Kapitel fünfundzwanzig
Es ist, als wäre alle Luft aus meinen Lungen gepresst, wie nach einem Aufprall auf hartem Boden. Meine eiskalten Finger tasten sich an der rauen Holzwand zum Fenster zurück, während ich krampfhaft versuche, die Tränen zu verdrängen. Ein Schluchzen kommt aus meiner Kehle, lautlos, erstickt. Als ich das Fenster erreiche, kralle ich mich an den Rahmen wie an einen Rettungsanker. All das ist zu viel für mich. Unser Plan war so gut. So durchdacht, so klug, so sicher. Warum ist er nicht aufgegangen? Woran ist er gescheitert? Wo sind Riley und meine Schwester, sind sie allein? Geht es ihnen gut? Lebt er noch? Viel zu viele Fragen, auf die ich keine Antworten habe, kreisen durch meinen Kopf. Aber ich habe eine Ahnung, wer mir helfen könnte. Ich schwinge mich flugs aus dem Fenster, auf den breiten Ast zurück und verschließe es dann. Still und von unmittelbarer Angst vor dem Aus gedrängt, hüpfe ich durch den Baum, bis ich mit beiden Füßen auf dem erdigen Boden lande. Gleich danach renne ich den Waldrand entlang nach Norden. Zu Großmutter. Wenn einer Antworten auf meine Fragen haben könnte, dann sie. Sie sieht sie. Sie weiß alles. Ich klammere mich an diesen Gedanken, obwohl ich nicht einmal weiß, ob er gut oder schlecht für mich ist. Sie kann mir sagen, wo er ist, aber will ich wirklich wissen, was passiert ist? Will ich wirklich erfahren, dass es gescheitert ist, oder mich lieber in Träumen von Freude und Frieden verlieren? Ich will die Wahrheit. Ich folge meinem Kopf, nicht meinem Bauch und verschnellere meine Schritte. Plötzlich bleibe ich an einer Wurzel hängen, die aus der feuchten Erde emporragt, und ich werde ruckartig nach vorn katapultiert. Es dauert eine Weile, bis ich mich aufgerappelt habe, doch dann laufe ich weiter. Durch den Sturz ist mein Kleid am linken Knie gerissen; kalte Luft strömt in das feine Loch. Eine Gänsehaut überkommt mich. Laufen. Atmen. Als ich an Großmutters Haus ankomme, weiß ich gleich, dass etwas nicht stimmt. Sie steht vor der Tür und unterhält sich mit einigen Männern aus dem Dorf. Sicher ein Suchtrupp, den Vater zusammengestellt hat, um Lexi wiederzufinden. Wenn er wüsste, was wirklich um ihn herum passiert. Wenn er nur wüsste! Ich halte an, um wieder zu Atmen zu kommen, dann gehe ich eiligen Schrittes auf Großmutter zu. "Sie ist hier nicht", höre ich sie sagen. Sie macht keine Geste, verzieht keine Miene. Sie ist hier nicht, das ist alles. Dabei ein starrer Blick auf den Boden. Ich kann die Männer verstehen, die nicht wissen, ob sie ihr glauben können oder nicht, aber ich will, dass sie verschwinden, weil sie keine Ahnung von dem haben, was sie gerade tun. Wenn sie ihn finden, zerstören sie mein Leben. Ich bin mir sicher, dass das nicht ihr Ziel ist. Einer der Männer erwidert etwas; sie haben mich noch nicht bemerkt. Großmutter schon, aber sie zeigt es nicht. Sie ist gut. "Ihr könnt gerne mein Haus durchsuchen, wenn ihr mir nicht glaubt", sagt sie ruhig und da weiß ich, dass Riley und Lexi auch nicht hier sind. Sie könnten überall sein. Ich seufze tief, als die Männer im Innern des Hauses verschwinden. Großmutter zieht mich in den Schatten der Bäume. "Großmutter", sage ich gepresst, "was ist passiert?" An der Steilfalte in ihrer Stirn sehe ich, dass sie Angst hat. Selbst sie. "Scarlett, du musst etwas tun!" Ich wimmere auf. "Was denn? Sag' sofort, was geschehen ist! Wo ist Lexi?" "Sie ist aufgewacht. In seinen Armen, sie versteckt sich im Wald." Ich atme auf. Wenn Lexi lebt und sie so fit ist, dass sie sich schon wieder verstecken kann, brauche ich mir wenigstens um sie keine Sorgen machen. "Wo ist Riley?", flüstere ich. Die Stimmen der Männer in Großmutters Haus dringen gedämpft zu uns herüber. Sie kommen zurück, weil sie nichts gefunden haben. "Sie haben ihn." Großmutters Augen streifen meine für Sekunden, dann schweifen sie zu ihrem Haus. "Sie haben ihn?", erwidere ich schrill, woraufhin sie mir die Hand auf den Mund presst. "Er ist beim Richter, sie sprechen seine Strafe aus. Er wird verbrannt, wenn du nichts unternimmst!" Ihre Lippen bewegen sich kaum, aber ich verstehe jedes Wort. Jedes verdammte Wort brennt sich in mein Gedächtnis ein und verursacht ein furchtbar stechendes Gefühl in meinen Schläfen. Mir wird übel und ich drücke mir eine Hand vor den Bauch. "Wie konnte das passieren?", hauche ich. Großmutter lächelt traurig, als antwortet:"Er war abgelenkt, als Lexi erwacht ist. Scarlett, du musst jetzt los und das verhindern, was geschehen wird, wenn ihn niemand rettet." "Was soll ich denn tun?" Tränen laufen über meine Wangen, heiß und salzig. "Sprich." Dann dreht Großmutter sich um und geht zum Haus zurück. Ich nehme die Beine in die Hand, renne in den Ortskern, wo sich die Menschen auf dem Rathausplatz scharen und tuscheln. Unser kleines, großes Geheimnis fliegt auf. Nein, nein, nein! Ich stürze ins Rathaus und bin erst einmal überwältigt von den roten Teppichen, den Porträts an den verschnörkelten Wänden. Eine Wendeltreppe aus dunklem Kiefernholz führt in den zweiten Stock, doch schon hier unten gibt es drei lange Gänge mit endlos vielen Türen. Wie soll ich Riley hier bloß finden? Wie soll ich ihn retten?
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So, es bleibt spannend. ♥ Was glaubt ihr, was geschehen wird? Wird es ein Happy End für die beiden geben? Schreibt es in die Kommis! *0*
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