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Vollkommen alleine saß ich an der großen Tafel im Esszimmer. Lustlos schob ich mit der Gabel, das Essen, dass auf meine Teller lag, umher. Ohne einen Bissen davon zu mir zu führen.

"Wie lange willst du das jetzt noch machen?"

Ich sah von meinem Essen auf, zu der engelsgleichen Gestalt, die auf den Namen Coroline hörte. "Bis ans Ende meiner Tage" gab ich frustriert von mir.

"So lange kann ich dir aber definitiv nicht dabei zu sehen", erwiderte sie augenverdrehend. "Das Ganze ist schon wieder einige Tage her und dennoch machst du ein Gesicht, als hättest du gerade herausgefunden, dass es den Weihnachtsmann gar nicht gibt."

Genervt sah ich sie an. "Ja Tage, in denen Harry kein einziges Wort mit mir gesprochen hat, oder mich nur eines Blickes gewürdigt hat."

"Louis.." Sie zog einen der schweren Stühle zurück. Ein unangenehmes Quietschen ertönte, als die Stuhlbeine über den Boden scharrten. "...du wirst langsam zum selben Griesgram wie Harold. Und das kann ich einfach nicht zulassen."

"Ich habe Gründe für meine aktuelle Gefühlslage, Harry nicht. Er war vermutlich schon immer ein Griesgram und wird es auch weiterhin bleiben. Andere interessieren ihn wenig." Vorsichtig rieb ich mein Handgelenk, von dem nur langsam die Taubheit wich. Ich war nicht wütend, weil er mich verletzt hatte. Ich war traurig, weil er mich mit solch einer Leichtigkeit ignorieren konnte.

"Das ist nicht war." Corolines Blick glitt in die Ferne. "Er war nicht immer so. Er.. er wurde praktisch zu dem gemacht, was er heute ist." Ihre Augen wirkten glasig. Tiefer Schmerz lag in ihnen, als sie die Erinnerungen wieder zum Vorschein holte.

"Was hat ihn dazu gemacht?" Ich musterte ihr Gesicht. Außer dem schwachen Kopfschütteln, war nicht viel zu erkennen.

Als ihr Blick wieder fokusiert auf mir lag, breitete sich ihr unverkennbares Lächeln aus. Es war schwer zu erkennen, wie viel davon echt war und wie viel nicht. "Ich werde dich jetzt auf andere Gedanken bringen." Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, da war sie auch schon aufgesprungen.

Sie ging in die Küche. Mühselig schleppte ich meinen Körper hinter ihr nach.

Ihr langes Haar war ihr über die Schultern gerutscht, als sie in einem der Küchenschränke etwas zu suchen schien.

"Aha!" rief sie aus, als sie es gefunden hatte. Es war ein Nudelsieb, welches sie sich auf den Kopf setzte.

Mit einem Kochlöffel bewaffnet, trat sie auf mich zu. "Ich forderte dich, kleiner Bauernjunge, zu einem gediegenen Duell heraus. En garde!" rief sie. Ich konnte mir kein Lachen verkneifen. Es sah so unheimlich dumm aus.

"Okay dann was anders." Schnell zog sie das Nudelsieb von ihrem Haupt und kramte stattdessen einen großen Topf hervor, welchen sie mir zu warf. Gleich darauf, kam ein Schneebesen auf mich zugeflogen. Coroline nahm sich selbst die gleichen Utensilien. Sie stellte den Topf verkehrherum auf den Boden und nahm darauf platz. Ihren Arm, in dem sie den Schneebesen hielt, hielt sie mir ausgestreckt entgegen. "Der, der als letztes durch die Lanze seines Gegners von seinem Ross gestoßen wird, ist der Sieger!" Meine Lunge schmerzte von meinem Gelächter.

"Sind Sie zu feige, gegen eine Frau zu kämpfen?" Gespielt empört stemmte sie ihre freie Hand in ihre Hüfte. "Sie sind ein Schwächling, wusste ich's doch sofort. Feige Hühner rieche ich drei Wegstunden gegen den Wind." Coroline rümpfte ihre Nase.

Das konnte ich nun wirklich nicht auf mir sitzen lassen. Ich stelle den Topf auf den Boden und nahm auf meinem neuen Ross platz. Da ich nicht von Höhe war, war es ein leichtes für mich. Ich hielt meiner Gegnerin den Schneebes...die Lanze entgegen, so das sich die Spitzen berührten.

Mein Blick rutschte zu ihrer Hand. Ich schluckte kurz. Ihre Verletzungen waren den meinen so ähnlich. Dieselben Narben prangten an unseren Handgelenken. Traurige Gewissheit. Harry hatte Coroline verletzt.

