Auf Leben und Tod

„Das sieht gar nicht gut aus...!", brachte ich gerade noch hervor. Mir war so furchtbar schwindelig...und ich war so unglaublich müde.

„Kannst du aufstehen?", fragte Jayden: „Wir müssen hier weg", er reichte mir seine Hand, um mich hochzuziehen.

Langsam ergriff ich diese, doch als er versuchte, mich auf die Beine zu zerren, klappte ich einfach wieder zusammen. Mir wurde schwarz vor Augen und ich bemerkte nur halb wie Jayden mich irgendwie auffing und ächzte, als er mich hochhob. Dann schlug er mir kurz ins Gesicht. Es war nicht fest, aber so stark, dass ich wieder ein bisschen klarer denken konnte.

„Bleib wach", presste er hervor, während er so schnell wie möglich mit mir die Straße hinunterging.

„Ich versuch's ja...", murmelte ich. „Du Jayden?"

„Mhhm?"

„So ein schlimmer Arsch bist du gar nicht."

Ein kurzes Lächeln zuckte über Jaydens angespannte Gesichtszüge.

„SCHEIßE!", hörte ich jemanden schreien und im nächsten Moment kamen Mia und Ben auf uns zugelaufen.

„Was ist passiert?", fragte Ben atemlos und betrachtete schockiert das Blut, welches in Strömen aus mir hinausfloss.

„Schuss", knurrte Jayden.

Mia riss ihre Augen auf. „Wer hat auf euch geschossen? Deine Mutter etwa?"

Jayden's Schweigen bestätigte ihre Vermutung.

„Wir müssen hier weg", sagte Ben aufgebracht. „Luna muss sofort ins Krankenhaus und deine Mutter kann jeden Moment...oder ist sie...ist sie tot?"
„Nein."

„Kannst du sie noch bis zum Auto tragen?", fragte Ben. „Wie schlimm wurde sie vom Schuss erwischt? Ist es nur ein Streifschuss?"

„Keine Ahnung. Aber ich kann sie bis zum Auto tragen. Beeilt euch!"

Während des ganzen Gesprächs war mir immer schummriger im Kopf geworden und schließlich klappte mein Kopf zur Seite weg und ich bekam gar nichts mehr mit.

Mia

„Was sollen wir denn jetzt machen?", fragte ich, den Tränen nahe. Hätte ich das geahnt. Das Ganze hätte nicht so aus dem Ruder laufen dürfen. Niemals! Eigentlich dachte ich, wir könnten ein bisschen um die Welt reisen, Detektiv spielen und diese verdammten Seiten finden. Aber eine Schusswunde? Vielleicht würde Luna sterben und niemand von uns konnte das verhindern. Das wäre nicht fair. Wirklich gut kannten wir uns zwar nicht, aber wir hätten wirklich Freunde werden können. Und sie tat Ben doch so gut. In den letzten beiden Tagen hatten wir zwar viele Probleme, aber immerhin musste Ben nicht über seine eigentlichen nachdenken. Und ich auch nicht. Was für ein Mist! Uns musste jetzt ganz schnell etwas einfallen, damit wir Lunas Wunde irgendwie versorgen könnten.

„Sollen wir sie in ein Krankenhaus bringen?", fragte Ben.

„Das ist keine gute Idee. Meine Mutter wird uns überall hier in der Nähe suchen und außerdem werden von Minderjährigen in Krankenhäusern immer die Eltern informiert.", keuchte Jayden und legte Luna erstaunlich sanft auf dem Rücksitz ab. Inzwischen hatte sie komplett das Bewusstsein verloren. Ich kletterte zu ihr auf die Rückbank und streichelte beruhigend ihre Schulter, auch wenn sie das nicht mitbekam. Sie war leichenblass und ihre Haare hatten sich dunkel um ihr Gesicht gelegt. Ich fühlte ihr Handgelenk. Wenigstens hatte sie noch einen Puls. Er war zwar schwach, aber er war da.

„Papa...", flüsterte ich.

Jayden der gerade den Moter anließ, drehte sich wütend zu mir um. „Jetzt ist wirklich nicht der beste Zeitpunkt, an deine Eltern zu denken."

„Nein.", sagte Ben vom Beifahrersitz aus. Er hatte es kapiert: „Unser Vater ist Arzt."

„Und euer Vater wohnt in Deutschland."

„Der Globus...", murmelte ich und begann nach ihm zu suchen.

„Der..."

„Halt die Klappe!", schrie ich und brüllte: „Bisher hat uns der Globus IMMER genau dahin gebracht, wo wir hinmussten und diesmal wird es hoffentlich auch so sein."

„Aber..."
„Wir haben doch schon wieder keine Wahl! Wo ist dieser beschissene Globus?", brüllte ich die anderen an.

