Kapitel vierunddreißig
Mit einem flauen Gefühl im Magen ziehe ich mir die klamme Jacke von den Armen, um sie an den Haken zu hängen. Vater verriegelt die Haustür, dann geht er in die Küche vor, aus der Stimmengewirr herüberklingt. Meine Chance! Rasch drehe ich mich Lexi zu, die sich bibbernd die roten Händchen aneinanderreibt. "Uh", macht sie und schüttelt sich, "als Eule war es wärmer." Geschockt lege ich ihr eine Hand auf den Mund. "Kein Wort, hatten wir gesagt!" Meine Stimme ist ein wütendes Zischen, das Lexi einzuschüchtern scheint; sie nickt. "Wir sind in Gefahr, Scarlett, oder?", fragt sie jedoch zögerlich. Verdammt. Ich wollte sie eigentlich da raushalten. "Hör zu." Ich seufze tief, während ich ihre rosigen Wangen streichle. "Wir reden später darüber. Aber jetzt darfst du mit niemandem darüber reden! Nicht einmal mit Mutter." Lexi macht große Augen. "Aber warum? Ich kann sie nicht anlügen." Wie sie so dasteht, klein, unbeschützt, so zart und unschuldig, tut sie mir unendlich leid. Ich habe nie darüber nachgedacht, wie es für sie sein muss, plötzlich in dem Körper eines Tieres zu stecken, aber jetzt zerreißt es mir das Herz. Meine Schwester steckt mitten drin, das allerletzte, was ich wollte. "Du musst", sage ich, meine Warnglocken ignorierend. "Sonst wird auch sie in Gefahr gebracht." Lexi nickt und greift meine Hand. "Na gut." Ich werfe ihr einen letzten entschuldigenden Blick zu, ehe wir gemeinsam in die Küche gehen. Die Cumberlands sitzen mit Mutter und Vater am Tisch, aber als wir eintreten, stehen sie auf. Mya Cumberlands gebrochene Gestalt neben dem stämmigen Rupert... ein so alltägliches Bild. Es macht mir Angst, dass es mir auf einmal so fremd ist. Adam ist der erste, der mir die Hand reicht. "Scarlett." "Adam." Ich erwidere seinen Händedruck ebenso wie den kühlen Blick gelassen. Nach allem, was ich bereits durchgemacht habe, macht er mir keine Angst mehr. Wir starren einander an, es ist ein Wettkampf. Wer als erstes wegsieht, ist der Schwächere und das kann ich mir auf keinen Fall erlauben. Erst, als Mutter sich räuspert, sehen wir beide weg. Rupert und Mya schütteln mir die Hand, entschuldigen sich überschwänglich und beteuern immer wieder, dass sie sich furchtbar für die Taten ihres Sohnes schämen. Als sie Lexi eine kleine Puppe aus Leinen schenken, verenge ich die Augen zu Schlitzen. Wenn die Cumberlands denken, sie könnten sich aus der Nummer rausschleimen, haben sie sich gewaltig geschnitten. Da sind sie bei mir an der ganz falschen Nummer. "Kann Adam sich auch selbst entschuldigen?", frage ich herausfordernd, "oder hat man ihm das Mundwerk genommen?" Während Mutters Gesicht an Farbe verliert, wird Myas Lächeln schmallippiger. "Scarlett!", sagt Vater warnend, doch ich ignoriere ihn. "Es tut uns wirklich...", setzt Rupert an und ich vollende seinen Satz mit falscher Freude:"leid, ich weiß. Das beantwortet leider meine Frage nicht, ob Adam mir das selber mitteilen kann. Nicht ihr habt mich verletzt, sondern er." Ich nicke mit dem Kinn in seine Richtung, so missbilligend wie möglich. Lexi versteckt sich hinter Mutters Rücken, die mir einen warnenden Blick zuwirft. "Ich wüsste nicht, wofür", sagt Adam kühl. Aha. Er will Krieg, er kriegt Krieg. "Du hast mich tyrannisiert, seit ich dich versetzt habe", zische ich. "Du warst so wütend, dass du jede Gelegenheit genutzt hast, um mir irgendwie das Leben schwer zu machen. Da