💙✉ 04

Am folgenden Tag kommt kein neuer Brief. Auch am Tag darauf nicht, denn da ist Wochenende. Als auch montags nichts Neues im Spind ist, kickt Inho murrend dagegen.

Herr Han, der soeben aus dem Mathevorbereitungszimmer kommt, schaut ihn schief an. "Ist bei dir alles in Ordnung?"

"Ähm... äh... ja... hab mir nur... versehentlich... den Fuß eingehauen."

"Ahja. Passiert mir auch ständig, wenn ich gegen Schließfächer trete", meint der Referendar mit mehrmaligem Nicken.

"Ja, was müssen die auch so hart sein", grinst Inho verlegen. Herr Han grinst zurück.

"Ihr Lächeln ist schön", findet Inho.

Herr Han ist leicht verblüfft, aber dann wird sein Lächeln irgendwie noch strahlender. "Okay? Das ist unerwartet, aber danke... das Kompliment kann ich nur erwidern."

Inho wird ein wenig flau im Magen, während sie sich in die Augen sehen. Immer wieder hat Herr Han klargestellt, dass er nichts mit Schülern anfängt. Daher wäre es wirklich aussichtslos anzufangen, ausgerechnet für ihn zu schwärmen. Auch wenn er toll ist. Inho reißt sich los und rennt weg. Verwundert und leicht besorgt sieht der Referendar ihm nach.

"Dummes Herz", schimpft Inho mit sich selbst und schlägt sich wie bei einem Husten gegen die Brust, um diesen seltsamen Druck loszuwerden. Warum schlägt es ausgerechnet jetzt so schnell? Man sollte Lehrern eben nicht in die Augen sehen. Selbst so netten Referendaren nicht. Lehrer sind einfach Wesen aus anderen Welten, mit denen man nicht zu persönlich werden sollte.

Inho beschließt, einfach allen Lehrkräften aus dem Weg zu gehen, so wie immer, und sich auf seinen geheimen Verehrer zu konzentrieren.

Das ist nur nicht so leicht. Überraschend hat er am folgenden Tag eher Schluss und geht in der Mittagspause seine Bücher im Spind verstauen. Es ist kein Brief da. So halb hat er das schon erwartet, aber er ist auch ein kleines bisschen enttäuscht. Mit einem tiefen Atemzug schultert er seinen Rucksack.

"Oh, gehst du schon nach Hause?", ertönt eine freundliche Stimme hinter ihm, mit deren Besitzer er eigentlich nicht mehr plaudern wollte.

"Ja... Bio fällt mal wieder aus." Die Lehrerin ist schwanger und die Vertretung ist bereits mehr als ausgelastet.

"Achso. Na dann, guten Heimweg."

"Ja... danke. Ihnen noch viel Spaß bei... Papierkram oder so."

Herr Han schmunzelt, wobei seine Augen sich fröhlich zusammenziehen. "Danke. Bis morgen, Inho", nickt er und verschwindet in seinem Vorbereitungszimmer.

Inho kommt eine Idee. Die Briefe findet er jeweils nach der letzten Stunde. Davor geht er immer am Ende der Mittagspause zum Spind, wobei noch nie ein Brief ankam. Je nachdem, wie gut sein Verehrer seinen Stundenplan kennt, kommt heut vielleicht doch noch einer? Er beschließt, die Pause abzuwarten und in einem leeren Klassenzimmer seine Hausaufgaben anzufangen. Hinterher legt er sich in der Sitznische neben dem Aufgang zum Treppenhaus auf die Lauer.

Als der Unterricht beginnt, ist noch kein Brief da, und Inho passt genau auf, wer vorbeikommt. Kurz vor Ende des Unterrichtsblocks ist immer noch kein Brief da. Während die Schüler aus ihren Klassenzimmern strömen, wird derjenige sicherlich nichts einwerfen, aber Inho passt trotzdem genau auf sein Schließfach auf. Nachdem der Gang leer ist, wartet er noch kurz und sieht dann nach. Nichts.

Er versucht es einen Tag später erneut. Mittags verschwindet er und isst absichtlich nichts. Sobald er verspätet im Klassenzimmer auftaucht und sich entschuldigt, fragt ihn sein bester Freund leise: "Wo warst du denn?"

