Kapitel 3: Der Hollywood-Playboy
„Beschaff mir eine Rolle in Die Rose von Texas, Walt! Und zwar bevorzugt die männliche Hauptrolle!", schrie Charlie Gilbert seinen Agenten durchs Telefon an. „Sonst werde ich dich unverzüglich feuern! Und wieso hat man mir nicht längst eine Rolle in dem Film angeboten?"
Es war elf Uhr morgens, was für Hollywood-Verhältnisse auch am Neujahrstag, dem Morgen nach Evette Stanleys Party, alles andere als früh war. Trotzdem war Charlie gerade erst aufgestanden und trug nichts weiter als eine Unterhose und einen Bademantel. Dabei fiel ihm offenkundig keine bessere Weise ein, wie er das neue Jahr beginnen konnte, als seinen Agenten für den Zustand seiner Karriere verantwortlich zu machen.
Es war nicht das erste Mal, dass einer seiner Klienten Walter Davis am Telefon angeschrien hatte. Im Gegenteil: Das war schon so oft vorgekommen, auch bei Stars, die bedeutender gewesen waren als Charlie, weshalb er sich daran gewöhnt hatte. Sicherlich war Charles Gilbert, den alle, sogar seine Fans, nur „Charlie" nannten, im Moment ein äußerst gefragter und beim Publikum beliebter Star. Nichtsdestotrotz war Walter bei ihm an seiner persönlichen Schmerzgrenze angelangt. Denn als ein lange im Showgeschäft etablierter Künstleragent, der schon Charlies Vater beraten hatte, war er nur bis zu einem bestimmten Punkt bereit, sich die besonderen Befindlichkeiten und Forderungen seiner Klienten bieten zu lassen. Abgesehen davon hatte es bei den Dreharbeiten zu Charlies letztem Film Beschwerden gegeben, dass der Umgang mit dem Star „schwierig" gewesen sei, was Walter so deutete: Wenn sein Klient sich nicht bald zusammenreißen, pünktlich erscheinen, seinen Text lernen und ausgeschlafen und fit zum Dreh erscheinen würde, würde das Studio ihn entweder fallenlassen oder ihm weniger wichtige Rollen geben.
„Das letzte Mal, als ich mit dir geredet habe, warst du versessen auf die zweite Hauptrolle in dem John-Wayne-Film. Ich habe inzwischen mit den Produzenten geredet und bin zuversichtlich, dass sie dir die Rolle geben würden. Ausgerechnet jetzt sagst du mir, dass du lieber einen ganz anderen Film machen willst? Junge, das ist ein John-Wayne-Film! Wie oft in deiner Karriere denkst du, dass du die Ehre haben wirst, mit jemandem wie John Wayne zu arbeiten?"
„Du liegst vollkommen richtig: Ich will keinen Film mit dem alten Cowboy drehen, sondern Die Rose von Texas mit Arielle Adams", erwiderte Charlie. „Also beschaffe mir eine Rolle in dem Film, denn dafür wirst du schließlich bezahlt!" Warum musste er das seinem Agenten zwei Mal sagen? War der Mann ein Idiot?
Walter seufzte, als Charlie Arielles Namen nannte. Eigentlich hätte er schon früher ahnen müssen, dass Charlie seine Meinung nicht geändert hatte, weil er plötzlich ein künstlerisches Interesse an Nick Stanleys Film entwickelt hatte, sondern an dessen bezaubernder Hauptdarstellerin. Vielleicht hätte er ihm an dieser Stelle sagen sollen, dass er sich ganz hinten anstellen musste, denn halb Hollywood wollte mit der hübschen Dame ins Bett steigen. Abgesehen davon war Walter davon überzeugt, dass es schlecht für Charlies Karriere war, wenn er in einem Film als Arielles Co-Star auftrat. Denn es war doch eigentlich jedem klar, dass die beiden wichtigsten Stars eines Arielle-Adams-Films Arielles Brüste waren, an denen sich das Publikum scheinbar nicht sattsehen konnte. Zwar gab es durchaus eine Menge attraktiver Schauspieler in Hollywood, die zugleich wirklich gute Schauspieler waren und die ihr Handwerk teils in Schauspielschulen erlernt hatten. Arielle gehörte aber nicht zu ihnen und war deshalb dazu verdammt, so viel Kapital wie nur irgendwie möglich aus ihrem kurvigen Körper zu schlagen. Doch da Charlie sich anscheinend eingeredet hatte, dass er unbedingt versuchen musste, Arielle Adams' Herz und Bett zu erobern, entschied Walter, dass sein Klient seines eigenen Glückes Schmied sein sollte: „In Ordnung. Ich werde sehen, was ich für dich tun kann, Charlie."
