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"Was ist denn das?", murmelt Inpyo und zieht langsam einen blauen Zettel aus Inhos Hausaufgabenheft, in dem er aus Langeweile rumkritzelt, während Inho Karikaturen in Inpyos malt. Beide sind schon fertig mit den Aufgaben und dürfen sich leise beschäftigen, während die anderen Schüler noch rechnen. Das ist der Vorteil, wenn der Lehrer beziehungsweise Referendar einen mag, dann darf man sogar Galgenraten oder Käsekästchen spielen, sofern man die anderen nicht stört.

Isaac hingegen sitzt zwangsweise ganz vorne, allein, und hat es nicht so leicht als Möchtegernrowdy. Er muss stillsitzen und Däumchen drehen.

"Hä?", macht Inho geistesabwesend und schaut zu seinem besten Freund rüber. Nervosität breitet sich in seinem Bauch aus, als er erkennt, was dieser entdeckt hat. Hätte er den Brief mal lieber längst aufgeräumt und Zuhause verstaut. Beiläufig versucht er, seinem besten Freund das Zettelchen aus der Hand zu ziehen, doch dieser hält es fest. Er soll es bloß nicht knittern!

"Ist der von der Schule? Ein blauer Brief heißt doch nie was Gutes."

"Das ist nichts weiter, steck es einfach zurück!", bittet Inho.

Ganz langsam faltet Inpyo den Zettel auf und sieht Inho schelmisch in die Augen. Er ist so verdammt neugierig und dabei selbst der größte Geheimniskrämer! "Entweder du sagst es oder ich les es!"

Inho ist kurz davor aufzuspringen und ihm den Zettel aus der Hand zu reißen, da schnappt ihn bereits jemand anderes. Ihm wird schlecht. Nicht ausgerechnet Herr Han, vor der ganzen Klasse!

Der Lehrer wirft nur einen ganz kurzen Blick darauf, faltet den Zettel zusammen und gibt ihn Inho zurück. "Da steht eindeutig Inho drauf, also warum hast du das in der Hand?", raunt er Inpyo leise zu. Inpyo zieht einen Flunsch und Inho verstaut den Brief schnell in seiner Tasche. Herr Han zwinkert Inho zu und setzt seinen Spaziergang durch die Klasse fort.

Auffällig unauffällig lehnt Inpyo sich über Inho und starrt ihn an, damit dieser mit der Sprache rausrückt. Doch Inho denkt gar nicht daran und tut so, als wäre Inpyo gar nicht hier. Leider mischt sich nun das neugierige Mädchen von der Bank vor ihnen ein: "War das ein Liebesbrief?", flüstert sie aufgeregt und viel zu laut.

Sofort schnellt Isaacs Kopf hoch. Mit großen Augen blickt er nach hinten. Inho stöhnt innerlich auf. "Bitte nicht er!", denkt er verzweifelt. Sein geheimer Verehrer kann doch unmöglich Isaac sein!

"Das ist gar nichts und es geht niemanden was an!", zischt er und damit ist das Thema erledigt. Glücklicherweise lässt Herr Han nun die Lösungen vergleichen und bis zum Ende der Stunde denkt Inpyo nicht mehr daran. Inho dafür umso mehr.

Er kann sich nicht erklären, wieso Isaac ihm sowas schreiben sollte. Vor allem - was mag der Typ sich bloß denken, dass Inho den Brief die ganze Zeit rumschleppt? Sollte es ein Witz gewesen sein, lacht der sich jetzt ins Fäustchen, dass Inho es ernstgenommen hat und den Brief sogar süß fand.

Wie immer nach der letzten Doppelstunde, heute war es Japanisch bei Herrn Jung - dem angeblichen Yakuza, der heimlich den supercoolen Hausmeister Herrn Yoo datet - schafft Inho seine Bücher ins Schließfach, damit er nicht so viel nach Hause schleppen muss. Ein blaues Zettelchen flattert ihm entgegen. "Was zur...", murmelt er und hebt es auf. Als er sich umschaut, ob er allein hier ist, geht die Klotür am Ende des Ganges auf und heraus kommt niemand Geringeres als Isaac.