kam dir Riley natürlich gerade recht. Er wehrt sich nicht und du hättest ihn fast bestraft, obwohl er unschuldig war. Am Ende hast du mich ohne zu zögern an den Pranger gehen lassen, obwohl du genau wusstest, dass ich nichts getan hatte." Ich mache schnaubend einen Schritt auf Adam zu. Er legt die Augen nieder. "Du hättest mir nicht absagen dürfen." "Eine Hochzeit ist in Cayr nichts, das erzwungen werden darf. Ich habe bereits einen Jungen, mit dem ich mein Leben verbringen will", entgegne ich höhnisch und da lacht Adama auf. "Ach, du bleibst tatsächlich bei diesem Streuner? Bei diesem Kräuter-Sammler, dem Schwächling? Der behauptet, der neue Heiler zu sein? Ich dachte wirklich, du hättest mehr Niveau, Scarlett." Seine Stimme ist ganz ruhig, was mich noch schäumender macht. Ich muss mich zusammenreißen, um nicht handgreiflich zu werden. Dafür wird es Rupert; er packt seinen Sohn am Nacken und zieht ihn ruckartig von mir weg. An der Art, wie Adams Gesicht auseinanderfällt, merke ich voller Genugtuung, dass es ihm weh tut. Verdient. "Wir sind hier, um Frieden zu stiften", haucht Mya ihrem Sohn mit bebender Stimme zu. An ihrem Gesichtsausdruck erkenne ich, wie traurig und enttäuscht sie von ihm ist. "Und dass du so voller Hass steckst, macht mich krank." Mya schlägt Adam mit leeren, glasigen Augen in das bleiche, vornehme Gesicht. Mit der flachen Hand direkt auf die Nase. Mutter holt tief Luft, dann zieht sie Lexi, die sich die Augen vor Schreck zuhält, eilig aus dem Zimmer. Kurz darauf höre ich, wie die Schlafzimmertür meiner Eltern quietschend ins Schloss fällt. Adam sagt gar nichts mehr, nur seine geblähten Nasenlöcher zeigen die irrsinnige Wut in ihm. "Riley sollte dir helfen, Adam", sage ich tonlos. "Du bist krank." Mit den Worten und ohne noch mehr zu sagen, deute ich zur Tür. Die Cumberlands lassen sich diesen stummen Befehl wohl nicht zweimal geben, denn sie verlassen ebenso still unser Haus und erst, als sie draußen sind, hört man gedämpfte Beschimpfungen. Ich sehe auf den Kuchen, der liebevoll verziert auf unserem besten Teller auf dem Tisch steht. Er muss Mutter ein Vermögen gekostet haben, schon allein wegen dem Marzipan, und nun habe ich unsere Gäste vertrieben. Es tut mir so leid, dass ihr gutmütiges Wesen so unter meinen Strapazen leiden muss und ich beschließe, dass ich es irgendwann gut machen werde. Irgendwann, wenn mein Leben einen geregelten Weg gehen kann und mir meine Zukunft mit Riley gesichert ist.
Vater nimmt seufzend Platz. Ich warte auf das Donnerwetter, doch als er zu mir aufblickt, sehe ich keinerlei Zorn in seinen Zügen. "Ich bin stolz auf dich, mein Mädchen", sagt er schließlich. Ich traue meinen Ohren nicht. "Du hast das einzig richtige getan, indem du diesen Unhold aus unserem Haus geschickt hast. Vergiss ihn einfach." Vater legt ohne weiteres seine Pranke um meine vernarbte, raue Hand. Ich bin irgendwie zu Tränen gerührt, auch wenn es mir peinlich ist, das zuzugeben, aber ich habe in meinem Leben nur selten erleben dürfen, dass ich in den Augen meines Vaters etwas gutes getan habe. Vielleicht, denke ich, werden wir uns niemals ausstehen können. Dafür sind wir uns von unserer Art her zu ähnlich und ich habe ihm zu oft die Stirn geboten. Aber wir könnten es schaffen, miteinander auszukommen.
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Kommis? ❤
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