Runde 1, Tag 3

Seit gestern war es allen klar. Sie hatten noch 6 Tage und noch 12 Lebende.
Ab jetzt würde das Morden beginnen...und Samuel hatte erst richtig den Anfang gemacht.
Er war der erste Mörder, der sein Messer eingesetzt hatte und das nicht gerade wenig.
Sie ließen Helene im Wald. Keiner traute sich zu der Leiche vor, nachdem Alex so verstört und entsetzt herbeigetaumelt war.
Samuel verbrachte den gesamten Vormittag im Gemeinschaftsraum. Ari leistete ihm Gesellschaft. Sie sprachen nicht miteinander, sahen nur schweigend in die prasselnden Flammen im Kamin.
Es machte Ari in gewisser Weise traurig, dass nicht einmal die Wärme des Feuers real war. Er musste an seinen echten Körper denken. Dieser saß irgendwo betreut in einem leeren Raum. Fast wie tot...
Als würde er nur in dieser Welt leben.
"Samuel..." Aris raue Stimme riss den bleichen Jungen aus seinen Gedanken.
Er richtete die traurigen Augen auf seinen Gegenüber.
Ari's Silhouette im Feuerschein ließ sich Samuel auf einmal erinnern, welchem Schauspieler er ähnlich sah...er wirkte wie eine junge Ausgabe von Taylor Lautner, als er Jacob in Twilight spielte, einem uralten Film, der seit seiner Erscheinung schon mal neu verfilmt worden war. Das war aber auch schon Jahrzehnte her...
Ari fuhr sich mit einer Hand durch die kurzen Haare.
"Wenn du reden willst...manchmal ist es besser...erleichternd."
Samuel nickte nur, machte aber keine Anzeichen zu antworten.
Sein Blick glitt stattdessen über Aris Körper. Er war wirklich attraktiv, kräftig gebaut und breiter. Hatte er in echt auch schon so gut ausgesehen?
"Es gibt halt Menschen denen Gott Schönheit mitgegeben hat.", murmelte Samuel.
Ari musste unwillkürlich lachen. "Du bist nicht hässlich Samuel." Dieser zuckte mit den Schultern.
"Weist du, wenn ich länger gewartet hätte...hätte ich Helene nicht mehr töten können." Seine Stimme bebte. Der Themenwechsel kam sehr plötzlich. Sofort wurde Ari ernst.
Er beugte sich vor und stützte seine Unterarme auf seinen Oberschenkeln ab.
"Samuel. Du hast sie nicht getötet. Du hast sie nur aus dem Spiel geworfen...Game Over gemacht."
"Ich bin trotzdem ein Mörder." Ari nickte langsam.
"Das werden wir alle sein. Nur werden wir alle unterschiedlich damit umgehen. Pauls Mörder ist nicht erkennbar. Er zeigte keinerlei Regung. Geschweigedenn Reue, im Gegensatz zu dir."
Samuel erhob sich.
"Das war das Erste und letzte mal das ich so einen Scheiß mache."
Und er drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Zimmer. Ari sah ihm hinterher.
Er blieb nicht lange allein.
Ein paar Minuten später kamen Sara und Robin herein. Sie setzten sich zu Ari in die Ledersessel.
"Wie geht es Samuel?", fragte Sara mitfühlend.
Ari seufzte kurz und leckte sich über die rauen Lippen.
"So wie es uns allen bald gehen wird."
Robin drehte sich zu Sara.
"Du bist ziemlich mitfühlend mit uns allen. Wie willst du so jemanden töten? Oder ist das nur eine Maske und du bist voll die tödliche Killerin?", grinste er.
Sie trat Robin gegens Schienbein und kuckte böse.
"Das ist keine Maske. Ich werde niemanden töten."
Ari zog beide Augenbrauen hoch.
"Wie willst du dann gewinnen?"
Sara schnaubte und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Es geht nicht immer ums gewinnen."
