Die erste Seite
Als Jaydens Vater das Haus verlassen hatte und wir das Quietschen des Gartentores hörten, sowie kurz darauf schwere Schritte, die den Gehweg entlangeilten, machten wir uns auf den Weg in das Arbeitszimmer. Jayden hatte uns genau beschrieben, wo dieses lag, aber das wäre gar nicht nötig gewesen, denn es gab hier eh nur drei Räume. Im Arbeitszimmer war alles zugeramscht mit Papier und Ordnern, die überall verteilt waren. In der Mitte des Raumes stand ein ebenso vollgefüllter Schreibtisch. Ben ging dorthin und begann, das Papier sacht vom Schreibtisch zu heben. Darunter kam ein Laptop zum Vorschein.
„Naja...als „Wertsache" kann man den hier wirklich nicht mehr bezeichnen", meinte Ben und schaltete ihn an.
„Wie lange brauchst du, um ihn zu knacken?", fragte ich.
„Es ist ein alter Computer, ich kenne das System nicht so gut, aber es ist simpel aufgebaut."
„Ahh jaa", erwiderte ich und begann mich umzugucken: „Kann ich dir irgendwie helfen?".
Ben schüttelte nur den Kopf, tief versunken in seine Arbeit. Es dauerte ein paar Minuten, die mir wie Stunden vorkamen, bis ich Ben sagen hörte. „Ich bin drin!"
„Perfekt!", ich klopfte ihm auf die Schultern während er auf die Tasten des Laptops einschlug.
„Wie viel Zeit noch?", fragte er.
„Circa fünf Minuten. Schaffst du das?"
„Hol dir einen Zettel und einen Stift und schreib dir das Tresorpasswort auf."
Schnell griff ich nach einem herumliegenden Blatt Papier und einem abgekauten Bleistift, welche beide auf dem Boden lagen. Ich stellte mich hinter Ben und notierte was er mir sagte. Es war eine Reihe aus Buchstaben und Zahlen, die für mich keinen Sinn ergaben, aber so sollte es wohl bei unknackbaren Passwörtern auch sein.
Ben öffnete einige weitere Seiten auf dem Computer und weiße Zahlen und Buchstabenkombinationen flogen über den schwarzen Bildschirm. Er schlug weiter auf die Tasten ein und nahm die Unterlippe zwischen die Zähne.
Ich machte mich schon einmal daran, mit einem Schraubenzieher das Fenster zu entriegeln. Als die Schrauben draußen waren, nahm ich behutsam die beiden Holzbretter von der Fensterscheibe weg und probierte, ob ich es öffnen konnte. Es funktionierte.
„Wie weit bist du?", ich stellte mich wieder hinter Ben, um weiter zu beobachten was er da machte. Nicht das ich es in irgendeiner Weise verstand.
„Es wird...", presste Ben hervor und drückte dann einen Knopf. Plötzlich ging das Licht über uns an. Als er den gleichen Knopf nochmal drückte ging es wieder aus. Ben sprang hoch vor Freude über seinen Erfolg, vergaß aber dabei ganz, dass ich hinter ihm stand und stieß gegen mich. Von seinem versehentlichen Stoße und dem Schreck umgeworfen, fiel ich ins Regal hinter mir. Das Regal kippte glücklicherweise nicht um, aber ein kleiner Spiegel fiel heraus. Ich fing ihn auf, bevor er auf dem Boden zerbrechen konnte. Ben hatte sich neben mir fallen lassen.
„Oh mein Gott, es tut mir furchtbar leid, ist dir was passiert?", sein Gesicht war schuldbewusst verzogen und er hielt mein Handgelenk mit seiner Hand.
„Alles gut", murmelte ich und lächelte dann. „Super, dass du das geschafft hast. Hätte ich dir gar nicht zugetraut."
"Hey!", rief Ben empört, zog mich aber dann auf die Beine. Er hielt mein Handgelenk noch immer umschlossen, als uns ein leises Klopfen an der Fensterscheibe zusammenfahren ließ. Jayden stand, ans Fenster gelehnt da und grinste uns spöttisch an. Da ich dem Fenster am nächsten stand, öffnete ich es auch. Jayden kletterte hinein, dicht gefolgt von Mia.
„Hat bei euch alles geklappt?", fragte sie angespannt.
„Jap", antwortete ich ihr.
„Die Hauptlichtversorgung werde ich in fünf Minuten abstellen", erklärt Ben. „Dann läuft der Strom der Lichter nur noch über den Generator. Den müsst ihr beide ausstellen. Du weißt doch, wo er steht Jayden?"
