Runde 1, Tag 1

Samuel blinzelte. Für einen Moment sah er nur verschwommen, als könnten seine Augen sich nicht richtig auf die Umwelt fokussieren, dann klärte sich die Sicht. Vorsichtig setzte er sich auf. Unter seiner Hand spürte er weichen Stoff.
Er saß auf einem Federbett.
Es klappt! Ich kann tatsächlich alles spüren! 
Er schwang die Beine vom Bett und stand auf. Sein Körper fühlte sich ganz normal an. Als wäre er echt. So etwas hätte Samuel nie geglaubt, würde er es nicht gerade selbst erleben.
Ein Kitzeln in seiner Handfläche riss ihn aus den Gedanken.
Vorsichtig öffnete er seine Faust. Ein kleiner zusammengefalteter Zettel lag zwischen seinen Fingern.
Der Name... Fast zitternd öffnete er das Stück Papier.
Er holte tief Luft bevor er den Namen auf dem Zettel las.
Helene.
Die Junge. Das zickige Gör. Trotzdem war ihm unwohl dabei sie töten zu müssen. Wirklich töten...in dieser Welt in der doch alles so real wirkte.
Er ballte die Hand zur Faust und zerknitterte so den Zettel. Einen Moment lang blieb er undschlüssig stehen, dann sah er den Spiegel am Ende des Zimmers.
Langsam ging er darauf zu.
Sein Spiegelbild sah ihm ähnlich. Sehr ähnlich. Sein Avatar sah fast genau so aus wie er, selbst die Muttermale hatten die Programmiere übernommen.
Nur seine Kleidung...das war nicht die blaue Kleidung die sie alle bekommen hatten.
Er trug eine kurze Sporthose, ein Thermohemd und eine dünne Sportjacke. Seine Turnschuhe waren aus leichtem Material. Seltsam...die Kleidung kannte er gar nicht. Und trotzdem sah sie gut aus. Er konnte sich durchaus vorstellen, so etwas in der realen Welt zu tragen.
Es klopfte. Samuel fuhr zusammen. Die Bewunderung wich kalter Angst.
Wenn das jetzt sein Mörder war...
"Ja?" Er wich an die Wand zurück. Er war jetzt schon viel zu paranoid.
Da erblickte er das Messer auf dem Tisch neben ihm. Jedoch minimal zu spät...
Die Tür schwang auf und Ari lugte hinein.
"Coole Kleidung.", meinte dieser nur ungerührt. "Darf ich reinkommen?"
Samuel war halb lahm vor Schreck. Er fühlte sich wie in einer Schockstarre.
"Na gut...aber lass die Tür weit offen."
Ari lächelte verständnisvoll und trat ein.
Er sah sich um während Samuel ihn musterte. Ari trug fast gänzlich schwarz.
Schwarze, feste Schuhe, eine dunkelblaue Jeans, ein schwarzes Hemd und eine schwarze Stoffjacke.
Er wirkte fast schon unheimlich, so dunkel war er gekleidet. Sogar seine Haare waren schwarz und er hatte eine hellbraune Hautfarbe. Er sah nicht nur unheimlich aus, sondern auch unheimlich gut. Er erinnerte Samuel an irgendeinen Schauspieler.
"Alle Zimmer sehen so aus.", stellte sein Gegenüber in diesem Moment fest.
Samuel zuckte mit den Schultern. "Ich hab noch nicht so viele andere Zimmer gesehen. Also besser gesagt...gar keins." Ari lächelte.  "Ich war schon bei Alex. Sein Zimmer ist neben meinem. Und deines ist gegenüber von meinem."
Ihr Gespräch wurde abrupt von einer dritten Person unterbrochen die hereinkam.
"Hallo.", sagte Paul. "Wir wollen als Gruppe mal die Gegend anschauen. Kommt ihr mit?" Ari nickte. "Geht schon mal, ich komme gleich nach.", murmelte Samuel. Die anderen hatten sich wohl sehr viel schneller in das..."Spiel" eingefunden.
Die beiden jungen Männer nickten und verschwanden. Samuel hörte wie sich ihre Stimmen entfernten.
Er griff schnell nach dem Messer. In der Innenseite seiner Sportjacke fand er eine passend große Tasche. Als seine Waffe sicher verstaut war, folgte er schnell den anderen beiden und zog die Tür hinter sich zu.
Er war der Letzte der herauskam. Alle anderen waren schon da und warteten. Die Blicke waren ihm unangenehm.
Als Samuel dazustieß übernahm kurzerhand Tim die Führung und ging los.
Samuel folgte ihm und lief dabei direkt hinter Helene. Diese unterhielt sich angeregt mit Malin. Ihre Augen strahlten und sie lächelte beim Sprechen.
Samuel schluckte schwer.
Es würde ihm nicht leichtfallen sie zu töten. Es würde keinem leicht fallen.

