1] Im Schatten der Bärin

Menschen waren seltsam, das war Robida schon immer klar gewesen.
Diese nackten Affen in ihren bunten Kostümen, die alle ihrem Glück nachjagden und doch ständig drohten, auf dem Weg dorthin abzustürzen.

Wortwörtlich- Denn in dem Etablissement "Der güldene Bär" konnte man selten etwas nur metaphorisch betrachten.
So sah sich die Bärin mit niemand geringerem als dem Grafen Valentin Lisitsyn konfrontiert, wie er angetrunken und sichtlich durch seine neueste Strähne Glück bei dem letzten Hasardspiel berauscht, im wilden Tanz über einen der Tische flog. Dabei zerrte er glatt einen blonden Offizier in weniger eleganten als torkelnden Bewegungen mit sich. Holz ächzte unter ihren Füßen, klirrend zerbarsten Gläser und im wilden Gesang des braunhaarigen Grafen wurde man fast von der versteinerten Miene fes anderen abgelenkt, auf der sich zuckend der Drang abspielte, den Grafen mit seinem Pallasch abzustechen.
Doch bevor Blut im selben Maß wie der edle Avonçant aus Finience vergossen werden konnte, schmiss sich Lisitsyn in eine zu ambitionierte Pirouette und mit einem gewaltigen Knall stürzten die zwei mehr oder weniger-eher weniger- freiwilligen Tänzer zu Boden.

Eine Vibration erschütterte den Boden, jemand der beiden stöhnte, dann klirrten die Flaschen und Gläser.
Irgendjemand schrie entsetzt, während ein Großteil der anwesenden Offiziere sich köstlich an dem Spektakel zu amüsieren schien.

Tapsig schritt Robida auf den Knoten aus Gliedern zu, dann schleckte sie Valentin mehrmals durch das Gesicht, bis blinzelnd das Grün seiner Augen aufblitzte.

"Das nenne ich doch mal einen gelungenen Abgang", mischte sich der samtige Klang der Stimme Robidas und des Lokals Herrin in das Chaos, bevor sich Nevena in das Sichtfeld ihrer Bärin schob.
Eigentlich reichte nur ein Wort aus, um sie zu beschreiben.
Wunderschön.
Mit wallenden Locken schwarz wie Tinte und der sanftbraunen Haut war es wohl nur schwer vorstellbar, dass sie ihre Schönheit noch übertrumpfen konnte - und doch schaffte Nevena das mit zahlreichen ihrer Talente.
Tanzen, Bühnemagie, dir doch so viel mehr war und schließlich sogar organisiertes Verbrechen.

Doch jetzt stieß sie den Grafen nur mit ihrer Fußspitze an.
"Das stelle ich Ihnen aber wirklich auf die Rechnung, mein lieber Lisitsyn. Es fehlt ja nur noch, dass die Zatsepina mir einen Sturm im Lokal hetaufbeschwört!"

Innerlich schien die Ridavka eine schnelle Kosten-Nutzen-Rechnung durchzuführen, ob es vielleicht sinnvoll wäre, dem Grafen Hausverbot zu erteilen.
Doch auch ohne dem starken Sympathiebonus, den Lisitsyn zweifelsfrei bei ihr genoss, zahlte der Graf und seine Entourage einfach zu gut.
Manche munkelten sogar, er wäre reicher als die Zarendynastie Chervenkov selbst.

Aber das war nur ein Gerücht unter dem Meer aus funkelnden Ondits, das den Grafen ständig umgab. Und scheinbar badete er darin mit Genuss.
Gewöhnlich war er definitiv nicht.

In einer anderen Welt hätte man die Lisitsyns also auch als Yussopovs beschreiben können - aber davon und dem ganzen Kram mit dem Geld hatte Robida eigentlich gar keine Ahnung. Immerhin war sie eine Bärin, die nicht mit Dingen wie Mathematik oder Fiskalpolitik gefoltert wurde.
Trotzdem musste sie arbeiten, denn weder schienen Kinder-noch Tierrechte im Zarenreich Velija zu existieren.
Deswegen kraulte Nevena ihr auch den Kopf und forderte sie auf:"Komm, Robida. Ich setze lieber den Samowar an und braue dem Herrn Graf ein Ausnüchterungstee zusammen, während du dich um Draganov kümmert, bevor er Valentin umbringt?"

Die Bärin stieß bei der Streicheleinheit nur ein wohliges Brummen aus, bevor sie zu dem besagten blonden Offizier trottete.
Noch immer schien er nahezu komazös - sei es durch die Gehirnerschütterung oder das durch Valentin verursachte Trauma.
Viele hatten ihn schon als Oberst bezeichnet, einen Polkovnik, und vielleicht lag das daran, dass seine Uniform weniger opulent aussah als die des Grafen. Somit fühlte sich Robida nicht ganz so schlecht, als sie in seine Epauletten biss und sie ihn daran über das Parkett in die andere Ecke des Raums schleifte.
Mit viel Arbeit und auf beide Hinterpfoten gestellt, schaffte es Robida irgendwie, den Oberst auf einen der Récamières zu verfrachten.
Gerade rechtzeitig, denn in diesem Moment flogen die Türen zum Güldenen Bären auf, doch statt der griesgrämigen Gestalt Nevenas rothaarigen Freundin sah er drei Jugendliche, höchsten vielleicht Studenten, die sich in den warmen Raum schoben.