„Mhhhm", machte Jayden zustimmend.
„Gut. Du und Luna ihr schleicht euch nach unten..."
Mia unterbrach ihn: „Zieht am besten eure Schuhe aus, dann seid ihr leiser."
Ben grinste: „Hört auf sie. Sie hat Erfahrung, was das heimliche aus dem Haus und ins Haus schleichen angeht. Hey!" Mia hatte ihm einen Schlag auf den Hinterkopf verpasst.
Ich streifte meine Schuhe ab und mit mürrischem Blick tat es mir Jayden gleich.
„Mia und Ben, wenn Ben die Lichter ausgestellt hat, dann schraubt ihr sofort das Fenster wieder zu und verschwindet durch die Tür. Wir treffen uns beim Auto."
„Viel Glück", wünschte uns Mia und Ben lächelte mich ein wenig schief und ein wenig ängstlich an.
„Komm!", unsanft zog Jayden mich am Arm zu einer Tür direkt neben der Eingangstür, die mir eben nicht aufgefallen war.
„Ich geh vor", zischte Jayden. „Wir müssen uns beeilen und den Generator finden bevor Ben das Licht ausmacht."
Wir hatten genau darüber nachgedacht wie lange Ben warten soll, um das Licht auszuschalten. Zu lange durfte er nicht warten, da die Wahrscheinlichkeit das Jaydens Mutter uns hören würde, immer größer wurde- Wenn sie dann verängstigt war, weil das Licht nicht mehr funktionierte, würde sie sich hoffentlich nicht mehr auf fremde Geräusche konzentrieren.
„Bleib ganz dich bei mir und mach ja kein Geräusch", wies Jayden mich an.
Ich klammerte mich mit beiden Händen an Jaydens Pulli fest.
„Aua", zischte dieser.
„Ups. Sorry", sagte ich, weil ich festgestellt hatte, dass sich der kleine Spiegel, den ich immer noch in der Hand trug in seinen Rücken grub. Schnell steckte ich den Spiegel in meine Hosentasche.
Wir waren jetzt am Ende der Treppe angekommen und machten einen vorsichtigen Schritt, um leise auf dem Kellerboden aufzukommen. Ich stand ganz nah an Jayden gepresst da und hauchte: „Wo ist sie?"
Stumm nickte Jayden zu der Tür links neben uns. Eigentlich sah sie ganz normal aus. Nicht so als würde eine irre Frau gerade hinter ihr sitzen, um etwas auf Leben und Tod zu verteidigen, was wir unbedingt haben wollten. Ich meinte, sogar die Geräusche eines laufenden Fernsehers von innen zu hören.
Jayden bewegte sich auf die andere Tür im kleinen, engen Kellerabteil zu. Ich folgte ihm auf Zehenspitzen. Leise öffnete Jayden die Tür und ich hielt die Luft an und hoffte, dass diese keinen Laut von sich gab, während er sie öffnete. Ganz kurz und ganz leise knirschte die Tür. Kurz stockte uns der Atem, aber als sich an den Fernsehgeräuschen hinter der linken Tür nichts änderte, gingen wir weiter und schoben uns in den Raum. Dieser Raum musste so etwas wie ein Lagerraum sein, denn auf der linken Seite standen einige, zu einer Pyramide gebaute Stühle. Direkt daneben stand ein Regal auf dem sich altes (und sehr hässliches) Geschirr stapelte. Fenster gab es hier nicht. Ein alter Kochtopf stand in der Mitte des Raumes und fing Wasser auf, welches von der Decke hinabtropfte. Vermutlich lag dieser Raum unter dem Badezimmer. Und hoffentlich war das Wasser was dort in den Topf träufelte.
Während ich mich noch immer in diesem kleinen Raum umsah, marschierte Jayden geradewegs auf ein eckiges Teil, welches unter einem verkerbten Holztisch stand, zu. Das war dann wohl der Generator. Ich ging neben Jayden in die Hocke und fragte flüsternd; „Wie willst du den denn jetzt kaputt machen?"
„Ganz einfach!", Jayden griff an mir vorbei und zog den Kochtopf zu sich ran. Das Wasser schwabbte ein wenig über (ich betete inständig dafür, dass es Wasser war) aber Jayden störte das nicht. Ohne lange nachzudenken kippte er den Inhalt des Topfes über den Generator. Dieser zischte leise, rauchte ein bisschen und hörte schließlich auf zu brummen.
„Los!" Jayden packte meine Hand und zog mich aus dem Raum. Ich riss mich los und zischte: „Ich kann alleine gehen, im Moment sehe ich noch etwas."