„Du solltest dich besser beeilen, bevor ich meine Meinung ändere und dich doch feuere!", meinte Charlie und beendete das Telefongespräch, ohne sich von seinem Agenten zu verabschieden.
„Hast du gerade mit deinem Agenten telefoniert?", fragte eine verkatert klingende, weibliche Stimme. Sie gehörte einer hübschen Blondine, die sich in Charlies Bett räkelte.
Charlie nickte. Er bereute es, dass er diesen Arielle-Klon in den frühen Morgenstunden auf der Tanzfläche des Circe aufgerissen und nach Hause mitgenommen hatte. Die echte Arielle und ihr Begleiter hatten Evette Stanleys Party zu diesem Zeitpunkt schon lange verlassen. Charlie war verärgert gewesen, dass er es nicht geschafft hatte, Arielle überhaupt anzusprechen. Genau genommen war es nicht möglich gewesen, näher als fünf Meter an sie heranzukommen. Eine Schar von Männern, von denen viele das Rentneralter bereits erreicht hatten, hatte sie konstant umringt. Es passierte selten, dass Charlie nicht das bekam, was er wollte. Denn er war ein berühmter Schauspieler, mit dem man es sich als Filmemacher in Hollywood nicht verscherzen wollte.
Nichtsdestotrotz war er so lange auf der Party geblieben, bis der Clubbesitzer Mr. Chow diese offiziell für beendet erklärt hatte. Die Blondine in seinem Bett war eine der Frauen gewesen, die noch übrig geblieben waren. Er hatte sie noch nie zuvor gesehen und hatte keine Ahnung, wer sie war. Nicht einmal ihren Namen kannte er. Schätzungsweise war sie die Begleiterin von irgendwem gewesen, der sie auf der Party „vergessen" hatte, und dann musste sie der Meinung gewesen sein, dass sie einen richtig „großen Fisch" abgeschleppt hatte, als Charlie sie mit nach Hause genommen hatte.
Das Beuteschema dieser Frauen war immer das Gleiche und fast schon langweilig: Zuerst kamen sie aus aller Herren Länder nach Hollywood, um berühmt zu werden. Sobald sie merkten, dass sich ihre Hoffnungen mangels Talent nicht erfüllen würden, erkannten sie, dass sie als Anhängsel eines Stars trotzdem reich und berühmt werden konnten. Ergo umschwärmten sie jeden Star, dem sie begegneten, wie die fleißigen Bienen, die sie waren. Da man von solchen Opportunisten nicht mehr erwarten konnte, als dass sie das Wort „Schamgefühl" vielleicht buchstabieren konnten - Sie hatten nämlich keins -, war es ihnen ziemlich egal, mit wem sie nach Hause gingen. Hauptsache, es handelte sich um einen Star.
Deshalb wollte er sie jetzt, am Morgen „danach", auch so schnell wie möglich loswerden. „Hey, ich habe um 13 Uhr einen Geschäftstermin. Ich möchte wirklich nicht gemein sein, aber du kannst leider nicht hier bleiben."
„Ich heiße Veronica", sagte die Fremde, die sich plötzlich weniger wie ein Fan anhörte, sondern wie eine Geschäftspartnerin. „Und normalerweise kosten meine Dienste 100 Dollar pro Stunde. Aber da du berühmt bist und ich viel Spaß mit dir hatte, bin ich auch mit 70 Dollar einverstanden... Das macht dann 560 Dollar."
Charlie war sprachlos. Obwohl er in dieser Stadt aufgewachsen war und eine Menge seltsamer Leute hier lebten, war er selten in eine so bizarre Lage geraten. „Du bist eine Prostituierte?"
„Ich betrachte mich eher als eine clevere Geschäftsfrau", erwiderte Veronica. „Ich weiß halt, wie ich aus der Tatsache, dass viele einsame Leute im Filmgeschäft arbeiten, einen Gewinn schlagen kann."
Als er das hörte, musste er unwillkürlich lachen: Offensichtlich war sie überhaupt kein fleischgewordener Blondinenwitz, sondern eine der besten Schauspielerinnen, denen er je in Hollywood begegnet war. „Ich würde mich nicht zwingend als einen einsamen Mann aus Hollywood beschreiben, aber du scheinst da ja andere Erfahrungen gemacht zu haben."
