Tag Vier -Die Suche nach der Wahrheit

"Ich komm mal vorbei, nach der Schule, und schau, ob du dich dran hältst ." Das sagte er zum Abschied, aber mehr wollte er nicht sagen. Der geheimnisvolle Juri, er wusste jetzt alles von mir, und ich fast nichts von ihm, außer wo er Abi gemacht hatte. Aber ich war zufrieden und grinste, als ich aus dem Wäldchen kam. Die Nacht hatte sowas von gut getan. Ich war viel zu früh dran für Schule und entschied kurzerhand, zum Grab meiner Mum zu gehen. Zum ersten Mal seit zwei Jahren. Seit dem Versprechen in der Nacht konnte ich wieder an sie denken, ohne gleich vom Kraken überfallen zu werden. Und heute war ja ihr Todestag. Hab's erst nicht gleich gefunden, weil überall Efeu war. Mein Dad hatte es wohl auch nicht oft übers Herz gebracht, herzukommen. Ob es auch einen Kraken für ihn gab? Hatte nie groß drüber nachgedacht. Also hab ich erst mal alles Unkraut vom Grabstein weg gemacht, bis er wieder schön war. Dann hab ich ne Weile einfach nur davor gestanden.

Ob da im Grab auch Platz für mich wäre? Und was käme dann? Ich hatte nie weiter gedacht als bis zu den Gleisen. Ob wir uns wirklich wiedersehen würden? Aber Juri hatte ich eine Woche versprochen, also sagte ich zum Abschied nur: "Jetzt noch nicht, Mama." Ich war so in Gedanken, dass ich das Abfangkommando am Schultor erst bemerkte, als sie mich schon gesehen hatten. Veronique, Vera, Andi und noch ein paar. Ich blickte mich um, aber diesmal kam keine Hilfe. Da sah ich, wie gegenüber ein Busfahrer in einen der Linienbusse stieg, und ich entschied in Sekundenbruchteilen: Ich rannte los und sah, wie die anderen die Verfolgung aufnahmen. Schnell durch die Tür, meinen Ausweis gezeigt, aber es wurde verdammt knapp, die anderen kamen schon über die Straße. Zum Glück war auf die schlechte Laune unserer Busfahrer immer Verlass. Kurz bevor sie da waren, brummte er: "Wenn ihr es in der Schule nicht mehr lernt, mit der Pünktlichkeit. Bei mir lernt ihr's." Schloss die Türen vor ihrer Nase und hupte laut. Ich lachte innerlich, dann sah ich auf den Linienplan. Wo ging es überhaupt hin? "Albert-Schweitzer-Gymnasium" war da zu lesen, Juris ehemalige Schule. Der Bus fuhr los, und in mir keimte eine Idee. Eine geniale Idee.

Vor dem Schultor war kaum was los, aber meine Idee erschien mir schon lang nicht mehr so genial. Wie kam ich da bloß rein? Ich hatte hier die Chance, irgendwas über Juri rauszufinden. Mit DER Narbe musste er hier doch aufgefallen sein, oder? Aber als ich an mir runter sah - meine gruftigen Klamotten, mein MakeUp, also ich musste ja noch viel mehr auffallen. Ich beobachtete den Schulhof. Alles hier sah viel runtergekommener aus. Viel Beton, Farbe, die schon abblätterte. Der Rasen platt getreten. Weil die Schüler drauf spielen durften, anscheinend. Hier war es nicht so blitzblank wie am Fortuna. Es klingelte und bald war alles leer. Jetzt oder nie, dachte ich, und versuchte so natürlich wie möglich über den Hof zum Schultor zu schlendern. Verdammt, auf der Treppe saß noch ein Mädchen, die verdeckt gewesen war. Die hatte so ein Schäfchen-Gesicht, stinknormale Klamotten, ein Buch. Bitte, lass sie mich nicht ansprechen. Ich stieg die Treppen rauf, aber natürlich sah sie hoch und nicht wieder weg. Ich hörte hinter mir, was ich schon so oft gehört hatte: "Oh Mann!" Ich zog meine Walhaut über, dick und kampfbereit, und drehte mich um. "Was?" Aber sie lächelte mich an. "Na...cooles Outfit." Ich war ein paar Sekunden durcheinander. DAS hatte jetzt noch nie jemand zu mir gesagt "Oh. Ja, ähm...Danke." "Bist Du neu? Ich hab dich noch nie gesehen." Das Mädchen stand auf.