Jayden schien unbeeindruckt, ließ aber meine Hand los. Nachdem er die Tür des Generatorraums wieder geschlossen hatte, schlich er zu der Tür, hinter der seine Mutter saß, hin und bedeutete mir mit einem Kopfnicken, dass ich ihm folgen sollte. Er stellte sich neben die Tür, sodass er, sollte sie aufgehen, von dieser verborgen werden würde. Ich stellte mich neben ihn, auf einen möglichst großen Sicherheitsabstand bedacht. Jayden blickte erst zur Tür und dann wieder zu mir. Er wirkte äußerst unzufrieden. Er schüttelte den Kopf und zog mich dann mit einem Ruck näher an sich und die Wand hinter ihm ran. Ich stand nun viel zu nah an ihn gepresst da. Jayden beugte sich runter und flüsterte leise, kaum hörbar: „Wir wollen ja nicht, dass die Tür dich erschlägt bevor jemand anderes die Chance dazu bekommt."
Gerade als ich etwas erwidern wollte, ging das Licht aus. Es war vollständig düster was natürlich einerseits gut war, weil unser Plan aufging, andererseits war es aber auch beängstigend, in einem fremden Keller, direkt neben dem Zimmer einer Verrückten, in völliger Dunkelheit zu stehen. In diesem Moment hörte ich den Schrei. Er war lauter als alles, was ich jemals gehörte hatte und beängstigender, als ich mir die Stimmen von Voldemort und dem Joker zusammen vorstellte. Er war hoch und zitternd und irgendwie...es war nicht beschreibbar. Wir hörten, wie Schritte in dem Raum auf und ab gingen und eine Frau leise murmelte: „Was mach ich? Was mach ich jetzt? Das ist nicht normal. Irgendwas stimmt nicht. Ersatz."
Dann ging langsam die Tür auf und wir hörten ängstliche, langsame Schritte aus dem Kellerraum gehen. Jaydens Mutter ging zu dem Raum, in dem wir bis eben noch waren und Jayden und ich ergriffen die Gelegenheit und schlichen uns in den Raum, in dem sie bis eben noch war. Drinnen angekommen, fummelte Jayden kurz rum bis er die Tür zu fassen bekam. Er machte sie zu. „Ich lehne mich an die Tür und halte meine Mutter auf, wenn sie den Raum betreten möchte. Hast du den Code?"
Ich drehte mich von der Tür weg und nahm mit einem Mal den entsetzlichen Gestank in diesem Raum war. Wie oft wusch Jaydens Mutter sich? Und vor allem: wo ging sie aufs Klo?
Aber bevor ich länger darüber nachdenken konnte, sah ich rote Lichtstrahlen. Es war keine Lichtquelle, da diese Strahlen nur sich selbst erleuchteten, aber so konnte ich mich orientieren und wusste, wo der Tresor war. Aber nicht, dass dieser mit Lasern geschützt ist.
„Scheiße Jayden da sind Laser!"
„Die waren vor zwei Jahren noch nicht dort."
„Was machen wir denn jetzt?"
„Keine Ahnung", sagte Jayden und es klang merkwürdig gepresst, denn seine Mutter versuchte nun wieder, in den Raum zu gelangen und die Tür auf zu machen.
„WER IST DA??", brüllte eine wütende Stimme von draußen.
„Hier!", Jayden reichte mir sein Handy und machte die Taschenlampe an. „Beeil dich!"
„Aber..."
„LOS!", er presste das Wort heraus und ich rannte zu den Laserstrahlen, wohlweislich darauf bedacht, nicht mit der Taschenlampe auf den Boden zu leuchten und zu sehen durch was ich ging.
Vor den Lasern, die den Tresor einschlossen, blieb ich stehen. Wieso hatte Ben die nicht ausgeschaltet? Die Antwort lag auf der Hand, er war nur von Lichtquellen ausgegangen, von diesem Extraschutz des Tresores hatte niemand etwas geahnt.
„WER IST DA? ICH KANN DEINEN KOPF NICHT LESEN...JAYDEN?"
Konzentrieren Luna, konzentrieren! Was wusste ich über Laser. Laser...
„ICH BRING DICH UM, WENN DU MIR MEINEN BESITZ STIEHLST!"
„Beeil dich Luna!", Jayden klang verzweifelt.
