Es geht los
„Ich bezweifle, dass das funktioniert", murmelte ich während ich mir einen Zopf flocht und mir ein weites blaues Hemd anzog, welches wir aus dem Rucksack gefischt hatten. Für unsere Zwecke war es perfekt, genauso wie das Namensschild, welches Jayden einer jungen Mitarbeiterin des städtischen Elektronikfachmarktes, charmant abgeluchst hatte. Mia war gerade dabei, dieses Namensschild an meinem blauen Hemd zu befestigen, welches mich als „Shona Dunn" auswies und murmelte so leise, dass nur ich sie hören konnte: „Ich hoffe, das geht gut. Ich hoffe, das geht gut."
Ben, der neben mir stand, trug eine Cappie, die sich in Jaydens Auto unter dem Rücksitz befand, und ein blaues Oberteil. Ein weiteres Namensschild konnten wir leider nicht auftreiben (bei Männern funktionierte Jaydens Charme nicht mal annähernd so gut).
Wir hatten beschlossen, durch die Vordertür in das Haus einzudringen, da es kein einziges Fenster in diesem gab, welches nicht verriegelt und unbegehbar war. Unser Plan war so genial, wie auch naiv. Naja, eigentlich mehr naiv als genial, aber da wir keine andere Wahl hatten, musste es einfach funktionieren. Ben und ich gaben uns als Elektriker aus, welche die Steckdosen und die Stromanschlüsse überprüfen würden, müssen. Jayden hatte behauptet, sein Vater wäre ein sehr gutgläubiger und verpeilter Mann. Wir müssten ihm nur versichern, dass wir einen Termin hatten und er ihn wohl vergessen haben musste. Ben und ich gingen in das Haus, weil Jaydens Vater Jayden natürlich erkennen würde. Ben musste auf jeden Fall mit, da er für den Computer zuständig war und Mia fiel aus, weil sie Menschen die mit schottischem Akzent sprachen, nicht wirklich verstand (auch ich hatte mit Englisch als meiner Muttersprache ENORME Probleme, manche Menschen in Schottland zu verstehen), außerdem hörte man Mia und Ben an, dass beide aus Deutschland kamen und wir wollten nicht allein schon durch unsere Sprache auffallen.
„Seid ihr bereit?", fragte Jayden, welcher sich seine Kapuze tief ins Gesicht schob, um nicht aus Versehen in seiner alten Nachbarschaft erkannt zu werden. Sein Einsatz kam erst später.
Mia wirkte ein kleines bisschen panisch. Ich sah ihr an, wie gerne sie uns begleiten würde. Sie sah erst Ben und dann mich an, umarmte uns beide kurz und hielt mich dann noch kurz zurück. „Pass auf Ben auf, ja?"
„Mia", setzte ich an. „Wir machen nichts Gefährliches. Wir haben einen genauen Plan und wenn der schiefläuft, werden wir nicht sterben."
Sie wirkte nicht sonderlich beruhigt, warf sich dann aber in die Brust und sagte: „Ich werde auf Position stehen."
Kurz lächelte ich, bis mein Blick auf Jayden fiel, welcher ein wenig angespannt wirkte.
„Ihr wisst, was zu tun ist?", fragte er. Wir antworteten mit: „Ja."
„Dann geht jetzt. Los!"
Ben und ich setzten uns in Bewegung und gingen um die nächste Straßenecke. Wir wussten, dass Jayden und Mia in ein paar Minuten nachkommen würden.
„Hast du den schottischen Akzent drauf?", wollte Ben wissen.
„Klaro.", behauptete ich, war mir aber nicht ganz so sicher, wie ich klang. Ben schien das zu bemerken. „Wenn du normal sprichst, ist es auch nicht schlimm...", sagte er.
Jetzt standen wir vor unserem Ziel. Es war ein altes Haus. Allerdings nicht auf eine schöne Weise alt, sondern mehr auf eine heruntergekommene, pegige Weise. Das Haus war wohl mal weiß gewesen, jetzt war es aber mit so viel Dreck überzogen, dass es eher braun aussah. Die Fassade blätterte an einigen Stellen schon ziemlich ab und zusammen mit den verriegelten Fenstern sah das Haus mehr aus wie ein Gefängnis im schlechten Zustand, als wie ein Wohnhaus.
