie nicht Jaromir hießen und den Bewohnern des Arbeitervierts nicht noch mehr abknöpfen wollten, das sie nicht hatten, wandten sich die zwei also um.
Im Goldeben Viertel gab es durchaus mehr zu holen als ein paar Malo und erblindetes Besteck. Dort schlummerten die wahren Schätze der Stadt, auch wenn sich die beiden nicht in das glorreiche Zentrum der Aristokratie wagen würden, warf deren Rand doch genug ab.
Außerdem sollte das kein risikoreicher Raubzug werden, sondern das ruhige Ausklingen ihres Abends.

Somit trugen sie ihre Schritte zu einem schmucken Patrizierhaus in dem zu dieser Uhrzeit kein Licht mehr brannte.

Natürlich unter ihren Decknamen, Robida Hoodja und Nebraska Allesklarja.

Sie wichen dem Schein der Gaslaternen und den Patrouillen des Wachdienst geschickt aus und mit nahezu akrobatischer Eleganz sprang Nevena von Robidas Buckel auf einen Sims, ihre Finger krallten sich in das Geländer eines Balkons, bis sie sich zu dem Fenster gehangelt hatte, hinter dem sie das Boudoir der Dame des Hauses vermuteten.

Dort würde sie ein Gelage aus Perlenketten, Seide und vielleicht sogar unbezahlbarer Kunst erwarten. Eine wortwörtliche Insel des Reichtums in diesem Meer aus Elend.

Mit einem leisen Knacken hoben Nevenas , dann glitt sie als lautloser Schatten in den Mund der dekadenten Bestie.

Doch Robida wollte nicht bloß Wache schieben. Immerhin war sie schon eine große Bärin! Feldmarschall hatte dieser Draganov sie sogar genannt!

Also lungerte sie nur für wenige Minuten in einer schattigen Nische, bevor die Bärin durch den Garten ihrer Opfer tapste und nicht lange nach einer Hintertür suchen musste.
Scheinbar der Eingang zu den Dienstbotengängen, denn die Tür hing schwach in ihren Angeln, das Holz begann zu faulen und verblasste zu einem Schatten im Angesicht von Stuck und prächtigen Fassaden.

So war es für die 350-Kilo Bärin kein sonderlich großes Hindernis, das morsche Holz aufzudrücken und in das muffige Gewölbe zu schleichen.
Als Kellnerin des Güldenen Bärs hatte sie schon zahlreiche Lektionen in punkto Geschick und Vorsicht gelernt. Statt also wie ein Bär im Porzellanladen Stühle und Werkzeuge umtzuwerfen, streifte die Bärin über die Dielen durch die Gänge, bis sie langsam in die edleren Gefilde des Hauses vordrang.

Kostbare Teppiche schmiegten sich um ihre Krallen und Lüster glitzernden selbst noch ihm fahlen Licht der Gestirne.
Somit reihten sich auch Türen an die mit Seidentapete überzogenen Wände und jede schob Robida mit ihrem Schnäuzchen auf.
Zweifelsfrei war die Einrichtung kostspielig, aber auch eine Bärin konnte nicht Mahagonitische schleppen.
So blieb ihre Ausbeute rar, bis sie sich plötzlich im Gemach der Bewohner wiederfand.

Es war fast zu schön, um wahr zu sein.
Rollen aus feinster Seide stapelten sich auf einem der beistehenden Stühle. Dazwischen funkelten Damast und Brokat, das scheinbar alsbald von der Schneiderin der Frau Einbruchsopfer zu schmuckvollen Roben verarbeitet werden sollte.
Aber sie hatten nicht mit einer Bärin gerechnet!

Geschwind tapste sie hinüber und nahm so viele Ballen wie möglich ins Maul. Sicherlich würden sie auf dem Schwarmarkt hohe Preise erzielen!

Gerade wandte sich Robida schon um und wollte durch die Tür wieder in die Dienstbotengänge und nach draußen verschwinden, dann-

Schwere Atemzüge. Schmatzende Küsse.
Automatisch stellte sich das Fell der Bärin auf.

Sollten die nicht eigentlich schlafen?
Also so wirklich tief und fest- nicht miteinander.

Doch es wurde noch schlimmer.

Ein wohliges Stöhnen vibrierte in der Luft.
"Es gibt nichts anregenderes, als dich mit dem Finanzmarkt spielen zu sehen, mein Teuerster. Und wie deine Investitionen die Häuser dieser Proleten herunterholen! Das will ich dir auch."
Die Stimme einer Frau flatterte bedrohlich nah an der Tür und Robida stockte in ihrer Bewegung.

"Wenn du ein Mann wärst", raunte die Stimme ihres Liebhabers zweifelsfrei nur wenige Schritte von der Tür entfernt. "Würdest du zweifelsfrei ein wundervoller Architekt sein. Anders kann ich mir nicht erklären, dass du so gut gebaut bist!"

"Deine Augen sind wie Sterne", säuselte sie zurück. "Nicht nur, weil sie so leuchten, sondern auch, weil sie so weit von einander entfernt sind."

Ein wohliges Lachen drang daraufhin durch das Holz.
"Aber wir werden bald nicht mehr so weit entfernt sein. Wenn ich nur noch...", setzte der Mann an, wurde aber von der anderen unterbrochen.

"Natürlich, ich bereite alles vor."

Sie hörte Schritte, erst leiser, dann-
Ächzend öffnete sich der Eingang und entblößte das rasend schnell erbleichende Gesicht einer Aristokratin, das beinahe der Weißheit ihrer Perlenkette Konkurrenz machen wollte.

Ein undefinierbarer Laut entwich ihren Lippen. Sie brauchte mehrere Ansätze, bis sie die passenden Worte fand:

"Ähm... Liebster, da ist ein Bär im Bett."

"Aber Nadja", lachte es da nur zurück. "Ich bin doch noch gar nicht im Schlafzimmer!"

Bevor Nadja aber noch etwas hätte sagen können, regte sich etwas im Schatten. Mit einem Mal huschte Nevena aus dem dunklen Schlund einer Ecke und donnerte ihr einen goldenen Kandelaber über den Schädel.
Mit einem Mund geöffnet wie der eines Karpfen glitt die Frau zu Boden.

Der Teppich erstickte den Laut ihres Aufknalls, bis nur noch Robida und Nevena bewusst im Raum verblieben.

Die Ridavka warf der Bärin einen schneidenden Blick zu, doch entweder das putzige Aussehen ihrer Gefährtin oder der fraglos teure Stoff zwischen ihren Zähnen erweichte ihr Herz, sodass die Kriminelle ihr nur leicht tadelnd den Kopf tätschelte und an ihrem kleinen Öhrchen zog.

Mit einem weiteren Schwung des Kandelabers aus dem Schatten und vor Reichtümern klimpernden Taschen zogen die zwei Freundinnen aus dem kleinen Stadtpalais in Richtung der alten Kathedrale ,zurück in ihre Räuberhöhle, die alles war, aber vor allem die Brustätte des allgemeinen Chaos.
-
Robida, unser Teddybär





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