„Eine Lady redet nie über ihr Alter und die Zahl der Liebhaber, die sie hatte", meinte sie und lächelte geheimnisvoll. „Drücken wir es so aus: Seit ich damit angefangen habe, Männer wie dich zu beglücken, konnte ich mir bereits eine neue Nase und ein neues Kinn von meinem eigenen Geld leisten. Wenn ich nicht so eine große Angst davor hätte, dass etwas schiefgeht, hätte ich mir auch längst die Brüste vergrößern lassen... Weißt du, Charlie Gilbert, ich habe tagein, tagaus mit menschlichen Ferkeln zu tun, bei denen ich verstehe, dass sie Frauen wie mich bezahlen müssen, damit sich überhaupt ein weibliches Wesen ihrer erbarmt. Wenn ich dann einen scheinbar netten Kerl wie dich treffe, frage ich mich, warum einer wie du es überhaupt nötig hat, mit jemandem wie mir die Nacht zu verbringen. Bist du wirklich noch nie der Richtigen begegnet?"
„Das ist eine gute Frage. Ich weiß darauf wirklich keine Antwort", behauptete er.
*****
Das stimmte nicht ganz. Er hatte schließlich nicht umsonst unzählige Stunden auf der Couch eines Psychiaters verbracht und wusste sehr wohl, dass es ihm Probleme bereitete, seinen Mitmenschen zu vertrauen. Genau deshalb war er nicht in der Lage, zu dieser Schwäche zu stehen.
Sein Psychiater war der Meinung, dass der Ursprung all seiner Probleme in seiner Kindheit lag, und tatsächlich war Charlies Kindheit alles andere als idyllisch gewesen. Auf Außenstehende mochte sie so gewirkt haben, zumal er als Sohn eines Stummfilmstars in Beverly Hills aufgewachsen war, als der Ort gerade erst dabei war, seinen Ruf als glamouröses Stadtviertel zu etablieren, und zumal sich sein Vater Gus und seine Stiefmutter alle Mühe gegeben hatten, auf PR-Bildern die perfekte Bilderbuch-Patchwork-Familie zu inszenieren.
Bereits vor seiner Filmkarriere war sein Vater ein bekannter Theaterschauspieler in New York gewesen. Augustus Frederick Gilbert, wie er mit vollem Namen hieß, stammte noch dazu aus einer legendären Schauspieler-Dynastie, die mit eiserner Hand von seiner Mutter Mary Hartford Gilbert angeführt wurde. Mary, die sich einige Jahre vor der Geburt ihres Enkels von der Bühne zurückgezogen hatte, hatte vor ihrer Bekehrung zum Katholizismus nicht in den Ruf gestanden, prüde zu sein oder sich gar eine Affäre mit einem attraktiven Mann entgehen zu lassen. Als jedoch ein hübsches, junges Ding aus dem Chor einer Broadway-Show zu ihr kam und behauptete, ihr Sohn habe sie an einem Abend mit in seine Theater-Garderobe genommen und geschwängert, bestand Mary darauf, dass Gus das Fräulein heiratete. Gus ahnte zwar, dass er dabei war, einen großen Fehler zu begehen, als er dieses fremde Mädchen heiratete. Aber er hatte sich nicht getraut, sich seiner Mutter zu widersetzen und einen öffentlichen Skandal zu riskieren, indem er die sichtbar Schwangere, mit der er wirklich geschlafen hatte, sitzenließ.
Erst als sein Sohn geboren wurde, hatte Gus feststellen können, dass er wirklich der Vater des Kindes war: Das Baby sah seinem verstorbenen Großvater verblüffend ähnlich und wurde deshalb nach ihm benannt, auch wenn dies bedeutete, dass damit eine große Last auf seine neugeborenen Schultern gelegt wurde. Nicht umsonst war Charles Augustus Gilberts Spitzname „der Löwe" gewesen: Er war nicht nur ein gefeierter Shakespeare-Darsteller gewesen, sondern aufgrund seiner imposanten Statur eine Art Naturgewalt auf den Bühnen von London und New York. Das hatte dazu geführt, dass er entsprechend beliebt beim Publikum gewesen war und entsprechend viel Geld verdient hatte. Ein Engagement am Broadway hatte auch dazu geführt, dass Charles 1891 mit seiner ganzen Familie nach Amerika ausgewandert war.
