15 - Nachforschungen

Draußen vor dem Depot vertrieb die fahle Herbstsonne den Nachhall des Gefühls, das mir immer noch einredete, ein Geist sei in der Nähe. Ich bedauerte fast, dass ich für den Heimweg meine Motorrad-Schutzkleidung wieder anziehen musste.

Matt verstaute seinen Werkzeugkasten und die Tasche im Bus und wandte sich an mich. „Ich glaube, ich fahre noch zur nächsten Eisenwarenhandlung. Ich habe ein paar Ideen, wie sich die Sensoren effizienter machen lassen. Und ich möchte einfacher zu montierende Halterungen bauen."

Inzwischen wusste ich, dass mein Partner immer dann an glücklichsten war, wenn er ein technisches Problem lösen konnte. Ähnlich wie ich, wenn ich die Gelegenheit hatte, meine Nase in einem guten Buch zu vergraben. Und das hatte ich für den Rest des Tages vor.

„Klingt gut für mich. Ich fahre zurück nach Corbières und mache meine Nachforschungen. Es wird Zeit, dieser Sache ernsthaft auf den Grund zu gehen. Da gibt es einige Unstimmigkeiten, mit denen ich mich befassen will." Ich zog den Reißverschluss meiner Jacke zu und stülpte den Helm über. „Sehen wir uns heute Abend direkt hier?"

„Das ist wohl am einfachsten. Viel Erfolg bei deiner Detektivarbeit." Er knallte die Tür zu und fuhr rückwärts aus dem Parkfeld. Ich folgte seinem Bus auf die Hauptstraße und zurück zur Autobahn, wo ich ihn überholte und Richtung meines neuen Heims davonbrauste. Wie immer half mir die Fahrt, meine Gedanken zu ordnen. Zurück beim Schloss hatte ich bereits einen Plan, wo ich mit meinen Recherchen beginnen wollte.

Die Bibliothek bot mir einen ruhigen Rahmen, um das Internet nach Informationen über die römische Religion zu durchforsten. Während es schwierig war, etwas über Fluchtafeln zu finden, hatte ich mir bald ein detailliertes Bild von allgemeinen Glaubensvorstellungen und einiger wichtiger Rituale im Zusammenhang mit dem Tod erarbeitet. Als Lou mich zum Nachtessen rief, war ich gerade in das Studium eines Stadtplans des antiken Aventicum vertieft.

„Hast Du gewusst, dass die römische Stadt viel größer war als der heutige Ort Avenches?" Ich deutete auf den Plan, der eine Überlappung der römischen Gebäude mit der heutigen Straßenkarte zeigte. „Außerdem war der Ort gut geplant und geordnet organisiert, fast wie eine amerikanische Stadt. Hier liegt die ganze Infrastruktur, mit einem Theater, einem heiligen Bezirk, das Forum und das Amphitheater. Es gab mehrere öffentliche Bäder und natürlich die Stadtmauer, die heute noch zu sehen ist."

Lou lachte. „Es war damals immerhin die Hauptstadt dieser Provinz des römischen Reiches. Eine gewisse Infrastruktur gehörte da wohl einfach dazu."

„Ja, klar. Trotzdem ist es überraschend, dass das meiste davon einfach unter Landwirtschaftsland verschwunden ist. Mit ein paar wenigen Ausnahmen, einverstanden. Aber die mittelalterliche Stadt, die Aventicum ablöste, war vergleichsweise winzig."

„Einverstanden. Das römische Reich muss wohl sehr rasch zerfallen sein, wenn Avenches ein typisches Beispiel ist."

Wir erreichten die Cafeteria und Lou hielt die Tür für mich offen. „Hast Du auch Neuigkeiten über den Geist?"

„Mhm. Ich bin jetzt sicher, dass es eine Frau ist, die im Depot spukt. Wir werden heute Nacht versuchen, ob wir sie sehen können. Willst Du dabei sein?"

Lou hob die Brauen. „Geister beobachten? Nun, wenn Ritter Guillaume heute Abend nicht wieder ein Whirlpool-Debakel heraufbeschwört, warum nicht? Aber lass uns zuerst etwas essen, bevor nichts mehr übrig ist."

Wir aßen mit der Belegschaft des Hostels und so blieb keine Zeit, weiter über Geister zu diskutieren. Als Lou und ich uns für einen Kaffee in sein Wohnzimmer zurückzogen, lungerte Ritter Guillaume auf dem Sofa, seine ausgestreckten Beine übereinanderlegt und die Absätze seine spitzen Panzerschuhe auf der Glasplatte des Kaffeetischs.

