Böse Wendung
Kapitel 23: Böse Wendung
Nachdem wir alle ein paar Sekunden auf die Stelle gestarrte hatten, an der der Maskenmann einfach so verschwunden war, drehte ich mich zu Jayden um, der leichenblass im Gesicht war und umarmte ihn kräftig.
Erst versteifte er sich vor Überraschung, aber dann erwiderte er meine Umarmung und zog mich an sich. Er seufzte erleichtert und schien das leichte Zittern unterdrücken zu wollen, welches ihn erfasst hatte.
Ich nahm Stimmen war und löste mich, ein wenig peinlich berührt, von Jayden. Dieser wandte sich von mir ab und wir drehten uns beide zu Mia und Ben, die sich neben Barbara und Turino gesetzt hatten und mit ihnen sprachen.
In diesem Moment fiel mir der Gegenstand ein, den mir der Mann zugeworfen hatte und den ich automatisch aufgefangen habe. Es war ein Smartphone. Ein Smartphone mit einer blauen Handyhülle, auf die ein Foto gedruckt war. Das Foto und das Smartphone waren mir nur zu gut bekannt. Meine Hände zitterten, als ich den Code eingab und auf die Galerie klickte.
„Scheiße!", entfuhr es mir und die anderen drehten sich zu mir um.
„Wem gehört das Handy?", fragte Mia neugierig, aber verstummte, als sie meinen Gesichtsausdruck sah. Langsam nahm ich die Hände weg, damit auch die anderen sich die Hülle angucken konnten.
Darauf waren ein junger Mann und ein kleines Mädchen mit dunklen Haaren zu sehen. Ich kannte die Hülle, weil ich selbst diejenige war, die sie vor ein paar Jahren bedrucken ließ und sie ihrem Vater zum Geburtstag schenkte. Mein Vater hatte seitdem keine andere Hülle mehr benutzt.
Jayden stellte sich neben mich und guckte auf das Smartphone: „Was ist in der Galerie zu sehen?"
Ich klickte auf das Video, welches ich schon geöffnet hatte und klickte auf „Play".
Ein Mann war darauf zu sehen. Ein Mann mit leicht angegrautem Haar, die Hände und Füße gefesselt und auf dem nackten Boden sitzend. Mein Vater. Die Kamera schwenkte immer näher auf ihn zu und fing schließlich sein Gesicht ein. Er hatte ein blaues Auge und Blutergüsse auf den Wangenknochen: „Sag was.", zischte eine Stimme aus dem Off. Es war die Stimme des Mannes, der bis eben noch vor uns gestanden hatte. Es war die Stimme, bei der es mir schon wieder kalt den Rücken hinunterlief.
Mein Vater aber schüttelte den Kopf und sah nur wütend in die Kamera.
„Das ist für deine Tochter. Für Luna."
Bei diesen Worten blitzten Dad's Augen auf und er zwang sich dazu, zu lächeln: „Luna: Komm nicht her! Versuch nicht mich zu retten! Mach nicht was er..."
In diesem Moment zischte eine geballte Faust auf meinen Vater zu und schlug ihm heftig ins Gesicht.
Ich zuckte zusammen und spürte, wie mir eine einzelne Träne aus dem Auge lief.
„Das war der falsche Text.", säuselte die Stimme. „Der richtige Text lautet, dass du exakt zwei Wochen Zeit hast. Zwei Wochen, nachdem du dieses Video gesehen hast Luna. Zwei Wochen hast du Zeit, um die Seiten zu finden und mir zu bringen. Und wenn dies nicht geschieht, dann habe ich auch gar kein Problem damit, auch noch dein zweites Elternteil zu töten."
„Luna! Luna!", mein Vater versuchte alles um sich aufzurappeln und klar zu gucken. Er spuckte Blut neben sich: „Bleib weg..."
In diesem Moment brach die Videoaufnahme ab. Mia und Ben hatten sich die Hand vor den Mund gepresst und Jayden starrte mich an wie einen Vulkan, der jeden Moment explodieren könnte.