Das Haus stand auf einer großen Lichtung in einem Mischwald. Vögel zwitscherten in den Bäumen und ein kühler Wind ließ die Blätter rascheln. Der Himmel war von grauen Wolken verdeckt. Laub wurde knisternd über den Boden geweht.
Samuel war erstaunt darüber wie realistisch das alles war. Er hätte das nie für möglich gehalten.
Und er war nicht der Einzige.

Auch Luis war überrascht wie sehr er alles spüren konnte. Trotz seinem dicken Pulli bekam er eine Gänsehaut. Unter seinen Füßen knackten Zweige und er hörte deutlich drei unterschiedliche Vögel zwitschern.
Valos...diese Welt heißt Valos.
Ein interessanter Name...war bestimmt wieder von irgendwas abgeleitet.
Ein Junges, den Luis als Yannik erkannte, ließ sich zu ihm zurückfallen.
"Sind dir schon mal die beiden letzten aufgefallen?", fragte er leise. Luis warf einen kurzen Blick über die Schulter. Robin und Maxi gingen am Ende der Gruppe. Die beiden waren die Größten und Robin war der Älteste. Sie hatten beide die Hände in ihren Hosentaschen vergraben und sahen sich mit misstrauischen Blicken um.
Luis schauderte kurz als er sah, daß Robins Messer blank an dem Gürtel seiner Tarnhose hing.
"Ach du Scheiße.", murmelte er Yannik zu.
Die blonde Junge nickte.
"Die sind ernstzunehmende Gegner."
Luis runzelte die Stirn. "Wir sind doch alle Gegner." Yannik lächelte fast traurig. "Tatsache." Er zupfte an seinem T-Shirt. Darauf war das Logo von Marvels Punisher aufgedruckt.
Welch Ironie...
Luis war erstaunt, dass er es noch erkannte, die Comics, Filme und Serien um den Anti-Helden mussten schon ewig alt sein.
Als die Gruppe das Haus umrundet, richtete Luis seine Aufmerksamkeit wieder auf die Umgebung.
Auf der Rückseite des Gebäudes war eine große Veranda angebracht, überdacht und mit vier Schaukelstühlen. Zwei Zimmertüren grenzten an die Veranda.
"Welche Glückspilze haben diese Zimmer bekommen?!", maulte Helene nachdem sie die Front des Hauses gemustert hatte.
"Ich.", sagte Tim und grinste.
Auch Sara hob die Hand, blieb aber stumm.
"Können wir tauschen?", bettelte Helene.
"Ja, Miss Princess braucht einen Balkon und frische Luft. Auf das eines Tages ein Romeo vor der Tür kniet.", scherzte Alex. Der trockene Humor lockerte die angespannte Stimmung und alle lachten, nur Helene verzog das Gesicht.
"Ein Romeo mit blutigem Messer statt mit Blumen.", gab Tim zu bedenken. Nun war Helene wirklich beleidigt. "Wenn ihr euch so kindisch benehmt, dann geht doch auf den Spielplatz!", keifte sie und deutete mit dem Finger.
Alle drehten sich um.
Tatsächlich stand am Ende der Lichtung ein Spielplatz mit Schaukel, Klettergerüst und Wippe.
"Juhu, wir dürfen uns um Schaukeln prügeln.", sagte Paul -seine Stimme triefte vor Ironie - und zeigte keinem bestimmten einen Vogel.
"Gibt's hier was zu essen?", fragte Yannik plötzlich. Luis musste unwillkürlich die Augen verdrehen. Von Romeo, zum Spielplatz, zum Essen.
Malin zuckte mit den Schultern.
"Keine Ahnung, aber die Küche ist direkt neben meinem Zimmer." "So unfair.", knurrte Paul, drängte sich an allen vorbei und stapfte zur Eingangstür zurück. Die anderen folgten ihm. Keiner war daran interessiert die Runde um das Haus herum fertig zu machen.
Da sie umgedreht waren, blieb Robin und Maxi nichts anderes übrig als direkt hinter Paul herzugehen. Dieser beschwerte sich derweil über das Wetter. Luis seufzte.
"Der kann anstrengend werden." Yannik grinste nur.
Als sie drinnen waren, übernahm die hübsche Malin die Führung und brachte sie geradewegs in die Küche.
"Es gibt eine Küche obwohl die Avatare nichts essen müssen?", fragte Tim ungläubig. Samuel öffnete ruckartig den Kühlschrank. Er war voll gestopft mit Obst, Gemüse und süßen und herzhaften Snacks.
"Lieber Paul", schmeichelte Robin voll Verachtung, "Möchtest du der Erste sein der ausprobiert ob auch der Geschmackssinn der Avatare ausgebildet ist?"
Paul sah ihn genervt an. "Halt's Maul.", murrte er nur und öffnete einen Riegel.
Ohne zu zögern biss er hinein, kaute und schluckte.
Alle sahen ihn gespannt an.
"Schmeckt ein bissl nach Banane...aber auch nur sehr schwach."
Alle starrten auf den Riegel. Ein fetter Schriftzug verkündete die Geschmackssorte Kokos.
"Also gut, vergesst das Essen, brauchen wir eh nicht.", meinte Ovid. Paul warf den Riegel achtlos über die Schulter.
"Lasst kucken was es im Gemeinschaftsraum gibt. Neben dem liegt nämlich mein Zimmer." Alex, Ari, Samuel, Luis, Ovid, Tim und Yannik folgten ihm sofort.
Als sie weg waren bückte Maxi sich, hob den Riegel auf und warf ihn in den Müll. Auf die Blicke der anderen reagierte er nicht, er verließ nur schweigend den Raum und folgte dem Rest der Gruppe.

