10 - Verloren im All

„Was?" Als Antwort auf meinen erstaunten Ausruf wurde ich augenblicklich von einer Wolke von karamellisierter Verzweiflung umhüllt. Hijac hasste es, wenn er seine Aussagen wiederholen musste. Seine Facettenaugen glühten wie heisse Kohlen und ich bemühte mich, meine Frage zu erklären. „Keine Angst, ich habe begriffen, dass du vermutest, die Gehirnströme könnten von einem Lebewesen stammen, das sich an unserem Schiffsrumpf festgekrallt hat. Ich war bloß überrascht. Sind diese Erzählungen von Vakuumläusen und Weltraumflederer nicht bloß Gutenachtgeschichten für Nestlinge?"

„Meinst du so, wie die Berichte von den hinterlistigen Raumspinnen und riesigen Nebula-Kalmaren?" Sein Augenglühen ließ etwas nach, als der Karjkaner sich entspannte und auf eines seiner Lieblingsthemen einschwenkte. „Seit wir das Ei dieser Shi'a gefunden haben, solltest du besser wissen, dass es einen Unterschied gibt zwischen seltenen Lebensformen und frei erfundene Mythen, die in Bars zirkulieren."

Er hatte natürlich recht. Das Raumkalmar-Baby, auf das er anspielte, hatte mit uns sogar Freundschaft geschlossen. Oder zumindest mit Aalyxh, während wir es zu einem Nebel führten, wo es nicht länger den Verkehr auf einer der wichtigsten Handelsrouten des Sektors stören konnte. Meine Herzen schlugen immer noch schneller, wenn ich an das Chaos dachte, das ein solches Riesenbaby hätte anrichten können, falls es sich angegriffen und provoziert gefühlt hätte.

Die Probleme von damals schienen in der Rückschau allerdings harmlos verglichen mit unserer momentanen Situation. „Also warten wir, bis der Sturm uns irgendwo ausspuckt, und untersuchen dann unsere Aussenhülle gründlich nach intelligenten Raumläusen oder anderen Schiffsparasiten. Wenn das alles ist, können wir damit umgehen. Und was hältst du von dem Fluch?"

„Ich verstehe nichts von Flüchen. Sowas gibt es auf Karjk nicht. Klingt wie eine von diesen kaum erforschten menschlichen Besonderheiten oder Begabungen." Er verströmte Neugier aus allen Duftporen. „Vielleicht ist es irgendwie verwandt mit der Yuool-Telepathie." Ein Schwaden saurer Luft mischte sich in den Pfeffergeruch und verriet mir, dass Hijac selbst an dieser Aussage zweifelte.

Die menschliche Überlieferung war voll mit seltsamer Magie. Es war deshalb immer unterhaltsam, wenn Ben eine seiner eigenartigen Geschichten zum besten gab. Bisher hatte ich allerdings niemals einen Gedanken daran verschwendet, herauszufinden, ob sie sich um einen wahren Kern rankten. „Ich hielt Bens Märchen immer für erfunden. Aber vorhin schien es, als ob er tatsächlich an diesen Fluch glaubt. Ich frage mich, ob wir es hier mit einem Aberglauben zu tun haben."

Das schien mir allerdings nicht recht zu unserem sonst so rationalen Ingenieur zu passen, und auch Hijac hatte dazu keine weiteren Erklärungen und Hypothesen. Deshalb ließen wir den Rest unserer Schicht in kameradschaftlicher Stille verstreichen. Das bot mir auch Gelegenheit, meine Körperfunktionen besser an die Schlingerbewegungen des Schiffes anzupassen. Ich fühlte mich endlich wieder etwas wohler in meiner Haut.

Wir erreichten den Rand des Sturms zwei lange und langweilige Schichten später. Hrrovrs Anruf über Komm riss mich aus einem tiefen Schlummer. „Captain Kalina?"

Mit geschlossenen Augen drehte ich mich in meinem Tank, sicher dass es sich nur um einen Traum handeln konnte. Erst der dritten Ruf drang in meine Bewusstsein und zwang mich dazu, meine Orientierung zu finden.

