25 - Aufbau
Die fröhliche Melodie meines Weckers holte mich aus einem tiefen, traumlosen Schlaf. Ich kämpfte darum, meine Augenlider zu öffnen, aber als mein verschlafener Blick auf Ritter Guillaumes glühende Augen traf, war ich innerhalb von Sekundenbruchteilen hellwach.
„Sollten wir uns nicht auf den Weg nach Avenches begeben, meine Dame?" Seine knollige Nase berührte fast die meine.
Wie von einer Wespe gestochen verkroch ich mich in die Sicherheit meines Betts und drehte mich zu Lou herum, der unverständlich vor sich hin murmelte, als ich an seiner Schulter rüttelte. „Wach auf, Schlafmütze. Es ist Zeit, einen römischen Fluch zu brechen."
Ein Grunzen sagte mir, dass er nun ebenfalls wach war. „Warum konnte ich mir nicht eine Frau aussuchen, die ihre Zeit mit shoppen verbringt, statt Gespenster zu jagen?" Er drehte sich, um mich zu küssen, riss aber die Augen auf, als er den Geist neben unserem Bett schweben sah.
„Hören Sie zu, Ritter Guillaume. Ich verstehe, dass Sie dieses Schloss gebaut haben, dass Sie nachtaktiv sind, und wenig Verständnis für die Privatsphäre der Lebenden aufbringen. Aber ich würde es sehr begrüßen, wenn sie einen Raum in diesem Schloss grundsätzlich meiden würden. Einen einzigen. Nämlich dieses Schlafzimmer."
Ein breites Grinsen formte sich auf dem durchscheinenden Gesicht des Geists und er kratzte sich seinen Kettenhemd-gepanzerten Bauch. „Ah, bitte entschuldigen Sie, Meister Louis. Ich fürchtete, sie hätten unseren geplanten Ausflug vergessen und sich verschlafen. Ich werde im Wohnzimmer warten, bis Sie und die werte Dame Sandrine sich angezogen haben."
Während Guillaume ohne weiteres Drama durch die Wand davondriftete, zog mich Lou in eine Umarmung und küsste meinen Nacken. „Ich hoffe, Du weißt, dass ich das nicht so meinte. Du stehst ganz zuoberst auf der Liste der guten Dinge in meinem Leben. Ritter Guillaume schafft es auch in die Top Ten oder doch die Zwanzig, aber sag ihm das bitte nicht. Das würde sein Ego noch mehr aufpusten."
Trotz der Versuchung, den angenehmen Moment noch etwas zu verlängern, musste ich mir einen Ruck geben. Wir hatten einen Job zu erledigen. Deshalb kletterte ich nach einem ausgedehnten Kuss aus meinem gemütlichen Bett und stellte mich der Käte der Nacht — und der kommenden Herausforderung des Brechens eines zweitausendjährigen Fluchs.
Wie versprochen wartete Ritter Guillaume im Wohnzimmer, lang ausgestreckt auf dem Sofa und den Nachttopf in Reichweite. „Ich habe mir erlaubt, Meister Matthieu auch zu wecken. Er versprach, sich in einer Minute zu uns zu gesellen."
Da klopfte es auch schon an der Tür und Matt trat ein, gähnend und die Augen noch halb geschlossen. Nur sein Haar unterschied sich kaum von seinem üblichen zerzausten Stil.
„Guten Morgen. Es war vielleicht keine gute Idee, hier im Hostel zu übernachten. Eure Weckmethoden hier sind gewöhnungsbedürftig."
Falls Guillaume ihn gleich aus dem Schlaf geschreckt hatte wie mich, konnte ich das gut verstehen. Trotzdem schlossen sich zehn Minuten und eine Tasse Kaffee später die Türen von Corbières hinter uns. Eine leichte Brise raschelte in den Blättern der Bäume und jagte Wolkenfetzen über das bleiche Gesicht des Mondes. Die herbstliche Kühle ließ mich frösteln. Dankbar für meine Fleece-Jacke vergrub ich meine klammen Finger in den Taschen.
Ritter Guillaume zog einen Schmollmund als Matt seinen Bus aufschloss. „Können wir nicht die grüne Kutsche nehmen? Sie ist eleganter, und dieser Kasten hat nicht einmal Fenster."
