Kapitel neunundzwanzig
Es dauert eine Woche, bis ich wieder munter auf den Beinen bin. Diese Zeit verbrachte ich ausschließlich im Haus und es war das erste Mal, dass ich sieben Tage am Stück drinnen bleiben konnte. Ich schlief bis Mittag und Riley stand jeden Tag an meinem Bett und wartete, dass ich aufwachte. Mutter buk Kuchen und Brote, Lexi las mir mit ihrer langsamen, kindlichen Art aus ihrer Fibel vor, um das Lesen zu üben. Sogar Großmutter kam zwei Mal vorbei, um nach meinem Wohlergehen zu sehen. Nur Vater ist unverändert geblieben, griesgrämig, unverschämt und gefühlskalt, aber darüber kann ich hinwegsehen. Es gibt so viele Leute, die mich lieben und die mir nahe stehen, das lasse ich mir von einer Person nicht vermiesen.
Heute wird mein Freispruch offiziell verkündet und gefeiert, da ich nun wach und lebendig bin, um die Zeremonie über mich ergehen zu lassen. Ich erlaube Mutter und Lexi, mich schön zu machen, während Riley Vater in den Ställen hilft und mit ihm redet. Ich weiß noch nicht genau, warum er ihn so mag, aber er verbringt viel Zeit mit ihm, wenn er nicht gerade bei meiner Großmutter ist, meine Hand hält oder mit Lexi spielt. Für uns alle ist er wie ein vollwertiges Mitglied der Familie, immerhin ist er der einzige Mann, den ich nur allzu freiwillig in mein Leben lasse. Meine Eltern scheinen sich zu freuen, dass ich vielleicht doch nicht als alte Jungfer ende und Mutter hat einen richtigen Narren an ihm gefressen. Und Lexi, Lexi ist sowieso hin und weg. Zum ersten Mal seit Wochen darf ich mir erlauben, glücklich zu sein. Ich habe ein gutes Gefühl, was den Bann anbelangt, denn seit ich aus meiner Ohnmacht erwacht bin, hat sich etwas verändert: Ich sehe Riley mit anderen Augen. Seine Stimme hat nicht mehr diese starke Melodie, auch wenn sie immer das schönste Geräusch auf Erden bleiben wird. Aber das ist noch lange nicht alles: Ich sehe Fehler an Rileys Wesen, Drtails, die mir zuvor nie aufgefallen sind, weil ich ihn stets als vollkommenes Geschöpf gesehen habe, ohne mich auf Kleinigkeiten zu konzentrieren. Jetzt aber sehe ich die winzige Narbe zwischen seinen Augenbrauen und seine Iris ist nicht schwarz, wie ich immer dachte, sondern braun. Wenn er im Licht steht und ich ganz genau hinsehe, kann ich die dunklen goldenen Tupfer inmitten des Schwarz' erkennen. Außerdem hat er ein paar wenige Locken im Nacken; sein Haar ist nicht durch und durch glatt und glänzend. Sein Kinn ist spitz und markant geschnitten, kein sanfter Übergang zum Hals, wie ich es bis dato wahrgenommen habe. Nicht zu vergessen das Muttermal auf seinem Handrücken.
Riley ist nicht perfekt, er hat Fehler und gerade das macht ihn für mich paradoxerweise noch perfekter. Wenn er in meiner Nähe ist, fühle ich mich weder elektrisiert noch durstig, seine Anwesenheit erfüllt mich einfach mit Wärme und Glück. Und Liebe.