Einen Bruchteil eines Klicks zuvor hatte ich noch einen farbenprächtigen Sonnenuntergang auf meiner Heimatwelt Oola genossen und die Sterne betrachtet, die nach und nach am purpurnen Himmel aufleuchteten. Rings um mich her wisperten die Wellen ein sanftes Lied. Mein jugendliches Verlangen glühte im Wunsch nach einem Schiff, das mich von dieser Wasserwelt hinauf zu den Sternen tragen würde.

Dann löste sich der Traum auf. Schweren Herzens ließ ich die angenehmen Erinnerungen in mein Unterbewusstsein zurücksinken als mir klar wurde, dass ich mich gerade auf einem Schiff befand, zwischen den Sternen. All meine Kinderträume hatten sich erfüllt, aber damit auch einige meiner größten Ängste.

„Captain? Wir ss'sind aus'ss den Ss'sturm raus'ss." Das waren gute Nachrichten, nicht? Irgendwie blieb trotzdem ein unangenehm kalter Knoten in meinen Eingeweiden hängen. Nach kurzem Zögern bestätigte Hrrovr mein ungutes Gefühl. „Aber wir scheinen ein Problem z'ssu haben."

Mir war schon lange klar, dass mein Stellvertreter nicht die geringste Neigung zu Übertreibungen zeigte. Wenn er ein Problem erwähnte, dann hatten wir ein Problem. Dieses Wissen weckte mich schneller als der giftige Stich eines Tichitinkers. Ich öffnete die Schleuse meines Tanks und drückte den Komm-Knopf. „Bin schon unterwegs."

Mein Pelz glänzte noch nass, als ich auf die Brücke stürzte. Die heftig schlingernden Bewegungen des Schiffs waren inzwischen in ein sanftes Schaukeln übergegangen. Kein Wunder hatte ich so friedlich geschlummert wie ein Baby in seinem Kuschelbeutel. Hrrovr und Aalyxh beugten sich über die Navigation, die Köpfe zusammengesteckt, und diskutierten angeregt, ohne mich zu bemerken. „Was ist das Problem, Hrrovr?"

„Wir ss'sind aus'ss dem Ss'sturm raus'ss, können dafür Ticotan aber nicht mehr lokalis'ssieren." Die Schuppen des Rrss'h'ss klapperten unsynchronisiert. Einen Moment lang starrte ich fasziniert auf die irisierenden Wellen, die über seine muskulösen Glieder liefen. So etwas hatte ich noch nie bei ihm gesehen. Erst da dämmerte es mir, dass ihn etwas komplett verstörte. Normalerweise hätte er nicht zugelassen, dass sein makelloses und stoisches Äußeres so deutlich seine Gefühlsregungen widerspiegelte. Das war ein schlechtes Zeichen.

Ich kratze meine Nackenstacheln. „Es scheint nicht sehr wahrscheinlich, dass wir ein schwarzes Loch dieser Größe einfach übersehen oder irgendwie verlegt haben. Funktionieren unser Sensoren denn noch, nach diesem Sturmritt?"

„Aye, Captian." Aalyxh hatte alle vier Augen offen und sandte mir intensive Blicke. „Alle Sensoren sind bereits überprüft. Zudem ist Jac draußen und kontrolliert den Rumpf. Er sucht nach Läusen oder sowas. Aber er hat bestätigt, dass wir keine externen Schäden haben. Ben habe ich hinunter zur Maschine und in den Frachtraum geschickt, um auch die Schnittstellen zu kontrollieren. Nicht dass wir falsche Daten erhalten. Er behauptet alles funktioniere einwandfrei."

Offensichtlich war ich als Captain die letzte, die zur Party stieß. Ich ließ mich in meinen Sessel plumpsen und drückte die Kommtaste. „Jac? Gibt es Neuigkeiten von da draußen?"

„Alles bestens, Captain." Die rauchige Stimme seiner Sprachbox wirkte seltsam steril ohne die übliche Geruchsbegleitung. „Wir haben keine Energiefresser oder andere Parasiten aufgelesen und auch keine nennenswerten Schäden. Die neuen Sensorschutzabdeckungen zu installieren hat sich gelohnt."

„Danke, Jac. Wie lange brauchst du da draußen noch?"

