Runde 3, Tag 4

Tim wachte auf. Er und Luis hatten sich eng aneinander gekuschelt in eine winzige Höhle zum Schlafen gelegt.
Die Wärme des anderen hatte sie gegenseitig gewärmt.
Nachts war es schrecklich kalt, tagsüber ziemlich warm.
Es dauerte nicht sehr lange bis auch Luis aufwachte. Mühsam quetschten sie sich durch die Höhle nach draußen. Dort floss das Wasser immer noch gleichmäßig rauschend über den Sandstrand. Am Himmel waren keine Wolken zu sehen und es war auch nicht sehr dunstig.
Sicher war das der Grund, weshalb Luis die kleine Insel im Meer entdeckte, etwa fünfundzwanzig Meter entfernt. Die Gischt spritzte am Felsen hoch, doch sie erreichte die Kiste nicht, welche darauf thronte.
Übertriebenerweise schimmerte sie strahlend Gold und blendete in der Sonne.
"Wie sollen wir dahin kommen?", fragte Luis.
Tim zog sein Shirt über den Kopf. "Schwimmen."
Er schnürte seine Schuhe auf.
Luis packte ihn an der Schulter.
"Bist du wahnsinnig? Das Meer ist bestimmt noch sehr kalt, du weißt nicht was da rumschwimmt und der Wellengang ist nicht sehr ruhig."
Tim zog eine Augenbraue hoch.
"Ich schwimme seit ich klein bin, die paar Meter werde ich wohl überleben."
Luis sah wirklich besorgt aus.
"Na gut. Ich bin nicht begeistert."
Tim verdrehte die Augen.
"Ich sehe es."
Ohne eine weiteres Wort zu verlieren lief Tim ins Wasser und es war alles andere als warm.
Als es tief genug war, warf er sich nach vorne und begann sich mit kräftigen Schwimmzügen durchs Wasser zu bewegen. Die Kälte brannte schrecklich, doch er genoss es, genoss das Wasser, die Wellen, jede seiner Bewegungen.
Er hatte schon fast die Hälfte geschafft, als etwas schreckliches passierte.
Eben noch spürte Tim das eiskalte Wasser, hörte das Rauschen, im nächsten Moment fühlte es weiches Leder unter sich, die warme Decke über seinen Beinen und das Gewicht der Virtuell Reality Brille.
Immer noch hörte er das Meerauschen, sah die Wellen, jetzt allerdings von unten.
Tim krallte sich in das Leder, keine Sekunde später befand er sich wieder in Valos.
Ohne zu zögern schwamm er zurück zur Oberfläche, durchbrach sie und schnappte verzweifelt nach Luft.
Die Wellen hatten ihn weiter nach links getragen, die Insel war rechts vor ihm.
Tim schüttelte sich das blonde Haar aus der Stirn und kraulte weiter.
Was zum Teufel war das?
Endlich packte er den kalten Stein und zog sich auf die Insel.
Er keuchte immer noch, erschrocken über das Ereignis.
Kurz drehte er sich zu Luis um, der winkte als er Tim sah.
Der Schwimmer drehte sich zur Kiste und ließ den Verschluss aufschnappen.
Innen befand sich eine Plastiktüte. In dieser waren ein Feuerzeug, eine Art Schwert und ein Kompass.
Dieser hatte allerdings keine Windrose.
Tim runzelte die Stirn, ließ den Kompass aber drinnen und schloss den Plastiksack wieder.
Dann nahm er diesen zwischen die Zähne und sprang wieder ins Wasser. Die kalten Wellen schlugen über ihm zusammen, der Beutel schlug gegen seinen Brustkorb.
Tim tauchte auf und begann Richtung Land zu schwimmen.
Er sah Luis dort auf und ab gehen.
Endlich erreichte er den Strand, erhob sich aus dem Wasser und warf Luis den Sack zu.
Er selbst kam keuchend nach.
Und wieder geschah es, für den Bruchteil einer Sekunde war er nicht mehr in Valos, sondern in dem ledernen Stuhl in der Forschungseinrichtungen.
Allerdings war es so schnell vorbei wie es gekommen war. Tim fand sich kniend am Strand wieder.
Verwundert rappelte er sich auf und ging zu Luis hinüber, welcher nichts bemerkt haben zu schien.
"Ein Kompass ohne Blatt?", fragte er verwundert.
Tim nickte. "Trotzdem zeigt er in eine Richtung."
Der blonde Mann zog sein Hemd und seine Schuhe wieder an und wrang seine Hose so gut wie möglich aus.
Luis sah ihn besorgt an.
