22 - Von Schleudern und Vertrauen

Einen kurzen Moment lang fürchtete ich, Aalyxhs Augen würden gleich aus ihren Höhlen kullern und übers Deck davonrollen. Dann presste sie alle vier Paar Augenlider fest zu und quietschte. Ben presste sich die Handflächen auf die Ohren. „Hör auf damit, Lyxh, du bis schlimmer als eine Horde verliebter Teenies an einem Konzert ihrer Lieblings-Boygroup."

„Aber das ist Kalis erste große Liebe." Die Pilotin öffnete ihre Augen weit, um das Gesicht des Severills auf dem Hauptbildschirm zu studieren. Sie sog seine Züge förmlich in sich hinein.

Zugegeben, se Kajll war attraktiv, auch nach all den Jahren. Ich spürte, wie meine Kiemenklappen heiss wurden als ich aufstand. „Aalyxh, öffne bitte den Audiokanal." Erst da viel mir auf, dass ich die Kommunikation ja mit meiner Hand blockierte. Mein Gesicht wurde noch heißer. Ich musste den Impuls unterdrücken, meinen Overall glatt zu streichen. Stattdessen räusperte ich mich und nahm die Hand vom Mikrophon. „Kalina ap Theron, zu ihren Diensten, Verano se Kajll. Was ist wichtig genug, dass wir hier Freundlichkeiten austauschen?"

„Bitte nenn mich Veran. Es ist eine Ewigkeit her, seit ich dein unschuldiges Gesicht zum letzten Mal sah, ap Theron. Leider unter misslichem Umständen. Aber es freut mich, dass mein bevorzugter Rabauke immer noch unverändert und ungeschlagen durch die Galaxis zieht." Seine Lippen verzogen sich zu einem schiefen Grinsen, das zwei Reihen von spitzen Zähnen entblößte.

„Um." Die Tatsache, dass ausgerechnet dieser Severill der Grund war, dass mich seine ganze Spezies kreuz und quer durch das bekannte Universum jagte, schnürte mir die Kehle zu. Er sah immer noch so verflucht exotisch aus und brachte meine Nackenstacheln zum Kribbeln.

Aalyxh schubste mich am Arm. „Sag schon was, Kali." Sie bemühte sich um ein leises Flüstern, aber ich fürchtete, dass Veran sie trotzdem verstand. „Und bitte verlass dich diesmal nicht auf deine Schleuder, oder unser Hauptschirm geht dabei drauf."

Die Yuuol wusste genau, dass ich seit Jahren keine Schleuder mehr benutzt hatte. Schließlich sind sie als Waffen in Konflikten zwischen Raumschiffen denkbar ungeeignet. Trotzdem holte ihre Bemerkung mich aus meiner Sprachlosigkeit. „Ich glaube, unverändert und ungeschlagen trifft nicht ganz zu. Aber ich hoffe zumindest, dass ich vielleicht den einen oder anderen Trick dazugelernt habe. Nun, ich bin sicher, du bist nicht hier, um über die goldenen Zeiten unserer Jugend zu philosophieren."

„Ah, ich kann mir nichts Interessanteres vorstellen." Das Grinsen verbreiterte sich, und ich fragte mich, was seine versteckten Absichten waren. Severills hatten in meiner Erfahrung immer versteckte Absichten. „Aber du hast recht, ap Theron. Wir sollten uns zuerst um die unmittelbar anstehenden Probleme kümmern."

Ein eifriger geflüsterter Austausch zwischen Hrrovr und Hijac lenkte mich ab. Ich versuchte, die beiden zu ignorieren und mich voll auf das Gespräch mit Veran zu konzentrieren. „Einverstanden. Und welche Probleme sind das genau?"

Aalyxh schenkte mir ein zuckersüßes Lächeln und hielt das Schiff stationär direkt über dem Gebäude am dreieckigen Platz. Ich gab ihr mit der Hand ein Zeichen, dass ich mit ihrer navigatorischen Leistung zufrieden war.

Veran zwinkerte mir verschwörerisch zu. „Das Problem, den Weg zurück in den Sektor zu finden, aus dem wir durch den Sturm herauskatapultiert wurden?"

