Kapitel 3
Nachdenklich wanderte Shayan durch die Gänge des Schlosses. Erneut. Rhys hatte ihn erneut besucht. Er hatte den charakteristischen Geruch nach Asche und Erde wahrgenommen, dann die sanfte Berührung gespürt. Warum er ihn heimlich im Schlaf betrachtete, wusste er nicht, dennoch schien sich sein Herz nicht beruhigen zu wollen. Verdammt.
Gerade, als er umdrehen wollte, hörte er leise Stimmen. Die Neugier packte ihn und er lief zu der Tür, die einen Spalt offen stand.
„Ich hatte die Hoffnung, dass zwischen ihm und Leandra vielleicht etwas erblüht, immerhin haben sie Zeit miteinander verbracht, doch das scheint nicht zu fruchten", erklang die Stimme seiner Mutter.
Wovon sprechen sie?
„Ich denke, das Problem liegt bei dem Dämon. Er erfüllt zwar seine Aufgabe als Schutzschild, doch ich denke, wir sollten dafür sorgen, dass er sich von unserem Sohn zurückzieht. Solange dieser in seiner Nähe ist, wird er die Augen nicht weiter öffnen", erwiderte sein Vater.
Eine kurze Pause erfolgte. „Unsere Sorge, dass er eine zu enge Bindung zu diesem aufbaut, hat sich leider bewahrheitet. Ich denke, es ist an der Zeit, ihm die Wahrheit zu sagen. Er sollte keine Bindung zu einem Objekt haben, das nur zu seinem Schutze dient."
Objekt, das zu meinem Schutze dient? Shayan wurde kalt. Seine Hand legte sich an die Tür und diese schwang auf. Er blickte in die überraschenden Gesichter seiner Eltern. „Sprecht. Was habt ihr mir verschwiegen?", sagte er mit kalter Stimme.
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Rhys legte den Lappen beiseite und wickelte ein Handtuch um seine Hüften. Er lief in seine kleine Kammer und zog sich eine Hose über, um mit dem Tuch seine nassen Haare trocken zu reiben.
Mit einem Mal öffnete sich die Türe so schnell, dass sie gegen die Wand schlug. Ein wütender Elf stand in dem Türrahmen und trat in sein Zimmer. So schnell wie sich die Tür geöffnet hatte, war sie auch wieder geschlossen.
Rhys konnte die flammende Wut in Shayans Blick sehen, wusste jedoch nicht, woher diese stammte. „Wie lange?", sagte Shayan aufgebracht, trat nahe zu ihm. So furios hatte er diesen seit seiner Kindheit nicht mehr erlebt. „Wie lange wolltest du es mir noch verschweigen?"
Der Dämon wusste nicht, wovon Shayan sprach, trat einen Schritt zurück. „Shayan, beruhige dich. Worum geht es?", fragte er mit ruhiger Stimme.
Wie kann er so ruhig sein? Innerlich tobte es in Shayan. „Wie lange wolltest du mir verschweigen, dass du in die Position als mein Wächter gezwungen wurdest? Dass du keine Wahl hattest?", fragte er ungestüm.
Ein nachdenklicher Blick trat in Rhys' Gesicht. Er legte seine Hand an die Wange des Prinzen, der daraufhin ruhiger wurde. „Diese Aufgabe wurde mir bei deiner Geburt zugeteilt und ich werde sie bis zu deinem Tode ausführen."
Wieso? Wieso sagt er so etwas? Er verstand den Dämon nicht. „Dann entbinde ich dich davon. Es steht dir ab heute frei, eine andere Position zu bekleiden." Im selben Moment, in dem er die Worte ausgesprochen hatte, sah er einen seltsamen Ausdruck in den Augen des Dämons.
„Das geht nicht. Ich kann deine Seite nicht verlassen", erwiderte Rhys leiser.
Der Prinz blickte ihn an. „Weshalb?" Irgendetwas stimmte nicht.
