Kapitel elf

Sonnenstrahlen, die durch das Fenster in mein Zimmer brechen, wecken mich zart. Gähnend drehe ich mich auf die andere Seite, bis ich dann doch aufstehe, um ans Fenster zu treten. Sachte drücke ich meine Finger an das kühle Glas und betrachte das Moor, das vom Tau wach geküsst wird. "Wo bist du, Fremder?", flüstere ich ans Glas. Ob er Cayr verlassen hat? Ob er noch vielen Raben die Bauchdecke aufgeschnitten hat? "Wie konntest du nur?" Meine Stimme klingt tief, rau und verletzt. Aber lange bin ich nicht mehr allein, denn schon im nächsten Moment schwingt meine Zimmertür auf und Vater stürmt auf mich zu, um seine dicken Finger in meinen Nacken zu krallen. "Da bist du ja endlich!", schnauft er, rot vor Zorn. "Lass mich los, Vater", presse ich hervor. "Scarlett!" Die rundliche Gestalt meiner Mutter taucht im Türrahmen auf. Darum, dass mein Vater mir wehtut, schert sie sich nicht. "Wir haben uns mit Cumberlands getroffen. Ihr Sohn Adam ist bereit, dich kennenzulernen." Mutter strahlt mich an, während sie die Hand mit dem Geschirrtuch sinken lässt. "Ich will ihn nicht heiraten", rufe ich trotzig. "Adam ist ein guter Junge", sagt Vater kalt. "Er wird die Schneiderei seiner Eltern weiterführen. Weißt du, welch Aufwand es ein Bauerskind kostet, einen besseren Beruf zu erlernen? Du wirst uns nicht enttäuschen, haben wir uns verstanden?" Eine flache Hand landet auf meiner linken Wange. Benommen von dem Schlag taumele ich zur Seite. "Ja", sage ich leise, ehe ich mich auf mein Bett sinken lasse. Die Wange brennt wie verrückt. "Gut. Das ist meine Tochter." Vater scheint zufrieden. "Komm frühstücken, mein Kind", sagt Mutter und nimmt meine Hand. "Heute wirst du mir ein wenig im Haushalt zur Hand gehen." "Ich kümmere mich lieber um die Schafe", murmele ich. "Du hast Hausarrest", sagt Vater. "Was?" Ich sehe erschrocken auf. "Jedenfalls solange, bis du kochen und das Haus in Ordnung halten kannst", meint Mutter gutmütig. Ich stütze den Kopf in die Hände und stöhne auf. "Gibt es was Neues von Lexi?", frage ich leise. Mutter sackt ein wenig in sich zusammen. "Nein, Scarlett. Leider nicht." Ich sehe fassungslos zu den beiden auf. "Warum kämpft ihr nicht um ihr Wohlergehen?" Vater kratzt seine Stirn. "Wir haben alles getan, was wir tun konmten." "Manche Menschen gehen eben zu früh", fügt Mutter gedämpft hinzu. Dann strahlt sie mich auf einmal wieder an. "Nun kommt, der Tee wird kalt. Erzähl uns doch, was Großmutter hatte!" Ich gerate ins Stocken, lasse mir aber nichts anmerken, als ich erhobenen Hauptes in die Küche gehe. Mir wird schon was einfallen. "Sie hatte diesen schlimmen Husten", lüge ich, ehe ich mich auf einen der knorrigen Holzstühle plumpsen lasse. Ich finde mich recht überzeugend, doch Mutter wirkt trotzdem misstrauisch, als sie mir den Becher dampfenden Kräutertee reicht. Bei dessen Geruch muss ich unwillkürlich an Riley denken und zucke zusammen. Mein unscheinbarer Fremder, wieso musstest du dich bloß als Wahnsinniger entpuppen. "Hat nicht jeder mal Husten?", dringt Mutter's Stimme zu mir durch. "Mutter!", sage ich kopfschüttelnd. "Großmutter ist eine alte Frau. Sie kann sich schlecht bewegen. Außerdem hatte sie leichtes Fieber und Schüttelfrost." Das müsste reichen. Welch unbarmherziger Mensch wäre Mutter bloß, wenn sie es nun immer noch nicht akzeptieren will, dass Großmutter Hilfe brauchte? Vater stellt seufzend die Platte mit frischem Brot auf den Tisch, ehe er sich neben mich setzt. "Cassy hat ihr Fohlen bekommen", wechselt er das Thema. Seine scheinbar kranke Mutter scheint ihn nicht zu interessieren, ebenso wie meine Schwester. Wie typisch für ihn. "Tatsächlich?" Ich gebe mich als interessiert, während ich den Becher Tee an die Lippen hebe. Ein bisschen juckt es mich in den Beinen - ich war lange nicht mehr bei den Pferden und Fohlen finde ich sowieso immer spannend. Aber ich habe Hausarrest, also halte ich still und kaue brav mein Brot. "Ja, es war eine schwierige Geburt", meint Vater, während er zum Fenster auf das Moor hinaussieht. Im Westen ragt der finstere Wald wie eine Festung