Kapitel 4: Der Palast der Schönen Dinge
Das „Familien-Spaß und Einkaufs-Paradies" präsentiert Ihnen einhundert Quadratmeter pures Shoppingerlebnis auf zwei Etagen. Zu unseren besonderen Angeboten zählen ein betreutes Spielparadies für die Kleinsten und ein exklusiver Wellnessbereich. Machen Sie Ihren Einkauf zu einem unvergesslichen Abenteuer.
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Sie standen vor dem heruntergekommenen Metallschild, dessen einstige Farben sich nur entfernt erahnen ließen. Vor einiger Zeit hatte jemand den tollkühnen Versuch gewagt es in Brandt zu setzen, was nur äußerliche Spuren hinterlassen hatte, so dass es am unteren Rand schwarz verfärbt war und die letzten Lackschichten Blasen geworfen hatten. Der Parkplatz, auf dem sie das Auto abgestellt hatten, wirkte wenig vertrauenswürdig und bestand fast nur aus trauriger Leere und vereinzelten Stellen von ausgetrocknetem Gras. Ein einsamer Wildhund trieb sich am Gebüsch zur Straße herum und warf ihnen immer wieder misstrauische Blicke zu.
„Meint ihr, dass es überhaupt noch geöffnet ist?", fragte Umbra argwöhnisch und versuchte von ihrer Position aus einen guten Blick auf den Haupteingang zu bekommen.
Balgir tat es ihr gleich, konnte aber nur erkennen, dass die Tür offen stand, es aber im Inneren kein Licht gab. „Es gibt nur einen Weg es herauszufinden.", sagte er zögerlich.
Sie näherten sich dem Eingang und sahen die ersten Leute. Verstohlene Persönlichkeiten, die zwischen den Schaufenstern hin und her huschten und ihnen kaum Beachtung schenkten. Müde Eltern, die Kinderwägen vor sich herschoben und junge Leute, die sich vor der Schule drückten. Eine große bunte Tür direkt neben dem Eingang verkündete mit einer leuchtenden Schrift „Spielparadies". Darüber war mit Klebeband ein Zettel mit dem Wort „Geschlossen" befestigt. Jedes dritte bis vierte Schaufenster sah verlassen aus, aber ansonsten schien man hier wirklich einkaufen zu können.
„Oh super. Ich habe mir schon Sorgen gemacht.", sagte Cian belustigt und packte aus seinem Rucksack einen Zettel aus. „Wir müssen noch ein paar Sachen für Zuhause besorgen. Kommst du allein zurecht?"
Balgir nickte. Es war ihm sowieso lieber wenn er sich erst einmal alleine umsehen konnte. „Was braucht man denn so?", fragte er zur Sicherheit.
Cian überlegte kurz. „Robuste Hosen, einen guten Rucksack, Wanderschuhe, eine wetterfeste Jacke und alles an Survival-Sachen die du mit dir herumschleppen willst."
Balgir ignorierte den letzten Teil und versuchte sich alles so weit zu merken. Es war ja nicht besonders schwer. Einfach nur Kleidung die er draußen tragen konnte. Auf zu warme Sachen konnte er zum Glück verzichten. Seine Körpertemperatur war bei fast jedem Wetter stabil und weil er ein Feuerdämon war, überstand er selbst die kältesten Temperaturen ohne Probleme.
Sie verabredeten sich, dass sie sich in zwei Stunden bei einem Pizza-Restaurant treffen würden und Balgir machte sich auf den Weg, während Cian und Umbra noch am Eingang ihre Einkäufe planten.
Sein erstes Ziel war ein Geschäft das Outdoor-Equipment verkaufte. Die Puppen hinter den Schaufenstern trugen Bergsteigerausrüstung, Allwetter-Jacken und Taucherausrüstung für die unterirdischen Seen und Höhlen die es überall zu finden gab und streng genommen verwilderte Teile der Unterwelt waren.
Er trat ein und nahm die Auswahl genauer unter die Lupe. Eigentlich müsste er genervt sein, da Cian ihn praktisch dazu zwang Geld auszugeben, obwohl er genug Jacken in seiner Wohnung hatte. Aber er sah dem ganzen seltsam befreit entgegen. Sich bewusst für etwas zu entscheiden, und sei es nur ein Kleidungsstück, war eine einnehmende Aufgabe. Das hier würde ihn für einige Zeit begleiten und er würde es nicht so schnell wieder loswerden und etwas anderes tragen können. Er entschied sich schließlich für einen Baumwollpullover und einen atmungsaktiven, wasserabweisenden Parka in einer dunkelgrünen Farbe. Weil die Verkäufer ihn misstrauisch beäugten, verschwand er mit beidem in der Umkleidekabine. Der Pulli passte wie angegossen und der Hals war weit genug ausgeschnitten für seine Hörner. Sie begannen zwar über seinen Ohren, liefen spitz nach oben spitz zu und machten seinen Kopf nur ein wenig breiter, aber es war trotzdem immer eine kleine Herausforderung Oberteile anzuziehen, die nicht für Hörner gedacht waren. Viele gehörnte Dämonen wichen daher auf Hemden und Blusen aus, aber Balgir wollte sich dem einfach nicht beugen. Er hatte einmal gelesen, dass die männlichen Elfen die im Grünen Meer lebten, ein Geweih trugen. Cian war ein halber Dunkelelf, also war er dem wohl entkommen. Aber Balgir war schon sehr neugierig wie man seinen Alltag überstand, wenn man von einem Geweih gekrönt war. Obwohl es sicher auch viele gab, die sich diese Frage schon bei Balgirs Hörnern stellten. Als er das Oberteil wieder vorsichtig über den Kopf gezogen hatte, fuhr er mit der Hand über sein linkes Horn. Kaum merklich war es ein wenig kürzer als das rechte. Jemand anderem würde es sicherlich nie auffallen, aber eine sehr eindrücklich Erinnerung aus seiner Kindheit war, wie sein Vater sich über diese kleine Unvollkommenheit beschwert hatte, wo doch ansonsten alles so gut bei ihm geglückt war.
