Runde 2, Tag 3

"Weißt du, ob wir sterben oder nicht, das ist doch egal." Robin hob den Blick und sah Sara an. "Egal? Wieso?" Sara ließ die Augen zu Boden gesenkt und zupfte an ein paar Grashalmen herum.
"Ein Individuum von mehr als 81 Millionen Menschen." Maxi, der neben ihr im Gras lag, sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. "Und hier? In Valos?" Sara strich sich durch das braune Haar. "Es passiert nichts. Wir wachen auf, bleiben eingesperrt, schlafen wieder ein und wachen in der dritten Runde auf." Robin schloss die Augen. "Sara der Tod ist nicht so leicht." Sie lachte leise und sah ihn nun aufmerksam an. "Oh ganz im Gegenteil. Der Tod ist so viel einfacher als du denkst." Robin legte den Kopf schief. Er sah misstrauisch aus. "Ach ja?" Sara beugte sich vor.
"Du stirbst. Es ist egal wie, danach zählt das nicht mehr. Und dann? Dann bist du ausgelöscht, ohne Erinnerungen, ohne Körper und irgendwo auf diesem Planeten wird ein neuer Mensch geboren werden." Maxi runzelte die Stirn. "Ist es dann auch egal was ich im Leben getan habe?" Sara zuckte mit den Schultern. "Das ist deine Entscheidung. Nutzt du dein Leben um zu leben? Manche Menschen begehen Selbstmord. Sie beenden ihre Chancen." Maxi schnaubte. "Wir haben auch Selbstmord begangen. Indem wir dieses verfickte Angebot angenommen haben." Sara nickte schwach.
"Wir interessieren die Menschheit einen Scheiß-Dreck. 14 Tote, na und? Wir hatten eh niemanden." Robin verschränkte die Arme. "Wenn es einen Gott gibt, warum lässt er sowas zu?" Maxi setzte sich auf. Die Kapuze rutschte von seinen roten, verstrubbelten Haaren. "Er lässt so etwas zu, also kann es wohl kein Gott sein." Sara schüttelte leicht den Kopf. "Es ist die Schuld der Menschen." Robin verdrehte die Augen. "Hör auf alles auf die Menschen zu schieben." Maxi legte den Kopf schief. "Aber wessen Schuld ist es dann?" Robin schwieg. Sara auch. Sie legte sich auf den Bauch ins Gras neben Maxi und schloss die Augen. "Egal.", murmelte sie. Maxi grinste. Er ließ sich zurück auf den Rücken sinken und schloss die Augen vor dem grellen Licht. Robin blieb sitzen und sah über die grüne, weite Wiese. Wenn sie recht hatte? Menschen lebten um Taten zu vollbringen, Taten die ihren Nachfolgern nützlich sein könnten. Es war ein ewiger Kreislauf, an dem alle Menschen teilnahmen. Ja, ein einziger Mensch zählte kaum, aber einer musste anfangen damit die Massen folgten. Also hatte Sara Recht und Unrecht.
Robin stütze seine Unterarme auf den Knien ab. Vorher hatte er nie über so etwas nachgedacht. Es war ihm egal gewesen, er hatte sein Leben gelebt und sich um seinen Kram gekümmert. Dieses Projekt, so grausam es auch war, hatte ihm den grauen Lügenschleier genommen. Diese Welt war verdammt, dennoch gab es immer Menschen die glücklich waren. Die Bevölkerung Deutschlands hatte es wie der Rest der Welt getan; das Land verlassen und sich in hochmoderne, riesige Großstädte in Sektoren eingeteilt zurückgezogen. Nur noch vereinzelte, winzige Städte und Dörfer waren zurückgeblieben, in Deutschland vielleicht 150. Robin stand auf. Er spürte wie Saras Blick ihm folgte, als er zurück ins Haus ging. Drinnen war es düster. Es gab kaum Licht und die Fenster waren klein. Im Wohnzimmer saß Felix am Kamin. Er hatte ein Feuer entzündet, obwohl es recht warm war. Robin setzte sich schweigend zu ihm vor die Flammen und gemeinsam lauschten sie dem Knistern. Die roten und gelben Farben tanzten, sprühten Funken und färbten das Holz schwarz. Die Geräusche des Hauses und der Umgebung waren unwichtig. Das Feuer beruhigte ihn unheimlich. Er setzte gerade an etwas zu sagen, doch Felix hob den Hand und schüttelte kaum merklich den Kopf. Robin schloss den Mund wieder und schwieg. Es kam ihm vor, als hätte der Kater sich seit der ersten Runde verändert. Um genau zu sein nach seinem Tod. Er wusste nicht was an jenem Abend nach Yanniks Tod passiert war, doch Felix schien es mit dem sterben nicht einfach gehabt zu haben. Tim musste schrecklich grausam gewesen sein. Robin hatte mal davon gehört, dass ein Trauma meist durch Gewalteinwirkung entstand. War Felix traumatisiert?