Aber es war Barbara, die sich zu Wort meldete: „Dann müsst ihr jetzt los! Los, geht los und findet die Seiten! Natürlich dürft ihr die Seite behalten, die Turino mir geschenkt hat. Braucht ihr noch etwas? Ihr habt mir mein Leben gerettet. Nein, du hast mich auch gerettet!", sie starrte Turino an und küsste ihn dann auf den Mund.
Turino wurde ganz rot, aber diesmal vor Freude und nicht vor Verlegenheit.
„Ich denke, wir müssen jetzt wirklich los.", sagte ich und war beinahe selbst davon überrascht, wie kalt und monoton meine Stimme klang: „Naja es kommt drauf an: Seid ihr immer noch dabei?"
Die anderen zögerten keine Sekunde, sondern nickten sofort. Selbst Jayden gab keine Widerworte, als Ben den Globus rausholte und ihn in die Mitte hielt.
Mia sah Turino und Barbara an die uns verwundert anstarrten: „Vielen Dank für alles."
Dann legten wir unsere Hände auf den Globus und wurden in der nächsten Sekunde wieder in den Strudel mitgerissen.
Als ich wieder zu mir kam, schlug ich mir erst einmal mit der Faust auf den Oberschenkel und fluchte derb. Mein Vater! Dieser Mistkerl hatte meinen Vater! Er hat meine Mutter getötet, hatte es selbst zugegeben und würde nicht vor einem weiteren Mord zurückschrecken. Wir mussten diese Seiten finden. Und dann würden wir sie demjenigen geben müssen, vor dem wir sie eigentlich in unseren Besitz bringen wollten, damit er sie nicht in die Hände kriegt. Ich schluckte meine Tränen hinunter und stand auf. Es war kalt. Viel kälter als in Italien, obwohl das vermutlich kein Vergleich war. Wahrscheinlich war es überall kälter als dort. Aber diesmal waren wir erstaunlich weich gelandet. Ich blickte zu meinen Füßen herunter und stellte fest, dass ich auf einer dicken, grünen Schicht Moos stand und beugte mich runter, um einmal mit den Fingern darüber zu streichen.
„Oh mein Gott!", hörte ich da eine Stimme rufen und wirbelte herum in der Annahme, dass etwas passiert sei. Doch es war nur Mia die vor einem riesigen, wunderschönen Wasserfall stand und ihn anstarrte. Das Wasser fiel von sehr weit oben zu uns hinunter und kam dann mit einem lauten Platschen in dem See an, an dessen Rand wir gelandet waren.
Ich sah mich um und stellte fest, dass wir in einer Art Bucht waren, eine Bucht, in der es einen Wasserfall und einen See gab, die mit grünem Moos bedeckt war und an derem Rand ein Wald zu sein schien. Es war wunderschön. Unter normalen Umständen wäre ich jetzt vor Glück beinahe geplatzt und hätte bestimmt Stunden damit verbracht, mir jedes einzelne Detail genau anzusehen und einzuprägen. Doch unter normalen Umständen wäre ich jetzt mit meinem Vater hier, der sich ja momentan leider in den Händen eines durchgeknallten Psychopaten und Mörders befand. Ich stampfte einmal auf, als die Wut wieder in mir hochkochte und spürte kaum, wie sich jemand an meine Seite stellte.
„Es tut mir leid.", flüsterte Jayden nur, drehte sich aber nicht zu mir, sondern hielt den Blick starr auf den Wasserfall vor uns geheftet. Mia zerrte gerade Ben ganz nah zu diesem hin und beide hielten ihre Hände unter das prasselnde Wasser. Ben füllte sich etwas Wasser in seine hohlen Handflächen und warf es in Mias Richtung, die kreischte, dann aber lachend in den See griff und ihren Bruder ihrerseits nass machte.
Bei diesem Anblick musste ich lächeln. Für die beiden war ein Abenteuer vielleicht gar nicht das schlechteste, weil es sie von ihren Problemen ablenkte. Aber für mich war das schon lange kein Abenteuer mehr, das Spaß machte. Das sagte mir nicht nur das Handy in meiner Hosentasche, sondern auch mein Verband um die Hüfte.
„Was tut dir leid?"
„Wie das alles gelaufen ist", Jayden zögerte „Aber du weißt, es ist nicht aussichtslos? Es ist auf jeden Fall machbar, drei Seiten in zwei Wochen zu finden..."
