Runde 2, Tag 5
"Die Hälfte aller Tage ist herum und vier von uns sind tot. Wollten wir das eigentlich nicht verhindern?" Robin stand mit verschränkten Armen am Kamin und sah die Anwesenden herausfordern an. Malin schwieg. So auch der Rest der Gruppe.
Ja, das hatten sie gewollt, aber getan hatten sie nichts. Sie hatten sich untereinander geprügelt, gefaulenzt und gehofft, dass sie nicht das nächste Opfer werden würden. Feiglinge waren sie, jeder einzelne.
"Dann sollten wir etwas tun.", sagte Tim schließlich leise. Robin breitete die Arme aus. "Bitte, macht Vorschläge." Ari stand auf. Malin bewunderte ihn insgeheim etwas. Es war, als würde man ein Pferd oder einen Tiger beobachten. Bei jeder Bewegung konnte sie das Spiel seiner Muskeln unter der gebräunten Haut sehen. Er war kräftig, aber nicht auf eine übertriebene Bodybuilderweise. Es sah natürlich aus und das wiederum sah attraktiv aus.
"Wir folgen ihnen.", sagte Ari. "Zweimal haben wir Paul und Ovid jetzt wegrennen sehen, beide in die selbe Richtung. Folgen wir ihnen einfach und schauen was uns erwartet. Wir sind zahlenmäßig überlegen." Tim nickte scharf. "Das schon, aber sie sind besser ausgestattet." Ari zuckte mit den Schultern und Malin wand rasch den Blick von ihm ab. "Einen Versuch ist es wert. Oder habt ihr andere Vorschläge?" Schweigen und Kopfschütteln folgte auf seine Frage. Maxi erhob sich aus dem Sessel. Er überragte Ari nur ein paar Zentimeter.
"Dann sucht alles nützliche aus diesem Haus zusammen." Malin war überrascht wie viele seiner Aufforderung folgten. Als alle den Raum verlassen hatten, trat sie Robin in den Weg und hielt ihn am Arm fest. Der junge Mann blieb stehen, sah sie aber nicht an. "Du stimmst dem zu? Obwohl wir alle sterben könnten?" Robin starrte stur gerade aus. "Warum sollten wir? Du hast keinen besseren Vorschlag geäußert." Malin kniff ihre Augen zusammen.
"Und wie willst du die Gruppe zusammen halten?" Der blonde Mann seufzte. "Sie werden zusammenhalten müssen, wenn wir überleben wollen." Die junge Frau ließ nicht locker.
"Du könntest deine geliebte Sara verlieren, bei dem Versuch den Rest der Gruppe zu schützen." Sie wartete gespannt auf seine Reaktion. Er drehte ihr langsam den Kopf zu und seine blauen Augen wirkten stechend. "Wenn irgendjemand wegen deinem Misstrauen stirbt, hoffe ich, dass du es nie vergisst." Damit riss er sich von ihr los, durchquerte das Wohnzimmer und verschwand nach draußen.
Malin verschränkte wieder mal die Arme. Maxi kam die Treppe hinunter und einen Moment verharrte er, den Blick der braunen Augen auf sie gerichtet, ehe er zur Tür hinausging. Sie hasste ihn. Er hatte Tim die Nase gebrochen, er war unnahbar und kalt und Malin konnte um Gottes Willen nicht verstehen wie Robin und Sara ihn mögen konnten. Nach Maxi kam Tim die Treppe hinunter und als er ihr zunickte folgte sie ihm nach draußen. Die anderen ließen auch nicht lange auf sich warten. Ari hatte ein langes Seil gefunden und Helene eine schwere Holzaxt. Als alle da waren trat Schweigen ein. "Was auch passiert, bleibt immer zusammen. Mindestens zu zweit. Haltet eure Messer bereit, schlagt sofort Alarm wenn ihr einen von den dreien seht. Aber nur wenn ihr euch sicher seid! Ansonsten verursacht keinen Lärm.", zählte Robin auf und ein paar nickten brav. Malin hatte immer noch die Arme verschränkt und stand still neben Tim.
"Das klingt jetzt vielleicht gemein...aber es sollten immer ein Starker und ein Schwacher zusammen sein. Beziehungsweise diejenigen, die nicht töten wollen und die, die es im Kampf tun würden.", sagte Maxi leise. Malin biss sich vor Wut leicht auf die Lippe. Als keiner etwas erwiderte, setzte Robin sich einfach in Bewegung und steuerte auf den Baumhain zu. Er bemerkte wie sich hinter ihm die Zweiergruppen sortierten und schließlich schloss Helene schweigend zu ihm auf. Er lächelte ihr aufmunternd zu und sie erwiderte es leicht. Als sie den Hain erreichten, blieb Ari neben Robin stehen und dieser drehte sich um. Malin stand neben Tim, Maxi neben Sara und Helene neben ihm. Ari war alleine.
