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Den Vormittag des nächsten Tages, verbrachten Coroline und ich mit Einkaufen, in der Stadt.

Mit zwei vollen Körben, machten wir uns wieder zurück zu unserem Pferd. Ein Ritt in die Stadt dauerte keine 15 Minuten. Das Pferd kannte den Wald und seinen tückischen Boden. Es wusste genau, wo es hintreten konnte und wo lieber nicht. Zu Fuß sah das Ganze schon wieder etwas anderes aus. Es dauerte nahezu eine Stunde, sofern man sich nicht verlief. Ich kannte den Morienwald mittlerweile schon gut und dennoch machte er mir Angst. Ich war froh, Coroline mit mir zu haben. Durch ihre kleine, zierliche Gestalt und ihr langes Haar, welches ihr bis zu ihren Lenden reichte, wirkte sie zwar nicht gerade wie eine Kämpfernatur. Aber sie war clever. Es schien nichts zu geben, womit sie sich nicht auskannte. Sie war bemerkenswert.

Manchmal hatte ich das Gefühl, sie ging hinter Harry etwas unter. Er war wunderschön. Besaß trotz seiner kräftigen Statur diese Leichtigkeit und Eleganz. Ganz anders als Coroline. Aber jeder der neben dem atemberaubenden Lockenkopf stand, sah automatisch aus, wie ein Bauerntrampel.

Kaum hatte ich meine Gedanken zu Ende gedacht, erblickte ich auch schon wieder das Schloss. Ich nahm beide Körbe an mich, damit Coroline absteigen konnte.

Plaudernd liefen wir die Steintreppe empor.

Eine wunderschöne Melodie drang an mein Ohr, als ich das Tor öffnete. Sie fesselte mich augenblicklich. Fröhlich und federleicht tanzten die Klänge eines Flügels, durch die Luft. Ich schloss meine Augen. Die Musik streichelte mein Gemüt.

„Er spielt so selten." Coroline klang traurig.

Sie nahm mir die Körbe ab und ging davon. Ich trat ein und folgte der Melodie.

Ich erblickte Harry. Er war mit seinem Profil zu mir gewandt. Leise lehnte ich mich an den Türstock, ohne seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Seine langen Finger glitten über die schwarzen und weißen Tasten des Flügels. Manche seiner Ringe reflektierten die Sonnenstrahlen, die durchs Fenster fielen.

Es ertönte ein Ton, welcher nicht korrekt war. Harry verzog sein Gesicht. „Deine Anwesenheit trübt meine Konzentration, Louis" sagte er mit einem warmen Lachen in der Stimme.

„Tut mir leid, ich wollte dich nicht stören. Bitte spiel weiter. E-es war wunderschön."

Er drehte sich zu mir, als ich langsam auf ihn zu schritt. Ich setzte mich zu ihm auf die kleine Bank des Flügels. „Warum spielst du so selten?" Ich musterte sein Profil. Seine Locken waren leicht zurückgebunden und dennoch schafften es einige, ihm sanft ins Gesicht zu fallen. Sie nahmen ihm die Strenge.

„Es erinnert mich an meine Mutter. Der Flügel gehörte einst ihr." Harry strich vorsichtig über die Tasten, ohne einen Ton zu spielen.

Es war das erste Mal, dass er von seiner Vergangenheit sprach. Das erste Mal, dass er überhaupt über sich sprach. Ich wollte nicht, dass er schon wieder damit aufhörte, aber mir fiel einfach nichts ein, wie ich ihn dazu bringen konnte, weiter zu sprechen.

Doch das brauchte ich gar nicht, er tat es von selbst.

„Ich kann mich nur noch schwach an sie erinnern." Er sah auf, aber blickte nicht zu mir, sondern auf die Wand, die vor uns lag. „Jeden Sonntag, ließ sie ihn erklingen. Die schöne Melodie, war in jedem Raum, unseres kleinen Hauses zu hören." Ein verträumtes Lächeln trat auf seine Lippen und erhellte sein Gesicht. Er schien in eine vollkommen anderen Welt eingetaucht zu sein. „Und jetzt ist sie fort." Ruckartig erhob er sich.

„I-ich weiß, wie du dich fühlst, ich habe meine Mutter auch verloren." Nun war ich derjenige, der Traurig auf die Tasten des Flügels blickte.

Ich spürte, dass Harry hinter mir stand. Sein kühler Atmen, streichelte meinen Nacken, als er sich zu mir hinter bog. „Ich weiß" flüsterte er. Sanft hauchte er mir einen Kuss auf den Scheitel. Ich schloss meine Augen unter seiner zärtlichen Berührung.

„Harry?...Als ich das erste Mal sagte, dass ich deine Gesellschaft genieße, war es gelogen. Aber... Ich-ich möchte das du weißt, dass ich nun nichts lieber tue als in deiner Nähe zu sein." Es war schwer für mich, dies laut auszusprechen. Und die Tatsache, dass Harry nichts erwiderte, machte die Sache noch schlimmer. Zögernd drehte ich mich um.

Ich war alleine.

Er besaß die Kunst, rasch und geräuschlos zu verschwinden.

Er war wie ein Schmetterling. Wunderschön und Anmutig. Aber man sollte niemals versuchen, ihn zu fangen.

Ich verließ den Raum und trat auf den Flur. Coroline kam auf mich zu gehopst. „Weißt du was heute ist, Louis?" trällerte sie mir ins Ohr. Ich war noch nicht lange hier, aber da ich fast jede freie Minute mit ihr verbrachte, kannte ich sie nun wirklich gut. Mehr als gut. Es gab keine Geheimnisse zwischen uns. Sie wirkte wie immer, aber ich spürte, etwas bereitete ihr Sorgen. In den vergangenen Tagen, wirkte sie unausgeglichen. Sie war anhänglicher als sonst. Als hätte sie Angst vor etwas, das kommen würde.

„Ähm Donnerstag?" antwortete ich.

Sie stupste mir gegen die Schulter. „Das meinte ich nicht."

Ich musste schmunzeln. „Was denn dann?" fragte ich sie belustigt.

„Vollmond."

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