Geschichtsstunde


An dieser Stelle würde ich gerne mal erwähnen: Ich glaube nicht an Magie. Natürlich bin ich hin und wieder ein wenig abergläubisch. Ab und an gehe ich auch mal in die Kirche (also an Weihnachten und manchmal auch an Ostern), aber ich glaube nicht an Magie. Ich glaube nicht mal ans Schicksal. Viele Menschen glauben an Schicksal, ich weiß. Sie glauben, dass es irgendwo jemanden gibt, für den sie bestimmt sind und dass sie diesen jemanden durch eine Reihe von merkwürdigen Zufällen treffen. Diese bezeichnen sie dann als Schicksal und erzählen später mal ihren Kindern davon. Aber ich bin der Meinung, dass es so etwas wie "Schicksal" nicht gibt. Ich denke nicht, dass jeder Mensch ein Gegenstück, einen Seelenverwandten besitzt. Wir können uns verlieben und auch unser ganzes Leben zusammenbleiben, ja, aber dies hat nichts mit Schicksal, sondern mit Liebe und dem Einlassen auf jemanden zu tun.

Aber das hier... alles was uns Mias und Bens Mutter in den nächsten Minuten erzählte... das konnte man nicht anders erklären. Das musste Magie sein. Sonst lässt sich das ALLES überhaupt nicht erklären. Ja, vielleicht glaube ich nicht an Magie, aber jetzt WEIß ich, dass Magie existiert. Ich weiß es. Anders kann ich es nicht mehr erklären.

Fünf Minuten nachdem ich meinen halbwegs verarbeitet hatte, saßen wir alle in einem großen Wohnzimmer, um einen Tisch versammelt und hörten Bens und Mias Mutter gespannt zu.

„Fiona, deine Mutter, sah dir ähnlich, weißt du? Sie hatte die gleichen Augen, die gleichen Haare und den gleichen Blick.

Vor 25 Jahren, damals war ich achtzehn und hatte gerade mein Abitur gemacht.

Ich war zusammen mit Karla, einer Freundin von mir in London, sechs Wochen, zum Urlaub.

Wir hatten vorher wochenlang gelernt und wollten einfach mal feiern und uns entspannen, weswegen wir uns eine kleine Ferienwohnung außerhalb von London mieteten.

Karlas Eltern hatten recht viel Geld und bezahlten den, zugeben relativ teuren, Spaß.

Eines Abends, zwei Tage nachdem wir angekommen waren, schleppte mich Karla in einen Club mitten in der Stadt.

Der Klub war sehr merkwürdig. Er war anders als die anderen Bars, in denen wir im Laufe unserer Zeit in England schon gewesen waren. Es war alles düsterer und in ein... es ist schwer zu beschreiben... seltsames Licht getaucht. Zu diesem Zeitpunkt aber fühlte ich mich einfach nur wohl und genoss die Party.

Später am Abend zog Karla dann mit irgendeinem einem Typen ab, da ich aber keine Lust hatte, schon nach Hause zu fahren, blieb allein im Club. Dann sprach mich Fiona an. Auch sie hatte schon einiges getrunken, vielleicht lag es daran, dass wir uns so gut verstanden. Vom ersten Moment an hatten wir uns viel zu erzählen. Fiona war ein so offener Mensch. Sie hat so viel gelacht und hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich meinen können, sie könnte in mich hineingucken. Wir verbrachten den Abend zusammen im Klub. In den nächsten Tagen trafen wir uns immer mal wieder in verschiedenen Londoner Cafés und verstanden uns auch nüchtern super.

Nach den sechs Wochen reiste Karla ab, da wir uns wegen ihrem neuen Freund mächtig gestritten hatten und ich suchte bei Fiona Zuflucht, die in einem großen Haus in London wohnte.

Ihr Bruder und ihre Mutter wohnten natürlich auch dort. Ich wollte in London bleiben, weil es mir dort ziemlich gut gefiel und Fiona schlug mir vor, dass ich bei ihr wohnen könnte.

Natürlich hatte ich ein schlechtes Gewissen und wollte es zuerst nicht annehmen, doch Fionas Mutter Anne redete mit meinen Eltern, sagte, dass ich bei ihnen in der Dachbodenwohnung wohnen könne und ich mir doch hier einen Studienplatz suchen könnte.

Also bewarb ich mich bei mehreren Universitäten, was kein Problem war, da ich vor meinem Abitur so viel geübt hatte, dass ich einen glatten Einserschnitt hatte und außerdem Wirtschaftswissenschaften studieren wollte, was auch kein zu beliebtes Studienfach gewesen ist. Ich zog in die Zwei-Zimmer Wohnung im Dachgeschoss des riesigen Hauses.