Der zweite Vorname des jungen Charlie lautete Robinson, weil Gus Gilbert zum Zeitpunkt von Charlies Geburt gerade dabei war, seinen ersten Film zu drehen, jene Verfilmung des Romans Robinson Crusoe, die aus ihm einen Star machen sollte. Obwohl Gus seinem Sohn ein besserer Vater sein wollte, als sein eigener Vater es gewesen war, entwickelte er bald eine Leidenschaft fürs Filmemachen, die alles andere in seinem Leben in den Schatten stellte, und war aufgrund seiner Engagements als Schauspieler und Regisseur so selten in dem kleinen Haus in Beverly Hills, das er für sich und seine kleine Familie gekauft hatte, dass sein Sohn ihn nie „Papa" nannte, sondern immer nur „Gus".
Als Charlie drei Jahre alt war, verließ Gus seine Familie und heiratete eine seiner Filmpartnerinnen. Josephine Starr war damals einer der Superstars des amerikanischen Films, und gegen exotisch wirkende Josephine, die nicht umsonst in ihren Filmen stets die große Verführerin gab, hatte Charlies Mutter nie auch nur den Hauch einer Chance. Zwar verdammte Mary Hartford Gilbert ihren Sohn zunächst, aber auch sie sah ein, dass Gus und Josephine zusammen eines der mächtigsten Schauspielerpaare waren, das die Traumfabrik je haben sollte, und dass ihr Sohn durch diese Ehe sogar noch berühmter wurde. Als Frischvermählte bauten sie eine pompöse Villa im Hacienda-Stil, in der während der Zwanziger Jahre einige der angesagtesten Partys Hollywoods stattfanden. Die Klatschpresse nannte die Villa in Beverly Hills das Goldene Haus in Anlehnung an den dekadenten Palast des römischen Kaisers Nero, und dieser Name gefiel dem Paar so sehr, dass sie ihn übernahmen.
Obwohl Josephine öffentlich beteuerte, wie sehr sie sich Kinder wünschte, tat sie während ihrer Ehe mit Gus alles dafür, um bloß nicht schwanger zu werden. Schwangere Stars waren eine Plage, die mehrere Monate nicht arbeiten konnten und befürchten mussten, ihre Figur für immer zu verlieren. Josephine war in ärmlichen Verhältnissen in Louisiana aufgewachsen und hatte sich ihren Erfolg hart erkämpft. Daher war es für sie eine logische Konsequenz, dass sie ihre Karriere nicht für ein Baby riskieren wollte. Es war ihr dabei gleichgültig, wie sehr sie Gus mit ihrer Einstellung enttäuschte. Denn Gus hätte gern noch ein zweites Kind gehabt.
Den kleinen Charlie hatte Josephine jedoch früh ins Herz geschlossen und dafür gesorgt, dass er jeden Sonntag ins Goldene Haus eingeladen wurde. Trotzdem entwickelte sich zwischen Vater und Sohn nie eine enge Beziehung, was nicht zuletzt daran lag, dass Josephines und Gus' Karrieren nach der Einführung des Tonfilms in den späten Zwanziger Jahren einen Niedergang erlebten, den beide auf unterschiedliche Weise verarbeiteten: Während Gus zunehmend dem Alkohol zusprach, stürzte sich Josephine in eine Reihe von Affären mit jüngeren Männern. Es gab Zeiten, da war es alles andere als angenehm, einen Sonntag mit ihnen zu verbringen, weil Gus entweder zu betrunken war, um sich um seinen Sohn zu kümmern, oder dabei war, sich zu betrinken, wobei er stets schlecht gelaunt war und sich mit Josephine stritt. Als Charlie vierzehn Jahre alt war, starb sein Vater an einer Alkoholvergiftung, nachdem er mehrere Tage nichts anderes getan hatte, als zu trinken. Josephine war untröstlich und heiratete nie wieder. Obwohl sie kurz davor gestanden hatte, sich wegen seiner Alkoholsucht von Gus scheiden zu lassen, zog sie es von nun an vor, sich immer nur an die guten Zeiten mit ihm zu erinnern.