"Lasset die Spiele beginnen!" rief Coroline und holte mich zurück aus meinen Gedanken.

Wie kleine Kinder tobten wir drauf los. Unser schallendes Gelächter hallte durch das gesamte Schloss.

Doch viel zu schnell endete der Spaß, als Coroline plötzlich in ihrer Bewegung erstarrte. Ich folgte ihrem Blick zur Tür. Harry lehnte mit vor der Brust verschränkten Armen im Türrahmen und betrachtete unser reges Treiben. Viel mehr betrachtete er Coroline. Ich schien Luft zu sein.

"Harold, komm mach mit" versuchte Coroline ihn zu animieren.

"Ich denken nicht, dass das etwas für mich ist" sagte er langsam, mit tiefer Stimme.

"Doch, du könntest ein Pferd spielen. Lass Louis auf dir reiten."

Meine Augen weiteten sich, geschockt sah ich zu Coroline. Harry dürfte es mir offenbar gleich getan haben. Denn sofort meldete sich Coroline wieder zu Wort. "Was ist denn?"

"Wie oft habe ich dir schon gesagt, du solltest besser über deine Worte nachdenken, bevor du sie laut aussprichst" sagte der Lockenkopf taddelnd.

Beschämt richtete sie ihren Blick zu Boden. Kurze Stille entstand, die Harry sogleich mit seinem wunderschönen Lachen erfüllte. Es war eine solch unvergleichbare Melodie. Wie der Klang von tausend Harfen.

"Das sieht verdammt unbequem aus" sagte er, nahm sich einen Topf und stellte ihn auf den Boden. Anmutig platzierte er sich darauf. Seine langen Beine waren umständlich angewinkelt, wodurch er seine Knie in seinem Gesicht hatte. Und dennoch verkörpere er auch in dieser misslichen Position solch eine Eleganz und Perfektion.

Ich musterte ihn offenbar zu lang und zu auffällig. Denn Harry hatte seinen Kopf zu mir gedreht.

Er wendete sich sofort ab, nachdem sich unser Blick flüchtig gekreuzt hatte. Schnell erhob er sich und war ohne weiteres Wort auch schon wieder verschwunden.

Coroline sah mich an und formte mit ihren Lippen stumm das Wort "geh" und nickte zur Tür.

Ich erhob mich, drückte ihr einen sanften Kuss auf die Stirn und eilte ihm hinterher. Aus der Küche vernahm ich noch ein leises "Das Duell habe dann wohl ich gewonnen." Lachend schüttelte ich den Kopf.

Zum ersten Mal ging Harry nicht so schnell wie er es sonst tat. Fast so, als würde er beabsichtigen, dass ich sah, in welchem Raum er verschwand.

Harry stand mit dem Rücken zu mir gewandt und blickte aus dem Fenster. Seine grauen Hosenträger, hoben sich auf dem schwarzen Hemd deutlich hervor. Die Hände hatte er in seinen Hosentaschen vergraben. Sein langes braunes Haar fiel ihm in wilden Locken auf die Schultern.

Leise trat ich näher an ihn heran. Ich nahm das bisschen Mut zusammen, dass ich noch besaß und sprach „Es tut mir so leid, Harry!" Ich wartete kurz ab, um ihm die Chance zu geben, mich zu unterbrechen.

Aber das tat er nicht.

Also sprach ich weiter. „Ich musste, vollkommen auf mich alleingestellt, lernen, dass Menschen grausam sind. Jeder ist vom Bösen getrieben. Keiner kümmert sich um seine Mitmenschen. Egal wie laut man um Hilfe ruft, jeder wendet sich ab. Ich hatte einfach den Glauben verloren. Aber dann traf ich auf dich. Du wirkst so perfekt in einer solch unperfekten Welt. Ich dachte einfach, so jemand wie du, kann unmöglich echt sein." schnell wischte ich mir mit meinem Daumen eine Träne weg, die dabei war über meine Wange zu kullern. „Du hast mir ein zuhause gegeben, als ich mich in meinem nicht mehr sicher gefühlt habe. Aber ich habe dein Vertrauen missbraucht. Ich kann verstehen, wenn du mich rauswirfst, oder mich nie wieder eines Blickes würdigst. Ich würde vermutlich dasselbe tun."

Ich zählte regelrecht die Minuten die verstrichen in denen einfach nichts passierte. Ich wünschte mir so sehr, Harry würde meine Entschuldigung annehmen.

Aber es passierte nichts. Er blieb stumm.

Geknickt ließ ich meinen Kopf hängen und drehte mich zum weggehen um.

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