Den Tag verbrachten alle recht munter und fröhlich. Es war fast als würde es kein Mörderspiel geben.
Das einzig anstrengende waren Pauls und Alex Beleidigung und schlechte Sprüche.
Einmal überspannte Paul den Bogen.
"Frauen in die Küche! Bringt zwar nix, aber ihr seid aufgeräumt."
Sara war mit zwei Schritten bei ihm und gab ihm eine schallende Ohrfeige. Bis auf Pauls Maulen wurde es still im Raum. Sara sah die anderen einen Moment an, dann ging sie eilig zur Tür und verließ den Raum.
"Du kleine Missgeburt!", rief Paul ihr hinterher.
Robin erhob sich. Seine blauen Augen waren eiskalt.
"Hüte deine Zunge und beleidige nie wieder eine Frau." Er sprach leise, aber seine Stimme klang wütend. Dann eilte er auf den Gang hinaus. Paul verdrehte die Augen. "Ja, du Gentleman." Alex lachte. Robin versuchte derweil Sara zurück zuholen.
"Sara komm zurück...es ist der erste gemeinsame Abend!" Das war nicht sehr überzeugend.
Sie blieb kurz stehen, sah zu Robin und ging dann weiter. Sie wollte auf ihr Zimmer.
Als Robin wieder in den Gemeinschaftsraum kam, hatte Paul anscheinend alles vergessen.
Er spielte weiter Karten mit Alex, Ari und Samuel.
Robin sah sich um und sein Blick fiel auf die restlichen Mädchen Sie diskutierten leise miteinander. Ob sie sich wohl ihre Opfer verrieten?
Er fuhr sich mit einer Hand durch das blonde, kurze Haar und ließ sich dann neben Maxi in einen Sessel sinken.
Der Rotschopf spielte gedankenverloren mit einem Stock, den er draußen aufgesammelt hatte.
So gedankenverloren war er aber gar nicht, denn sein Blick glitt von einem zum nächsten und er schätzte sie alle ab.
Wie ein richtiger Jäger. Robin schauderte etwas. Maxi war bedrohlich, dass spürten alle hier.
Als das Projekt begonnen hatte, hatten sie alle Namensschilder bekommen. Mehr nicht. Hier wusste keiner über keinen etwas. Sie kannten nicht die Hobbys der anderen, nicht ihre Geschichte oder ihre Herkunft. Sie wurden von der Welt abgespalten und als Gruppe in eine virtuelle Welt gesetzt. Und jeder von ihnen konnte entscheiden was er über sich preisgeben wollte. Ob Lüge oder Wahrheit...
Robin hasste so etwas. Er konnte Menschen nur körperlich abschätzen, aber nicht vom Charakter her.
Sara dagegen schien die Wahrheit in den Menschen zu sehen.
Robin sah wieder zu Maxi.
Vielleicht war er selbst der Älteste, aber der Stärkste im Raum war dieser Maximilian.
Sein Blick glitt zu Paul hinüber. Der nervte ihn jetzt schon. Laut, unhöflich und unachtsam.
Der Knirps hatte eine große Klappe, aber dahinter steckte nicht sehr viel.