Was für eine Verschwendung.
Das Problem bei Dämonenhörnern war, dass sie Teil des Blutkreislaufs waren und daher nicht geschliffen und angepasst werden konnten. Sie waren nicht wie Fingernägel oder Haare, oder eben wie die Hörner von Säugetieren. Wenn man sie abschneiden würde, würde er wahrscheinlich verbluten. Er fühlte die Berührung. Nicht wie auf der Haut, es war eine andere Art von Sinn den er nicht beschreiben konnte. Ein unerforschtes Organ das nur unter Dämonen vorkam und selbst dort war es relativ selten. Jedenfalls hieß das, dass sie sich nicht optisch aneinander anpassen ließen.
Als er in der Umkleidekabine fertig war, suchte er sich noch passende Wanderschuhe, einen kleinen Wanderrucksack, ein Allzweck-Taschenmesser, ein paar Energieriegel und eine Trinkflasche aus. Er bezahlte die Sachen bei einem sehr eifrigen und nervösen Verkäufer. Wahrscheinlich hatten sie nicht so viel Kundschaft, oder man hatte hier noch nie einen Dämon mit Hörnern gesehen.
Als er seinen Kauf abgeschlossen hatte, suchte er eine Drogerie auf und kaufte das Nötigste an Hygieneartikeln. Auf einer der Toiletten wechselte er seine Straßenschuhe mit den Wanderschuhen aus. Zwar brauchte er sie noch nicht wirklich, aber es wäre besser sie schon einmal einzulaufen, so dass er keine Blasen bekam. Am Waschbecken putzte er sich (endlich) die Zähne. Zum Glück war so wenig los, dass ihn niemand dabei störte.
Erfrischt und besserer Laune als noch vor wenigen Minuten verließ er die Toilette und stellte fest, dass erst eine halbe Stunde vergangen war und er noch über eine Stunde auf die anderen warten musste. Er spazierte die Einkaufsmeile entlang auf der Suche nach etwas, das seine Aufmerksamkeit einfing, doch es waren nur die üblichen Ladenketten die sich überall finden ließen. Dann sah er es. Ein Schaufenster, eingeklemmt zwischen einem Shop der Designerhandtaschen anbot und einem Laden für Krallenpflege. Es sah unscheinbar aus, fast als wäre es nicht da. Zwischen bunten Angeboten und Preisen. Klein und dunkel, war das einzige das auslag ein leerer Sockel mit einer Befestigung, die für ein Schwert gedacht war. Eine Anklage. Balgir machte einen Schritt darauf zu und kaum hatte er es sich versehen, stand er schon vor dem Eingang, bereit die Tür zu öffnen und den unscheinbar wirkenden Laden zu betreten.
„Bist du auch schon fertig?"
Balgir zuckte zusammen, als ihn plötzlich jemand ansprach. Er drehte sich zu Umbra um, die ein Eis aß und interessiert den Laden mit den Handtaschen musterte. Er sah zurück zu dem Schaufenster mit dem leeren Sockel, doch es war jetzt verlassen und an der Eingangstür hing ein Schild ‚zu vermieten'.
„Ich war nie der große Einkäufer.", sagte er, ein wenig verunsichert darüber was gerade passiert war.
„Oh eigentlich mag ich einkaufen, aber Cian meint er hat keine Lust mir zwei Stunden beim Essen zuzusehen." Umbra zuckte mit den Schultern. Erst jetzt bemerkte Balgir, dass sie nicht nur ein Eis aß, sondern auch eine Papiertüte vom Bäcker unter den Arm geklemmt hatte, eine Packung mit Keksen in der Hand mit der sie kein Eis aß und eine volle Einkaufstasche mit dem Logo einer Chocolaterie bei sich trug. Sie folgte seinem Blick und grinste: „Bei uns gibt es diese Sachen nicht zu kaufen."
„Wird dir nicht schlecht?", fragte Balgir besorgt.
„Oh nein." Umbra grinste noch breiter. „Generationen von Waldelfen die alles Mögliche essen mussten um zu überleben, haben Körper und Geist gestärkt." Sie biss in ihr Eis und schluckte das Stück sofort herunter.