Ben guckte ein wenig verschreckt und selbst Jayden war kurz zusammengezuckt.

„Hier ist er!", rief mein Bruder und holte den Globus unter dem Beifahrersitz hervor.
„Okay alle Hände drauf!", sagte ich und nahm auch Lunas schlaffe Hand um sie auf den Globus zu legen. Jayden blickte zwar irritiert, folgte aber ohne zu zögern meiner Anweisung und als schließlich Ben seine Hand auf den Globus legte, spürte ich wieder dieses Schwindelgefühl, dann die Schwärze und betete dafür, dass wir in Hamburg ankämen würden.

Wir landeten mitten in einem kleinen Park. Es regnete mal wieder in Strömen, was aber gar nicht schlimm war, da sich dadurch keine Menschen hier aufhielten. Kurz überblickte ich die Reisegesellschaft und stellt fest, dass alle gut angekommen waren. Auch wenn Jayden sehr blass um die Nase war. Lunas Hand war noch immer in meiner, so dass ich spüren konnte, wie ihr Puls immer schwächer wurde. Panik erfasste mich und ich schrie: „Jayden, heb sie auf und kommt mit!"

Ich wusste ganz genau wo wir waren. Wir waren in Hamburg angekommen und zu meiner unendlichen Erleichterung, waren wir auch nicht weit von dem Krankenhause entfernt, in dem unser Vater arbeitete. Der Globus schien wirklich zu wissen, wohin wir mussten und was wir brauchten.

Diesen Park kannte ich. Vor zwei Jahren bin ich oft hier gewesen. Ich wusste genau, wenn man durch die dicht stehenden Bäume auf der linken Seite ging, wen und was man dort finden würde. Aber das war gerade unwichtig. Jayden hatte Luna aufgehoben und blickte mich erwartungsvoll an.

„Hier lang!", ich rannte los, Ben war mir dicht auf den Fersen und aufgrund seiner langen Beine nach ein paar Metern schon an mir vorbeigejoggt. Jayden war mit Luna ein bisschen weiter hinten. Wir rannten immer weiter, überquerten eine schmale Straße und bogen schließlich in eine breitere ein, in der wir am Ende schon das große, weiße Gebäude erkennen konnten, welches unser Ziel war.

Ich wusste, wo wir lang mussten. Als wir noch klein waren, hatte unser Vater uns immer durch den Hintereingang reingeschleust, als er eigentlich auf uns aufpassen sollte und dann doch noch spontan eine Nachtschicht im Krankenhaus angenommen hatte. Damals saßen Ben und ich immer stundenlang allein in Papas Büro, das er abgeschlossen hat, damit wir nicht wegliefen. Er hatte uns unsere Decken mitgebracht aber geschlafen haben wir nie. Und das alles nur weil unser Vater zu stolz gewesen war, irgendjemanden um Hilfe zu bitten. Oft war so etwas nicht vorgenommen, da unsere Mutter ja meist zu Hause war, aber wenn Papa dann mal auf uns aufpassen musste, konnte er sich nie nur mit uns beschäftigen, sondern hatte immer noch etwas anderes machen müssen. Ich verstehe, dass meine Mutter ihn verlassen hat, denn sie behandelte er nicht anders.

„Was ist", fragte Ben: „Wenn uns jemand sieht?"

„Dann ist das halt so", zischte Jayden.

Wir betraten das Krankenhaus und hatten Glück, denn in dem kleinen Treppenhause, in das wir hineinkamen, war keine Menschenseele. Dieser Teil des Krankenhauses war eh nur für das Personal.

„Zu Papas Büro geht es hier lang", ich deutete mit dem Zeigefinger auf die Treppe, die hochführte.

Wir gingen diese hoch und bogen dann durch eine Tür rechts ab. Eine Krankenschwester schob einen Wagen an uns vorbei, schaute aber zu unserem Glück aufs Handy, so dass sie uns nicht bemerkte. Wir gingen noch einen Flur entlang und schoben uns schließlich durch eine weitere Tür.
„Hier sind wir."

„Mia?", hörte ich da die vertraute Stimme meines Vaters. „Ben! Was macht ihr hier? Wer ist das? Oh, scheiße ist sie verletzt? Seid ihr auch verletzt? Was ist passiert? Eure Mutter macht sich wahnsinnige Sorgen!"

„Papa!", rief ich und unterbrach ihn: „Uns geht es gut, aber unsere Freundin ist schwer verletzt, sie wurde angeschossen."

„Wie konnte das denn passieren? Wo wart ihr?", mein Vater zog seine blonden Augenbrauen erst wütend zusammen und dann besorgt nach oben. Jetzt, als ich ihm ins Gesicht blickte, stellte ich fest, wie alt er doch geworden war. Ein leichter Bart hatte sich um seinen Mund ausgebreitet und graue Strähnen durchzogen seine hellen Haare. Seit einem Jahr hatte ich ihn jetzt nicht mehr gesehen. Seit...unwichtig.