Entsetzt klappt Inho der Mund auf. Der andere hat eine ähnliche Reaktion und macht auf dem Absatz kehrt, um im Treppenhaus zu verschwinden. Inho schlägt sein Schließfach zu und rast hinterher. "Isaac!", ruft er durchs Treppenhaus. "Ich muss mit dir reden!"

"Ich will aber nicht!", kommt als Antwort von unten, gefolgt von Gepolter und einem lauten: "Auuutsch!" Erschrocken eilt Inho die Stufen hinunter, darauf bedacht, nicht selbst zu fallen.

"Alles okay?", erkundigt er sich besorgt und hilft Isaac auf, dessen Löcher in der Hose jetzt viel größer sind als zuvor. Außerdem hat er eine rote Schramme am Knie, aber sonst scheint ihm nichts Ernstes passiert zu sein. Mit Dackelblick schaut er Inho an, der ihm aufhilft.

Er ist nämlich gar kein Bad Boy. In der Klasse versucht er, den coolen Typen zu spielen und sich zu behaupten, aber eigentlich ist er ein lieber Schnuffel. War er zumindest früher.

"Was denkst du dir eigentlich?", ermahnt Inho ihn sanft. Er steht gar nicht auf coole Typen. Auf Typen, die heimlich "kitschige" Briefe schreiben, weil sie sich nicht trauen, offen dazu zu stehen und sich lautstark über Schwuchteln lustig machen, steht er erst recht nicht. "Wenn du bei jemandem gut ankommen willst, solltest du dir erst überlegen, wie du dich ihm gegenüber verhältst. So wie du wirklich bist, gefällst du mir besser."

Isaac schaut ihn trotzig von unten an. "Ist mir doch egal, wie ich bei dir ankomme!"

"Ach wirklich?", grinst Inho und ist kurz davor, ihm den neuen Brief unter die Nase zu halten und triumphierend damit zu wedeln. Weil in einem der oberen Stockwerke eine Tür aufgeht, entscheidet er sich für etwas anderes. Am Kragen der Lederjacke zieht er Isaac unter anfänglichem Protest in den Keller und stellt sich in der Nische unter der Treppe vor ihn. "Was steht diesmal drin?", fragt er.

Irritiert zieht Isaac eine Augenbraue hoch. "Wovon redest du bitte?"

Inho tritt noch näher. "Verkauf mich nicht für dumm. Wenn das Ganze ein Scherz war, kannst du es einfach zugeben und wir vergessen die Sache. Und wenn du es ernst meinst, hättest du jetzt die Chance, es zu beweisen. Oder..." Breit grinst er Isaac an, der immer mehr in die Ecke weicht.

"Was?", fragt er ängstlich.

"Traust du dich etwa nicht mich zu küssen?"

"Ich trau mich alles!", protestiert der Kleine und reißt die Augen auf. "Halt warte, nein, stop, ni-" Vor Schreck hält er die Luft an, als Inhos weiche, dicke Lippen auf seinen landen.

Entsetzt sieht er den Größeren an, der im Gegenzug lächelt. Anscheinend ist Inho tatsächlich schwul, den Kuss fand er gar nicht schlecht. Sein Lächeln verschwindet allerdings beim Anblick von Isaacs Gesichtsausdruck. Langsam löst dieser sich aus seiner Schockstarre. "Mein erster Kuss war mit 'nem Kerl! Ich glaub, ich kotz gleich!" Wütend rempelt er Inho an und sucht das Weite.

"Also wirklich!" Inho schnalzt missbilligend mit der Zunge und schüttelt den Kopf. Mit so einem Verhalten wird das nie was, das sollte Isaac klar sein. Oder er ist womöglich doch nicht der Verfasser der Briefe. Unschlüssig holt Inho den neuen Zettel aus seiner Hosentasche. Er sollte sich mal Isaacs Schrift genauer anschauen.

Seufzend faltet er den Zettel auf.

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