„Als ob das sie davon abhalten könnte, durch die Wand zu schauen." Ich öffnete die Schiebetür für den Geist. „Steigen sie ein, bitte. Und falls sie den Kopf im Innern behalten, werden wir vielleicht nicht einmal verhaftet, wenn wir in eine Polizeikontrolle kommen."
Immer noch grummelnd streckte er sich auf Matts behelfsmäßiger Liege aus, kreuzte die Knöchel und verschränkte die Arme auf der Brust. Eingequetscht zwischen Matt und Lou auf dem Vordersitz war ich froh, dass die verdrießliche Stimmung des Geists uns eine ruhige Fahrt ermöglichte.
Der Himmel war wolkenverhangen und ich prüfte die Wettervorhersage auf meinem Telefon. Sie versprach eine trockene Nacht und Temperaturen über dem Gefrierpunkt. Als wir unser Ziel erreichten, parkierte Matt den Bus mitten zwischen den Wagen der Fabrikarbeiter auf Nachtschicht. Der Duft nach Kaffee, der über das Fabrikgelände zog, ließ meinen Magen laut grummeln. „Das ist unfair. Wir hätten eine Thermosflasche mitbringen sollen."
Matt holte grinsend eine aus dem Handschuhfach und sah sich auf dem Parkplatz um. „Hat jemand Vic schon gesehen?"
„Nein, aber lasst uns schon mal unser Material ausladen. Sie ist bestimmt jeden Moment da." Sie hatte mir versichert, sie würde Kerzen, die Lampe und Cinnas Scherbe mitbringen. Ohne sie wäre die ganze Aktion sinnlos.
Wir luden das Werkzeug, die Feuerschale und ein Bündel Feuerholz aus, das wir vom Vorrat im Schlosshof geholt hatten. Ich stopfte Matts Thermos in meinen Rucksack, oben auf unsere improvisierte Tafel und einige andere Dinge, die mir bei dem geplanten Ritual helfen würden. Vic war immer noch nicht da und ich kontrollierte mein Telefon. „Wir sind noch etwas zu früh. Lasst uns schon mal eine geeignete Stelle finden. Wir können sie anrufen, wenn sie in einer Viertelstunde noch nicht da ist." Ich schulterte den Rucksack und hob das Feuerholz auf.
Matt nahm die Werkzeuge und Lou die Feuerschale. Wir querten die leere Straße an der Stelle, wo sie unter der Autobahn durchführte. Diese verlief hier auf einem Damm, um dann auf einem langgezogenen Viadukt die fruchtbare Ebene zu queren. Eine Umweltsünde der Achtzigerjahre.
So früh waren nur einzelne Autos unterwegs. Ihre Lichtkegel geisterten auf der Autobahn über uns vorbei als wir die Strassenböschung hinauf kletterten und unter der Brücke hindurch auf den Unterhaltsweg einschwenkten, der dem Dammfuss entlang parallel zur Autobahn verlief. Ritter Guillaume, mit seinem unvermeidlichen Nachttopf bewaffnet, schenkte mir ein entschuldigendes Lächeln. „Ich würde gerne helfen mit dem Holz, meine Dame. Leider verbietet meine Kondition mir körperliches Zugreifen."
Lou unterdrückte ein Lachen. „Hören sie auf, meine Freundin zu bezirzen, Ritter Guillaume, oder ich verbanne den Nachttopf wieder in die Attika, ganz unabhängig von ihrer Kondition."
„Das wäre gleichbedeutend damit, mich einzukerkern. Nicht sehr freundlich, nachdem sie mich den verführerisch Duft der weiten Welt schnuppern ließen."
Matt kicherte. „Wenn wir gerade von schnuppern sprechen, was ist das für ein Gestank?"
Ich blieb stehen, um die Nachtluft in meine Lungen zu ziehen. Ein starker Moschusgeruch hatte den Duft der Fabrik nach frisch geröstetem Kaffee abgelöst. Zudem hörte ich nun ein dumpfes Trommeln oder Trampeln. „Nicht gerade Gestank, aber irgend ein Tiergeruch. Was ist das?"