„Bereit?", fragte mich Ben.
Ich nickte bloß und schon das abgeblätterte Gartentor beiseite. Es quietschte unheimlich laut.
Wir durchquerten den Vorgarten mit großen Schritten und setzten unser schönstes Lächeln auf, bevor ich auf die Klingel drückte. Ein rhythmisches Klingeln erklang im Haus und zwei Sekunden später öffnete ein Mann mit vollständig grauen Haaren (obwohl er nicht viel älter als mein eigener Vater sein konnte), einem grauen 10-Tagebart, einem leichten Bauchansatz und einem weißen Hemd über diesem. Ich musterte meinen entfernten Verwandten gespannt und schaute, ob er irgendwelche Ähnlichkeit mit mir oder einem meiner Familienmitglieder besaß. Tat er aber nicht.
„Ja?", fragte Jaydens Vater und zog verwirrt die Augenbrauen zusammen, als er uns vor der Tür stehen sah. "Was kann ich für Sie tun?"
„Shona Dunn", stellte ich mich, ohne zu zögern vor. „und das hier", ich zeigte auf Ben neben mir: „Ist mein Kollege Callum McDier. Wir haben für heute einen Termin mit Ihnen vereinbart."
Verwirrt kratzte sich der Mann am Kopf und als er ausatmete roch ich, dass er wohl heute schon ein Bier getrunken haben musste. Oder mehrere. Umso besser für uns.
„Tut mir leid, aber ich kann mich nicht erinnern einen Termin vereinbart zu haben mit...?"
„Electronic PC", sagte ich schnell: „Wir sind hier, um ihre Kabelleitungen und Ihren Telefonanschluss zu überprüfen. Das muss alles regelmäßig gemacht werden. Sonst bricht Feuer aus."
„Feuer?"
„Überlastete Leitungen...Brenngefahr. Sie haben uns vor ca. 4 Monaten angeheuert.
Träge zog Jaydens Vater seine Schultern hoch. „Da kommen Sie jetzt erst? Typisch!"
„Tut uns sehr leid, Mr. Cooper, da müssen Sie mit meinem Chef reden, wir führen nur die Aufträge aus."
„Dann kommen Sie mal rein", er lacht kurz und grölend auf: „Bevor hier noch ein Feuer ausbricht."
Wir gingen an ihm vorbei in den Flur.
„Ich muss aber eigentlich gleich los."
„Oh nein.", sagte ich und lächelte innerlich. Genauso war das geplant, Jayden hat erzählt, dass sein Vater immer um diese Zeit in die Kneipe ging.
Mr. Cooper runzelte die Stirn: „Brauchen Sie denn meine Hilfe?"
„Nein, eigentlich nicht."
„Kann ich mich denn darauf verlassen, dass Sie nichts stehlen oder verwüsten?"
Gespielt empört verzog ich mein Gesicht: „Natürlich Mr. Cooper! Wenn Sie uns nicht vertrauen, nehmen Sie Ihre Wertsachen einfach mit!"
„Wertsachen...", nuschelte er vor sich hin. „Eigentlich habe ich gar keine. Aber sollte irgendwas nicht stimmen, wenn ich wieder hier bin..."
„Dann können Sie sehr gerne unseren Chef anrufen. Wir können Ihnen unsere Namen auch gerne noch einmal aufschreiben."
In einem nüchterneren Zustand wäre Jaydens Vater wohl misstrauischer gewesen und hätte darauf bestanden, dass wir wann anders wiederkommen sollten, vielleicht hätte er sich auch gewundert, dass wir kein Werkzeug dabeihatten oder das wir so jung waren, aber es schien ihm alles egal zu sein. Ein bisschen leid tat mir der Mann ja. Wie schrecklich musste seine Frau sein, dass ihm alles so egal war und er schon mittags mit dem Trinken anfing? Warum holte er seiner Frau nicht einfach Hilfe? Egal. Mr. Cooper zu überzeugen war so verdammt einfach gewesen. Der schwere Teil stand uns aber auch noch bevor.
Er packte eine alte Jacke und machte sich dran das Haus zu verlassen. „Na dann", er lallte ein wenig: „Gutes Gelingen!"
Ben und ich lächelten höflich und taten so, als würden wir das am Boden liegende Kabel untersuchen.
So schrecklich einfach.
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