Es war egal, die Forscher und Computergenies in der realen Welt würden ihm nicht helfen. Und plötzlich machte das Feuer ihn nervös. Er konnte hier nicht länger sitzen, nicht neben Felix, nicht vor den Flammen. Nicht vor dieser kalten Wahrheit. Robin erhob sich und ging hinauf in sein Zimmer. Erst flüchtete er vor Sara und Maxi, dann vor Felix. Unwillkürlich stellte sich ihm die Frage, ob er noch der Selbe war, wie vor diesem Projekt. Hatte das Erlebnis seines eigenen Todes irgendetwas in seinem Verstand verändert? Er trat an das Fenster und sah hinab auf die Wiese. Der Wind strich sanft hindurch, die Bäume wiegten sich leicht, doch um den jungen, blonden Mann herum war es still. In seinem Zimmer war nichts zu hören, kein Geräusch der Außenwelt, kein Geräusch vom Flur. Robin drehte sich vom Fenster weg und trat vor den Spiegel. Groß, schlank und irgendwie blass. Sein blondes Haar rahmte sein schmales Gesicht ein, die blauen Augen traten stechend hervor. Paul hatte grünblaue Augen und braunblondes Haar. Sein Gesicht war eher rundlich. Er hatte Paul getötet. Hatte die Panik in den Augen des Sterbenden gesehen. Würde Paul dasselbe in seinen Augen sehen? Panik und die Angst um das Unvermeidbare....obwohl es doch nur ein Spiel war?
Nur ein Test?
Ja, Robin hatte sich verändert.

Tim stand Malin gegenüber. Sie hatte es sich im Schneidersitz auf seinem Bett bequem gemacht und sah zu ihm hinüber wie er mit verschränkten Armen am Fenster stand. "Du tanzt gut.", sagte sie leise. Er schwieg. Mied den Blick der schönen Augen in diesem freundlichen Gesicht. Die junge Frau legte den Kopf schief und ihr Haar fiel in einer blonden Welle über ihre Schultern. "Möchtest du nach Hause?", fragte sie leise. Diese Frage überraschte ihn schließlich doch. "Was meinst du mit nach Hause?" Sie zuckte mit den Schultern. "Dorthin wo du dich geborgen fühlst." Tim schnaubte verächtlich.
"Auf dieser Welt gibt es keinen Ort an dem man sich geborgen fühlen kann." Malin lächelte und kleine Grübchen bildeten sich auf ihren Wangen.
"Wasser?", fragte sie. Tim sah sie erstaunt an. Er hatte keine Ahnung woher sie das wusste. Erzählt hatte er es ihr definitiv nicht. "Du hast ein Schwimmerkreuz und sehr breite Schultern.", sagte sie, als hätte sie seine Gedanken gelesen. Tim senkte leicht den Kopf. "Wenn du Wasser als Heimat ansiehst...dann ja." Er wollte überall hin, nur raus aus dieser Welt. Das menschenfeindliche Projekt war nicht sein Problem, sondern die virtuelle Welt. Es war zu gruselig um es schön zu finden, dass alles so real war. Er würde wohl oder übel auf Paul, Alex oder Ovid warten müssen um endlich wieder aufzuwachen. "Diese Welt ist wie ein Traum. Du schläfst ein und alles kommt dir so real vor. Es ist ein Albtraum und wenn du aufwachst bist du verstört, solange bis du wieder einschlafen kannst.", stellte Malin fest. Tim stöhnte. Warum musste sie mit ihm diese poetischen Gespräche führen? Er hasste diese Welt, das war eine Tatsache und er musste nicht darüber philosophieren, wie ähnlich sie einem Albtraum war. Er löste sich schweigend vom Fensterrahmen und verließ das Zimmer. Seinen eigenen Vorschlag nur zu zweit zu bleiben, missachtete er dabei. Die Tür ließ er offen und er wusste das Malin ihm schweigend nachsah. Er wollte nach draußen, einfach weg, aber in der Haustür stieß er mit Maxi zusammen. In Tim wallte eine plötzliche Wut auf, die er sich nicht erklären konnte und ehe er sich versah schlug er Maxi mit der Faust ins Gesicht. Der Tiger taumelte zurück und fiel zu Boden, er hatte nicht damit gerechnet. Blut lief aus seiner Nase, als er zu Tim hochsah und dieser wütend nach draußen stürzte. Das ließ Maxi nicht auf sich sitzen.