Das Geräusch wurde lauter, begleitet von tiefem Schnauben. Ich ließ mein Holzbündel fallen und wirbelte herum, um die dunkle Ebene abzusuchen. In diesem Moment schob der Wind die Wolke vor dem Mond beiseite. In dem schwachen Silberlicht erkannte ich eine große Herde von zotteligen Tieren, die sich rasch näherten. Ich schnappte nach Luft und stolperte rückwärts in Lou hinein. „Wir müssen hier weg."
Er zog mich gegen seine Brust, und ich konnte fühlen, wie sie sich in unterdrücktem Lachen schüttelte. „Kein Grund, einen Herzanfall zu bekommen, Liebes. Das sind bloß die Büffel. Wir haben sie wohl im Schlaf gestört."
„Sind Büffel nicht gefährlich?" Matt schien gleich nahe an der Panik zu sein wie ich.
Nur Lou nahm die Dinge mit beängstigender Gelassenheit. „Selbstverständlich sind sie gefährlich, das sind ja schließlich keine Haustiere. Das ist auch der Grund, warum der Halter diesen soliden Zaun aufbauen musste."
Beschämt nahm ich den hohen Zaun zur Kenntnis, der entlang des Wegs verlief. Solide war der richtige Ausdruck. Wie hatte ich den übersehen können? Die mächtigen Tiere stoppten mehrere Schritte davor und starrten uns an, während ihr warmer Atem kleine Wölkchen vor ihren Nüstern bildete. Selbstverständlich fand Ritter Guillaume das Ganze interessant und beschloss, sich die unerwarteten Besucher näher anzusehen. Er hob den Nachttopf hoch über seinen Kopf, driftete durch den Zaun und verschwand in der Herde der schnaubenden Tiere.
Ich hätte am liebsten auch geschnaubt. „Büffel. Als ob wir nicht schon genug Sorgen hätten mit Geistern und besessenen Konservatoren." Immer noch mit zitternden Nerven nahm ich meine Last wieder auf und folgte dem Weg entlang der Weide das kurze Stück bis zum Ende des Damms respektive dem Beginn des Viadukts. Tiefe Schatten verhüllten den Raum unter der Autobahn, und nur ein schmaler Streifen Mondlicht fand seinen Weg durch die Spalte zwischen den getrennten Fahrbahnen in östlicher und westlicher Richtung. Er fiel auf ausgetrocknetes, staubiges Erdreich — ein starker Kontrast zum saftigen Gras der Büffelweide nebenan.
Erleichtert, einen ruhigen und gut versteckten Ort gefunden zu haben, ließ ich meine Last fallen und setzte den Rucksack ab. Laut Vic war das der nächste Platz zur ehemaligen En Chaplix memoria, den wir erreichen konnten. Die Ecke war ideal für unser Ritual. Nur das dumpfe Grummeln der Lastwagen, die über uns vorbeifuhren und die stoischen Blicke der Büffel konnten uns hier stören. „Lasst uns dort drüben aufbauen, wo der Mond den Boden beleuchtet."
Lou und Matt entzündeten ein kleines Feuer in der Feuerschale, während ich meine Utensilien auf meinem leeren Rucksack ausbreitete. Wir waren noch nicht fertig, als ein Keuchen einen weiteren Besucher ankündigte. Vic gesellte sich zu uns und ließ den Strahl ihrer Taschenlampe über die Szene wandern. „Entschuldigt die Verspätung. Ich dachte, es wäre eine gute Idee, unterwegs Paul abzuholen. Aber entweder war er nicht daheim oder es gelang mir nicht, ihn aus dem Schlaf zu klingeln."
„Ich bin sicher, er taucht auf, wenn wir die Lampe zusammensetzen." Ich nahm die orange Einkaufstasche, die sie mir reichte, und holte die Kerzen daraus hervor.
Vic liess ihren Rucksack von der Schulter gleiten und studierte die Büffel. „Sieht aus, als hätten wir ein interessiertes Publikum, heute."