empor - und irgendwo da ist mein guter alter Freund Riley, der Fast-Mörder. Ich vermisse ihn und die Hoffnung auf eine geheilte Schwester ist mit der Trennung von ihm auch hinüber. "Wie sieht es aus?", frage ich, immer noch ganz das besonnene Mädel. "Ganz der Vater", schwärmt Mutter. "Also nicht schwarz?" "Nein, grau-weiß gescheckt. Ein Traum." Ich ertappe Vater dabei, wie er einen verträumten Gesichtsausdruck aufsetzt. Wenn er bei einer Sache ein weiches Herz bekommt, dann bei seinen Tieren. "Warum kann ich den Hof nicht fortführen?", frage ich schließlich und bringe mich somit auf das Glatteis. Diese Frage ist nun schon zu oft gefallen, aber ich lasse nicht nach. "Du bist eine Frau!", meint Vater, als wäre das der alles erklärende Grund. Mutter räuspert sich genervt. "Nur Söhne führen Familientraditionen fort. Frauen müssen sich nun mal anpassen." Ich verdrehe die Augen. "Kann man dieses Ritual nicht mal brechen?" Meine Eltern sehen mich an, als hätte ich sie nicht mehr alle beisammen. "Scarlett!", rufen sie gleichzeitig. Vater schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch. "Das darf doch wohl nicht wahr sein!" Er funkelt mich wütend mit seiben kleinen Schweinsäuglein an. "Wir sind sehr angesehene Bauern hier, Scarlett, der Ruf ist hart erarbeitet. Und ich habe keine Lust, ihn mir durch meine störrische Tochter zerstören zu lassen! Du wirst dich mit Adam Cumberland treffen, und wenn er Interesse an dir zeigt, dann wirst du ihn heiraten!" Mir wird ganz heiß. "Können wir uns nicht nach einem Jägerssohn umsehen?", frage ich leise. Mutter stöhnt auf. "Wozu?" "Dann bleibe ich wenigstens am Wald", fiepe ich mit brüchiger Stimme. Mir ist, als würde diese Hochzeit mein Leben komplett zerstören, als wäre mit ihr alle Freiheit dahin. Und so wäre es ja auch. Ich würde in einer feinen Schneiderei arbeiten, für meine täglichen Streifzüge durch den Wald und das Moor wäre keine Zeit mehr. Ich trüge nur schicke Kleider aus Seide oder Satin und könnte die Kinder dieses Schneidersohnes austragen. Schon jetzt verspüre ich starken Hass auf ihn. "Der Wald, der Wald!", ruft Mutter genervt. "Du bist kein Kind mehr." Und trotzdem zu jung für eine Hochzeit. Doch den Satz schlucke ich gerade noch runter und erspare mir so womöglich eine weitere Grundsatzdiskussion. Vater leert mit großen Schlucken seinen Becher, dann erhebt er sich ächzend. "Ich schaue mal nach Cassy und ihrem Fohlen", sagt er und geht zur Tür. Du Glücklicher, rufe ich ihm in Gedanken hinterher. Am liebsten wäre ich mitgegangen. Stattdessen schnüre ich mir eine Schürze um, schlinge meine Haare im Nacken zu einem Knoten zusammen und räume den Tisch ab, um genug Platz zum Kartoffelschälen zu haben. Mutter beginnt summend, die benutzten Teller abzuschrubben. Kaum ist Vater draußen, hat sich die Stimmung gleich gelockert. Ob die beiden sich wohl lieben? Oder wurden sie auch zwangsverheiratet? So oft ich auch schlucke, der Knoten in meinem Hals will nicht verschwinden. "Wann ist denn dieses Treffen mit Adam Cumberland?", frage ich so neutral wie möglich. "Am Montag. Also in zwei Tagen. Wenn alles passt, könnt ihr schon im Früjahr heiraten." Wie erfreut sie doch klingt. Was muss ich tun, um es zu verhindern? Was, verdammt nochmal? Ach, wäre ich doch bei Riley geblieben. Bei dem einzigen Menschen, abgesehen von meiner Großmutter und Lexi, bei dem ich mich wirklich wohlgefühlt habe. Während ich so an ihn denke, wird mein Bauch ganz warm und sprudelig. Es ist ein schönes Gefühl. Aber nein, er wollte mich töten. Wenn ich nur nicht so ausgerastet wäre deswegen. Wenn ich doch einfach dageblieben wäre, um mir erklären zu lassen, warum er so ist wie er ist. Dann hätte ich dieses Dilemma nicht. Wenn er ein Dorfbewohner wäre, ich würde ihn heiraten, wenn ich aussuchen müsste. Schon allein, weil er nicht so stark ist wie die anderen Jungen und nicht meint, er müsse mir vormachen, wie gut er um mich sorgen kann. Ach, mein Fremder, wo bist du bloß? Dein Kräuter-Windgeruch hängt mir noch immer in der Nase.

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