Robin legte den Kopf schief.
"Hier schon. Das ist ein Spiel Sara."
Ihr Blick wurde düster.
"Nennst du das noch Spiel?! Sobald wir hier raus sind, sind wir alle Fälle für die Psychiatrie."
Ari bedachte sie mit einem langen Blick.
"Leider hast du da Recht."
Sie schwiegen eine Weile und lauschten dem Knistern der Flammen. Von draußen tönten Stimmen und Gelächter hinein.
"Was würdet ihr tun wenn ich euch sagen würde, dass ich jetzt mein Opfer töten gehe?"
Robin sah ihn an. Sein Blick war nicht deutbar. "Wir können nichts tun oder?"
Sara sah plötzlich sehr verkrampft aus.
Ari nickte langsam. Dann stand er auf und ging zur Tür.
Sara fuhr zu ihm herum. Tränen standen in ihren Augen. Avatare konnten also weinen.
"Ari Nein! Bitte..." Sie wollte ihm den Satz als Scherz abtun. Doch so einfach war es nicht.
"Es hat angefangen Sara. Vielleicht wecken sie uns nicht auf, wenn wir die Aufgabe nicht erfüllen. Sie haben jetzt die Macht über unsere Körper."
Er schenkte ihr ein trauriges Lächeln, dann verließ er den Raum. Samuel hatte recht gehabt...warten fiel schwer.
Sara wollte ihm nachlaufen, doch Robin packte sie und hielt sie fest.
Sie wehrte sich in seinen Armen, doch er war unnachgiebig.
Wimmernd drückte sie sich an Robin.
"Schau da nicht zu.", sagte er leise und hielt sie weiterhin fest, als sie sich in sein T-Shirt krallte.
Im nächsten Moment stürmte Yannik ins Zimmer. Sein Haar war zerzaust, die Wangen gerötet und er lächelte.
"Wisst ihr wo Alex und Ari sind? Wir wollen-" Er erstarrte.
Stirnrunzelnd kam er näher.
"Alles okay?" Sara drückte Robin von sich weg und holte zitternd Luft. Sie hatte einen gequälten Ausdruck im Gesicht.
Yannik sah zwischen den beiden hin und her.
"Ari wirst du finden. Aber Alex..." Robin zuckte mit den Schultern.
Und Yannik ahnte es. "Oh Gott Nein."
Er drehte sich wieder um, stürzte durch die Tür und brüllte quer durchs Haus: "ALEX!" Seine trommelnden Schritte tönten den Gang entlang, wurden leiser.
Robin zog Sara mit sich, als er aus dem Zimmer ging.
Er führte sie nach draußen, wo die ganze Gruppe aufgeregt brabbelnd stand.
Sie verstummten aber, als sie die beiden erblickten.
"Ari und Yannik kommen bestimmt gleich.", sagte Robin leise, nachdem er sich alle Anwesenden Mitglieder angesehen hatte.
Tim begriff als Erster. "Ari hat Alex getötet."
Luis atmete hörbar ein. "Alex war auf seinem Zimmer. Er hat sich noch wegen gestern ausgeruht."
Ovid biss sich auf die Lippe. "Wie grausam."
Sara sah ihn strafend an. "Alle hier werden grausam sein."
In diesem Moment kam Yannik gefolgt von Ari aus dem Haus.
Aris Miene war düster, Yannik war bleich.
"Gehen wir spielen.", sagte Yannik knapp.
Die Gruppe folgte ihm sofort, ließ das Haus und den Toten hinter sich. Ari hatte seine Hände notdürftig gewaschen, doch an seinen Armen waren noch Blutspritzer zu erkennen. Er ging am Ende der Gruppe.
"Was spielen wir überhaupt?", fragte Malin zur Ablenkung. Es war Yanniks Idee gewesen, die Gruppe anderweitig mit etwas positivem zu beschäftigen. Yannik zuckte mit den Schultern.