„Du hättest uns warnen können. Diese überdimensionierten Buckelkühe haben mir einen gewaltigen Schreck eingejagt. Zuerst Ritter Guillaume, der als Chaperone im Schlafzimmer agiert, und dann eine Büffelherde."
Lou legte ein zusätzliches Scheit aufs Feuer und trat zu uns. „Du solltest die Zeitung lesen, San. Die Bisons sind seit mindestens zehn Jahren eine lokale Attraktion. Was kommt als Nächstes?"
Mir war klar, dass er das Ritual meinte und nicht die lokalen Bemühungen, die Region touristisch attraktiver zu gestalten. „Die Kerzen. Ich brauche einen Ring rings ums Feuer. Und dazu ein Loch im Boden, das groß und tief genug ist, das Tablett aufzunehmen. Mindestens dreißig Zentimeter tief. Am besten hier, wo der Mond den Boden beleuchtet."
Während Matt mir mit den Teelichtern half, nahm Lou den Spaten auf. Aber nach den ersten zwei Stichen unterbrach ihn Vic. „Gib her, das braucht die Hand eines Profis."
Mit beneidenswerter Leichtigkeit hob sie in wenigen Minuten ein quadratisches Loch aus, das genügend groß war für unsere Opfergabe. Als sie fertig war, fragte ich nach der Lampe.
Im Licht des Feuers wirkten ihre Züge angespannt, während sie das Artefakt auspackte und beschützend in der Hand hielt — außerhalb meiner Reichweite. „Du weißt, dass ich dafür Ärger bekommen kann?"
Matt stiess sie an. „Wir alle können Ärger bekommen, und zwar übernatürlichen. Möchtest Du die Aktion abblasen?"
„Und Paul als unausstehliches Ekel behalten? Mir ist klar, dass ihr beide nicht mehr miteinander sprechen wollt. Aber ich möchte einen Arbeitskollegen zurück, mit dem auszukommen ist. Hier, bitte." Sie drückte mir die Lampe in die Hand.
Ritter Guillaume, der genau in diesem Moment mit einem zufriedenen Lächeln von seiner Expedition zurückkehrte, stellte den Nachttopf neben meinen Rucksack und legte eine Hand auf die Brust. „Ah, ich habe charakterstarke Frauen immer bewundert."
Lou lachte. „Ich schätze es, dass sie ihre Flirts auf ein anderes Ziel richten." Er zündete ein Räucherstäbchen an und steckte es neben der Feuerschale in den Boden. „So, ich denke das ist alles zur Vorbereitung. Nun ist es deine Show, San."
„Danke." Ich wendete mich an Vic. „Nun brauchen wir nur noch die Scherbe."
Sie zog ein kleines Paket aus der Tasche ihrer Jeans, wickelte die Scherbe aus und schob sie an die passende Stelle der Lampe. Mit einem leisen Klicken war die Szene bereit für den Auftritt der Geister.
Diesmal mussten wir länger auf ihr Erscheinen warten. Ich hatte damit gerechnet, aber trotzdem zitterte ich, vielleicht von der kühlen Nachtluft, vielleicht aber auch vor Anspannung. Bevor meine Selbstzweifel sich durchsetzen konnten, formte sich ein weißer Rauchfaden außerhalb des Kreises, der durch die flackernden Kerzen markiert wurde. Rasch nahm er Cinnas schlanke Form an. Sie wartete unsicher an der Grenze des Kreises und schwankte leicht hin und her wie die Zweige einer Weide im Wind. Ritter Guillaume trat ihr gegenüber und streckte grüßend die Hände aus.
„Intra, domina mea."
Auf seine Einladung überquerte sie die unsichtbare Grenze die von den Kerzen markiert wurde. Die Magie heute Nacht schien stark zu sein. Aber wo blieb Paul?
Wir warteten schweigend während Ritter Guillaume und Cinna leise miteinander flüsterten. Funken stoben auf als Lou ein weiteres Stück Holz aufs Feuer legte. Immer noch keine Spur von Paul. Vic presste die Lippen zusammen, ein Zeichen der Anspannung, das ich inzwischen von ihr kannte. Sie holte ihr Telefon hervor, um den Konservator anzurufen. Er nahm nicht ab.
Etwas war schiefgegangen.
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