Lou sah aus, als hätte er in eine Zitrone gebissen. „Autsch. Zum Glück sind diese Eisensocken zu substanzlos, um die Oberfläche zu verkratzen."

Der Ritter grinste und saß auf, indem der seine Füße durch die Tischplatte senkte. Wir konnten deutlich sehen, wie er seine kleine Vorstellung genoss — ein kleiner Triumph über uns Lebende. „Keine Angst, die Möbel sind sicher vor mir. Gibt es Neuigkeiten zum Spuck?"

Ich stellte meinen Teller mit Keksen an die Stelle, wo sich gerade noch Guillaumes ektoplasmischen Füße befunden hatten und ließ mich in einen Sessel fallen. „Es gibt Hinweise darauf, dass wir es mit dem Opfer eines Fluchs zu tun haben. Ich bin mir noch nicht sicher, aber es sieht aus, als ob die römische Fluchtafel, die in der Zeitung des Raben erwähnt wird, von derselben Stelle stammt wie ein Fundstück im Depot, welches den dortigen Geist anzieht. Deshalb vermute ich, dass zwischen dem Fluch und dem Geist ein Zusammenhang besteht."

Lou setzte sich in den zweiten Sessel und nippte an seinem Kaffee. „Hattet ihr nicht vor, einem Geist auf einer Ausgrabungsstätte nachzuspüren? Es scheint doch eher unwahrscheinlich, dass der gleiche Geist seit Jahrzehnten die Arbeiter in dem Depot erschreckt und dann plötzlich an einen anderen Ort umzieht."

„Genau das ist der Punkt. Mir fällt keine andere Erklärung ein, als dass wir es mir zwei verschiedenen Erscheinungen zu tun haben, die möglicherweise unabhängig voneinander ihr Unwesen treiben."

Lou setzte seine Tasse ab, nahm sich einen Keks und starrte ihn an, als ob er die Antworten zu allen Rätseln des Universums enthielte. „Da ist etwas viel Zufall im Spiel, wenn Du mich fragst."

Guillaumes Augen strahlten, sein war Blick auf den Keks in Lous Hand fixiert. Die Geister schien er für den Moment vergessen zu haben. „Sind sie gut?"

Lou biss die Hälfte des Gebäcks ab und schob den Teller in die Richtung des Ritters. „Die besten. Das ist ein altes karibisches Rezept von Sans Großmutter, einfach himmlisch."

„Aber bitte nicht anschließend über die lästigen Krümel auf der Polsterung klagen." Trotz seiner Worte griff Ritter Guillaume nach dem Teller. „Sie riechen ausgezeichnet."

Unglücklicherweise schlossen sich die Spitzen seiner durchscheinenden Finger durch den Keks hindurch, den er aufzuheben versuchte. Während ich seinem vergeblichen Versuch zusah, formte sich in meinem Kopf eine Idee. „Nun, ein Geist kann die Dinge der physischen Welt zwar riechen, aber nicht berühren. Ist das korrekt? So, wie ihre eisernen Schuhe weder den Parkettboden noch die Tischplatte verkratzen können — selbst wenn sie darauf einen Stepptanz aufführen würden?"

„Ah, das ist eine kreative Idee. Auf Meister Louis Kaffeetisch steppen." Der Schalk glomm in Guillaumes Augen auf, aber sein Grinsen verblasste rasch. „Sowohl mein Gehör wie mein Geruchssinn funktionierten einwandfrei. Aber Berührungen und auch der Geschmackssinn stehen mir nicht mehr zur Verfügung. Das ist jammerschade, ich würde liebend gern einen dieser wohlriechenden Kekse kosten." Er unternahm einen weiteren erfolglosen Versuch, einen aufzuheben, und verzog seine bärtigen Lippen in einen übertriebenen Schmollmund.

Ich lachte. „Wenn sie mir beibringen, wie man geistertaugliche Kekse bäckt, werde ich mein bestes geben. Gibt es bestimmte Umstände, unter denen ein Geist solide Gegenstände berühren oder verschieben kann?"

„Ja, natürlich. Wenn wir einen mächtigen Antrieb haben, können wir einen gewissen Einfluss auf Dinge aus der Welt der Lebenden ausüben."

Lou unterdrückte ein Kichern. „Zum Beispiel auf die Blasen in unserem Whirlpool?"

Die Blicke des Ritters bohrten sich wie Dolche in meinen Freund. „Das ist natürlich etwas ganz anderes. Kein Vergleich."