"Ich hatte an Räuber und Gendarm gedacht.", sagte er lustlos. Es gab keine Widersprüche.
Zum Glück lockerte die Stimmung sich während dem Spiel etwas auf und zum ersten Mal seit dem ersten Tag hatte die gesamte Gruppe wieder etwas Spaß.
Obwohl gesamt auch nicht stimmte...
Während Ari vor dem Gendarm Tim floh waren seine Gedanken bei Alex. Die Bilder hatten sich in sein Gehirn gebrannt, lenkten ihn ab.
Alex' Gesicht schwebte vor seinem inneren Auge, blass und von Entsetzten gezeichnet.
Der Waldboden flog unter Aris Füßen dahin, hinter sich hörte er die Äste brechen als Tim ihm folgte.
Und plötzlich sah Ari Alex: Er stand halb hinter einem Baum, Blut floss von seiner Schläfe. Ari rannte mit voller Wucht in einen Baum.
Brüllender Schmerz fuhr durch seinen Arm und er knickte auf die Knie. Er hatte sich vor Schreck die Lippe aufgebissen und er konnte das warme Blut schmecken.
Einen Moment später war Tim bei ihm. Der Blondschopf packte ihn unter den Armen und zog Ari wieder auf die Beine.
"Ari? Ist alles okay? Kannst du mich hören?"
Sein Schädel brummte unglaublich, aber er konnte Tims panische Stimme hören, also nickte er schwach.
"Du solltest nicht weiter spielen. Komm, ich bring dich ins Haus zurück."
Ari stöhnte und stützte sich schwer auf Tim, den anderen Arm eng an den Körper gepresst.
"Bring mich doch einfach hier um.", murmelte Ari.
Tim packte ihn an der Hüfte und schleppte ihn mit sich. "Ich bin doch gar nicht dein Mörder."
Sie blieben nicht unentdeckt.
Als sie schon fast am Haus waren, kam Luis aus dem Wald gesprintet. Keuchend hielt er bei den beiden an.
"Ist alles in Ordnung?" Er runzelte die Stirn. Tim lächelte gequält.
"Wohl eher nicht. Wir beide scheiden aus, ich kümmere mich um ihn." Luisa zog eine Augenbraue hoch. "Du...kümmerst dich um ihn?" Tim lächelte gequält. "Keine Sorge, Mann. Auf meinem Zettel steht ein anderer Name."
Luis nickte und tätschelte Aris Schulter.
"Ich sag den anderen Bescheid. Gute Besserung."
Gott sei Dank hatte Ari sein Zimmer im Erdgeschoss. Tim half ihm ins Bett und Ari ließ sich erschöpft zurücksinken.
"Also...ich hab da jetzt nicht so viel Erfahrung...kann man deinem Avatar irgendwas gutes tun?"
Ari seufzte.
"Kühlpack und Wasser."
Tim nickte und verschwand kurz in die Küche.
Kurz darauf hielt Ari sich das Kühlpack an den Arm und hatte die Augen geschlossen.
Tim saß auf seiner Bettkante.
Er sah aus dem Fenster hinaus.
Es war kein Spiel, in dem man übermächtige Avatare hatte.
Bis darauf das man nicht essen, trinken und aufs Klo musste, ging es einem wie im normalen Leben. Schmerz, Emotionen... es war schon eine gewaltige Technik.
Tim warf einen kurzen Blick auf Ari. Er hatte ihn nicht angelogen. Sein Opfer war nicht Taylor Lautner Jr.
Er musste Malin töten. Und es fiel ihm unglaublich schwer.
Es blieb ihm fast nichts anderes übrig als an seinem Motto festzuhalten.
Nur Ehrgeiz bringt weiter.
So war es in der Schule gewesen und bei seinem Lieblingssport: Leistungsschwimmen.
Beim Spielen war es genauso...Monopoly, Schach...und Mörder.