Nun, das sah ich ebenfalls als eines der dringlichsten Probleme an. Es gab aber noch mehrere andere, und ein Schiff der Severills in unserer unmittelbaren Nähe gehörte mit dazu. Aber das brauchte ich ihm nicht auf die Nase zu binden. „Oh, das meinst du. Wir arbeiten daran."

„Mit Erfolg?" Wenn ich nach einem Beweis gesucht hätte, dass Severills rasch zum Punkt kommen, hätte spätestens diese Frage mich davon überzeugt.

„Teilweise, würde ich sagen. Was ist deine Einschätzung der Situation?" Ich wollte meine Karten nicht offenlegen, solange ich keine Ahnung von seinen Plänen hatte. Während Veran leise mit jemandem sprach, den ich nicht sehen konnte, drehte Aalyxh ihren Schirm in meine Richtung. Er zeigte unsere Position über dem Planeten und jene des Severillschiffs. Veran hatte die Bezwinger in einem stabilen Orbit zu unserer Linken parkiert. Zu nahe für mein mentales Wohlbefinden, aber auch nicht offen bedrohlich.

„Lass uns ehrlich miteinander sein, ap Theron. Wir wissen, ungefähr wo wir sind, und wir kennen den Kurs und die Distanz zu unserem Ziel. Leider fehlen uns aber die Mittel, in nützlicher Frist dahin zu kommen. Außer wir gründen ein Generationenschiff, starten ein Populationsprojekt, und überlassen diese Aufgabe unseren entfernten Nachkommen."

Ein metallischer Geruch der Überraschung reizte meine Nase als Hijac und Hrrovr verstummten. Der Karjkaner konzentrierte sich voll auf den Hauptschirm, und ich konnte ihm sein Erstaunen nicht verübeln. Mir ging es ähnlich. „Ich schätze die Offenheit, Verano se Kajll." Meine Gehirnlappen arbeiteten auf Hochtouren. Wie weit konnte ich diesem Mann vertrauen? „Was möchtest du von uns?"

„Veran, bitte, unter alten Freunden." Er schaute mich mit dem gleichen atemberaubenden Lächeln an wie damals, vor so vielen Jahren. Und ich spürte wieder das unbändige Verlangen, etwas Dummes zu tun, nur um weiter im Fokus dieses Lächelns zu stehen.

„Also gut, Veran. Meine Freunde nennen mich Kali." Ich betonte das Wort Freunde, was mir ein weiteres strahlendes Lächeln einbrachte. Und damit wurde die Versuchung zu groß. „Nun, allerdings verzichten die meisten meiner Freunde darauf, auf mein Schiff zu schießen, sobald es auf ihrem Schirm auftaucht."

Das Lächeln verblasste. „Verzeih, Kali. Ich habe meines Wissens nie auf dich oder dein Schiff geschossen und auch nicht die Absicht, noch damit anzufangen. Das war der bevorzugte Zeitvertrieb meines Onkels." Er zwinkerte, und ein neues Lächeln kräuselte seine Lippen. „Du hättest damals nicht auf sein Auge zielen sollen, meiner Meinung nach. Obwohl der griesgrämige alte Tyrann nichts Besseres verdient hatte."

Unsere heutige Begegnung steckte voller Überraschungen. Allerdings war ich nicht bereit, ihm zu erzählen, dass es sich nur um einen Zufallstreffer gehandelt hatte. „Du beabsichtigst also nicht, seinen Befehl zu befolgen?" Ich versuchte verzweifelt nach einem Weg zu überprüfen, ob ich ihm trauen konnte oder ob das freundschaftliche Plauderstündchen nur ein Trick war. Aber ich zog nur Nieten, wie Ben es ausdrücken würde.

Veran schien mein Misstrauen zu spüren. Seine Augen zogen sich zusammen. Das wirkte seltsam, weil seine Lider sich von der äußeren Augenecke gegen innen, zur gerippten Nase hin bewegten. „Mein Onkel kann keine Befehle  mehr geben. Er verließ uns während des großen Ionensturms. Sein Groll ist mit ihm zusammen gestorben."