Zu seinen Lebzeiten hatte sein Vater Charlie immer davon abgeraten, auch Schauspieler zu werden. „Die Hälfte der Zeit stehst Du vor dem Nichts und kämpfst um Rollen, die andere verbringst du Tag und Nacht damit, irgendeine Rolle zu spielen und dich beim Publikum einzuschleimen", hatte Gus seinen Sohn in einem klaren Moment wissen lassen. Kaum dass sein Sohn jedoch seinen Schulabschluss in der Tasche hatte, widersetzte er sich seinem toten Vater und heuerte beim Film an: Charlie hatte schlichtweg keine Lust, aufs College zu gehen. Er war immer nur ein durchschnittlicher Schüler gewesen, hatte aber gerne Bücher gelesen und bei Schulaufführungen mitgemacht. Aufgrund seines Nachnamens, seines Aussehens und der Verbindungen seiner Stiefmutter zu einflussreichen Filmleuten hatte es auch nicht lange gedauert, bis er einen guten Agenten gefunden und einen Vertrag bei einem Filmstudio unterschrieben hatte. Zunächst hatte er Nebenrollen gespielt, bevor man ihm die männliche Hauptrolle in Frauenfilmen und romantischen Komödien gab und ihm dann während des Krieges Action-Rollen gab. Er hatte zahllose Soldaten und Piloten gespielt und war allmählich ein fast genauso berühmter Filmstar geworden wie sein Vater.
Unglücklicherweise hatte es sich nie ergeben, dass er eine wirklich große Rolle hatte spielen können, die ihn auch als Schauspieler gefordert hätte. Bis er vierzig geworden war, hatten ihn die Rollen, die man ihm meist in Filmen anbot, auch nicht gestört. Aber zuletzt hatte es ihn zunehmend gewurmt, dass er anders als einige weitaus weniger talentierte Schauspieler nie die Art von Rollen spielte, für die man einen Oscar gewinnen konnte.
Vielleicht hatte er Glück und der neue Film, Die Rose von Texas, brachte ihn nicht nur seiner Traumfrau Arielle näher, sondern auch seinem Traum von einem Oscar. Aber dazu musste er unbedingt eine Rolle in dem Film bekommen!
*****
Am nächsten Tag platzte Josephine Starr unangekündigt in Arthur Stanleys Büro, ließ sich auf eine höchst dramatische Weise in einen Sessel fallen und trug ihm auf, dass er Charlie unbedingt für Die Rose von Texas engagieren müsse.
„Warum sollte ich das tun?", wies Arthur sie zurecht und zündete sich eine Zigarre an. Er hatte ein paar Sekunden gebraucht, um sie überhaupt wiederzukennen. Denn die einstige Sexgöttin des Stummfilms hatte sich in eine scheinbar nur noch aus Knochen, Perlen und einem gewaltigen Pelzmantel bestehende Kreatur mit dem Gesicht eines ausgezehrten Vogels verwandelt. Obwohl sie nicht älter sein konnte als Mitte Sechzig, sah sie aus wie eine exzentrische Hundertjährige, die diesen Zustand mit mehreren Schichten Makeup, einer dunklen Sonnenbrille und einer bienenkorbartigen Perücke zu kaschieren versuchte.
„Weil die Rolle Charlie geradezu auf dem Leib geschrieben ist! So wie bei Vivien Leigh: Niemand außer ihr hätte Scarlett O'Hara spielen können!", erwiderte Josephine und zündete sich selbst eine Zigarette an.
„Deshalb hat Selznick also jahrelang andere Schauspielerinnen für die Rolle getestet... Und da wir beide damals im Filmgeschäft tätig waren, dürftest selbst du ahnen, dass einige von ihnen richtig gut in ihren Testaufnahmen waren!", entgegnete Arthur. Anders als viele andere Filmleute hatte er Josephine nie für ihren Schneid bewundert und konnte es nicht fassen, dass ein in die Jahre gekommener Star versuchte, ihn, den mächtigen Studioboss, zu behandeln wie einen ihrer Lakaien. Für wen hielt sie sich eigentlich? Auch wenn sie ihren Platz in der Filmgeschichte haben mochte, so hatte das Publikum doch vergessen, dass sie noch lebte! „Im Übrigen gebe ich zwar zu, dass dein Stiefsohn in ein paar Filmen gezeigt hat, dass er passabel reiten kann. Aber auf der Leinwand kommt er doch mehr wie der Partylöwe aus Kalifornien rüber, der er ist, weshalb ich persönlich ihm den texanischen Rancher nicht abkaufen würde", fügte Arthur hinzu.
