Runde 2, Tag 1

Paul setzte sich auf, kaum das er wach war. Zurück in Valos! Er atmete tief durch und schob die Gedanken an das eben passierte Geschehnis ganz weit weg. Er blickte sich stattdessen um. Sein Zimmer sah etwas anders aus, als das aus Runde eins. Boden, Decke und Wände waren aus Holz, teilweise aus Stein und es wirkte insgesamt wie ein altes Bauernhaus. Paul erhob sich von dem Bett, der Boden knarzte leise. Die eine Wand seines Zimmer war von einem riesigen Wandschrank verdeckt. In der Mitte hing an einer der Türen ein Spiegel. Darauf stand etwas. Paul trat direkt vor den Spiegel und starrte auf den roten Schriftzug. "Mörder". Unwillkürlich trat ein Lächeln auf seine Lippen. Diesmal würde er länger als einen Tag leben. Er öffnete die Spiegeltür. Der Schrank war nicht leer, an die Rückwand gelehnt lag dort ein Rucksack. Ein richtiger Bergsteigerrucksack.
Paul runzelte die Stirn, drehte sich zur Seite und sah aus dem Fenster. Eine weite grüne Wiese die steil anstieg. Im Hintergrund erhoben sich gewaltige, graue Bergrücken. Eine neue Location! Und was für eine! Grinsend wandte Paul sich wieder dem Rucksack zu und packte ihn am Schulterriemen. Er war gespannt wer seine Mittäter waren. Es gab schließlich nur drei von ihnen... Er setzte sich den Rucksack auf, dabei fiel ein kleiner Zettel zu Boden. Paul runzelte die Stirn und hob ihn auf.
Du bist ein Mörder Paul. Triff dich innerhalb von fünf Minuten mit den anderen zwei Mördern. Nach dieser Zeit werden die anderen aufwachen. Ihr könnt sie in dieser Schlafphase nicht töten!
Paul verschwendete keine Zeit und verließ rasch das Zimmer. Möglichst lautlos eilte er die Treppe hinunter und gelangte in ein altmodisch eingerichtetes Wohnzimmer. Dort war er nicht der Erste. Ovid sah ihm entgegen, ebenfalls einen Rucksack auf dem Rücken. Der Lockenkopf nickte Paul kurz zu, schwieg aber. Etwa eine halbe Minute später, Paul hatte die Sekunden gezählt, ertönten Schritte auf der Wendeltreppe und der dritte der Mörder trat in den Raum. Paul war erfreut über seinen Mitmörder, auch wenn Alex sich in der ersten Runde etwas misslich angestellt hatte. Jetzt nickte der braunhaarige Junge kurz zur Tür. "Lasst uns keine Zeit verschwenden." Ovid kam zu den beiden hinüber. Er sah verwirrt aus. "Wohin sollen wir denn?"
Alex setzte sich in Bewegung und die anderen beiden folgten ihm. Der Flur zur Tür hin war dunkel, an den Wänden hingen Bilder und Spitzentücher.
„An meinem Rucksack war eine Karte befestigt.", erklärte Alex und zog diese aus der Bauchtasche seines Hoodies. Er faltete sie auf. "Hier ist das Haus im Mittelpunkt der Karte und die Landschaft im Umkreis von drei Kilometern ist ebenfalls aufgezeichnet. Es ist aber nicht die einzige Almhütte, wie mir scheint." Er zeigte ihnen die Karte und Paul beugte sich interessiert vor. Etwa fünf Zentimeter von dem Haus war ein rotes Kreuz in die Berge gemalt worden.
Ovid öffnete die Tür und strahlend blauer Himmel begrüßte sie. "Noch circa drei Minuten, wir beeilen uns besser." Die drei wurden ein bisschen schneller. Alex führte die kleine Gruppe. "Wir finden den Unterschlupf doch nie, wenn wir nur diese Karte haben!", meinte Ovid besorgt. Ein kühler Wind blies ihm die Locken ins Gesicht. "Deshalb haben wir ein GPS-Gerät." Alex pflückte es von Ovids Rucksack, wo es an einem der Riemen gebaumelt hatte. Auf der Rückseite der Karte fanden sie die genauen Koordinaten und kurz darauf rannten sie Seite an Seite über die blühende Wiese. "Noch ne halbe Minute!", schätzte Paul keuchend. Etwa zwanzig Meter vor ihnen begann ein Baumhain, klein aber ausreichend um vom Haus aus nicht gesehen zu werden. Keuchend verschwanden die drei im Schutz der Bäume. Paul warf einen kurzen Blick über die Schulter, doch von hier aus konnte er bis auf das Haus nichts erkennen. Zügigen Schrittes setzten sie ihren Weg fort und Paul und Alex warfen abwechselnd einen Blick auf die Karte oder das GPS-Gerät. Ovid sah etwas besorgt aus. "Die Spielmacher haben es extra schwer für uns gemacht!", beschwerte er sich. "Und jetzt wo wir weg sind, weiß die Gruppe wer die Mörder sind!"
Paul zuckte mit den Schultern. "Wir hätten nicht weg gemusst. Ich denke das Haus ist eine Alternative und wir haben diese gewählt. Eigentlich macht es das Ganze noch spannender." Ovid warf ihm einen kurzen, bösen Blick zu, schwieg aber. "Um eine Person zu töten müssen wir allerdings den ganzen Weg von der Hütte aus zurücklegen.", warf Alex ein. Paul zuckte wieder mit den Schultern. "Das ist nicht sehr weit. Die Karte hat einen kleinen Maßstab, außerdem sehe ich die Hütte. Also...glaub ich." Er deutete mit dem Finger und die anderen beiden konnten durch das Dickicht der Bäume einen kleinen, braunen Fleck zwischen spitzen Felsbrocken erkennen. "Na, am Boden liegt die nicht gerade.", meinte Ovid etwas besorgt. Er hatte Recht, die Hütte lag etwa fünfzig steile Meter über dem Boden zwischen grauen, spitzen Felsen. "Wie sollen wir da denn den Weg hoch finden?", beschwerte Alex sich. Paul lächelte gewitzt. "Der Weg ist versteckt. Außerdem gehe ich davon aus, dass wir einen Teil klettern müssen." Und damit hatte er gar nicht so unrecht.
Es dauerte eine halbe Stunde bis Ovid schließlich versteckte Stufen im Fels fand. Auf diese hin folgte ein enger Tunnel, der an einer schmalen Plattform endete. Sie war umringt von hohen Felswänden, nur zu einer Seite hin gab sie den Blick auf ein gewaltiges Gebirge frei. An der eine Felswand waren Kletterhaken befestigt. Außerdem stand dort eine schmale Kiste. Ovid starrte noch auf die riesige Gebirgskette, während Alex und Paul schon bei der Kiste waren. Darin befand sich all das nötige Kletterzeug, für genau drei Personen. Alex sah nicht sehr glücklich aus. Aber eine andere Wahl gab es nicht. Und so begannen die drei den mühsamen Aufstieg.