"Lass uns lieber ein Feuer machen, damit dir warm wird und deine Kleidung trocknet."
Tim war einverstanden und die beiden suchten trockenes Treibholz zusammen, was sich als gar nicht so einfach entpuppte.
Endlich saß Tim zitternd vor dem prasselnden Feuer.
Luis wunderte sich immer noch über den Kompass. Er drehte ihn um und ein überraschter Laut entfuhr ihm.
Tim sah ihn erwartungsvoll an.
"Der Kompass zeigt nicht nach Norden, sondern auf das Team, welches sich am nächsten bei uns befindet."
Sein Partner stöhnte leise.
"Toll, jetzt haben wir keine Ausrede mehr nicht nach den anderen zu suchen."
Luis runzelte die Stirn.
"Wieso nicht?"
Tim zuckte mit den kräftigen Schultern.
"Hat der nicht irgendwas davon gesagt, dass sie Monster auf uns hetzen wenn wir uns nicht gegenseitig abschlachten?"
Der Blick seines Partners verdunkelte sich.
"Ach so. Ja..."
Sie schwiegen und Tim rückte noch etwas näher an das Feuer heran.
"Scheiß Spiel.", fluchte Luis leise.
Tim nickte.
Doch in Gedanken wünschte er sich, dass Malin ganz weit von ihnen entfernt war.

Ari fror. Der kühle Wind verursachte auf seinen nackten Armen eine Gänsehaut.
Der junge Mann fluchte und rieb sich mit den Armen darüber.
Samuel sah ihn mitleidig an.
Die Ärmel seines übergroßen T-Shirts hingen ihm bis zu den Ellenbogen.
Sie befanden sich immer noch im Wald, doch waren auf dem Weg Richtung Meer. Was natürlich keiner von beiden wusste.
Samuel lief neben Ari her und versuchte die Gedanken an Felix und Sara zu verdrängen. Genauso wie seinen Mord an Helene.
Er versuchte diese Gedanken wegzusperren, doch die Versuche scheiterten.
Ari schien ganz woanders zu sein, sein Blick war düster und er hatte die Arme vor der Brust verschränkt.
Er hatte gerade seltsame Gedanken und wunderte sich darüber.
Gott spielt blind Messerwerfen, er ist nur nicht sonderlich begabt. Er trifft die Menschen, ohne es zu wissen, die Messer bleiben in der nichtheilenden Wunde stecken.
Oder er spielt Dart.
Dart war uralt, kaum einer spielte es noch.
Dafür war Messerwerfen ein beliebter "Sport" geworden. Ari schauderte.
Wie ironisch.
Samuel schien zu bemerken, dass etwas nicht stimmte.
"Alles okay?"
Ari nickte rasch. "Mir ist nur kalt." Samuel nickte und wandte den Blick wurde zu Boden.
Ari war ihm dankbar dafür, er hatte gerade keine Lust mit irgendwem seine Gedanken zu teilen. Und wenn, dann würde es am ehesten Samuel sein, der es erfahren würde. Vielleicht auch Alex.
Am besten niemand. Er würde mit seinen Problemen selber klar kommen.
So wie jeder andere Mensch auch.

Maxi und Robin befanden sich immer noch zwischen den Hügeln. Robin hatte sich bei Maxi eingehakt und dieser führte ihn durch die Landschaft. Den ganzen Tag liefen sie schon, hatten nur kurze Pausen gemacht und einmal eine kleine Kiste mit einem Seil gefunden.
Das trug Maxi nun über der Schulter, genau wie den Baseballschläger.
Robin hatte den Blick auf den Boden gesenkt, er konnte sich vorstellen, dass es für Maxi unheimlich aussehen konnte, wenn er mit offenen Augen, aber blind durch Valos lief.
Liefen sie eigentlich nicht fast ihr lebenlang blind durch die Welt?
Übersahen die kleinen Dinge, die Schönheiten, die Trauer in anderen Gesichter.
Aber es war nie ihre Angelegenheit. Warum sollte es auch?
Robin seufzte leise. Maxi änderte leicht die Richtung und Robin folgte ihm.
Es musste sehr ermüdend für den jungen Mann sein, doch er beschwerte sich nicht über seinen Partner, kein einziges Mal.
Das änderte aber nichts daran, dass beide wussten wie schwierig es mit Robin werden würde. Früher oder später würde ein Angriff erfolgen und dann war Maxi alleine im Kampf.
Musste außerdem noch auf einen blinden, unfähigen Jungen aufpassen.
Das Schicksal war grausam, vielleicht waren es auch die Spielemacher, weil sie nichts taten.
"Oh scheiße.", sagte Maxi plötzlich und blieb abrupt stehen.