Laser...ich hatte mal gesehen wie Golddiebe Spiegel benutzt hatten, um durch die Laser hindurch zu kommen. Spiegel. Na klar. Ich holte den kleinen Spiegel aus meiner Tasche und trat einmal drauf. Selten war ich so dermaßen dankbar für einen Sturz in ein Regal gewesen. Der Spiegel zerbrach und ich sammelte zwei Hälften auf. Diese hielt ich jeweils in den Laserstrahl und teilte ihn somit durch. Schnell schlüpfte ich durch die Lücke und stand nun direkt vor dem Tresor.
„DU SCHWEIN!", Jaydens Mutter schrie immer lauter und immer schriller: „ICH RUFE DIE POLIZEI!!!"
Ich nahm Jaydens Handy, sowie den Zettel mit dem Tresorpasswort aus meiner Hosentasche, knipste die Taschenlampe an und gab blitzschnell den Code ein. Erleichtert atmete ich auf, als der Tresor tatsächlich aufschwang und eine weiße Seite hinausfiel. Schnell steckte ich sie ein.
„ICH HABE EINE WAFFE!", kreischte die Frau vor der Tür: „ZWING MICH NICHT, SIE ZU BENUTZEN!
Entsetzt rief ich Jayden zu: „Das meint sie doch nicht ernst, oder?"
Jaydens Schweigen reichte mir als Antwort. Panisch teilte ich den Laser erneut in zwei Teile und stand wieder auf der anderen Seite. In dem Moment ertönte ein Schuss.
„Jayden!", rief ich panisch: „Bist du okay?"
„Sie hat mich nicht getroffen!", rief er. „Mach die Taschenlampe aus. Auf den Boden! Lauf erst, wenn ich es dir sage und dann renn so schnell du kannst!"
Ich warf mich auf dem Boden und am dumpfen Aufprall ein paar Meter weiter, hörte ich, dass Jayden das Gleiche tat. Ein weiterer Schuss ertönte und ich hörte wie die Tür aufschwang. „WO BIST DU?", der hysterische Schrei ließ mich erstarren. „Ich weiß, dass du hier bist."
„Gib mir einfach wieder, was du genommen hast und ich lasse dich laufen" Sie lachte. Und weinte. Und kreischte und das alles gleichzeitig. Noch nie in meinem Leben hatte ich solche Angst.
„LAUF!", brüllte Jayden und ich spürte, wie er zur Tür sprintete. Ich rannte hinter ihm her. Genauso seine Mutter. Eine Hand packte mich und zog mich die Treppe rauf. Ein weiterer Schuss ertönte und ich merkte, dass er an der Wand abprallte und dann...ein stechender Schmerz in meiner Hüfte.
„Jayden"
„Wurdest du?! Scheiße!" Jayden hob mich einmal kurz hoch und stellte mich dann vor sich hin. Dann schob er mich weiter ziemlich unsanft die Treppe hoch.
„BLEIBT STEHEN!"
Angst, Schmerz. Ich konnte nicht mehr denken, alles war so nebelig. Oben war es genauso dunkel wie im Keller, aber als Jayden die Tür aufriss kamen stechende Sonnenstrahlen zur Tür rein. Jaydens Mutter schoss noch einmal. Diesmal prallte der Schuss von der Decke ab und zischte weit neben uns zu Boden. Vor Schreck stolperte ich aber trotzdem und fiel hin. Ich war halb zur Tür raus, als Jaydens Mutter in der Kellertür erschien. Noch nie habe ich einen Menschen gesehen, der so schrecklich aussah. Sie war groß, hager, hatte weiß-blonde Haare und war so blass wie ein Gespenst. Ihr Gesicht war eingefallen und ihre Augen waren riesig und blutunterlaufen. Das schlimmste aber war der Ausdruck in diesen Augen. Niemals würde ich in der Lage sein, diesen Blick beschreiben zu können, so schrecklich ist er. Sie grinste und zielte mit der Pistole auf mich. Jetzt ist es vorbei, dachte ich. Ich werde sterben, bevor ich meinen Schulabschluss habe. Ich habe noch nie in meinem Leben jemanden geküsst und hab meinem Vater viel zu selten gesagt, dass ich ihn eigentlich ziemlich cool finde. Er wird niemanden mehr haben.
Da passierte es. Mit einem Mal schien sich das Bücherregal im Flur selbstständig zu machen. Es flog, das klang unglaublich, aber ich schöre das es so passiert war, ohne Fremdeinwirkung auf die Frau, die gerade im Begriff war mich umzubringen zu und schlug ihr an den Kopf. Jaydens Mutter kippte einfach um. Jayden schien gar nicht zu begreifen was gerade geschehen war. Er starrte nur auf meine Hüfte und ich folgte seinem Blick. An meiner Hüfte klaffte eine Schusswunde.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top