Nun hingen die Blicke meiner gesamten Crew an ihm. Selbst Ajs hatte inzwischen begriffen, dass die Severills es auf uns abgesehen hatten. Falls sie ihre Kopfjagd tatsächlich als verjährt erklärten und einstellten, konnte unser künftiges Leben so glatt verlaufen wie eine Schleimspur der Tanencha.

Ich musste bloß aufpassen, dass wir in dem metaphorischen Glibber nicht ausrutschten. „Heißt das, dass du nicht mehr länger beabsichtigst, unsere Vakuumhülle zu pulverisieren und unsere Atome über den gesamten Sektor zu verteilen?"

„Nein, außer du richtest deine Schleuder auf mich, natürlich. In diesem Fall würde ich es mir noch einmal überlegen." Das Grinsen war wieder zurück.

Ich mochte seinen Humor und fühlte meinen Hass auf alles, was auch nur im entferntesten mit Severills zu tun hatte, dahinschmelzen. Das einzige, was übrig blieb, war eine Pfütze von süßlich-klebriger Schwärmerei für mein Gegenüber. Bens Husten riss mich zurück in die Realität. „Cap, frag ihn nach dem Kurs, damit wir heimfliegen können."

Das kehlige Lachen des Severills rumpelte durch die Brücke. „Dein Baumbewohner hat die richtige Einstellung, Kali. Immer direkt zur Sache." Er wischte sich einige Lachtränen aus den Augenwinkeln. „Ich habe einen Vorschlag. Warum vergessen wir nicht alles, was früher mal war, und arbeiten zusammen, um aus dieser Klemme herauszufinden? Wir stellen die Koordinaten zur Verfügung, und ihr teilt das Geheimnis dieses Sternenportals, das ihr auf dem Planeten entdeckt habt."

„Nun, wenn du darauf bestehst, Ben einen Baumbewohner zu nennen, wird aus der Zusammenarbeit nichts. Die Menschen sind da heikel, und er könnte etwas wesentlich Gefährlicheres auftreiben, als meine alte Schleuder. Gib mir einen Moment Zeit, deinen Vorschlag mit meiner Crew zu besprechen."

Gleichzeitig zu meinen Worten bemühte ich  mich um einen nonverbalen Austausch mit den anderen. Ich war nach wie vor nicht von Verans Vertrauenswürdigkeit überzeugt und wollte uns nicht in unser Verderben stürzen. Die Duftwolke von karjkanischem Support, die mich umfasste, und das zustimmende Rasseln von Schwanzschuppen auf dem Deck sagten mir aber, dass Hijac und Hrrovr zu mir stehen würden, egal wie meine Entscheidung ausfiel. Ich lächelte den beiden zu, dankbar für die Unterstützung.

Ben und Aalyxh tauschten vielsagende Blicke aus, die ich nicht sicher einordnen konnte. Vermutlich war ihnen klar, dass ich auf ihr Einverständnis wartete, aber sie wollten es nicht leichtfertig geben. Am Ende war es Ajs, welche die Entscheidung herbeiführte. „Cap Kali, vielleicht hat das große Schiff deines grünen Freunds genug Energie, um das Portal zu stabilisieren."

Ich wandte mich an den Ingenieur. „Nun, deine Praktikantin hat ein gutes Argument, Ben."

Der Mensch verzog das Gesicht wie damals, als er seine erste oolianische Sauerperle kostete. „Einverstanden, Cap. Aber informiere deinen liebestollen Sumpfbewohner, dass ich einen Boomerang und eine Speerschleuder besitze. Die sind mindestens so effektiv wie eine normale Schleuder, und ich kann damit umgehen."

Ich wusste, dass das keine Übertreibung war. Trotzdem konnte ich ein Grinsen nicht zurückhalten. „Hast du gehört, Veran? Vielleicht sollten wir besser ein Turnier mit folkloristischen Waffen austragen."

Aalyxh kicherte, und damit war mir klar, dass auch meine alte Freundin sich nicht gegen mich stellen würde. Ich schluckte leer, während mir kalter Schweiß über den Rücken rann. Der Moment der Entscheidung war da, und sie lag bei mir allein. „Also gut, Veran, wir verschieben alle verbalen und nonverbalen Duelle auf später. Für heute hast du einen Deal."

Warum bloß fühlte ich mich bei diesen Worten so mies?

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