Ein paar Wochen später kam dann tatsächlich die Zusage vom College in London. Fiona und ich waren total aus dem Häuschen, da auch sie einen Platz dort hatte. Sie studierte englische Literatur und wollte später gerne unterrichten.

Eines Nachmittags waren wir beide in der Bibliothek verabredet.

Ich war ein bisschen früh, weil ich noch mehrere Bücher abgeben musste.

Ich wartete.

Und wartete.

Zuerst dachte ich mir nichts dabei, denn Fiona kam eigentlich immer zu spät. Das war zwar ziemlich anstrengend, aber sie hatte jedes Mal eine perfekte Ausrede parat und überhaupt, man konnte ihr nicht lange böse sein.", Mias und Bens Mutter lächelte kurz und ich spürte einen kurzen, ziemlich unpassenden Stich der Eifersucht, dass anscheinend jeder meine Mutter besser gekannt hat, als ich. Also sie überhaupt gekannt hatte.

"So langsam machte ich mir Sorgen und ich fuhr zurück nach Hause und fragte Anne nach ihr. Anne war auch schon total besorgt, besonders, nachdem sie am nächsten Tag noch nicht wieder da war und auch am Übernächsten nicht.

Nach einer Woche hatten wir immer noch nichts von Fiona gehört und ich wurde sehr panisch. Wir hatten alle Krankenhäuser abtelefoniert und die Polizei war auch schon eingeschaltet.

Und dann kam der Anruf: Fiona hockte in Barcelona, in einem kleinem Buchladen, niemand wusste was sie da machte oder besser gesagt: wie sie dort hinkam.

Sie versuchte es erst einmal damit, mich anzulügen und erzählte mir etwas von einem günstigen Last-Minute-Flug. Doch ich hakte nach, immer wieder, und schließlich erzählte sie mir, dass sie eine Kiste im Keller gefunden hatte.

Die Kiste enthielt ein Buch und diesen Globus", Mias Mutter nickte mit dem Kopf in Richtung des kleinen Globusses, den ich noch immer in der Hand hielt: „Fiona erzählte, dass sie den Globus gedreht hätte und dann war sie in Barcelona gelandet, das Einzige was sie bei sich hatte, war der Globus und das Buch. Fiona schien nicht einmal erstaunt zu sein, dass dies alles passiert war. Anscheinend hatte ihre Mutter ihr seit ihrer frühesten Kindheit, von ihrer Familiengeschichte erzählte. Ich weiß nicht mehr, ob ich das ganze noch zusammenbekomme, aber die Geschichte lautete ungefähr so:

Vor mehr als 500 Jahren lebte ein Mann, Jonathan Millow, er heiratete Rose Cristopher.

Die beiden waren glücklich, aber hatten nicht viel Geld und lebten deswegen in einem sehr kleinen Haus in London. Obwohl sie es sich eigentlich nicht leisten konnten, bekamen sie Kinder: Zwillinge, Mathew und Carissa. Die beiden machten alles zusammen und liebten sich so sehr, wie nur Geschwister sich lieben können.

Doch als die beiden 13 wurden entdeckte Carissa, dass sie bestimmte Fähigkeiten hatte, die ihr Bruder nicht besaß und schlimmer noch: sie ärgerte ihn damit, ja als sie älter wurden, quälte sie ihn regelrecht und anstatt ihre Begabungen für ihre Familie einzusetzen, stahl sie, quälte neben ihrem Bruder noch andere Menschen und betrog. Alles über ihre Fähigkeiten, welche es waren, wie sie aufgekommen waren, wie man sie trainieren konnte, dass alles hielt sie in einem Buch fest. Es war ihr extrem wichtig, vor allem, da sie genau wusste, dass dieses Buch, sollte es in die falschen Finger geraten, ihr Untergang sein könnte. Aber ihr reichte es nicht mehr, nur vor den Menschen aus ihrem Dorf zu prahlen, sie wollte das später jeder lesen könnte, wozu sie im Stande war.

Irgendwann reichte es Mathew dann mit den ganzen Qualen und den fiesen Streichen seiner Schwester und er suchte nach einem Weg sie zu vernichten. Er wusste ganz genau: Würde er das wirklich schaffen wollen, dann brauchte er das Buch. Das Buch, das ihr so heilig war und das sie immer so gut vor ihm verborgen hielt. Carissa war sich dessen nicht bewusst, dass ihr Bruder sie beobachtete und genau wusste, wo sie ihren größten Schatz lagerte. Und dann, als sie eines Tages wieder auf einem ihrer Raubzüge war, stahl Mathew seiner Schwester das Buch.