"Ari, wenn...-" Doch der junge Mann schüttelte leicht den Kopf. "Ich kann auf mich aufpassen. Besser vier als drei Gruppen." Sara sah ihn besorgt an. "Das ist sehr gefährlich." Der gebräunte Mann grinste nur und zuckte mit den Schultern.
"Was ist denn hier nicht gefährlich? Wir fangen besser an." Helene streckte ihm die Axt entgegen. "Die brauchst du als Gefährten." Ari lachte und nahm sie in die Hand. Als er Malins Blick begegnete zwinkerte er, drehte sich dann um und verschwand zwischen den Bäumen. "Wir teilen uns auf.", sagte Tim. "Wie im Horrorfilm.", murmelte Helene. "Wenn ihr etwas gefunden habt, das nützlich sein könnte, dann ruft uns...vielleicht mit einem Vogelruf.", sagte Maxi, ehe er sich umdrehte und sich ebenfalls auf den Weg machte. Sara nickte knapp und holte rasch zu ihm auf. Auch die beiden anderen Gruppen trennten sich und begannen den kleine Wald zu durchforsten. Sie sprachen nicht, lauschten nur und hielten die Augen offen.
Ovid zog sich hinter den Felsvorsprung zurück und flitzte in Richtung Haus zurück. Alex und Paul saßen auf der Terrasse. "Sie kommen.", knurrte Ovid und bestätigte Alex' Vermutung. Paul beugte sich vor. "Was hast du noch gesehen?" Ovid lehnte sich gegen das Geländer der Terrasse. "Ich glaube ich habe Malin und Tim gesehen." Pauls Augen blitzten. "Sie machen Zweiergruppen, dass heißt einer ist alleine." Alex wusste was jetzt kam. Er sah aus dem Augenwinkel wie Pauls Kopf sich zu ihm drehte. "Dein Tag."
Alex stand schweigend auf und verschwand in dem Hüttchen. Er zog Ovids schwarze Jacke an, das Tuch von Paul über den Mund und steckte sich schließlich das Beil in den Gürtel. Als er nach draußen trat nickte Ovid ihm leicht zu. "Schau zu, dass sie nicht sehen woher du kommst.", mahnte Paul und Alex neigte leicht den Kopf. Er hatte verstanden. Flink und geduckt machte er sich auf den Weg zu Kletterwand. Ovid begleitete ihn um ihm hinunter zu helfen. Auf dem Weg zu der versteckten Treppe wurde Alex bewusst, dass er Malin nicht töten konnte. Sie hatte Tim als Begleiter und Alex hatte die Chance jemanden alleine zu finden. Er huschte die Stufen hinunter und blieb ihm Schutz der Felsen bis er die ersten Bäume erreichte. Bei dem letzten Steinbrocken, hinter welchem er sich versteckte, hob er noch einen faustgroßen Stein auf. Er wusste zwar nicht wie zielsicher er war, aber nützlich würde es allemal sein. Alex seufzte leise. Er ahnte, wer alleine laufen würde. Alle anderen verstanden sich untereinander, nur Ari war in der Runde der Überlebenden ohne "Freunde".
In der ersten Runde hatte er niemanden umgebracht...und jetzt sollte er sofort seinen Mörder töten. Er wusste wie Ari gebaut war, kräftig, muskulös...und er würde sich nicht wie ein Dummkopf anstellen. Alex holte tief Luft, dann lugte er hinter dem Stein hervor. Nichts...
Ovid und Paul erwarten Leistung. Ich kann nicht schwach und geschlagen vor ihnen stehen...wie ein Feigling. Alex raffte sich innerlich zusammen und erhob sich dann. Er war in seinem Leben sicher noch nie so angespannt gewesen wie jetzt, wo er einem Menschen das Leben nehmen sollte. Es ist doch nur ein Spiel. Nur ein Spiel verdammte Scheiße.
