Der Mann mit der Maske

Kapitel 22: Der Mann mit der Maske

Meine Bauchschmerzen nahmen eine neue Dimension an. Und doch waren sie mir so egal, dass ich sie gar nicht mehr spürte.

Ich stand langsam auf und stieß mit der Schulter gegen Mia, die sich genauso langsam neben mich stellte. Ben stand auf ihrer anderen Seite und hinter uns saß Turino, der die schluchzende Barbara im Arm hielt.

„Ahh.", sagte der maskierte Mann und sah vermutlich in meine Richtung. So ganz konnte ich das nicht erkennen, da in seiner Maske nur zwei winzige Löcher anstatt Augen waren.

„Luna Millow. Du siehst genauso aus, wie deine Mutter."

Ich ballte bloß meine Hände zu Fäusten und starrte ihn an. Besser gesagt starrte ich Jayden an, dessen Augen völlig ausdrucklos zurückstarrten.

„Deine Mutter hatte die gleichen Haare. Die gleichen Augen..."

„Wag es nicht, noch ein Wort über meine Mutter zu verlieren!", fuhr ich ihn an und trat, vor Wut und Angst wahrscheinlich ganz weiß im Gesicht, einen Schritt nach vorne.

„Du hast...du hast sie...", ich war nicht in der Lage meinen Satz zu beenden.

„Umgebracht?", fragte der Maskenmann gelassen. Mia und Ben zuckten zusammen und selbst auf Jaydens Gesicht machte sich ein wenig Panik breit.

„Ich fands auch schade, wirklich. Sie war so jung. Sie hatte ein Kind. Sie hatte ein Leben. Aber sie hat sich leider auch in die falschen Sachen eingemischt. Den falschen Leuten vertraut. Immer und immer wieder. Aber Schluss jetzt", er lachte leise und schob dann die Hand in seine Umhangtasche, um etwas rauszuziehen. Eine weiße Seite.

„Sieh, was ich gefunden habe. Aber es ist leider nur eine Seite. Die anderen hat mir deine Mutter ja wieder erfolgreich entwendet. Oh, das wusstest du nicht?", fragte er als er meinen Gesichtsausdruck sah: „Tja es gibt vieles das du nicht weißt, Luna. Aber es gibt etwas das du hast. Und das will ich leider auch haben."
Mit einem Mal spürte ich förmlich das Blatt Papier in meiner Hosentasche.

„Im Tausch biete ich dir natürlich etwas, das du gerne haben möchtest.", er rüttelte kurz an Jayden, der meinen Blick suchte und unmerklich den Kopf schüttelte.

„Oder", mischte sich Mia ein: „Sie, übrigens: schwitzen sie nicht mit der Maske und dem Umhang?!, lassen Jayden einfach los und uns gehen."

„Ähm...wieso sollte ich das tun, Kleine?"

„Weil es dann doch ganz schön ist, noch ein paar Jährchen zu leben, finden Sie nicht?"

Ich drehte den Kopf zu Mia und fragte mich, was sie dazu brachte so tollkühn zu sein, als sie die Hand zu ihrem Hosenbund gleiten ließ und einen schwarzen Gegenstand hervorholte. Eine Pistole. Ich zuckte zurück und sah Ben an, der genauso entsetzt aussah wie ich mich fühlte.

Ein ersticktes Lachen drang unter der Maske hervor „Du wirst doch wohl nicht auf mich schießen, Mädchen. Nicht wenn euer Freund dabei sterben könnte." Er legte Jayden das Messer jetzt so eng an den Hals, dass ich befürchtete er würde gleich anfangen zu bluten.

„Er ist nicht unser Freund.", erklärte Mia und die Kälte, die in ihrem Gesicht breitmachte, passte ganz und gar nicht zu ihr „Aber wir wollen doch nicht, dass er stirbt. Und die Seite, die bräuchten wir auch."

Sie legte die zweite Hand noch auf die Waffe und es klickte einmal, als sie sie entsicherte. „Und glauben Sie nicht, ich hätte keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll. Ich würde Sie jetzt also darum bitten, Jayden loszulassen."

Wir erstarrten alle und sahen den Maskenmann an. Niemand von uns wusste, ob er Jayden loslassen oder ihn umbringen und als Kollateralschaden abstempeln würde.

Doch er machte sich nur ein wenig kleiner, um direkt hinter Jayden zu passen und postierte diesen als eine Art menschlicher Schutzschild vor sich.

„Nein, ich denke nicht das ich das tue. Gib mir einfach die Seite und ich lasse ihn frei."