Balgir hatte keine Ahnung ob das der Wahrheit entsprach, aber ihre kleine Vorführung brachte ihn ein wenig zum Lachen und er fragte: „Welche Sachen gibt es denn bei euch zu Essen?"
Die Elfe leckte nachdenklich an ihrem Eis, während sie zusammen langsam weitergingen. „Unser Grundlage für das meiste sind Kali-Bohnen. Man kann sie zu Mehl, Suppe, Brei und sehr starkem Tee weiterverarbeiten. Ansonsten gibt es saisonales Obst und Gemüse und sehr viele Kräuter."
„Ich dachte das Volk der Waldelfen wäre der Jagd sehr angetan. Gibt es kein Fleisch?", fragte Balgir neugierig nach. Irgendwie war es doch viel einfacher mit ihr zu sprechen, als er immer angenommen hatte. Vielleicht weil sie heute zum ersten Mal allein unterwegs waren und er sie nicht als Anhängsel von Cian wahrnahm.
Umbra seufzte. „Das Problem ist, dass das Bild von Jägern durch die Menschen geprägt sind, die sich Jäger nennen und Monster töten. Aber bei uns geht es nicht ums Töten. Wir beobachten, lernen, verfolgen und behalten die Bestände im Blick. Selten wird gejagt und wenn, dann nicht ohne Grund. Daher gibt es nur selten Fleisch."
Balgir versuchte das soeben erklärte auf eine ihm bekannte Sache zu projizieren. „Dann seid ihr so etwas wie Förster?"
Umbra sah ihn an als hätte er etwas sehr Dummes gesagt. „Nein. Wir sind doch keine Verwalter des Waldes. Das wäre falsch."
„Aber hast du genau das nicht gerade erklärt?"
Umbra zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Jedenfalls sind wir keine Förster. Da drüben muss ich hin!" Sie hatte ihr Eis gerade verspeist, als sie aus einen Pommes-Imbiss deutete und ihren Geldbeutel auspackte.
Mit einer Tüte Pommes mehr setzten sie ihren Weg fort und plauderten über dies und das. Ihre Kindheit, wie sie aufgewachsen war und wie sie ausgebildet wurden. Balgir hatte als einziger Sohn und einziges Kind stets unter der strengen Aufsicht seiner Familie gestanden. Was ihn einerseits erdrückt und andererseits verzogen hatte. Er war kein sehr nettes Kind gewesen und die Trennung von seiner Familie, hatte die schlimmsten Seiten teilweise noch mehr unterstrichen. Jetzt war er einfach nur noch genervt von allem. Vor allem weil er lernte, dass die Erziehung die er genießen durfte ihm nicht gutgetan hatte. Er hatte viel zu spät gelernt so zu sein, wie er wirklich sein wollte und er war immer noch nicht gut darin.
Umbra hingegen war, genau wie Cian, in einer Kommune aufgewachsen wo sich jeder um jeden kümmerte und Fehler korrigierte und auf einander achtgab. Es gab kein ‚die anderen', jeder gehörte irgendwie dazu und es gab kaum Geheimnisse.
Balgir fragte sich ob es wirklich so utopisch war, wie Umbra es darstellte, oder ob sie nur Werbung machen wollte. Ihm fiel etwas ein, das er sich schon länger gefragt hatte: „Warum hat Cian das Grüne Meer damals eigentlich verlassen? Er scheint nicht sehr an seiner Herkunft als Dunkelelf zu hängen, aber trotzdem ist er doch zu ihnen gegangen." Er kannte die Geschichte. Cian hatte erzählt, dass er zu seinem Vater gereist war und dort festgenommen und an die Loup Parole gebracht worden war. Wenn er seine Heimat nicht verlassen hätte, wäre es nie dazu gekommen.
Umbra schluckte einen Mund voller Pommes herunter und sagte: „Er wegen der Operation gegangen. Die Dunkelelfen haben einfach eine besser entwickelte Technik was das ganze betrifft."
„Was für eine Operation?", fragte Balgir verwirrt. War Cian krank gewesen, oder verletzt? Er hatte nie etwas erzählt...
Umbras Lächeln erstarrte ein wenig und sie stocherte nervös in ihrem Essen, bevor sie sich eine weitere Portion frittierte Kartoffel in den Mund schob. Nachdem sie eine Weile gekaut hatte, sagte sie: „Tut mir Leid, aber das ist nichts was ich einfach so erzählen sollte. Guck mal da drüben."
Sie hatten das Pizzarestaurant erreicht. Eigentlich hatten sie noch eine halbe Stunde, doch Cian stand schon mit drei vollen Einkaufstüten dort und wartete. Umbra aß schnell ihre Pommes fertig und sie gingen hinein um sich in dem sehr leeren Restaurant Pizza zu bestellen. Balgir fragte sich was das mit der Operation sollte, aber entschloss sich es erst einmal zu lassen. Stattdessen konzentrierte er sich auf sein Essen und stellte fest, dass er erstaunlich hungrig war. Vielleicht weil er seinen Mageninhalt vor ein paar Stunden so enthusiastisch entleert hatte.
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