Kapitel drei

Kapitel drei:

Unruhig wälze ich mich umher, während der Mondschein über meine Zimmerwand wandert. Die Schlaflosigkeit macht mich fast schon aggressiv. Ich trete die Decken beiseite und erhebe mich seufzend. Meine nackten Füße treten auf das warme Holz, als ich mich auf das Fenster zubewege und mich auf das Sims setze. Ich schlinge die Arme um die Knie und betrache das Moor. Hügel um Hügel ziert es sanfte, mit Heidegras bewachsene Landschaft, gesprenkelt von einzelnen Felsbrocken oder einem Baum. Ich lächele. Schon immer hat mich sein Anblick beruhigt.

Doch dann kehren die Fragen zurück und mein Lächeln gefriert. Meine Gedanken wandern zu dem Fremden und im Nachhinein kommt er mir anders vor, nicht ganz echt. Er saß vor mir auf dem Boden, Fleisch und Blut und doch sein Verhalten, seine Stimme... sein Aussehen. Noch dazu die Tatsache, wie er all diese Peitschenschläge ausgehalten hat, ohne das Bewusstsein zu verlieren. In gewisser Weise finde ich ihn anziehend. Mit seiner kalkweißen Haut, den schwarzen Augen, den ebenmäßig schwarzen Haaren und den durch und durch roten Lippen müsste er eigentlich grotesk wirken, aber irgendwie hat er etwas weiches, auch, wenn er dennoch distanziert wirkt. Auch sein Blut war anders, wenn ich so darüber nachdenke. Es war nicht dickflüssig. Und es war hell. Ob das der Grund für seine weiße Haut ist? Mein Kopf stellt eine Verbindung zwischen ihm und meiner Schwester her und ich nage an meiner Unterlippe, während ich über Lexi's Krankheit grübele.

Ich glaube kaum, dass er der direkte Grund für ihr plötzliches Erkranken ist, ich glaube auch nicht, dass er überhaupt in irgendeiner Weise dafür verantwortlich ist, es kommt mir eher vor, als wisse er etwas.

Ich gleite mit einer natürlichen Anmut vom Fensterbrett, wobei mein Nachthemd sanft über meine Schultern fällt und mich umhüllt.

Ich gehe mit raschen Schritten durch den Raum.

Als ich das Zimmer meiner Schwester betrete, muss ich schwer schlucken, ehe ich an ihr Bett trete. Inzwischen hat sie die Augen geschlossen. Die langen, hellen Wimpern ruhen auf ihrer weichen Kinderwange. Sie wirkt so leblos, dass ich mit einem Mal Angst bekomme, sie könne still und heimlich weggestorben sein, als ich sehe, wie sich ihr Brustkorb hebt und senkt. Ich lasse die angehaltene Luft aus. Draußen,  in der nächtlichen Welt, flattert etwas herbei und bleibt an einem der Bäume hängen, die unseren Hof säumen. Ich trete ans Fenster heran und drücke sachte meine Handflächen daran. Die Scheibe beschlägt sich unter meiner Berührung, während ich auszumachen versuche, was da im Baum mit dem Wind weht. Ein schwarzer Fetzen. Blitzartig taucht ein Bild vor meinem inneren Auge auf. Ein grün kariertes Hemd, eingewickelt in diesen schwarzen Fetzen, wohl ein Mantel oder eine Jacke. Ich schnappe nach Luft. Dieser schwarze Fetzen hat sich nun in unserem Baum verfangen. Der auffrischende Wind lässt die Fensterläden an die Hauswand klappern und droht, die Jacke oder den Mantel oder was auch immer, mitzureißen. "Nein!", flüstere ich ans Glas und eile aus dem Raum. Im Flur stehen meine abgewetzten Lederstiefel. Ich schlüpfe hinein und meine flinken Finger schnüren eine Schleife. Ich ziehe die Jacke an und öffne die Tür. Der Wind strömt durch die Öffnung und zieht pfeifend durch die Räume. Rasch schließe ich die Tür, ehe er jemanden weckt.

Meine Beine gehen zielstrebig über die Koppeln zu jenem Baum hinüber, in dem der Fetzen sich verfangen hat. Er hängt hoch oben, gehalten von etlichen kleinen Zweigen, aber das ist kein Problem für mich. Ich bin klein und dünn, viel kleiner als die anderen Mädchen in meinem Alter. Mühelos schwinge ich mich in den Baum. Sicher greifen meine Hände nach den Ästen und hangeln sich höher hinauf. Es dauert nicht lange, bis ich den schwarzen Stoff erreiche. Ich reiße ihn ab und springe vom Baum. Das Heidegras federt meinen Sprung ab und der böige Wind, der an meinen Haaren zerrt, trägt das Geräusch des Aufpralls davon. Ich breite den Fetzen vor mir aus. Es ist tatsächlich eine Jacke, abgewetzt und zerfleddert, aber der Stoff ist dick und warm. Nötig, um kalte Herbstnächte wie diese zu überstehen. Besorgt kaue ich auf der Innenseite meiner Wange. Ob es ihm gut geht?  Was denkst du, Scarlett, Dummchen, schelte ich mich. Wie soll es ihm schon gehen, eiskalt mit tiefen Schnittwunden im Rücken, einem dünnen Hemd, vollgesogen mit Blut. Ich untersuche die Taschen der Jacke, doch sie sind leer. Ich muss ihn finden. Ich muss mich bedanken, muss ihm seine Jacke bringen und ich muss ihm all die Fragen stellen, die sich in mir aufstauen. Wie er es nach Cayr geschafft hat, was ihn überhaupt herführt und warum er mich beschützte. Plötzlich tauchen Großmutter's Worte in meinem Kopf auf.
Wundersame Kräfte bestimmen das Schicksal, Liebes, nicht wir Menschen. Die Rettung, das Wahre, das Gute, ist von uns selbst verscheucht worden. Sorge für die Rückkehr.

Ich bin mir sicher, dass sie aus tiefstem Bewusstsein etwas sagen wollte, dass sie das Ganze längst durchschaut hat und es mir auf ihre rätselhafte Weise zu erklären versucht. Leider kann ich ihren Gedanken nicht folgen. Noch nicht, denke ich bei mir, denn ich bin fest entschlossen, es herauszufinden.

Am liebsten will ich den Fremden sofort aufsuchen, um keine Zeit zu verschwenden, aber ich herrsche mich an, bis Morgen zu warten.

So eine Suche muss man bei Tageslicht starten. Und mann muss sie gut durchdenken.

Mit langsamen Schritten gehe ich zum Haus zurück, während meine Haare im Wind flattern und der Nachtrock meine Knöchel umspielt.

Die Jacke des Fremden halte ich dabei feste an die Brust gepresst. Es ist nicht viel, aber es ist etwas. Sie riecht angenehm. Frisch irgendwie, nach Regen und Sonne, nach trockenem Laub und Kräutern.

Lächelnd schließe ich die Haustür hinter mir, steige aus den Stiefeln und hänge die Jacke an den Haken. Lautlos schleiche ich mich in mein Zimmer und öffne das Fenster. Die Welt ist in ein dunkles Lila getaucht, Morgengrauen. Ich lasse die Jacke nicht aus den Händen, als ich mich schließlich in meine Decken hülle und der leise Wind mir ein Gutenachtlied singt.

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Hey, da ist das neue Kapitel. Es passiert nicht besonders viel, ich weiß, aber meine Finger haben plötzlich drauflos getippt. Mir ist klar, dass ihr noch wenige Leser seid und ich nicht viel erhoffen kann, aber dennoch würde ich mich sehr über einen Kommentar freuen. :) ♡

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