"Mir war schlecht", behauptet er ein kleines bisschen zu laut. Nun nimmt der Japanischlehrer ihn genauer unter die Lupe. "Du wirkst auch wenig blass um die Nase", stellt er fest. Inho versucht seine neutrale, leicht leidende Miene beizubehalten und sich nicht zu offensichtlich zu freuen, dass alles so toll nach Plan läuft. "Vielleicht wär es besser, du legst dich hin?"

Inpyo pflichtet dem Lehrer bei. "Ja, Mann! Und trink was!"

"Tolle Idee!", findet Inho und gibt sich Mühe, matt und kraftlos zu klingen.

"Geh nach Hause, Inpyo händigt dir sicher die Aufgaben aus", schlägt Herr Jung vor, was Inpyo eifrig bestätigt. Bevor er es sich anders überlegen kann, schnappt Inho seine Sachen und verschwindet. Im Spind ist kein Brief. Er verkrümelt sich in die Nische und isst als erstes sein Mittagessen. Im Laufe seiner "Pause" kommen hier nur Herr Han, und zwar dreimal, und eine Gruppe Fünftklässler vorbei.

Unbemerkt von allen spielt er an seinem Handy und wartet noch, als nach dem Unterricht die Schüler die Räume verlassen und durch den Gang wuseln. Er sollte sich nicht erwischen lassen und bleibt noch bis zum nächsten Stundenklingeln in der Ecke sitzen.

Es wird zwar sowieso nichts drin sein, aber dennoch öffnet er nochmal seinen Spind, bevor er nach Hause geht.

Ein blaues Briefchen flattert ihm entgegen.

"Was zur...?" In der Pause war niemand an seinem Schließfach. Und während des Unterrichts auch nicht. Er wird ja wohl kaum einen Verehrer in der fünften Klasse haben, oder? Nachdenklich faltet er den Zettel auf. Die Schrift sieht viel zu ordentlich für einen Fünftklässler aus. Vielleicht hat einer der Kleinen einen älteren Bruder, der für Inho schwärmt und ihn als Boten beauftragt?

Er kommt so nicht weiter. Irgendwie muss er herausfinden, wer ihm da schreibt.

Sie kennen sich auf jeden Fall und sehen sich mit Sicherheit fast jeden Tag in der Schule, sonst würde derjenige seine Augen ja nicht so genau sehen. Natürlich stachelt es Inho an! Er will unbedingt wissen, wer ihm da schreibt!

Zuhause holt er die Tests, die sie heute zurückbekommen haben, aus seinen Heftern und legt sie ordentlich auf einen Stapel, zusammen mit den Tests seiner älteren Schwester von früher. So wie sie ihm ihr wichtigstes Schulzeug weitergegeben hat, gibt er seines an die jüngere Schwester weiter, da sich oft Aufgaben wiederholen. Manche Lehrer machen sich nicht gern die Arbeit, sich jedes Jahr komplett neue Tests und Klassenarbeiten auszudenken.

Beim Physikprotokoll fällt ihm etwas auf. Herr Han hat ihm ein paar Bemerkungen an den Rand geschrieben. Die hat er zwar schon gelesen, aber um den Inhalt geht es ihm jetzt nicht. Der Referendar hat keine wirklich markante Schrift, die man unter anderen auf Anhieb wiedererkennen wurde, doch manche Kringel erinnern ihn an etwas.

Er kramt alle Briefe hervor, faltet sie auf und vergleicht. Hunderprozentig sicher ist er sich nicht. Aber vor allem die Art und Weise, wie sein Name geschrieben ist, ist auffällig ähnlich, wenngleich es auf dem Protokoll weniger sorgfältig aussieht als in den Briefen.

Prustend packt er die Briefe weg. Ein Lehrer, der einem Schüler Liebesbriefe schreibt. Wie lustig ist das denn? Und ausgerechnet der Lehrer, der sich über Liebesbriefe von Schülern beschwert.

"Moment", murmelt Inho. Von Schülerinnen, nicht Schülern. "Wenn er nun schwul ist?" Zweifelnd hebt er die Schreibtischmatte an und schaut auf die Briefe. Im PC-Zimmer seines Vaters holt er sich buntes Druckerpapier, das fast dasselbe Blau hat wie die Briefe. Er schneidet ein Blatt auf die passende Größe zurecht und überlegt dann, was er schreiben will.

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