„Nicht mehr lange. Ich putze noch die Ladepaneele, die sind voller Staub. Ben meint, sie liefern nur dreißig Prozent der Sollleistung. Wir hätten das schon länger mal machen sollen."

„Danke, Jac. Aber denk dran, zurück an Bord zu kommen, bevor du zum nächsten Mal atmen musst." Einmal mehr fühlte ich mich glücklich, einen Karjkaner in der Crew zu haben. Diese insektoide Spezies entwickelte sich auf einem Planeten mit ausgesprochen unzuverlässiger Atmosphäre und war in der Lage, einige Klicks im harten Vakuum zu überleben, ohne zu atmen. Sie waren geschlechtsneutral, ausgesprochen gesellig und von Natur aus hilfreich. Allerdings fanden nur wenige den Weg in die Frachtflotte, da die meisten ein ruhiges Planetenleben vorzogen. Der immer neugierige Hijac war da wohl die große Ausnahme.

Ich wandte mich an die Pilotin. „Lyxh, wann sind wir bereit, die Triebwerke wieder zu starten?"

„Ben besteht darauf, dass wir mindestens vier weitere Schichten durchhalten, damit die Regeneration vollständig ist. Außer wir finden eine andere, ergiebigere Energiequelle, natürlich." Sie verdrehte entschuldigend die Augen.

„Nun gut, dann haben wir ja eine Menge Zeit, uns nach alternativen Energien umzusehen. Wo sind wir denn eigentlich? Gibt es irgendwelche Asteroiden in der Umgebung, auf denen wir nach Rohstoffen schürfen können? Oder einen lohnenswerten Nebel?"

Ein ungeduldiges Zischen von Hrrovr ließ mich innehalten. „Das'ss is'sst es'ss, was'ss ich dir z'ssu erklären vers'ssuche. Wir wis'ss'ssen nicht, wo wir ss'sind."

„Was?"

„Er hat recht, Kali." Aalyxh klang seltsam müde. „Auf unseren Karten gibt es nichts, was sich mit den Himmelskörpern in dem Sektor da draußen vergleichen lässt. Weder ein Stern, Pulsar, Nebel, noch sonst was."

Ich schluckte trockene Luft. Sich im All zu verirren war der perfekte Albtraum eines jeden Captains. „Hmm. Ihr meint also wir driften gerade orientierungslos inmitten des großen Nirgendwo?"

Weder Aalyxh noch Hrrovr hatten den Mut, mir in die Augen zu sehen. Glücklicherweise unterbrach das Knistern des Komms die unangenehme Stille. Aber für einmal hatte auch Bens Stimme ihre melodiöse, beruhigende Komponente verloren. „Lyxh? Ich brauche dich hier unten im Cargodeck. Ich glaube, ich habe herausgefunden, wo deine mysteriösen Hirnströme herkommen. Ist Cap inzwischen wach?"

Ich antwortete selbst. „Wir sind schon unterwegs, Ben."

Ohne auf die schwerfälligere Pilotin zu warten, sprintete ich los, mich darauf verlassend, dass Hrrovr die Stellung halten und auf Hijac aufpassen würde, der immer noch draußen auf dem Rumpf herumkraxelte.

Wir fanden Ben im Frachtraum, gegen eine Schottwand gelehnt und bleich wie ein gefrorener Komet. Seine weit aufgerissenen Augen waren auf die einzelne Kiste gerichtet, die wir in Tyrin an Bord genommen hatten. Die kostbare Fracht der Tanencha. In der Hektik der Flucht vor der Patrouille und den Severills, dem Stress mit dem schwarzen Loch und dem Ionensturm und schließlich der neuen Erkenntnis, dass wir uns verirrt hatten, war mir die mysteriöse Fracht völlig entfallen.

Die Kiste stand auf einem Frachtschlitten, mit reißfesten Gurten sicher festgehakt. Sie war elegant, grau und unversehrt. Außerdem gab sie ein leise summendes Geräusch von sich. Aber wirklich ungewöhnlich und etwas furchteinflössend war, dass sie zitterte wie wenn sie gerade kurz vor dem Explodieren stünde.

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