Robin sah auf, doch die Dunkelheit blieb unverändert. Ein böses Gefühl beschlich ihn.
"Was?"
Maxi holte tief Luft und ließ Robin los.
"Alex und Malin."
Der blonde Mann fluchte leise.
"Haben sie uns gesehen?"
"Sonst hätte ich dich schon auf den Boden gedrückt."
"Schaffst du das?"
Maxi lachte rau.
"Werde ich wohl müssen. Bleib wo du bist."
Robin blieb stehen, hasste sich und die Entwickler und hoffte, dass Maxi überlebte.
Er könnte jetzt sterben und würde es erst in dem Moment wissen, indem Alex ihn umbrachte.
Maxi ging auf Malin und Alex zu, welche weit auseinander gingen. Der junge Mann hatte eine Waffe in der Hand, aber Malin nicht.
Maxi holte tief Luft, dann rannte er auf Alex zu.
Sein Tempo erhöhte sich von Schritt zu Schritt und er sah einen Funken Verunsicherung in Alex' Augen.
Dann war der Tiger auch schon bei ihm, wich der blitzenden Klinge aus und rammte Alex seinen Ellenbogen in den Bauch.
Gerade noch rechtzeitig fuhr er herum und Malin musste sich unter dem Baseballschläger ducken. Im selben Moment trat Maxi nach ihr und sie stürzte nach hinten.
Da sprang Alex ihn von hinten an, klammerte sich an Maxi fest und stieß ihm die Klinge zwischen die Rippen.
Maxi stöhnte und warf sie auch den Rücken. Er begrub Alex unter sich und dieser ächzte auf.
Seine Arme lösten sich und Maxi handelte schnell. Mit einem Schrei zerrte er sich die Schere aus dem Fleisch, fuhr herum und stieß die blutüberströmte Klinge in Alex' Hals.
Der junge Mann zuckte, griff sich an den Hals und gab würgende Geräusche von sich.
Da packte Malin Maxi von hinten am Seil und schlug ihm gegen den Kopf.
Der Tiger knurrte und griff nach ihr, doch sie wich aus.
Und dann ergriff sie die Angst. Ihr Partner war tot, Maxi eine Nummer zu groß und Robin war auch noch da.
Sie trat ein weiteres Mal gegen Maxis Kopf, der daraufhin grunzend zur Diete kippte, dann drehte sie sich um und rannte davon.
Ihr Herz raste und sie lief so schnell wie noch nie.
Maxi lag auf dem Boden, roch Blut und versuchte sich aufzusetzen. Doch er war zu schwach, seine Wunde schmerzte.
Er sackte zurück und die Welt vor seinen Augen wurde dunkel.
Robin, am Fuße des Hügels, lauschte auf die Kampfgeräusche.
Als nichts mehr zu hören war, aber Maxi auch nicht wieder wiederkam, begann Robin den Hügel zu erklimmen. Mehrmals fiel er hin, doch stand immer wieder auf.
Als er den metallischen Geruch von Blut bemerkte, folgte er diesem.
Mit den Händen tastete er den Boden ab und als er eine warme Hand fand, schien sein Herz zu erstarren.
Die Hand war nass und klebrig...Blut.
Zitternd tastete Robin den Körper ab...und war schrecklich erleichtert. Es musste Alex sein, Maxi hatte breitere Schultern, ein kantigeres Gesicht und trug andere Kleidung.
Wie ein Blinder es nunmal tat, tastete er weiter und fand schließlich eine zweite Person, ebenfalls reglos.
Sein Herz setzte einen Schlag aus, Malin hatte viel schmalere Hände.
"Maxi!", murmelte Robin und tastete vorsichtig den Körper ab.
Zu seiner großen Erleichterung lebte der junge Mann noch.
Robin atmete zitternd durch, es war noch nichts verloren.
Mühsam brachte er Maxi in die stabile Seitenlage und riss schließlich mit viel Mühe Alex Hemd in Streifen um Maxis Brustkorb damit zu verbinden.
Er war kein Sanitäter und außerdem blind, es dauerte eine Ewigkeit.
Es wurde kalt, als die Nacht einbrach. Robin legte sich hinter Maxi und drückte sich eng an diesen, seinen Arm presste er auf die Wunde.
Maxi war warm und Robin schloss die Augen und versuchte zu schlafen, mehr konnte er nicht tun. Das Gras kitzelte ihn und der Gestank nach Tod biss ihm in die Nase, doch schließlich schlief er ein.
Selbst im Schlaf lauschte er auf Maxis Atem und spürte seine Wärme.
Noch hatten sie nicht verloren.

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