Auf ihre Stirnen stand regelrecht Ärger geschrieben.

Doch als die drei -zwei Jungen und ein Mädchen- sich an einen der Tische gesetzt hatten und unruhig auf den Stühlen umherrutschten, manövrierte sich die Bärin zu ihnen.
Die drei starrten sie mit großen Augen an, dann entwich dem Blonden Jungen ein:"Aww... Ist die niedlich! Guckt mal, die trägt sogar ein Hütchen!"

"Leise, Mitja", zischte da seine Begleiterin, die aussah wie eine Vargaja. "Sie könnte ein zaristischer Spion sein! Oder schlimmer noch! Ein Klassenfeind!"

"Oder die Kellnerin!", fiel ihr der Blonde wieder ins Wort.

"Genoss- Äh, Leute", brachte da der kleinste und dritte im Bunde hervor. "Die ist nur eine Bärin."

Sein Kumpane hörte aber nicht auf ihn, denn nahezu euphorisch stieß Mitja aus:"Dreimal Krupnik bitte."

Und wie auf Geheiß lief die Bärin los, ließ sich von Nevena mit drei Gläsern des Getränks ausstatten und war keine Minute später wieder mit einem Tablett auf dem Rücken zu den staunenden Freunden zurückgekehrt.

"Also das...", fing die Vargaja an."Also ich weiß nicht, ob ich das süß oder bourgeois finden soll."

"Ich finds knuffig, Nastjuscha", nannte er seine Freundin beim Spitznamen, doch der Braunhaarige dritte im Bunde meinte nur, während er die Gläser auf den Tisch räumte:" Also ich finds gruselig."

Ungestört ob der Beleidigungen legte sich Robida aber direkt als dickes Pelzknäuel vor den Tisch, bis alle drei große Augen machten und ins Schweigen verfielen.

"Nun", begann Mitja, nachdem die drei entschieden hatten, dass der Bär vor ihren Füßen kein Spion sein konnte. "Fangen wir mit der Tagesordnung an. Zuerst wollen wir einen Namen für unsere Gruppe bestimmen, dann unser Manifest gliedern, schließlich müssen wir noch einen Anführer wählen..."

"Findest du es nicht etwas zynisch, dass wir als anarchistische-Kommunisten einen Anführer wählen?", warf Nastjuscha ein, aber Mitja stieß nur einen Laut der Entrüstung aus.

"Also wirklich! Wir waren bei der Tagesordnung nicht einmal am Ende", schmollte er. "Immerhin haben wir ja noch nicht den Kassenwart und unser Regelwerk bestimmt."

"Kassenwart? Regelwerk? Echt jetzt? Sollen wir noch einen Monarchen ausrufen, einen Magiersklaven anschaffen und Steuern einführen?", warf seine Freundin sofort ein.

"Wie wäre es", schritt der Dunkelhaarige schnell ein, bevor es noch eskalieren konnte. "Wenn wir einfach einfach mit dem Namen anfangen. Ich wäre ja für Neu-Iskra, weil... naja, offensichtlich."

"Das ist so ziemlich das unkreativste, was ich heute gehört hab", beschwerte sich Nastjuscha und Mitja nickte zustimmend.

"Wie wäre es mit die roten Rädelsüfhrer?", schlug sie stattdessen vor.
Daraufhin Mitja:"Oder die Einhornstreichler... Warte, ach ne, das war ja für einen ganz anderen Club gedacht." Er blätterte hastig in seinem Notizbuch. "Ha, hier ist es. Krasnaja Swesda . Das hat was Revolutionöres, nicht?"

"Oder Serp i molot", schlug die andere vor.

Dem dritten im Bunde schien es ganz und gar nicht zu gefallen, das er so außen vor gelassen wurde.
Also sprang er auf und verkündete einen Ticken zu laut:"Wie wäre es mit Zarenschlächter?"

Das war das Wort. Nahezu ein Kommando.
Mit einem Mal schnellte Draganovs Oberkörper hoch, seine Augenlider flatterten auf und wie Eisstachel bohrte seine Blicke in die drei möchtegern Widerstandskämpfer.

Schlagartig erbleicheten die drei zu Gespenstern- denn mit Draganovs drohender Gestalt hing auch die nahende Hinrichtung über ihnen.

"Schlacht der Liebe! Eine Schlacht der Liebe und Zuneigung", presste Mitja noch hervor, aber da hatte Natjuscha ihre beiden Genossen schon an den Ärmeln gepackt und die drei rasten atemlos aus dem Raum.
Ihre Getränke blieben unberührt- und unbezahlt- auf dem Tisch stehen.

Für einen Moment schien Draganov aufstehen und den drei Delinquenten nacheilen zu wollen, aber stöhnend sank er zurück in das Polster und drückte ein kühles der drei Gläser gegen seine Platzwunde an der Stirn.

"Verdammter Lisitsyn", hörte Robida ihn noch murren, dann bettete sie ihren Kopf bloß leise brummend auf ihren Tatzen.

Ein ganz normaler Abend im Güldenen Bär eben.

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