{11}
Sofort wich Harry einige Schritte zurück. Er hob seine Arme schützend vor sein Gesicht.
Ich riss meine Augen auf. Ich wollte alles genau einfangen, was nun passieren würde.
Aber da war nichts.
Es passiert rein gar nichts.
Er stieß keinen schmerzverzerrten Schrei aus und ging auch nicht in Flammen auf, wie ich es erwartet hatte.
Als seine Augen sich einigermaßen an das zu viele Licht gewöhnt hatten, ließ er seine Arme wieder sinken. In seiner Mimik spiegelte sich etwas, das wie Enttäuschung aussah. Ich konnte förmlich dabei zu sehen, wie sich seine Gesichtszüge verhärteten, als er zu verstehen begann, was ich mit dieser Aktion eigentlich bezwecken wollte. Seine Enttäuschung wich purer Wut.
"Ich gebe dir jetzt genau 3 Sekunden, dann bist du aus diesem Zimmer verschwunden." Seine Stimme bebte vor Zorn.
Ich blieb wie festgefroren stehen und starrte ihn an, während sich die ersten Schuldgefühle bemerkbar machten. "Es tut mir.." setzt ich an, doch ich wurde unterbrochen.
"Eins" sagte Harry mit gefährlicher Tonlage.
Ich machte einen Schritt auf ihn zu und wollte eine Hand nach ihm ausstrecken. Doch so schnell konnte ich gar nicht schauen, da war er auf die Seite gewichen und ich fasste ins Leere.
"Zwei" kam es zusammen mit einem Knurren aus Harrys Kehle. Sein sonst so liebliches Gesicht, war zu einer wutentbrannten Maske verzogen.
Ohne ihn aus den Augen zu lassen, stolperte ich rückwärts auf die Tür zu. Kaum hatte ich den Korridor betreten, begann ich mich mit schnellen Schritten zu entfernen. Immer wieder drehte ich mich um, doch er kam mir nicht nach.
Gerade als ich wieder langsamer werden wollte ertönte Harrys Stimme laut und kraftvoll hinter mir. "DREI" schrie er mit all seiner Kraft. Erschrocken zuckte ich zusammen. Ich brauchte mich nicht nicht erneut umzudrehen, um zu wissen, dass er mir nach kam.
Mein Herz hämmerte wild in meiner Brust als ich durch die Gänge rannte. Wo sollte ich nur hin? Ich konnte mich nicht verstecken. Was würde er tun, wenn er mich zu fassen bekommt? Plötzlich schoss mir Coroline in den Kopf. Er würde mir wohl kaum etwas vor ihren Augen antun. Schnell versuchte ich mir in Erinnerung zu rufen, wo ich sie heute zuletzt gesehen hatte und betete, dass sie immer noch dort war.
Ich lief so schnell ich konnte. Ein Blick zur Seite verriet mir, dass sein Schatten mich bereits eingeholte hatte. Mit Mühen und Not erreichte ich die Küche. In der zu meinem Glück Coroline stand und mich mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. "Was ist los?"
Ich konnte ihr nicht antworten. Ein fürchterlicher Schmerz durchzog mich. Harry hatte mich zufassen bekommen. Sein Griff lag eisern um mein Handgelenk. Schwungvoll zog er mich zu sich zurück, sodass ich gegen seine Brust prallte. Sein Griff wurde immer fester. Ich war mir sicher, dass meine Finger kein Blut mehr erreichte.
"Verdammt Harold!" schrie Coroline. "Lass ihn sofort los! Du tust ihm weh!"
Harry schüttelte benommen seinen Kopf, als wäre er aus seiner Trance aufgewacht. Sofort ließ er mich los und ich glitt zu Boden. Doch noch bevor ich auf den kalten Fließen aufschlagen konnte, fingen mich zwei starke Arme.
Dieselben Arme die mir zuvor die Schmerzen zugefügt hatten.
Langsam legte Harry mich auf dem Boden ab. Er schob seine Hand schützend unter meinen Kopf.
"Verschwinde!" zischte Coroline, die mittlerweile neben mir kniete. Harry erwiderte nichts. Er stand auf und verschwand einfach.
"Lass mich mal sehen." Vorsichtig nahm sie mein Handgelenk in ihre Hände und beäugte es kritisch. Eine Falte kam zwischen ihren Augenbrauen zum Vorschein.
Ich setzte mich auf und warf einen Blick auf Harrys Werk. An der Stelle wo er mich berührt hatte, war meine Haut kalt und weiß. Wenn ich mit dem Finger darüber strich, konnte ich nichts fühlen. Meine Adern hatten sich schwarz verfärbt. Sie schimmerten deutlich durch meine Haut.
"Wir sollten uns schleunigst darum kümmern, sonst kannst du deine Finger bald nicht mehr bewegen." Sie erhob sich und entfernte sich von mir. Ich blieb weiterhin auf den kalten Fließen sitzen. Coroline kramte in einen der vielen Schubladen.
Sie schien gefunden zu haben, wonach sie suchte. Denn mit einem unscheinbaren braunen Fläschchen kam sie wieder auf mich zu und nahm neben mir platz.
"Das hier ist ein Öl, welches aus der Dictamnus Pflanze gewonnen wird." Sie öffnete das Fläschchen und träufelte sich etwas davon in ihre Hand. Sie rieb es zwischen ihren Handflächen warm, ehe sie es vorsichtig in meine taube Haut einmassierte.
Ich sah ihr gebannt dabei zu und dennoch entgingen mir ihre Seitenblicke nicht. Doch sie fragte mich nicht was passiert war. Stumm massierte sie mein Handgelenk. Würde ich ihr dabei nicht zu sehen, würde ich nicht merken, dass ich überhaupt berührt wurde.
Langsam stiegen Tränen in mir hoch. "Ich war so überzeugt davon." Stammelte ich leise vor mich hin.
Coroline fragte nicht nach, stattdessen nickte sie kaum merklich. Sie schien zu wissen, wovon ich sprach.
"Ich habe mich praktisch verkauft." Die ersten Träne bahnte sich ihren Weg über meine Wange.
"Oh Louis, was hast du nur getan?" flüsterte sie so leise, dass ich sie kaum hören konnte.
"Weißt du was das schlimmste an der ganzen Sache ist?" Sie erwiderte nichts, sondern sah mich einfach abwarten an. "Er konnte die Lüge nicht durchschauen, weil es keine war. Erst jetzt habe ich begriffen, wie sehr ich es wollte."
"Wie sehr du was wolltest?" hakte Coroline nach.
"Seine Lippen auf meinen zu fühlen."
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