Er brach ab, als ich mich zu ihm drehte und er den Ausdruck auf meinem Gesicht sah.
„Ich werde sie enttäuschen.", selbst ich war erstaunt darüber, wie brüchig sich meine Stimme anhörte.
„Luna..."
„Ich werde sie enttäuschen, wenn ich ihm die Seiten überlasse. Sie ist dafür GESTORBEN Jayden!"
„Das stimmt nicht!", widersprach er mir „Du würdest sie enttäuschen, wenn du nicht alles dafür geben würdest, deinen Vater zu retten. Den Mann, den sie geliebt hat."
Um das Zittern meiner Hände zu unterdrücken, ballte ich sie zu Fäusten: „Hast du einen Plan?"
„Pläne gehen doch eh meist schief bei uns."
Unwillkürlich musste ich lächeln. Wo er Recht hatte...
„Hör zu!" Jetzt drehte Jayden sich ganz zu mir um und legte seine Hände um meine. Eine erstaunlich zärtliche und vertraute Geste, die gar nicht zu ihm passte.
„Wir finden die Seiten. Und wir werden deinen Vater befreien. Und ich verspreche dir, wir werden auch eine Möglichkeit finden, dass dieser Typ nicht in Besitz der Seiten kommt, da fällt uns schon was ein. Notfalls lassen wir einfach Mia mit ihrer Pistole auf ihn los, das hat ja schon einmal funktioniert."
Jetzt musste ich wirklich lachen, aber kurz darauf fiel mir etwas ein: „Wir sollten sie vermutlich fragen, wo sie die herhat."
Wir drehten uns beide zu den Zwillingen um, die sich noch ein bisschen weiter entfernt hatten und anscheinend irgendetwas am Felsen des Wasserfalls begutachteten.
„Warst du das mit der Seite?", fragte Jayden, nachdem wir ein wenig geschwiegen und die anderen beobachtet hatten.
„War ich WAS?"
„Naja du weißt schon... die Seite ist einfach so in deine Hand geflogen."
„Vielleicht war ich das", ich überlegte: „In diesem Moment habe ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als die Seite zu bekommen und mit einem Mal ist sie dann durch die Luft auf mich zugeflogen. Aber denkst du nicht, das könnte auch Turino gewesen sein?"
Jayden schüttelte den Kopf: „Nein, das denke ich nicht. Der war doch viel zu sehr mit Barbara beschäftigt. Außerdem war es nicht das erste Mal, dass du einen Gegenstand bewegt hast. Weißt du noch?"
„Das Regal", stieß ich hervor und dachte an die Sekunde zurück, in der Jaydens Mutter mit der Waffe auf mich gezielt hatte und ich schon so gut wie sicher gewesen war, ich würde sterben. Da hatte sie dieses Regal am Kopf getroffen. Es war einfach auf sie zugeschwebt...bisher hatte ich diesen Augenblick erfolgreich aus meinem Kopf verbannt. Denn das Gedankenlesen allein überforderte mich ja schon.
„Anscheinend hast du auch noch eine andere der drei Fähigkeiten. Aber bisher hat sie sich nur in absoluten Notfallsituationen gezeigt, nur als du etwas wirklich gebraucht hast."
„Das stimmt.", pflichtete ich ihm bei „Glaubst du, es funktioniert auch, wenn ich in keiner Situation bin, in der es keinen anderen Ausweg gibt?"
„Ich weiß es nicht.", Jayden zuckte mit den Schultern: „Teste es aus. Siehst du...mhh lass mich überlegen...diesen Stein?", er zeigte mit dem Finger auf einen mittelmäßig großen Stein der nur ein paar Meter von uns entfernt lag.
Konzentriert kniff ich die Augen zusammen und stellte mir vor, wie der Stein auf mich zu flog. Als nichts passierte, änderte ich meine Taktik und dachte, dass ich diesen Stein unbedingt bräuchte. In diesem Moment hob er sich ein paar Zentimeter vom Boden an und schwebte langsam in unsere Richtung. Ich stieß einen triumphierenden Laut aus: „Das ist ja viel einfacher als Gedankenlesen.", und dann knallte der Stein gegen Jaydens Schienbein. Dieser schrie vor Schmerz auf, woraufhin Mia und Ben hastig zu uns liefen.