"Also, ich...ja, nur heute. Ich mach nur so'n Projekt.", stotterte ich. "Ich bin Kara." "Ja, Hi, ich bin Lucy. Ähm - wo finde ich hier die Bibliothek?" "Komm, ich zeigs dir." Sie lief einfach vor, ich hinterher. Ich war ganz fertig, gab's das? Dass irgendwer einfach mal nett zu mir war? Vor dem Bibliothekseingang saß ein älterer Schüler. "Hey Kara, du schon wieder?" Sie lachten und dann waren wir drinnen. So einfach - alleine hätte ich's nie geschafft. Ich spürte es, hier war eine ganz andere Stimmung. Die Leute kannten sich, alles war kleiner. Und alle waren sowas von entspannt. Erst jetzt wurde mir klar, was für ein Druck bei uns herrschte, an unserer Schule, wo jeder jeden beäugte. Dann erschrak ich doch. Kara setzte sich zu mir. "So, was suchst du denn?" Ich dachte verzweifelt nach und sagte: "Ähm"

Ich hatte Kara überzeugen können, mir die Jahrbücher der Schule zu besorgen, ohne Verdacht zu schöpfen. Während ich mich durch die langweiligen Wälzer mühte, schmökerte sie in ihren Mangas. Schließlich schlug ich die Bücher seufzend zu. Sie sah auf: "Was genau suchst du denn?" "Kann ich nicht genau sagen, was aus den letzten Jahren" "Komisches Projekt, brauchst du vielleicht was anderes?" Das gab den Ausschlag, sie war so nett, sie hatte die Wahrheit verdient. "Kara, ich mach gar kein Projekt. Ich such jemanden, einen Jungen" Sie sah mich groß an. "Waaaaaas? Wow, das ist abgefahren." Sie hopste auf ihrem Stuhl vor Aufregung. "Ist der hübsch?" Ich musste grinsen. "Darum geht's nicht." "Und ob es darum geht! Was weißt du denn von dem?" "Also, der hat hier vor zwei Jahren Abi gemacht. Hat ne große rote Narbe im Gesicht." Sie überlegte. "Ne, da klingelt nix. Wie heißt er denn?" "Juri." Sie stand auf. "Wart mal!" Dann kam sie mit Abi-Zeitschriften wieder, blätterte darin und zeigte schließlich auf ein Foto. "Meinst du vielleicht den Juri hier, den Killer?" Jetzt machte ich große Augen. Das war er tatsächlich. Jünger, längere Haare, und sehr attraktives Grinsen. Was völlig fehlte, war seine Narbe. "Killer?" fragte ich. "Naja, das hab ich auch nur gehört, da gab's nen Unfall und einer ist dabei draufgegangen. Aber ich dachte, der hat ne Narbe?" Ich nickte. "Vielleicht bei dem Unfall bekommen, ich weiß nicht." "Ist der wirklich ein Killer, suchst du ihn deswegen?" "Oh nein, der ist alles - aber das nicht." Ich fand noch mehr Bilder, auf einem spielte er Gitarre in der Schulband. "Oh Lucy, lass mich was helfen, das ist sooo spannend, bitte bitte bitte. Und dann erzählst du mir alles" Ich lachte. "Ok, von mir aus. Dann krieg mal raus, wo die Eltern wohnen, das wäre ne Hilfe. Und was mit dem Unfall war." "Wird erledigt, Sir!" Sie salutierte. "Ich schreib dir meine Nummer auf." Kara zog mir den Ärmel hoch, um auf mein Handgelenk zu schreiben und wir beide erstarrten. Meine Ritzwunden leuchteten rot. Ich wollte den Ärmel schon wieder runterziehen, da zückte sie einfach ihren Stift, schrieb die Nummer auf meine Haut, malte ein Herzchen dazu und lehnte sich fröhlich zurück. "So." Ich bekam Tränen in die Augen. Erschrocken sah sie mich an. "Hab ich dir weh getan?" Ich sah hoch und schüttelt lächelnd den Kopf, während die Tränen liefen: "Oh Nein."

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