Er studierte es wochenlang und probierte auch zu erlernen was Carissa konnte.

Es funktionierte ansatzweise, jedenfalls soweit, dass er sich gegen Carissa wehren konnte.

Die war natürlich furchtbar sauer und setzte ihre Gedankenlesekünste dazu ein, herauszufinden, woher Mathew sein Wissen hatte.

Sie neigte schon immer zu wütenden Ausbrüchen und bei diesem riss sie aus dem Buch alle Seiten raus, insbesondere die, die ihre wichtigsten Fähigkeiten beschrieben und verteilte diese mithilfe ihrer Teleportierbegabung in der ganzen Welt. Mathew, der mit ja mit seiner Schwester verwandt war und so ebenfalls zu Wutausbrüchen neigte, war dementsprechend sauer darüber.

Es kam zu einem Duell, ein sehr ungleiches Duell, da Carissa ihrem Bruder sehr bei weitem überlegen war.

Doch irgendwann setzte dieser, mithilfe eines Spiegels, ihre Fähigkeiten gegen sie ein.

Die geballte Macht traf Carissa und sie verstarb, genau wie Mathew, der der Kraft einfach nicht standgehalten hatte. Da beide vor ihrem Tod schon Kinder hatten, vererbte sich die Magie der beiden an diese weiter, doch nur in abgeschwächter Form. Und ein Problem blieb: die fünf Buchseiten fehlten noch immer und die Millows wurden in drei Zweige geteilt.

Es gab einige, die die Fähigkeiten des Kopfes hatten, manche konnten Gedanken lesen, oder manipulieren. Andere können sich mit der Luft verbinden und sind dadurch in der Lage zu fliegen... aber auch in der Lage, andere Gegenstände fliegen zu lassen.

Und dann gab es noch die Meister der Tarnung: Sie konnten sich auf jede erdenkliche Art tarnen, sich unsichtbar machen und ihre Gestalt verändern.

„Warum drei?", flüsterte Ben.

„Wie?", fragte seine Mutter, die noch immer ganz in der Geschichte drin war.

„Warum gibt es drei Begabungen? Es waren doch nur Carissa und Mathew."

„Carissa hat ebenfalls Zwillinge bekommen. Ihre Gaben haben sich aufgespalten. Mathew... ich weiß gar nicht wie viele Kinder dieser bekam. Eines vermutlich."

"Erzählen Sie weiter", bat ich.

"Es gibt auch etwas, was alle können: Das reisen in der Welt.

Dies allerdings nur mit Hilfe des Globusses, da diese Kraft dort hinein transportiert wurde, das hab ich nie so genau verstanden, aber es gibt nur einen davon und dieser eine liegt hier im Raum.

Aber wie gesagt, es gab noch immer das Problem mit den Buchseiten.

Jeder, der etwas von den Gaben geerbt hatte, versuchte sie zu finden, ja es gab Hinweise, aber irgendetwas hindert die Menschen daran, in den Besitz der Seiten zu kommen.

Als Fiona mir davon erzählte, gaben wir alles, zu erfahren, welche Fähigkeit sie besaß und es stellte sich heraus, dass sie das Gedankenlesen beherrschte. Aber sie kam damit nicht zurecht, weil es niemanden gab, der ihr etwas beibringen konnte und deswegen war es für sie persönlich ein Anliegen, die fehlenden Buchseiten zu beschaffen. Auch jemand anderes versuchte krampfhaft, in den Besitz der Seiten zu gelangen. Wir wussten nicht, wer dieser jemand war und genau dies zeichnetete ihn aus. Denn er war ein Tarner.

Also jedenfalls habe ich versucht, ihr zu helfen.

Fiona und ich haben versucht das Rätsel zu lösen, wir sind mit dem Globus nach Barcelona gereist und haben den Laden durchsucht, in dem Fiona bei ihrer ersten Reise gelandet ist. Doch ER war vor uns da."

„Er?", fragte Mia aufgeregt.

"Wir wussten nicht, wonach wir genau suchten. Wir suchten in einem Buchladen nach einer Buchseite. Ihr könnt euch vielleicht vorstellen, wie erfolglos so eine Suche ist. Das einzige was wir wussten war, das ER schon da war. Fiona hat es gespürt.