Jayden ächzte und legte Luna auf der Liege im Büro ab.

„Jetzt untersuchen Sie sie doch!", brüllte er auf Deutsch mit einem lustigen Akzent: „Sie hat schon fast keinen Puls mehr."

Mein Vater ging eilig auf die Liege zu und fühlte den Puls an Lunas Handgelenk. Dann zog er ihr Hemd ein wenig hoch, um die Wunde betrachten zu können. Schließlich rannte er zur Tür und brüllte: „Bernd! Komm schnell her!"

Ein weiterer, jüngerer Arzt im weißen Kittel stürmte herein. Uns beachtete er gar nicht. Er hatte nur Augen für die Wunde.

„Schuss?", fragte er meinen Vater und fügte noch etwas Medizinisches hinzu, das ich nicht verstand.

Mein Vater nickte bestätigend und holte sein Arbeitshandy raus: „Ich stelle das OP-Team zusammen. OP-Saal drei sollte gerade frei sein."

„Okay, Chef", antwortete der andere Arzt und ging dann nach draußen, nur um zwei Sekunden später wieder mit zwei Pflegern zurück zu kehren, die eine Rollliege schoben, auf welche sie Luna hievten. Dann schoben sie sie hinaus.

Mein Vater sprach in sein Handy.

„Was ist hier los?", fragte Ben.

„Sie muss operiert werden. Habt ihr zufällig ihre Krankenversicherungskarte?"

Ben schüttelte den Kopf.

„Könnt ihr mir ihren Namen sagen?"

„Luna Millow."

„Ausweis?"

„Haben wir auch nicht."

„Ist sie volljährig?", fragte mein Vater weiter.

Ben zögerte kurz und sagte dann: „Ja ist sie."
„Was zum Teufel ist passiert?", wollte mein Vater abermals wissen.

„Das ist kompliziert..."

„Ich muss eure Mutter informieren."

„Nein, musst du nicht", schaltete ich mich ein. „Papa, wenn du uns etwas schuldest, dann dass du etwas nicht Mama erzählst. Sonst können wir auch mal auspacken!"

Mein Vater wurde bleich. Er wusste, was er getan hatte. Und er wusste auch, dass wir das wussten. Und unsere Mutter nicht.

„Ich rede mit ihr, versprochen", beruhigte Ben ihn. „Aber gerade ist das ganz ungünstig."

„Aber...", begann unser Vater.

„Wird sie wieder gesund?", flüsterte eine Stimme hinter uns und wir drehten uns zu Jayden um. Er war fast so blass, wie Luna eben gewesen war und sah unseren Vater bittend an.

„Ich weiß es nicht, Junge", antwortete dieser und fügte hinzu: „Wer bist DU eigentlich?"

„Jayden", sagte Jayden nur.

Mein Vater seufzte und ich sah ihm an, wie gerne er uns weiter befragen würde, aber sein Handy piepte.

„Ich informiere euch, wenn es Neuigkeiten gibt", sagte er und verschwand durch die Tür.

Sofort schossen mir die Tränen in die Augen und ich ließ mich auf dem Stuhl vor Papas Schreibtisch nieder.
„Ich will nicht, dass sie stirbt.", schluchzte ich und schämte mich sofort für meine Tränen. Sie waren lächerlich und halfen uns in keiner Weise weiter. Aber raus mussten sie trotzdem. Ben legte die Arme um mich und sagte sanft: „Sie wird nicht sterben..."

„Woher willst du das denn wissen?", fragte ich meinen Bruder und wischte mir über die Augen.

„Unser Erzeuger mag zwar ein ziemlich schlechter Vater sein, dafür ist er aber ein ziemlich guter Arzt."

Ich musste lächeln, weil Ben damit ziemlich richtig lag. Als Vater war Papa schon immer eine Katastrophe gewesen, aber in seinem Job war er echt nicht schlecht. Trotzdem musste ich hier raus. Ich konnte nicht so lange warten, bis Luna aus dem Operationssaal kam, sondern musste jetzt mit jemandem sprechen. Wenn Luna wieder gesund werden würde und ich betete inständig dafür, könnte uns diese Person weiterhelfen. Auch wenn die anderen nicht sehr erfreut sein würden. Egal, nachdem was heute passiert war, konnten wir uns nicht mehr länger solchen Gefahren aussetzen. Aber wir durften Luna auch nicht im Stich lassen.

„Ich muss etwas erledigen", raunte ich meinem Bruder zu und war, bevor dieser überhaupt reagieren konnte, aus der Tür gerannt.

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