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Jonathan wanderte unruhig im Zimmer auf und ab. Immer wieder klingelte das Handy und Billi machte Termine für ihn ab. Jonathan befürchtete, er könnte Kameraangst haben, aber Billi beruhigte ihn. „Du sagst einfach nur das, was ich und der Regisseur des Spots dir vorgeben und lächelst in die Kamera. Das ist kinderleicht." Jonathan beruhigte sich, als Billi ihm versprach, keine Einladung einer Talkshow anzunehmen. Billi hätte es gerne versucht, aber er traute Jonathan nicht recht zu, spontan eine in sich schlüssige Geschichte auf die Beine zu stellen. Und wenn er gegen Charlene May gewinnen wollte, musste er vorsichtig sein.
Zum schier hundertsten Mal an diesem Tag klingelte das Handy und Billi wandte sich erneut von Jonathan ab. Zunächst in Gedanken versunken blickte Jonathan erstaunt auf, als er hörte, dass Billi den Anrufer offenbar gut kannte. „Du willst bestimmt mit Jonathan sprechen", sagte er und Jonathan wurde stutzig. „Er ist gerade auf der Toilette und ruft dich in einer Minute zurück." Billi legte auf. „Es ist Pierre", sagte er zu Jonathan gewandt. „Sei ihm bitte nicht böse, dass er deine Geschichte an Charlene May verraten hat. Das können wir uns ja zu Nutze machen. Wenn er dich treffen will, sag doch ja. Ich muss hier sowieso noch einiges erledigen."
Jonathan hatte eine hohe Meinung von Billi, also entschloss er sich, seinem Rat zu folgen und nicht länger böse auf Pierre zu sein. Überdies hatte er schon nicht sehr viele enge Freunde und schätzte es, dass Pierre sich so gut mit ihm verstand, selbst wenn sie nur kurze Zeit zusammen gearbeitet hatten. Pierre öffnete ihm wie gewohnt die Tür und brachte zwei Tassen Kaffee an den Tisch.
„Erzähl", forderte er ihn auf, „wie ist es so, mit Billi zu arbeiten?" Ein kleiner Rest von Zweifel machte sich in Jonathan breit. Würde er mit seinen Schilderungen wieder zu seiner heiss verehrten Journalistin gehen? Billi hatte ja gesagt, er solle in der Öffentlichkeit nicht darüber reden. Es war immerhin Billis Auftrag und es wäre Verrat, jemand anderen mit Informationen zu füttern.
„Tut mir leid, dass ich was bei Charlene ausgeplaudert habe", gestand Pierre kleinlaut. „Ich wollte sie ein wenig beeindrucken, weisst du. Ich dachte nicht, dass sie das veröffentlichen würde. Viel habe ich ihr ja gar nicht erzählt." Und ihr meine Adresse gegeben, dachte Jonathan im Stillen, sagte aber nichts, denn er hatte beschlossen, sich mit Pierre zu vertragen.
„Schwamm drüber", entgegnete er stattdessen und ging dann auf Pierres Frage ein.
„Mit Billi zu arbeiten ist das Aufregendste, was mir je passiert ist! Er denkt an alles, ist auf alle Eventualitäten vorbereitet und versteht es wunderbar, sich in andere Personen hineinzuversetzen. Stell dir vor, er wusste sogar, wo der Schatz war, ohne dass ich es ihm explizit gesagt habe."
„Ich habe seinen Artikel gelesen", sagte Pierre. „Was du erlebt hast, ist ja wirklich unglaublich. Aber sag mal, so genau hast du mir das ja gar nicht berichtet. Ich dachte, du wärst einfach nur in die Höhle geklettert und hättest einige Goldmünzen gefunden. Aber Schlangen, Falltüren..."
„Naja", druckste Jonathan herum, „ich wusste ja nicht, wie viel ich sagen darf, so ohne Manager. Aber jetzt, da die Geschichte publik ist, brauche ich dir ja nichts mehr zu verschweigen."
Pierre zog seine Augenbrauen hoch. Die Geste hatte er sich von Billi abgeschaut, aber einzeln gelang es ihm noch nicht. Jonathan entschloss, sich Pierre anzuvertrauen.
Jeder Mensch, der etwas auf sich hält, sollte ein Markenzeichen besitzen. Die Meisten unter Ihnen sind sich der Macht von Gesten gar nicht bewusst. In den Nullerjahren habe ich regelmässig Seminare durchgeführt, in welchen die Teilnehmer die hohe Kunst der Mimik und Gestik erlernen konnten. Ich möchte in aller Bescheidenheit sagen, dass wichtige Persönlichkeiten wie zum Beispiel Billi Grompel bei mir die wahre Bedeutung der nonverbalen Kommunikation studiert haben. Die Fähigkeit, eine einzelne Augenbraue hinaufzuziehen, hat er bei mir erlernt. Leider konnte er diese Kunst nicht so gut wie ich perfektionieren, denn ich bin in der Lage, jede Augenbraue willkürlich nach oben oder unten und zudem auch noch nach rechts und links zu bewegen.
Meine Kurse waren regelmässig ausgebucht, dennoch habe ich diese eingestellt, um mich auf andere Bereiche in meinem Leben konzentrieren zu können.
„Na gut. Die Wahrheit ist... ich habe weder Schlangen gesehen, noch bin ich durch eine Falltür gefallen."
„Nicht?", fragte Pierre mit gespieltem Entsetzen.
„Billi versteht es ausgezeichnet, Geschichten gut zu vermarkten. Damit die Sensation auch richtig zur Geltung kommt, musste er sie etwas ausschmücken."
„Natürlich". Pierre nickte. Charlene hatte also mit ihrer Vermutung Recht behalten.
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