„Ist alles in Ordnung?", fragte Mia und blickte von mir zu Jayden, der sich sein Schienbein hielt und auf der Stelle rumhopste.
„Ja.", erklärte ich: „Jayden hat nur eine sehr niedrige Schmerzensgrenze.
Daraufhin hörte er mit seinem Rumgehopse auf und funkelte mich wütend an: „Nur, weil du deine Fähigkeiten nicht im Griff hast."
Mia und Ben blickten verwirrt. Ich seufzte und erzählte ihnen dann, dass ich anscheinend nicht nur Gedankenlesen, sondern auch Gegenstände bewegen konnte. Was ja schon ziemlich cool war.
Nachdem ich geendet hatte, zog Ben nachdenklich seine Stirn in Falten: „Die Frage wäre dann ja, ob du auch noch die dritte Sache beherrschst?"
„Das Tarnen?", fragte ich.
„Genau."
„Das wird nur leider sehr schwierig herauszufinden sein", mischte sich Jayden ein, der zwar noch immer sein Gesicht verzogen hatte, seinen Fuß aber wieder vorsichtig auf dem Boden aufstellte „Da niemand genau weiß, wie sich diese Gabe bemerkbar macht oder was das überhaupt ist. Die anderen beiden sind ja eigentlich ziemlich klar, aber das Tarnen? Das könnte alles sein. Unsichtbar machen. Gestaltwandeln..."
„Moment!", mir fiel etwas ein „Der Maskenmann...er ist einfach verschwunden. Ich habe bisher nicht weiter darüber nachgedacht, aber vielleicht hat er sich ja gar nicht in Luft aufgelöst und ist verschwunden, sondern hat sich einfach nur unsichtbar gemacht oder so."
„Oder er hat die Gestalt eines ganz kleinen Tieres angenommen.", warf Mia ein.
„Genau! Schließlich hat eure Mutter behauptet, er sei ein Tarner. Das würde doch Sinn ergeben, oder?"
Ben nickte langsam: „Das würde wirklich Sinn ergeben, aber viel weiter bringt uns das nicht, oder?"
„Ja. Wir müssen jetzt erst einmal so schnell wie möglich herausfinden, wo wir sind. Und eine Unterkunft finden. Und natürlich die nächste Seite.", pflichtete Jayden ihm zu unser aller Erstaunen bei.
„Keine Ahnung, wo wir sind", sagte Mia „Aber wo wir schlafen können, dass weiß ich." Sie strahlte übers ganze Gesicht und marschierte dann los in Richtung der Felsstelle, die sie und Ben eben erkundet hatten. „Worauf wartet ihr? Folgt mir!"
Wir liefen hinter ihr her und als wir beim Felsen angekommen waren, verstand ich, wovon sie sprach. Hier war eine Höhle eingelassen. Zwar mussten wir uns ein wenig ducken, um hineinzukommen, aber diese Höhle war es allemal wert. Sie hatte eine hohe Decke und der Klang des Wasserfalls, der den Felsen herunterfiel, hallte dadurch noch stärker hier wider, doch es war eher ein entspannendes, als ein beunruhigendes Geräusch. Außerdem war es hier drinnen völlig trocken, die Wände aus dichtem Felsen waren weder nass, noch siffig, noch schimmlig. Das beste an der ganzen Höhle aber war das Moos. Wie draußen schon war auch hier eine dichte Moosdecke, die aussah wie ein dicker grüner Teppich und sich auch genauso anfühlte.
„Wow!", stießen wir alle gleichzeitig hervor.
„Ich würde sagen, wir verbringen hier die Nacht. Draußen wird es schon dunkel und ich denke nicht, dass wir noch etwas Besseres finden werden."
Tatsächlich, als ich durch den tiefen Eingang wieder raus aus der Höhle trat, war der Himmel schon mit einer viel dunkleren Farbschicht überzogen.