Helene setzte sich auf und blinzelte etwas verwirrt. Sie erkannte sofort, dass das dies nicht mehr das alte Haus im Wald war. Vorsichtig stand sie auf und trat ans Fenster. Eine grüne, hügelige Landschaft erstreckte sich vor ihr. Sie ging steil hinauf und in den oberen Gebieten lagen verstreut Felsbrocken. Irgendwo verlor die Wiese sich dann und ein gewaltiges Gebirge erhob sich. Die Sonnenstrahlen glitzerten auf den verschneiten Spitzen der grauen Riesen. Der Himmel war strahlend blau und Helene konnte über den Felsbrocken einen großen Vogel erkennen, welcher mit ausgebreiteten Schwingen seine Kreise zog. Die junge Frau lächelte. Ihr gefiel die Landschaft definitiv besser als der grüne, düstere Wald aus Runde eins. Fast freudig ging sie zur Tür und trat auf den Gang heraus. Das Haus wirkte sehr altmodisch, wie schon aus einer längst vergessenen Zeit. Die einzige Almhütte die sie je gesehen hatte, war ein Replik gewesen. Die echten aus dem 20. Jahrhundert waren längst nicht mehr erhalten. Sie hielt sich am Geländer fest, als sie die Wendeltreppe hinunter hüpfte. Das Wohnzimmer war unglaublich altmodisch eingerichtet. Ein großer, hölzerner und verzierter Tisch stand in den Mitte des Raumes. Es gab einen Kamin, der von zwei stolzen Adlern geziert wurde. Die großen Fenster hatten Spitzenvorhänge und der Teppich wirkte alt und farblos. Schwarz-weiße Bilder von Kühen und Bauern hingen an der Wand und auf dem Sofa und den Sesseln waren deutliche Vertiefungen im Stoff zu erkennen. „Hübsch oder?" Helene zuckte leicht zusammen. Sie hatte Sara gar nicht bemerkt. Diese saß auf einem Sitzkissen vor einem winzigen Tischchen mit Spitzentuch darauf. Helene nickte und setzte sich zu ihr. "Ich habe nur mal eine Replik von so einem Gebäude gesehen." Sara nickte leicht. "Ich auch." Helene konnte nicht anders als lächeln.
„Wenn VA01 das hier möglich macht, etwas nicht mehr existierendes, was glaubst du was sie noch alles schaffen könnten?" Ihre Worte hatten nicht die gewünschte Wirkung. Saras Blick wurde finster. Helene verstand wieso, doch ehe sie darauf eingehen konnte, kamen Yannik, Luis und Samuel die Treppe hinunter. Etwas verwundert sahen sie sich um. Sara stand auf und trat zu ihnen. "Zu Zeiten meiner Urgroßmutter gabs noch die letzte Hütte. Aber da war sie auch erst ein Baby.", meinte Luis. Samuel zog eine Augenbraue hoch. "Ich war noch nie in Bayern." Jetzt war es an Luis ihn überrascht anzusehen und die Augenbrauen hochzuziehen. "Ich komme aus Hamburg!", verteidigte sich der junge Mann. Plötzlich fuhr Sara herum und ließ die Anwesenden zusammenzucken. Felix hockte auf der Treppe, sein Gesicht im Schatten. Die anderen sahen ihn überrascht an. Der Kater war lautlos, tödlich und unberechenbar. Er konnte sehr gut der Mörder sein. Helene stand hinter Yannik und sie war ziemlich froh darüber Felix nicht am nächsten zu sein.
„Und?", fragte Sara leise. Es war eine trotzige Aufforderung, so wie sie es sagte. Felix legte den Kopf schief. "Alex, Ovid und Paul fehlen." Samuel zog eine Augenbraue hoch. "Hast du etwa schon alle Zimmer kontrolliert und den Rest der Gruppe gesehen?" Felix stand auf, kam die letzten paar Stufen hinunter und trat vor die zwei Mädchen und drei Jungs. "Ja."
Ehe einer von ihnen antworten konnte, kamen Robin und Maxi die Treppe hinunter gepoltert. Robin klopfte Felix auf die Schulter. "Glaubt ihr diese verfickten Spielemacher hätten jemanden als Mörder gewählt, der das Morden verweigern würde?" Helene runzelte die Stirn. "Aber Alex..." Maxi schüttelte den Kopf. "Sie müssen sich absolut sicher sein. Oder sie haben die Spieler beeinflusst." Luis runzelte die Stirn. "Wie das?" Robin zuckte mit den Schultern.
„Technik oder Drogen." Helene schauderte.