Uns blieb keine Wahl, wir gaben nach einiger Zeit auf.

Nachdem wir die Suche aufgegeben hatten, ging ich nach Deutschland zurück, dort hatte ich einen Job gefunden und Fiona hatte schon mit ihrer Gabe zu kämpfen, deshalb wollte ich nicht durch meine bloße Anwesenheit diejenige sein, die sie von einem normalen Leben abhielt, da ich sie wohl einfach immer an die ganze Sache erinnern würde.

Unser Kontakt brach ab.

Nach fünf Jahren, Mia und Ben waren gerade ein Jahr alt, kam dann deine Geburtsanzeige und drei Jahre später Fionas Todesanzeige."

„Und Sie hatten in all den Jahren überhaupt keinen Kontakt zu ihr?", hakte ich nach.

„Erst einmal, du kannst Anna zu mir sagen und nein, ich hatte keinen Kontakt mehr zu ihr."

Ich dachte nach. Ganz genau. Und stellte dann die Frage, die mich beschäftigte: „Wie komme ich nach Hause?"

Betretendes Schweigen.

„Du kannst natürlich erst einmal bei uns übernachten", sagte Ben.

„Danke, aber ich denke...naja...vielleicht...doch das ist die beste Idee."

„Du kannst in meinem Zimmer schlafen", bot Mia an.

Panisch blickte Anna auf die Uhr über dem Fernseher: „Verdammt! Ich muss los zur Arbeit, ich bin schon fast eine Stunde zu spät. Bis nachher", sie drückte ihren Kindern beiden einen Kuss auf die Haare und reichte mir die Hand, die sie festdrückte.

„Soll ich was zu Essen mitbringen oder wollen wir heute kochen?"

„Bring ruhig etwas mit!", meinte Ben.

„Gut, ich bin um neun wieder da", und Anna hastete hinaus.

Wir drei blieben zurück, ein paar Minuten hing jeder seinen eigenen Gedanken nach.

Ich dachte über das nach, was Anna erzählt hatte, über meine Mutter und das auch ich solche Fähigkeiten besitzen könnte.

Und warum hatte ich es noch nicht bemerkt?

„Wollen wir raufgehen? ", riss mich Mia aus meinen Grübeleien. „Musst du auch nochmal los?", wandte sie sich an Ben.

„Ja kurz, ich muss noch...was klären", er warf einen Seitenblick auf mich und ich räusperte mich: „Ich geh mal kurz aufs Klo, wo ist denn das Bad?"

Mia erklärte mir wo es lag und ich ging nach oben.

Als ich aus dem Badezimmer kam stand Mia vor der Tür:

„Kommst du mit in mein Zimmer?", fragte sie mich.

Mias Zimmer war groß und in einem knallgelb gestrichen. Ihre Möbel aus hellem Holz und es war sehr, sehr unordentlich.

Langsam bahnte ich mir einen Weg zu ihrem Bett und setzte mich vorsichtig auf den Rand, während Mia sich auf ein buntes Sofa fallen ließ und unternehmungslustig fragte: „Was wollen wir heute noch alles machen? Es ist erst Nachmittag, wir könnten eine Schifffahrt machen oder zum Dom gehen. Oder..."

„Dürfte ich ganz kurz dein Handy haben?", unterbrach ich ihren Redeschwall.

„Wie...mein Handy? Klar natürlich."

Sie ging zum Schreibtisch und warf es mir zu.

Ich wählte die Nummer meines Vaters: „Hi hier ist Luna."

„Luna? Von wo rufst du denn an? Warum bist du einfach zu Anne gefahren? Warum hast du mir nicht Bescheid gegeben?"

„Es tut mir leid, ich kann es dir nicht erklären. Entschuldigung!", ich wusste nicht, was ich sonst sagen konnte.

"Hör mir zu: du musst da weg, ich sag meinen Termin ab. Komm sofort nach Hastings zurück.", befahl mein Vater.

"Das...das geht nicht", stammelte ich, den Tränen nah.

„Und wie das geht Fräulein! Über dein unmögliches Verhalten unterhalten wir uns nachher! Komm sofort nach Hause!", mein Vater sprach in einem beinahe ängstlichen Tonfall.

„Ich will aber nicht!", meinetwegen sollte er mich für trotzig halten, aber ich würde ihm ganz sicher nicht erzählen, wo ich gerade war. Er würde mir ja eh nicht glauben.

"Oh doch!", rief mein Vater, doch ich unterbrach ihn.

„Ich lege jetzt auf."

Gesagt. Getan.

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