Ovid kehrte am späten Abend mit den anderen zum Haus zurück. Es wirkte düster und kalt in der Dämmerung. Nur im Gemeinschaftsraum brannte Licht. Unbemerkt spaltete er sich von der Gruppe ab und blieb am Waldrand zurück.
Zitternd zog er den Reißverschluss seiner Stoffjacke zu. Als er sich sicher war, dass die anderen weg waren, suchte er sich einen der Bäume aus und begann ihn hinauf zu klettern. Es war eine Kastanie, er erkannte es an den Blättern.
An einem breiten Ast angekommen konnte er endlich verschnaufen und machte es sich bequem. Mit dem Rücken lehnte er sich an den Stamm, sein Blick auf das Haus gerichtet.
Manchmal ging in den Gängen oder Zimmern das Licht an.
Nach einer Weile bemerkte er einen Schatten, der sich vom Haus entfernte.
Dunkel gekleidet, kräftig gebaut, die Hände in den Taschen vergraben. Es konnte sich nur um Maxi handeln, Tim trug hellere Kleidung und Ari war verletzt...kein anderer hatte so einen breiten Körperbau. Ovid sah ihm nach wie er im Wald verschwand. Was er dort wohl wollte...
Kurz darauf kam eine weitere Gestalt aus dem Haus. Sie ging zu den Schaukeln, hob etwas auf und wollte sich auf den Rückweg machen. Dann erkannte sie Ovid und sah zu ihm hoch.
Es war Robin.
Der junge Mann blickte ihm einen Moment direkt in die Augen, dann verschwand er wieder im Haus. Insgeheim war Ovid erleichtert, dass Robin Maxi nicht gefolgt war. Er konnte sich selbst nicht erklären wieso.
Die Nacht war schneidend kalt. Das Laub raschelte immer wieder leise, ein paar Tiere fiepten im Gebüsch. Einmal beobachtete er sogar eine Eule die mit großen Schwingen lautlos über das Haus hinweg zog. Er war so fasziniert von den Möglichkeiten und der Realität dieses Projekts, dass er die Kälte verdrängte.
Ovid verließ den Baum erst wieder, als im Haus kein Licht mehr brannte.
Leichtfüßig kletterte er hinab und rannte zum Gebäude hinüber.
Möglichst lautlos tappte er den Gang entlang in sein Zimmer und legte sich anschließend erleichtert in sein warmes Bett.
Müde schloss er die Augen und bald darauf war er eingeschlafen.

Maxi trat hinter dem Baum hervor sobald Ovid nicht mehr zu sehen war.
Genauso unbemerkt wie der kleine Lockenkopf betrat er das Haus. Sein Zimmer lag am Ende des Ganges.
Maxi ließ das Licht aus. Langsam zog er seine schwarze Jacke aus und schließlich auch das rote T-Shirt. Im Schrankspiegel betrachtete er seinen nackten Oberkörper.
Die Avatare waren ihm unheimlich. Sie bemerkten das kleinste Merkmal eines Körpers. Auch wenn seines nicht klein war.
Über die linke Brustseite zog sich eine hässliche Narbe. Genau 8cm lang und wie ein Halbmond gebogen.
Maxi wand sich wütend vom Spiegel ab und legte sich ins Bett.
Sein Messer schob er unter das Kopfkissen. Sicher war sicher, bei dem was ihm schon alles passiert war. Er drehte sich so, dass er aus dem Fenster sehen konnte. Der Wald ragte wie eine hohe, schwarze Mauer um das Haus auf und dafür war dieses Gebäude sicherlich das Herz dieses Waldes, das Herz dieser Welt. Maxi strich über die Narbe auf seiner Brust. Er besaß sein Herz zwar noch...aber dafür schien ein Großteil seiner Emotionen verschwunden zu sein. Unwiederruflich in einen schwarzen Abgrund gestoßen...
Er hatte die Befürchtung, dass Mord ihm alles andere als schwer fallen würde und irgendwo tat er sich wegen diesem Gedanken Leid.

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