Ari bewegte sich vorsichtig und sah sich ständig um. Kein alarmierender Laut, kein Vogelgeräusch. Er hatte das Messer in seiner Hand fest umklammert, so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Nach einer ewigen, angespannten Zeit in der er nichts fand und die Landschaft langsam steiler wurde, beschloss er auf einen Baum zu klettern. Er steckte das Messer zu der Axt in eine der Gürtelschlaufen an seiner Hose. Knapp über ihm war ein breiter Ast. Ari holte tief Luft, ging in die Knie und sprang schließlich. Seine Hände bekamen den Ast zu fassen und mit aller Kraft schlang er nun seine Beine darum. Stück für Stück kletterte den Baum hinauf und wünschte sich einmal wie Ovid zu sein, so leicht, so flink. Etwas aus der Puste erreichte er schließlich den Wipfel und streckte den Kopf zwischen den Bäumen heraus. Vor ihm ragten gewaltige, spitze Felsen in den Himmel hinauf tödlich und steil. Nichts...rein nichts. Er sah kein Zelt und keine Hütte. Er wollte gerade wieder hinabklettern, als er doch noch etwas bemerkte. Es wirkte aus der Entfernung klein und es konnte genauso gut eine optische Täuschung sein. Es sah nach einer steinernen Treppe im Fels aus. Konnte das überhaupt sein?
Malin und Tim schlenderten durch den kleinen Wald. Die junge Frau konnte sich nicht mehr erinnern wie es gekommen war, aber ihre Finger waren mit Tims verschränkt. Trotzdem schien er sie zu meiden, denn er warf ihr keinen einzigen Blick zu. Malin störte das nicht, solange er seine Hand nicht wegzog. Es war sonderbar hier mit ihm zu sein.
Es kam ihr vor, als würden sie als Paar in einem Wäldchen spazieren gehen.
Unter anderen Umständen hätten wir sicher ein Paar sein können.
Es machte Malin traurig, dass sie Tim unter diesen Bedingungen kennengelernt hatte. Unter all dem Hass und Mord in einer virtuellen Welt. Das Schicksal hatte seltsame und grausame Arten die Wege zweier Menschen kreuzen zu lassen.
Sie hatte niemanden mehr und doch war Tim da. Er war da und gleichzeitig wieder nicht, denn was wusste sie schon über ihn?
Malin seufzte leise und Tim drückte leicht ihre Hand.
Es gab keine Zukunft für sie...nicht zusammen.
Alex hasste sein nichtvorhandenes Glück. Es war schrecklich. Natürlich hatte er nicht auf Ari treffen können, nein, es mussten ja Tim und Malin sein. Trotz dieser misslichen Lage musste er daran denken, dass er vorgehabt hatte die junge Frau als erstes zu töten. Und das hatte er Paul auch gesagt. Nun kauerte er hier hinter einem Busch und sah die beiden Blondschöpfe auf sich zu kommen. Malin schien in Gedanken versunken, doch Tim war hellwach und sah ständig umher. Alex umklammerte den Stein fester. Tim und Malin liefen nun direkt an ihm vorbei und er kauerte sich ins Gestrüpp. Kaum, dass die beiden ihm den Rücken zugekehrt hatten, erhob er sich.
Was hatte er für eine Wahl? Versuchen musste er es.
Er holte tief Luft und warf dann den Stein. Das Geschoss zischte durch die Luft und traf Tim am Hinterkopf. Der junge Mann taumelte, stolperte über die eigenen Füße und Alex sprintete los. Er durfte keine Zeit verlieren. Im Laufen zog er sein Messer und Malin drehte sich in dem Moment zu ihm um, in welchem er sprang. Ihre Körper krachten aufeinander, Malin schrie und Alex stieß blind mit dem Messer zu. Mühsam rappelte er sich wieder auf, halb taub von dem Schrei der jungen Frau.
Ohne zu zögern rannte er los, quer durch den Wald auf die Felsen zu. Er wusste nichtmal, ob er sie tödlich getroffen hatte.
Malin blieb hinter ihm zurück, drückte eine Hand auf die klaffende Wunde am Bauch.
Im nächsten Moment war auch schon Tim da, zog sie in seine Arme. Zitternd legte die Blondine ihren Kopf an seine Brust. Alex hatte ihr eine tiefe Wunde unter der Brust bis zur Hüfte beschert.
Malin schloss die Augen und klammerte sich an Tim.
Sie starb schon wieder und es war ein schreckliches Gefühl. Tim redete mit ihr, doch sie hörte seine Worte kaum.
Nur seine Stimme, spürte seine Wärme, während sie immer kälter wurde.
Dann war plötzlich Robin da. Er musste mit Helene in der Nähe gewesen sein. Die junge Frau wandte den Blick von Malin ab. Robin kniete sich vor sie und Tim. Mühsam sah Malin zu ihm, er verschwamm vor ihren Augen und der Schmerz betäubte sie.
"Siehst du...nur ich bin an meinem Misstrauen gestorben."
Und als würde sie nur schlafen wollen, legte sie ihren Kopf an Tims kräftige Schulter.
Robin stand langsam wieder auf.
Er war wie betäubt, starrte nur in den Wald hinein, nahm kaum Tims Wutschrei war.
Das Gefühl der Schuld legte sich eisern auf seine Schultern.
Er hatte Malin getötet.
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