Kapitel dreiundzwanzig

Es ist meine Aufgabe, meine Eltern abzulenken, während Riley meine Schwester zu Megan Trelawny bringt, bei der Großmutter auf ihn warten wird. Und er ist derjenige, der bei ihr bleiben wird, weil Megan nichts von ihm und seiner Anwesenheit weiß. Ich habe also eigentlich nicht so viel zu tun. Eigentlich. Aber andererseits ist es schwer, Menschen erfolgreich abzulenken, mit denen sich total auseinandergelebt hat. So sitze ich unruhig bei meinen Eltern im Schlafzimmer, während sie sich in ihre dunkelen Trauerkleider hüllen, weil sie Lexi schon längst aufgegeben haben. "Scarlett, willst du dich nicht umziehen?", fragt Mutter und mustert mein klobiges Lederkleid. "Nein", erwidere ich kopfschüttelnd. "Man trägt schwarz zu einem Trauerzug", sagt Vater forsch. Ich höre in seiner Stimme weder Trauer noch Verletzung. Wenn jemand ihn sähe, würde er nicht eine Sekunde auf den Gedanken kommen, dass mein Vater einen großen Verlust zu tragen hat. Mutter dreht sich vor dem Spiegel um ihre Achse. "Ich trage dunkelbraun", gebe ich Vater unschuldig zur Antwort. Er weiß ja nicht, dass es nie einen Trauerzug geben wird. Seufzend legt sich Mutter ein weinrotes Kopftuch um. "Es ist alles so schrecklich traurig", wispert sie mit erstickter Stimme. Vorsichtig berühre ich ihren Arm. Es tut mir wirklich weh, sie so zu sehen, auch, wenn ich sie vielleicht nicht mehr so innig liebe wie noch vor ein paar Monaten. Sie war die Frau, die mir mit einer Zwangshochzeit fast das Leben, eine Zukunft genommen hätte, aber sie wird immer meine Mutter bleiben. Und mir setzt es sehr zu, sie traurig zu sehen. "Lexi", presse ich stockend hervor, "sie hat dich geliebt, Mutter. Es ist nicht dein Fehler, dass sie die Krankheit nicht überwunden hat. Und... die Ärzte haben ihr bestes gegeben. Sie musste einfach gehen." Mutter schluchzt auf und liegt mir mit einem Mal komplett in den Armen. Ihre abgearbeiteten Hände krallen sich in meinen Nacken und ihre Tränen fließen warm und salzig über meine Schultern. Der Stoff meines Kleides dämpft ihr Weinen. Und während ich dastehe, die Arme überrascht um sie gelegt, da vergesse ich fast, dass Lexi wahrscheinlich gerade in Riley's Armen zu Megan Trelawny gebracht wird. Ich fühle mit meiner Mutter. Für Bruchteile von Sekunden ist meine Schwester auch für mich gestorben und mir wird ganz schwer um's Herz. Ein Glück, dass ich es besser weiß als Mutter und Vater. Alles andere hätte ich nicht ausgehalten. "Elizabeth", raunt mein Vater plötzlich an mein Ohr. Er schiebt mich grob zur Seite, sodass er derjenige ist, der Mutter hält. Ich hole Luft, um ihm dazu ordentlich meine Meinung zu sagen, doch dann fällt mir ein, dass es zu viel für sie wäre. Meine Mutter würde einen Streit nicht vertragen. Ich glaube, dass es für sie ohnehin schon schlimm genug ist, dass Vater und ich uns so eisig behandeln. Ich darf sie nicht auch noch mit etwas anderem belasten. "Schon gut", flüstert Vater. Aus seinem Mund jedich klingt es nicht wie ein Trostspruch, sondern wie der ungeduldige Befehl, sich endlich zu beruhigen. "Wie willst du nur gleich unter die Leute gehen?" In seiner Stimme liegt der Hauch eines Vorwurfs und ich bin erneut kurz davor, ihm zu sagen, dass er sich falsch verhält. Dass er nicht nur ein mieser Vater, sondern auch ein furchtbarer Ehemann ist. Zum ersten Mal kommt mir überhaupt der Gedanke, dass Mutter ihn womöglich gar nicht heiraten wollte. Vielleicht war sie wie ich auf der Suche nach dem Leben, als ihre Eltern mit der Tür ins Haus fielen und sie einfach an meinen Vater verheirateten. Vielleicht hat sie aber auch wirklich geglaubt, ihn zu lieben, bis er ihr seine wahre Seite eröffnet hatte. Oder die beiden lieben sich wirklich, wahrhaftig und innig. In diesem Moment würde mir alles möglich scheinen. Aber dann denke ich wieder an unseren Plan und daran, dass ich sie ablenken muss, was bisher einwandfrei funktioniert hat. Ich könnte fast sagen, meine Eltern haben sich selbst abgelenkt. Mutter löst sich aus Vater's Umarmung und reibt sich über die rot verheulten Augen. Ich sehe Falten in ihrem grauen, bekümmerten Gesicht, die sie um Jahre älter machen. "Du hast ja Recht", schnieft sie in Vater's Richtung, dann richtet sie ihr Kopftuch. "Die Leute..." "Schon gut", mische ich mich ein. "Es ist nicht verboten, Gefühle zu zeigen." "Natürlich nicht", sagt Vater. Plötzlich lächelt er mich an, aber er lächelt ein künstliches, fast gemeines Lächeln, hinter dem viel mehr steckt. "Aber andere Dinge