Ovid saß etwas abseits von der Gruppe. Sein Platz war die Couch in der Ecke. Dort lag er nun ausgestreckt und sah den anderen zu.
Es war für ihn eine Ehre, dass er das Angebot für dieses Experiment bekommen hatte.
Technik faszinierte ihn so sehr wie kaum etwas anderes.
Ob die anderen wohl auch so drauf waren? So aussehen taten sie ja nicht...aber was sagte das Aussehen schon über den Charakter aus.
Paul hatte ein Engelsgesicht und ein Teufelsherz. Das Töten würde ihm vielleicht nicht so schwer fallen. Ovid seufzte und machte es sich bequem. Er würde als einer der letzten ins Bett gehen. Nur zur Sicherheit.

An diesen Abend gingen sie spät zu Bett und Ovid versicherte sich, dass er als letzter die Tür schloss und einen Stuhl unter die Klinke schob. Er ließ sich auf das weiche Bett sinken und schon bald kehrte Ruhe im Haus ein...doch der Frieden der Stille herrschte nicht lange an.

Er knipste das Licht an. Der Junge regte sich müde im Bett.
"Wer ist da?" Er antwortete nicht, stattdessen überbrückte er den Weg zum Bett mit ein paar großen Schritten.
Der Junge im Bett wollte sich gerade aufsetzten, doch der andere setzte sich flink auf seine Brust und legte ihm eine Hand auf den Mund. Ohne zu zögern legte er die andere auf den Hals des Liegenden. Und dann drückte er. Der verschlafene Junge versuchte sich zu wehren, trat und schlug um sich. Der ihn würgte nahm die Hand von seinem Mund und drückte auch sie auf den Hals.
Langsam lief der Junge unter ihm blau an. So realistisch...
Kaltblütig drückte sein Mörder weiter zu, versuchte auch seine Emotionen abzuwürgen.
Endlich wurde sein Opfer schwächer, krächzte nach Luft, seine Schläge wurden schlapper. Der Junge auf ihm drückte solange, bis er sich sicher war, dass sein Opfer tot war. Dann ließ er ab.
Geschafft. Hoffentlich würde ihm das Töten ab jetzt leichter fallen.Doch was war das für eine Hoffnung? Er ließ den Toten in seinem Bett zurück, knipste das Licht aus und trat auf den Gang hinaus. Es schien als hätte ihn keiner gehört...

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