In meinem Kopf rasten die Gedanken wild umher. Wenn ich ihm die Seite gab, dann hätte ich meine Mutter auf ganzer Linie enttäuscht. Ich war zu hundert Prozent überzeugt davon, dass es einen ziemlich guten Grund dafür gab, warum sie ihr Leben gelassen hatte, damit dieser Mann niemals alle Seiten bekommen würde. Aber meine Mutter war tot und Jayden lebte und auch wenn es vermutlich einen Grund, der alles erklären würde, dafür gab, dass er der Maskenmann die Seiten nicht bekommen durfte und auch wenn man unzählige Menschen vor dem verrückt werden retten könne, wenn das Buch vollständig war, war es jetzt wichtiger, dass wir Jayden retteten. Also zog ich die Seite aus meiner Tasche doch in diesem Moment stieß Mia mir unmerklich in die Rippen und deutete dann mit den Augen in ihren Kopf rein.

Verdammt, sie wollte, dass ich ihre Gedanken las. Aber ich hatte ja selbst eine Schutzmauer darin errichtet, die ich nicht durchdringen konnte. Doch hatte ich es schon einmal richtig versucht? Dies war schließlich eine Notsituation. Also versuchte ich Mias Geist zu ertasten und stieß auf diese gewaltige Mauer dort drin. Ich kniff die Augen ein wenig zusammen und tastete mich an der Mauer entlang. Schnell, aber gründlich und auf der Suche nach einem winzigen Loch...

„Wird's bald?", zischte der Maskenmann ungeduldig. Aber ich ließ mich nicht aus der Ruhe bringen, tastete mich weiter entlang und dann endlich! Ein winziger, winziger Spalt war dort. Ein Spalt, in den ich mich jetzt mit aller Macht reinzwang und den ich versuchte, größer zu machen. Aufzuschieben. Es war schwierig. Es war wirklich schwer und erforderte meine gesamte Konzentration. Es war, als würde ich versuchen, das winzige Nadelöhr einer winzigen Nadel zu finden und dann einen Faden hineinzuschieben, welcher mir ständig daran vorbei glitt. Doch es gelang. Ich schaffte es, dass Loch aufzuschieben, soweit, dass ich mich durchzwängen konnte. Dann musste ich nicht einmal weit hinein gehen, denn Mia schrie mir ihre Gedanken förmlich entgegen.

Wir brauchen die Seite. Und Jayden. Ich schieße gleich. Aber neben den Mann. Doch das wird ihm ablenken, denn es wird unheimlich laut sein. Pack Jayden und zieh ihn zu uns, ja?

Ich nickte beinahe unmerklich und wedelte dann mit der Seite rum: „Wir tauschen okay? Die Seite gegen Jayden?"

Hätte er seine Maske nicht aufgehabt, hätte ich wohl ein schmieriges Grinsen über das Gesicht des Mannes huschen sehen, dicht gefolgt von Überraschung, als Mia zielsicher neben seinem Kopf in die Wand schoss.

Hinter uns hörte ich Barbara wieder aufschluchzen und etwas über die schöne Wand sagen.

Ich sprang nach vorne, packte Jayden, der sich mit einem kräftigen Stoß losriss und drückte ihn hinter uns.

„Stopp!", brüllte der Maskenmann, doch er hatte jetzt nichts mehr in der Hand. Außer der Seite. Und die mussten wir bekommen, weil sonst alles umsonst gewesen wäre. Wir mussten einfach. Ich war schon drauf und dran, mich einfach auf ihn zu stürzen, um die Seite zu bekommen, als das Unfassbare passierte. Die Seite flog dem Maskenmann einfach aus der Hand und auf mich zu. Wir starrten sie alle an. Jedes Gesicht spiegelte die gleiche Mischung aus Überraschung und Entsetzen wider. Außer Jaydens. Er murmelte: „Wusste ich's doch.", und zog mich dann an der Hand neben sich.

„Was...was passiert hier?", fragte der Mann. „Ich dachte du...du kannst Gedankenlesen und nicht..."

Er wirkte völlig verwirrt und würde mir ja beinahe leidtun, wenn er bis eben nicht einen meiner Freunde bedroht und meine Mutter umgebracht hätte.

Was sollen wir denn jetzt machen, rief Mia mir in ihrem Kopf zu: Wir können hier nicht einfach weg und Turino und Barbara hier allein lassen mit ihm. Sollen wir...ich meine, er hat deine Mutter auch getötet...

Ja, ihn umzubringen wäre wohl die einfachste Lösung von allen, aber ich war mir dessen bewusst, dass ich nicht in der Lage wäre, jemanden zu töten. Auch nicht, wenn dieser Jemand meine Mutter umgebracht hat. Ich meinte, ich wäre wirklich gerne in der Lage dazu, ich würde ihn wirklich gerne umbringen können, aber es ging einfach nicht. Und so erging es wohl auch den anderen.

Ich schüttelte den Kopf.

„Ach wie süß.", der Maskenmann schien sich wieder gefangen zu haben und höhnte: „Ihr überlegt wohl wirklich, mich umzubringen. Ich nehme euch die Entscheidung einfach ab und verschwinde. Ach so, aber das hier, Luna, interessiert dich wohl. Guck einfach in der Galerie, den Code solltest du eigentlich kennen." Und er griff abermals in seine Tasche und holte einen eckigen Gegenstand raus, den er mir zuwarf, bevor er einfach verschwand.

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