sind verboten", höre ich ihn sagen. Mein Pulsschlag schnellt in die Höhe. Ob er von mir und Riley ahnt? Ich mag gar nicht daran denken.. Er kann es nicht wissen!,  ruft mir mein Kopf zu. Nein, das kann er nicht. Ich klammere mich an diesen Gedanken, wenn auch mit sehr viel Unsicherheit. Ein Teil von mir ahnt, dass er mehr weiß. Dass mein Vater irgendwie klug genug ist, um eins und eins zusammen zu zählen. Ich erwidere seinen standhaften Blick ohne Zögern und ziehe weiterhin meine Rolle durch. "Andere Dinge stehen hier aber auch nicht zur Debatte", sage ich in einem harten Ton. Ich spüre, wie Mutter zurückweicht, doch Vater lächelt immer noch. Schließlich wende ich meinen Blick ab. Es ist mir zu gruselig, darüber nachzudenken, dass er etwas wissen könnte. Das ware mein Untergang! Wenn er tatsächlich dahinterkäme und sie Riley umbrächten... ich wüsste nicht, wie ich weiterleben soll. Aber noch ist nicht sicher, dass er von uns ahnt. Wie auch? Wahrscheinlich tappt er völlig im Dunkeln und ich mache mich umsonst verrückt. Mein Blick schweift zur Zimmertür. Ob Riley sie schon abgeholt hat? Ja, da bin ich mir eigentlich sicher. Er hatte genug Zeit und ist clever genug, um sich nicht erwischen zu lassen. Bei ihm ist Lexi mehr in Sicherheit als bei jedem anderen, zumindest im Moment. "Wann kommt der Totengräber?", frage ich. "Jeden Augenblick", antwortet Mutter. "Wir sollten rausgehen." Ich nicke, schiebe die Unterlippe vor und öffne mit schwitzigen Händen die Tür. Auch wenn ich fest von unserem Plan überzeugt bin - wenn wir gleich das Zimmer meiner Schwester betreten, wird es leer sein. Und ich muss meine Rolle gut genug spielen, um sie von meiner Unschuld zu beweisen, denn sicher wird Vater mich verdächtigen. Ich wollte es von Anfang an anders machen als die Ärzte - es liegt also nahe, dass ich sie entführen lasse und kein Fremder. Ein Fremder hätte keinen Grund. Ich jedoch habe allen Grund und das wird Vater sich auch denken. Aber immerhin bin ich seine Tochter und immerhin hat er keine konkreten Ahnungen. Er weiß nur, dass ich es organisiert haben könnte. Beweisen kann er es jedoch nicht. Und ich werde diese Gelegenheit nutzen, um ihn vom Gegenteil zu überzeugen. "Ich kann es immer noch nicht fassen", haucht Mutter in die Ruhe des Flurs. "Wer kann das schon?", frage ich, wobei ich mir alle Mühe gebe, meine Aufregung mit Trauer zu überspielen. "In ein paar Jahren wird es sein, als wäre sie nie dagewesen", versucht Vater die Stimmung zu erhellen. Leider erreicht er genau das Gegenteil und Mutter schluchzt wieder auf. Ich nehme sie schützend in meine Arme. "Nein, Vater", sage ich kühl. "Wir haben ihr Zimmer und wir haben unsere Erinnerungen an sie. Mutter und ich werden Lexi nie vergessen. Aber vielleicht bist du ja herzlos genug, um das zu schaffen." So, jetzt ist es raus. Ich habe wenigstens meiner Wut etwas Luft gemacht. Und Mutter ist zu traurig und erschöpft, um irgendetwas dazu beizutragen. Vater jedoch glüht auf vor Wut und nur wenige Augenblicke später schlägt er mir ins Gesicht. "Wage es nicht, so etwas zu sagen!", brüllt er. Ich fühle seine Finger noch auf der Wange, als er sie schon längst weggenommen hat. "Theodore!", ruft Mutter erschrocken. Vater sieht so wütend aus, dass ich ihm sogar zutraue, auch sie zu schlagen, weshalb ich mich schützend vor sie stelle. "Jetzt nimm dich mal zusammen!", fahre ich ihn an. Das Kribbeln in der Wange ignoriere ich geflissentlich, schließlich habe ich schon schlimmeres erlebt. Und im Herzen wehtun tun seine Schläge schon lange nicht mehr. Sentimental gesehen bin ich sehr immun dagegen. "Du hast keinen Respekt!", schimpft Vater zurück. "Das heißt nicht, dass ich nicht die Wahrheit spreche",zische ich zornig. "Hört doch auf", weint Mutter schwach. Und ihretwegen lockere ich die Spannung in meinem Körper und murmele ein schnelles, leises "Entschuldigung". Vater stößt hörbar die Luft aus. Er will mehr sagen, das spüre ich, aber wegen der prekären Situation kann und darf er nicht. Und das ist auch gut so, denn im nächsten Moment klopft es an der Tür. Jetzt wird es Zeit, meine schauspielerischen Fähigkeiten einzusetzen. Jetzt beginnt der wirklich schwierige Teil - und ich kann nur hoffen, dass bei Megan Trelawny alles gut geht.

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Hi ♥ Ja, ich habe gestern angefangen, hatte aber ein Schreibbolckade. Hier euer Kapitel. :) Und vergesst voten und kommentieren nicht! ♡♡♡

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