Es dauerte nicht sehr lange, da kam auch der Rest der Gruppe, Malin, Ari und Tim. Dieser kam als letztes. Er sah sich kurz im Wohnzimmer um. "Also ist es wahr? Ovid, Alex und Paul?" Robin zuckte mit den Schultern und nickte. "Augenscheinlich. Oder hast du sie schon alle umgebracht?" Tim schüttelte den Kopf. Maxi stand neben dem Fenster, er sah nervös aus. "Robin, du bist sowas von dran." Der Älteste der Gruppe sah zu dem Tiger hinüber. "Möchtest du mir erklären wieso?" Die ganze Gruppe sah nun zu Maxi. "Paul ist in der letzten Runde als Erster gestorben und du warst sein Mörder. Das Teufelchen ist bestimmt auf Rachekurs."
Ari zog eine Augenbraue hoch. "Dann bist du aber auch ziemlich nah an der Klinge...Sieger." Sara seufzte laut und genervt auf. "Wir kennen die drei Mörder und wir können es beenden ohne das Blut von elf Menschen zu vergießen." Samuel sah sie schmunzelnd an. "Wir? Oder Robin, Maxi, Felix und Tim?" Felix vergrub das Gesicht in den Händen. "Hauptsache wir wehren uns dagegen.", murmelte Yannik. Er hob den Blick. "Hauptsache wir beenden es, bevor es beginnt."

Paul hockte auf dem Felsen, hielt sich an dem Stein vor ihm fest und spähte zu dem Haus hinüber. In seiner Hand hielt er ein Fernglas. In den Rucksäcken hatten sie viele nützliche Dinge gefunden. Es war kühl geworden, aber er hatte sich eine raue Decke über die Schultern gelegt. Dort saß er also, ein Fuchs auf Jagd. Er kannte jedes Kaninchen im Bau und keines davon würde am Ende übrig bleiben. "Worüber denkst du nach?" Ovid kam zu ihm und setzte sich auf den kalten Stein. Paul lächelte schief. "Das möchtest du lieber nicht wissen." Ovid zuckte mit den Schultern und schwieg. "Schon Pläne?" Ovid runzelte die Stirn. "Nein. Du?" Pauls Lächeln wurde breiter. Seine Augen blitzten im schwindenden Licht auf. "Ich hab so meine Favoriten unter den kleinen Kaninchen. Also komm mir nicht in die Quere." Ovid sah ihn misstrauisch an. "Favoriten?" Paul lächelte, erhob sich und überließ Ovid die Decke.
„Ich bin auf das Fell eines Tigers aus. Den ganz großen Gewinn."
Mit diesen Worten ließ er Ovid alleine. Der schauderte plötzlich und griff nach Pauls Decke.
"Scheiße.", murmelte er leise.
Ausgerechnet Paul im Team...

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