Sie haben ihm nicht alles erzählt. Vermutlich war Shayan aus dem Zimmer gestürmt, bevor sie es ansprechen konnten. Dann ist es wohl an der Zeit. Rhys nahm Shayans Hand und drehte die Handfläche nach oben. „Vor Jahrhunderten habe ich ein schlimmes Verbrechen begangen, für das mich eine Elfenmagierin mit einem Fluch belegt hat. Mir wurde ein Leben als Schutzschild für denjenigen auferlegt, in dessen Besitz ich bin. Mein Daseinszweck ist, diese Person mit meinem Leben und Körper zu beschützen, für sie zu sterben, wenn es notwendig ist."
Die Worte erzeugten eine Kälte in Shayans Innern, die ihn erschauern ließ. Fluch? Besitz? Sterben? „W-wen-?"
Lippen trafen auf seine Handfläche und die kleine Mondsichel in dieser leuchtete auf. Daraufhin erschienen helle Buchstaben auf Rhys' Oberkörper, die über seinen gesamten Körper verliefen. „Ich bin in deinem Besitz, Shayan, dazu bestimmt dich mit meinem Körper zu schützen, bis du mich weitergibst, so wie alle deine Vorgänger."
Weitergeben. Vorgänger. „Wie, wie lange liegt dieser Fluch auf dir?", fragte er leise und ballte die Faust. Die Fluchmale verschwanden und Rhys schaute ihn an. „527 Jahre." Shayan schnappte nach Luft. „Was meinst du mit sterben?" Er musste es wissen.
„Mein Körper wurde durch den Fluch unsterblich. Wenn ich sterbe, holt er mich zurück ins Leben. So kann ich für meinen Herrn sterben und meinen Dienst später wieder aufnehmen." Die Worte klangen hart, doch so war es.
In diesem Augenblick trat ein schmerzlicher Ausdruck. „Wie oft bist du schon gestorben?"
„84 Mal." Einige waren schmerzhaft gewesen, beispielweise Giftmorde, andere schneller. Doch das Erwachen war das Schlimmste. Seine Seele wurde in seinen Körper zurückgezwungen und er brauchte Tage, bis er ohne Schmerzen atmen konnte. Das war der Preis, den er für sein Vergehen zahlen musste, er konnte es nicht ändern.
Shayans Hand zitterte. „Bist du schon für mich-?", doch er brach ab. Die Erinnerung stand ihm vor Augen. Er wusste die Antwort, bevor Rhys den Mund öffnete.
„Ja. Und ich würde es immer wieder tun."
Tränen traten in Shayans Augen. Seine Hände legten sich an Rhys' Brust und seine Stirn folgte diesen. Er begann zu zittern und konnte es nicht zurückhalten. „Das ist nicht in Ordnung", schluchzte er.
Warme Arme umschlangen ihn, fuhren über seinen Rücken, seinen Kopf. „Solange du unversehrt bist, nehme ich jeden Schmerz in Kauf", flüsterte Rhys.
Shayan drückte sich weg, schaute mit geröteten Augen zu dem Mann, von dem er solche Worte niemals hören wollte. „Nein. Das will ich nicht."
Sanft strich der Dämon eine Träne fort, die über seine Wange kullerte. „Dann musst du mich weiterreichen, mich aus deinem Leben streichen." Die Worte taten beiden weh, doch eine andere Möglichkeit gab es nicht. Solange Shayan das Zeichen trug, würde Rhys ihn beschützen und auch für ihn sterben.
Nein. Ich will das nicht. Ich will nicht, dass er geht. Es tat so weh. Solange ich lebe, muss er mich beschützen. Solange ich atme... langsam wurde er ruhig. Eine Erkenntnis trat langsam an die Oberfläche. Solange ich atme, wird er niemals frei sein.
Shayan riss sich los. Sein Blick wanderte durch die Kammer und blieb stehen. Seine Beine setzten sich in Bewegung.
Rhys ballte die Faust, schaute zu dem Elfen, der seinetwegen Tränen vergossen hatte. Er sah, wie dieser zu der Wand lief, an der seine Waffen hingen. „Shayan, was hast du vor?", fragte er. In dem Moment, als Shayan ein Messer zog und an seine Kehle ansetzte, blieb ihm fast das Herz stehen.
„Ich lasse dich frei", sagte er. Das Messer drang indie weiche Haut und Blut trat hervor.
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