Er war leicht reizbar, war er schon immer und in diesem Moment hatte Tim ihn schrecklich wütend gemacht. Maxi sprang auf, holte Tim mit ein paar Schritten ein und riss ihn am Arm zu sich herum. "Verpiss dich Kätzchen!", fauchte Tim und wich Maxis Schlag aus. Dafür traf seine Faust das Brustbein des Mannes. Maxi keuchte, ließ sich aber nicht beirren, packte Tim im Nacken und drückte dessen Kopf mit Wucht hinunter während sein Knie hochsauste. Ein ekelhaftes Knacken ertönte und Tim heulte auf. Er blieb unten, sprang trotzdem vor und riss Maxi an der Hüfte zu Boden. Von irgendwoher ertönten Rufe. Die beiden kümmerten sich nicht darum, rauften und wälzten sich nur am Boden herum. Plötzlich packte jemand Maxi und zerrte ihn mit Gewalt von Tim herunter, der gerade seinen Ellenbogen zu spüren bekommen hatte. Ari nahm den Tiger ohne zu zögern in den Würgegriff, während er ihn von Tim wegzerrte. Der blonde Schwimmer wurde von Robin festgehalten. Die gesamte Gruppe war aus dem Haus gekommen. "Hört auf ihr Narren!", brüllte Felix. Es war das erste Mal, dass der Asiate die Stimme erhob, aber es funktionierte. Maxi und Tim hörten augenblicklich auf sich zu wehren. Ari und Robin ließen die beiden erschöpft los. "Seid ihr eigentlich völlig wahnsinnig geworden?!", schrie nun auch Samuel.
"Als hätten wir es nicht schon mit drei Mördern zu tun, müsst ihr jetzt anfangen euch gegenseitig an den Kragen zu gehen!" Maxi rappelte sich auf und wischte sich das Blut von der Nase. "Entschuldigt euch gefälligst! Was für eine dreckige Gemeinschaft!", knurrte Samuel. Tim warf dem Tiger einen düsteren Blick zu und schwieg. Maxi hatte ihm die Nase gebrochen und das war ganz deutlich zu erkennen. In diesem Moment kam Luis aus dem Haus geeilt, er hatte einen Verbandskoffer dabei. Helene nahm ihm diesen ab. "Sei so gut und hol noch warmes Wasser!" Luis nickte und verschwand wieder drinnen. Helene und Sara gingen zuerst zu Tim, diesen hatte es schlimmer erwischt. "Was seid ihr bloß für Idioten.", murmelte Malin leise während sie Tims Gesicht betrachtete. Die Tür zum Haus öffnete sich wieder und Luis trat mit einem Eimer voll Wasser hinaus. Er war keine drei Schritte gekommen, da fiel ihn ein Schatten von hinten an. Die beiden kugelten über den Boden, dann sprang der Verhüllte auf und rannte los. Luis Hemd war vollgesogen mit Wasser...und Blut. Der junge Mann röchelte, griff sich an die Kehle während das rote Blut unablässig hervorsprudelte. Sein Körper zuckte zweimal und wurde dann schlaff. Alle starrten entsetzt auf den jungen, toten Mann, dann rannte Robin los. Seine Schritte trommelten über den Boden und er war erstaunlich schnell wie er Paul so nachsetzte. Er war der Einzige der reagiert hatte, der Rest der Gruppe war reglos vor Schock. Keiner hatte mit einem Mord gerechnet, so aufwühlend wie die Situation war. Robin hatte Paul fast eingeholt, als dieser plötzlich herumfuhr, ein schwarzer Striemen flog durch die Luft und traf Robin ins Gesicht. Der junge Mann stürzte nach hinten und krümmte sich auf dem Boden, während Paul schon längst wieder in Bewegung war. Sara löste sich als Erste aus der Starre der Gruppe und rannte über die weite Wiese. Als sie bei Robin ankam, setzte dieser sich bereits wieder auf. Sara konnte einen leisen Schrei nicht unterdrücken, als sie das Gesicht des jungen Mannes sah. Der schwarze Striemen hatte eine schmale, blutende Wunde vom Ohr bis zum Kinn hinterlassen, die Wange war gerötet. Sara stützte Robin vorsichtig.
"Sehe ich sehr scheiße aus?", murmelte Robin und zuckte vom Schmerz des Sprechens zusammen. Sara lächelte schwach.
"Schau besser nicht in den Spiegel."

"Zwei Tote und drei Verletzte. An einem Tag! Fickt euch und eure Arroganz, die uns alle gefährdet!" Keiner hatte Samuel je so ausfallend sprechen hören.
"Luis und Yannik schauen uns nun vielleicht zu und können sich nur schämen für uns! Das ist so peinlich." Keiner antwortete ihm. Keiner traute sich.
"Es ist nicht leicht zwischen solchen Idioten wie euch zu überleben! Gnade mir, dass ich der nächste Tote bin!", funkelte er Maxi und Tim an. Sara schlug sich die Hand vor den Mund und Helene schnappte bei diesen Worten nach Luft.
Aber Samuel ließ ihnen keine Gelegenheit zu antworten und verschwand polternden Schrittes ins Haus.

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