„Ich weiß, du würdest jetzt am liebsten gleich weitersuchen.", Mia war neben mich getreten und sah mich an „Aber wir müssen eine Pause machen. Hier grenzt ein Wald an und wir haben keine Ahnung in welchem Land wir uns befinden oderwelche Tiere es hier gibt."
Ich nickte nur, denn mir war das alles nur zu gut bewusst. Mein Körper war komplett ermüdet dadurch, dass er noch nicht komplett genesen war, aber ich würde mich trotzdem nicht entspannen können. Nicht, nachdem ich das Video meines Vaters gesehen hatte.
„Er ist der Einzige, den ich noch habe, weißt du?"
Jetzt war Mia an der Reihe, einfach zu nicken.
„Der Einzige, der immer für mich da war. Er war immer eine richtige Glucke. Aber er war nicht nur mein Vater, sondern auch noch meine Mutter. Ständig wollte er alles richtig und mir alles so einfach wie möglich machen. Wir wollten wegfahren, diesen Sommer. Nach Irland."
Mia griff nach meiner Hand. „Du sprichst über ihn, als wäre er tot obwohl er nicht tot ist."
„Aber er könnte es bald sein, und zwar meinetwegen!", brüllte ich jetzt beinahe und konnte die Tränen nicht mehr aufhalten, die mir über die Wange liefen „Hätte ich mich einfach aus der Sache rausgehalten...wäre ich nicht nach London gefahren... Ich wollte etwas für meine Mutter zu Ende bringen und der Einzige, der am Ende ist, ist mein Vater."
Mia sagte nichts, sondern legte einfach nur die Arme um mich und strich mir beruhigend über den Rücken. Schließlich befreite ich mich aus ihrer Umarmung und sagte: „Es wird kalt."
Mit einem Mal grinste Mia: „Ich weiß was.", sie zog mich hinter sich her in die Höhle, in der sich Jayden schon mit hinterm Kopf verschränkten Armen hingelegt hatte und Ben gerade bibbernd dabei war, sich aus den beiden Reisetaschen etwas Warmes zum Anziehen rauszusuchen.
„Ist dir kalt, mein lieber Bruder?", fragte Mia mit zuckersüßer Stimme. Ben ignorierte sie und suchte weiter in der Tasche.
„Ich bin ja dafür, dass ihr beiden jetzt in den Wald geht und so lange es noch halbwegs hell ist, ein bisschen Holz für ein Feuer sucht."
Jayden seufzte genervt und drehte sich auf den Bauch.
„Das war keine Frage, sondern eine Aufforderung. Zu irgendetwas müsst ihr Männer ja zu gebrauchen sein: vorhin bei Barbara wart ihr ja nicht gerade nützlich. Wir mussten da alles allein regeln, deshalb wäre es angebracht, wenn ihr jetzt zumindest dafür sorgt, dass uns heute Nacht nicht die Zehen abfrieren."
„Ich muss mir nur noch schnell einen Pulli überziehen."
„Dann wirst du in der Tasche kein Glück haben.", erwiderte Jayden im gleichgültigen Tonfall: „Da sind nämlich nur Sommerklamotten drin."
Ben stöhnte, aber Mia wandte sich Jayden zu: „Okay ich muss jetzt einfach mal nachfragen: wo hast du diese Klamotten her?"
„Viel interessanter finde ich die Frage, wo du deine Waffe herhast."
Mia lief mit einem Mal knallrot an.
„Sie erzählt es euch, wenn ihr Holz gesucht habt. Und gefunden.", sprang ich ihr bei und erntete einen dankbaren Blick.
„Na schön.", missgelaunt erhob Jayden sich und nickte Ben unwirsch zu: „Komm schon, Blondie."
Jetzt lief auch noch der zweite Zwilling puterrot an, allerdings nicht vor Verlegenheit, sondern vor Zorn: „Du weißt genau, wie ich heiße, du eingebildeter Arsch! Drei Buchstaben! Drei!"
Die beiden stritten sich zwar weiter, gingen aber brav nach draußen.
Als Ben und Jayden eine halbe Stunde später wieder zurückkamen, trugen beide eine ansehnliche Menge Holz auf den Armen. Ben strahlte von einem Ohr zum anderen und verkündete: „Ich weiß, wo wir sind."