"Du kannst die Augen aufmachen", tönt Lexi. Sie und Mutter wollten nicht, dass ich sehe, was sie mir ankleiden und wie sie mich frisieren, aber als ich nun in den Spiegel sehe, verschlägt es mir den Atem. Das Kleid ist blutrot und so lang, dass es meine Füße verdeckt und sich federleicht auf den Boden legt. Tüll umhüllt und wärmt meine Beine, aber der Stoff darüber, der eigentliche Rock besteht aus fließender, glänzender Seide. Das Kleid ist an meiner Taille eng und mit goldenen Blüten verziert, fällt dann aber weich hinab; ich sehe groß und dünn darin aus. Der Ausschnitt ist eckig, aber nicht so tief wie der letzte, sodass er jegliche Peinlichkeiten verdeckt. Die engen Ärmel reichen mir bis knapp über die Ellbogen, keine Rüschen diesmal. Ich fühle mich schön, als ich schließlich auch mein Gesicht betrachte. Meine Augen leuchten wie schon lange nicht mehr, grau und grün streiten sich hartnäckig darin. Meine Haut ist von Mutters Pflege ganz rein und weich und meine Haare fallen offen über meine Schultern, wild wie eh und je. Wenn ich gleich durch das Schneegestöber stapfen werde, werde ich aussehen wie die Prinzessin des Winters, schön und glücklich. Mutter wischt sich verstohlen in den Augen herum. "Du bist so bildhübsch, Kleines", schnieft sie, ehe sie mich überraschend umarmt. Lexi schlingt ihre Ärmchen um uns. "Du siehst aus wie die Fee aus meiner Fibel!", ruft sie und strahlt mich an. Ich tätschele gutmütig ihr rotes Haar. "Die Gute oder die Böse?" "Die gute natürlich! ", krakeelt meine Schwester empört und zieht die Nase hoch. Lachend löse ich mich von ihr und Mutter. "Bevor wir losgehen, hätte ich noch eine Frage", sage ich und schaue Mutter eindringlich an, "wo hast du dieses Kleid her und wie konntest du das bezahlen?" Sie streicht sich verlegen über den Rock. "Es ist ein Geschenk von Rupert Cumberland, dem Schneider. Er... schämt sich schrecklich für seinen Sohn Adam. Ich soll dir auch ausrichten, dass es ihm leidtut." Eine Weile weiß ich nicht, was ich dazu sagen soll, aber dann runzele ich die Stirn. "Adam soll sich selbst entschuldigen", sage ich mit fester Stimme und gehe aus der Tür. "Gibt es auch eine passende Jacke?", rufe ich über die Schulter. Mutter beeilt sich, mir hinterherzukommen und Lexi hüpft fröhlich zur Haustür hinaus. Sie trägt schwarze Strumpfhosen, ein grünes Röckchen und eine warme, graue Wolljacke. Sie wird nicht frieren, ich jedoch schon, wenn ich so gehen muss. Meine Nervosität legt sich etwas, als Mutter mir meine Jagdstiefel reicht. Sie hat sie geputzt, aber klobig sind sie immer noch. Ein Glück, dass mein Kleid so lang ist, dass niemand sie sehen wird. Schließlich hilft Mutter mir in einen gefütterten Mantel und geleitet mich zum ersten Mal seit einer Woche wieder nach draußen.
Der Wind ist eisig. Winzige Schneeflocken wirbeln durch die winterkalte Luft, doch auf meinen Wangen stechen sie wie Nadeln. Ich kneife die Augen zu, weil der Schnee, der die Sonne reflektiert, mich blendet. Trotz des üppigen Unterrockes, fangen meine Knie augenblicklich zu schlottern an und meine Zähne klappern aufeinander. Der Winter war nie meine Jahreszeit und jetzt verwerfe ich auch die Fantasien der Schneeprinzessin. Alles, was ich spüre, ist Frost. "Ist es schon Dezember?", frage ich bibbernd und reibe meine kalten Hände aneinander, die bei den Temperaturen ganz steif werden. Mutter schlingt sich einen Wollschal um. "Ja. Es ist der Zehnte." Sie fasst meine Hand, damit wir gemeinsam zu der Kutsche gehen können, die Vater vorbereitet hat. Paul und Maxy, unsere beiden Hengste, werden uns zur Feier meines Freispruches ziehen und sie stehen im Sturm wie zwei Felsen in der Brandung, die Köpfe herausfordernd nach oben gereckt. Vater sitzt bereits auf dem Kutschbock, Lexi auf dem Schoß. Riley wartet an dem Treppchen, damit er mir aufhelfen kann. Er lächelt breit, als ich mich von Mutter löse und seine Hand ergreife, die überraschend warm und weich ist. "Du siehst wunderschön aus", raunt er mir zu, während wir uns auf dem Bänkchen niederlassen. Ich schmiege mich so dicht an ihn, dass sein warmer Atem mein kaltes Ohr streift. Obwohl Mutter direkt neben uns sitzt, schäme ich mich nicht. Riley ist viel zu wertvoll, als dass er mir peinlich sein könnte. Er ist ein Hauptgewinn in einem Korb voller Nieten wie Adam Cumberland.
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Hey ihr. ♥ Bei mir ging die Schule heute zwar wieder los, aber viele von euch haben sicher noch Ferien. Deswegen hoffe ich, dass ich euch mit der Geschichte eine schöne Zeit bereiten kann. ♥ Und wir neigen uns langsam dem Ende zuuu :)
Wenn ihr dazu was sagen wollt, hinterlasst bitte einen Kommi. ♥♥♥
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