Nun war es an der Zeit, dass Josephine ihre größte Trumpfkarte ausspielte. Freilich hatte sie Charlie gefragt, ob er jetzt völlig durchgedreht war, als er ihr von seinem Interesse an dem Arielle-Adams-Film berichtet hatte und ihr gestanden hatte: „Ich glaube, ich bin ein bisschen in sie verliebt." Andererseits schien der „Junge", wie sie ihn immer noch nannte, wirklich an der Rolle interessiert zu sein. Womöglich würde er sogar zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen können, wenn er die Rolle bekam: Einerseits konnte sie seinen Durchbruch als Charakterdarsteller bedeuten. Andererseits war es höchste Zeit, dass Charlie eine Familie gründete und seinen unsteten Playboy-Lebenswandel aufgab. Da er angedeutet hatte, dass Arielle die Eine sein konnte, unterstützte seine Stiefmutter ihn natürlich mit aller Kraft. Denn so viel schuldet er sie seinem armen Vater. Allerdings war Josephine nicht naiv und für gewöhnlich besser informiert als die beiden führenden Klatschkolumnistinnen Louella Parsons und Hedda Hopper zusammen. Die Gerüchte über Arielles homosexuelle Neigungen hatte auch sie gehört. Natürlich gab es keine Belege dafür, und Arielle schien überhaupt ein sehr zurückgezogenes Leben zu führen und wenige Bekanntschaften zu pflegen, egal, ob mit Männern oder Frauen. Angesichts des enormen Drucks, dem man als hübsche Schauspielerin in Hollywood ausgesetzt war, konnte Josephine es ihr nicht verdenken. Deshalb wollte sie die Möglichkeit nicht ausschließen, dass Arielle vielleicht eine der wenigen Schauspielerinnen in Hollywood war, die wirklich versuchten, anständig zu bleiben, und auf den richtigen Mann warteten.
Deshalb legte sie nun ein gutes Wort für ihren Stiefsohn bei Arthur ein, worum Charlie sie gebeten hatte: „Allerdings kannst du nicht abstreiten, dass Charlie und Arielle Adams ein grandioses Leinwandpaar abgeben würden."
Arthur konnte es nicht fassen. „Also hat er dich hierhergeschickt, weil er mit Arielle schlafen will? Was bist du: Seine Stiefmutter oder seine...?"
„Also wirklich, Arthur, ich hätte dir nie zugetraut, dass du so widerlich sein kannst!", unterbrach ihn Josephine mit einem offensichtlich gespielten Entsetzen. Denn kaum hatte sie das gesagt, da warf sie schon einen amüsierten Blick auf die goldene Statuette, die Arthur auf seinem Schreibtisch platziert hatte. Seit Jahren kursierte in Hollywoods gut informierten Elite-Zirkeln folgende Geschichte über den Ursprung des kleinen Männchens: Als junger Studioboss hatte sich Arthur oft darüber geärgert, dass die Filme seines frisch gegründeten Studios nie für einen Oscar nominiert worden waren. Daher hatte Arthur einen namhaften Künstler beauftragt, eine Oscar-Statuette nach seinem Ebenbild zu fertigen. Leider hatte der Künstler niemand gesagt, dass Arthur keine realistische Abbildung erwartete, sondern eine Statuette, die seine Figur schmeichelhaft darstellte. Deshalb hatte Arthur viel Geld ausgegeben für das zu klein geratene Gold-Männchen im Smoking, das einen großen Bauch und einen noch größeren Hintern hatte und das er zur Freude der gesamten Filmindustrie nichtsdestotrotz auf seinem Schreibtisch platziert hatte: Denn selbst ein hässlicher, falscher Oscar war anscheinend besser als gar keiner.
Arthur wusste natürlich aus Erfahrung, dass man jemanden wie Josephine besser nicht verärgern sollte. Es gab immer noch genug Leute in der Branche, die sie sehr schätzten, während er im Laufe der Zeit viele Personen in Hollywood vor den Kopf gestoßen hatte. Daher ruderte er zurück: „Selbstverständlich kann ich den Regisseur, also meinen Sohn Nick, dazu auffordern, Charlie für die Rolle zu testen. Das bedeutet aber nicht zwingend, dass er sie auch bekommen wird. Ich hoffe außerdem, dass dir bewusst ist, dass dein Stiefsohn Eliza Blooms Ehemann spielen würde, nicht Arielles. Dementsprechend werden wir uns die Chemie zwischen Charlie und Eliza anschauen."
Natürlich genoss Arthur diesen Moment. Es kam selten vor, dass eine Hollywood-Diva von Josephines Format ihre sorgfältig einstudierte Contenance völlig verlor. Er konnte jemanden wie sie gar nicht genug verachten! Auch wenn ihre Karriere seit Jahrzehnten vorbei war, glaubten diese Stars beziehungsweise Ex-Stars immer noch, sie wüssten alles besser!
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top