„So viel Kombinationsvermögen hat es dein Hirn ja jetzt nicht gekostet.", stichelte Jayden, doch Ben ignorierte ihn und warf sein Holz auf den Boden.
Mia und ich saßen gerade auf dem Boden und verputzten ein wenig von Seniora Banuccis Gebäck, als Ben uns mit einer Handbewegung aufforderte, mit ihm nach draußen zu gehen.
Wir folgten ihm widerstandslos, während Jayden sich daran machte, das Feuerholz aufzustapeln.
Draußen angekommen blieb mir der Mund vor Staunen offenstehen und ein Seitenblick auf Mia sagte mir, dass es ihr genauso ging.
Der Himmel über uns war nicht dunkel und schwarz. Nein er war durchzogen von einem schimmernden, grünlichen Licht. So wurde alles auf unserer Lichtung aufgehellt und in eine Art magisches Licht getaucht.
„Es ist unglaublich schön.", staunte ich.
„Ja, oder?", Ben strahlte mit dem Himmel um die Wette „Dies ist ein Phänomen, das nicht oft vorkommt, es ist..."
„Fass dich kurz und sag wo wir sind.", zischte Mia.
Ein wenig beleidigt spitzte Ben seine Lippen, erklärte dann aber: „Aufgrund der Landschaft, der Temperaturen und des Himmels, besteht eigentlich kaum ein Zweifel daran, dass wir in Island sind. Obwohl wir auch in einem anderen Land sehr weit im Norden sein könnten, aber mir ist bei der Holzsuche gerade noch ein Geysir aufgefallen." Nachdem ich ihn skeptisch anguckte fügte er hinzu: „Eine dieser Quellen, die es hier überall gibt."
Mia kreischte entzückt: „Oh mein Gott, ich wollte schon immer mal nach Island. Und auch nach Italien. Das ist ja echt kostenloser Urlaub."
Ich brachte es nicht über Herz, ihre Begeisterung zu stoppen, indem ich ihr die Realität vor Augen hielt und sammelte stattdessen ein paar Steine um den Eingang der Hütte herum auf und ging damit wieder hinein zu Jayden. Dieser blickte nicht einmal auf, sondern sagte trocken: „Man hört Mias Kreischen bis hier drinnen."
„Ist doch schön, dass sie sich freut.", erwiderte ich und legte die Steine neben ihn „Die legen wir am besten ums Feuer, nur aus Sicherheitsgründen."
Jayden lachte kurz, dann fiel mir etwas ein: „Ähhhm, du weißt nicht zufällig, wie man mit Steinen ein Feuer macht, oder?"
„Nein.", sagte er und holte etwas aus seiner Tasche „Aber ich weiß, wie man hiermit ein Feuer macht." Erleichtert betrachtete ich das kleine, blaue Feuerzeug, das Jayden hervorgezaubert hatte.
„Woher wusstest du...?"
„Man muss immer auf alles vorbereitet sein. Ein Feuerzeug und ein Taschenmesser trage ich stets mit mir rum."
„So viel Intelligenz hätte ich dir gar nicht zugetraut.", scherzte ich und ließ mich neben ihn auf den Boden sinken, um die Steine um das aufgestapelte Holz zu legen.
Jaydens Augen blitzten als er fragte: „Ach nein?"
„Nein, auf keinen Fall. Das erfordert ja ein wenig logisches Denkvermögen..."
„Und warum hast DU dann bitteschön kein Feuerzeug dabei?", fragte er mit tiefer Stimme und rückte ein wenig näher an mich heran. Ich erstarrte. Wir saßen nun beinahe so nah beieinander, dass ich die Haare seiner Augenbrauen zählen könnte. Wenn ich gewollt hätte.
„Ja, also das ist die Frage", begann ich. Mit einem Ruck war Jayden so nah an mich ran gerutscht, dass ich den Atem anhielt. Ich registrierte gar nicht richtig was geschah, als er mit einem Mal seinen Arm um mich legte und aufsprang, wobei er mich mit sich riss. Dann hob er mich hoch und trug mich vor die Höhle. Als ich bemerkte, was er vorhatte, strampelte ich und versuchte mich mit aller Macht von ihm zu befreien. Mia und Ben starrten uns an, als Jayden mich in den See warf. Aber ich hatte mich so fest an ihn geklammert, dass ich ihn einfach mit mir riss.