Ich hatte beinahe Mühe, mir vorzustellen wie noch vor zwei Monaten Guillaume Louis einen Clown nannte und Lou im Gegenzug den Ritter für ein Monster hielt. Inzwischen hatten der erste und der momentane Besitzer des Schlosses eine seltsame Form der Freundschaft geschlossen. Was mich immer wieder überraschte zwischen einem siebenhundertjährigen Geist und einem lebenden Menschen.

Mit erhobenen Händen unterbrach ich das freundschaftliche Geplänkel. „Natürlich, das ist ein riesiger Unterschied und Lou würde es niemals wagen, sie von dem Königreich der duftenden Blasen fernzuhalten. Aber diese Information ist wichtig für mich, vielleicht entscheidend für unseren Fall. Sie sagen, ein Geist mit einer starken Motivation oder mit einem offenen Geschäft aus seiner Lebenszeit könnte diesen Keks aufheben?"

Der mittelalterliche Ritter zog die bauchigen Augenbrauen zusammen. „Es ist möglich, aber unwahrscheinlich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Geist eine spezielle Beziehung zu etwas so volatilem wie einem Keks besitzt. Oder zu einer Luftblase in einem Pool. Die Verbindung besteht meist zu einem persönlichen Objekt, etwas, das mit dem Tod der Person zu tun hat. Zum Beispiel zu einer Mordwaffe."

„Sowas habe ich mir gedacht. Danke für die Bestätigung. Das bedeutet, dass das Stück der Öllampe, das Vic am Boden fand, ein wichtiges Teil dieses Puzzles sein könnte."

„Es könnte, aber du hast selbst gesagt, die Polizei könnte es fallen gelassen haben." Lou zuckte die Schultern und langte nach einem weiteren Keks.

Ich nahm mir selbst einen und, mit einem entschuldigenden Lächeln zu Ritter Guillaume, biss ich hinein. „Das war Vic's Theorie. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Polizisten die Kisten mit Funden durchwühlten. Ich wette die suchten nur nach Zeichen, dass jemand die Ordnung in dem Raum gestört hatte, befragten die Angestellten und zogen ab, als sie feststellen, dass nichts gestohlen worden war."

Lou nickte und schluckte seinen Keks. „Stimmt. So gingen sie auch vor, als wir vor zwei Jahren einen Einbruch hatten. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass der Fall bei ihnen in einer Schublade mit all den anderen ungelösten Fällen landet."

„Gut möglich, aber das ist nicht meine Sorge." Ich rieb mir die Schläfen. „Nein, ich glaube, jemand anderes ließ die Scherbe fallen. Jemand, der Mühe hat, Dinge richtig zu fassen und entweder ungeschickt war oder erschrak, vielleicht wegen dem Einbrecher."

„Sie vermuten, dass der Geist das Stück fallenliess?" Ritter Guillaume rümpfte die
Nase. „Wenn das stimmt, muss es eine Verbindung zwischen unserem Geist und diesem spezifischen Objekt geben."

„Genau das ist die Vermutung die ich heute Abend überprüfen werde. Ich hoffe bloß, die weiße Dame kommt auch wirklich vorbei." In meiner kurzen Karriere als Mitglied der Geistergarde hatte ich bereit mehr als eine Enttäuschung erlebt durch Geister, die sich nicht so verhielten, wie wir Lebenden es erwarteten. Ritter Guillaume war das beste Beispiel.

Offenbar vertrat er die gleiche Ansicht. „Viel Glück, aber verlasst Euch nicht darauf. Wir Einwohner einer anderen Realität halten uns nicht immer an die Regeln, die ihr Lebenden als gegeben anseht. Das wäre ja langweilig."

Der Ritter stand auf und ging durch die Tür hindurch aus dem Raum. Als er halb in im Türblatt steckte, hielt er an und drehte sich um, so dass Kopf und Schultern in den Raum ragten. „Außerdem haben laut meiner Erfahrung die meisten Geister mehr Angst vor den Lebenden als umgekehrt."

Lou und ich tauschten einen Blick aus. „Warum das?"

„Weil es die Lebenden sind, die sich unberechenbar verhalten, nicht die Geister." Ritter Guillaume hielt einen Finger hoch. „Aber nun haben wir genug philosophiert. Ich sehe nach, ob der Whirlpool frei ist. Mit dem Geruch dieser Kekse habt ihr mich gierig auf einige beinahe-körperliche Sinneswahrnehmungen gemacht."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top