Das Wasser war erstaunlich warm. Ich hätte mit viel kälteren Temperaturen gerechnet. Zum Glück hatte ich das Handy meines Vaters und die Buchseite eben schon in einer der Reisetaschen verstaut, denn sonst hätte ich nicht für Jaydens Sicherheit vor mir garantieren können.
Jetzt aber musste ich lachen, trotz allem, was gerade los war, denn die Situation war einfach viel zu schön, um sie nicht zu genießen. In einem See in Island zu schwimmen, während dieses magische Licht auf die Lichtung schien...
Das Wasser war nicht tief. Zwar musste ich mich auf die Zehenspitzen stellen, um stehen zu können, dennoch wurde es nicht tiefer.
„Du Arsch!", schrie ich jetzt trotzdem und stürzte mich auf Jayden. Er ruderte mit den Armen und schrie nach Hilfe, während ich ihn unter Wasser drückte, aber er lachte dabei.
„Was ist denn hier los?" Ben und Mia hatten sich neben den See gestellt. Vorsichtig tauchte Ben seinen Finger ins Wasser, anscheinend um die Temperatur zu testen, da schubste Mia ihn einfach rein.
„Du kannst sie ja da drin fragen."
Mit einem lauten „Platsch" landete Ben im Wasser, tauchte einmal kurz unter, war aber ein paar Sekunden später schon wiederaufgetaucht.
Lachend machte ich einen Schwimmzug zum Rand des Sees und griff nach Mias Bein.
„Ahhh neeeein!", kreischte sie, bevor sie ebenfalls zu uns ins Wasser fiel.
„Monster!", rief sie als sie wiederaufgetaucht war und schwamm lachend auf mich zu. Ich paddelte mit den Beinen, um mich vor ihrer Wasserspritzattacke zu schützen. Mia hatte mich fast erreicht, als Ben sich von hinten auf sie warf und die beiden miteinander rangen.
Grinsend schwamm ich zum Rand des Sees und lehnte mich daran, die Arme auf dem Rand in beide Richtungen ausgestreckt.
„Wenigstens lachst du.", sagte Jayden, der plötzlich vor mir auftauchte.
„Obwohl ich deine ganze Aktion hier gar nicht zum Lachen finde.", fauchte ich, doch mein lächelndes Gesicht strafte meine Worte wohl Lügen.
Das schien auch Jayden zu bemerken, denn mit einem breiten Grinsen lehnte er sich neben mich an den Rand.
„Irgendwas ist magisch an diesem Ort.", flüsterte ich, während ich den lachenden Zwillingen zusah, die sich gegenseitig unter Wasser zu drücken versuchten „Sie wirken mit einem Mal viel glücklicher."
Ich sah zu Jayden, in der festen Überzeugung, er würde mich auslachen, doch er sagte ernst: „Vielleicht ist es nicht magisch hier. Aber es ist so schön, dass es leichter ist, glücklich zu sein, weil man die unschönen Dinge hier nicht mitbekommt."
„Wahrscheinlich, ich habe trotzdem beschlossen, an Magie zu glauben, denn die letzten Tage haben ja zweifelsfrei bewiesen, dass sie existiert."
„Manchmal ist es wichtig, einfach nur zu glauben."
„Warum bist du so?"
„Wie bin ich denn?"
„So gar nicht jaydenhaft. Bitte mach dich einfach wieder über alles lustig und sei nicht so: erwachsen und verständnisvoll. Das ist unnormal."
Er lachte und beugte sich dann so zu mir rüber, dass er mir etwas ins Ohr flüstern konnte: „Vielleicht macht der Ort ja auch etwas mit mir."
Dann stemmte er sich aus dem Wasser und ging in die Höhle. Als wir anderen ein paar Minuten später dort eintrafen, war es wohlig warm, da ein Feuer in am Höhleneingang leuchtete und wir tauschten unsere nassen Sachen noch schnell gegen trockene, bevor wir uns alle ins Moos legten und die Augen schlossen.
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