Kapitel 15: Die Filmpremiere
Schon lange hatte Hollywood keine solch furiose Filmpremiere mehr erlebt. Salt Pictures, das Studio, dessen Gründer und Vorstand Arthur Stanley noch vor einem Jahr berühmt-berüchtigt für seine Knauserigkeit gewesen war, scheute keine Kosten, um Die Rose von Texas zu bewerben. Schließlich wussten wohlinformierte Kreise zu berichten, dass der Film sich Hoffnungen machen durfte, bei der nächsten Oscar-Verleihung viele Preise zu gewinnen. Die Premiere des Films geriet deshalb zu einer Parade der Reichen und Schönen von Hollywood vor einer riesigen Menge von Fans und Fotografen. Auch etliche Möchte-Gern-Stars und Starlets schafften es, zu den Klängen von Elgars „Land of Hope und Glory" über den roten Teppich zu laufen.
Arthur Stanley wollte nicht, dass an diesem Abend, der einer der größten Abende in der Geschichte seines Studios werden sollte, irgendetwas schieflief. Deshalb trafen er und seine Frau Evette früh ein und präsentierten sich vor der Presse als stolze Eltern. Als er danach gefragt wurde, ob er immer schon gewusst hatte, dass sein Sohn Nick ein dermaßen begabter Regisseur war, antwortete Arthur: „Natürlich. Und jetzt weiß das auch die Welt. Ist das nicht fabelhaft?" Evette strahlte nicht nur aufgrund des Erfolges ihres Sohnes an der Seite ihres Mannes, sondern vor allem deshalb, weil sie an diesem Abend unerhört teuren Schmuck im Wert von gut einer Million Dollar tragen durfte. Natürlich hatte Arthur die meisten Stücke nur ausgeliehen, und Evette würde sie am nächsten Tag zurückgeben müssen. Aber immerhin durfte sie sich einen Abend lang als Königin von Hollywood fühlen.
Dass Arthur seinen Sohn plötzlich sehr schätzte, war nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass Nick nicht nur einen sensationell guten Film gedreht hatte, sondern die Stanley-Familie auch um ein prominentes Familienmitglied erweitert hatte. Deshalb verwunderte es niemanden, dass die Fotografen ausrasteten und die Fans bereits Arielles Namen schrieen, als Nicks Limousine am roten Teppich anhielt. Allerdings war die Arielle Adams, der Nick beim Aussteigen aus dem Wagen half, eine ganz andere Frau als die, die vor einem Jahr auf dem Weg zu Evette Stanleys Silvesterparty von Fotografen und Fans bedrängt worden war: Während jene Arielle ein sexy Filmidol gewesen war, das sich entsprechend aufreizend gekleidet hatte, bevorzugte sie heute einen wesentlich dezenteren, eleganteren Stil. An diesem Abend trug sie ein hochgeschlossenes, dunkelgrünes Kleid, und ihr blondes Haar hatte sie zu einem modischen Chignon zusammengebunden, der wie eine Krone auf ihrem Kopf saß. Die Zeiten, in denen Arielle sich darum Sorgen machen musste, dass ihr zu tief ausgeschnittenes Kleid verrutschen könnte, lagen endgültig hinter ihr. Salt Pictures hatte erst vor wenigen Tagen bekanntgegeben, dass Arielle in ihrem nächsten Film an der Seite von John West eine Nonne spielen würde. Arielles Verlobter Nick würde Regie führen. Natürlich war das ein riskanter Imagewechsel, mit dem Arielle den ein oder anderen Fan vor den Kopf stoßen würde. Andererseits war es an der Zeit, dass sie aufhörte, die dumme Blondine oder verruchte Verführerin in ihren Filmen zu spielen, und seriösere Charakterrollen annahm. Denn wenn es eine Lektion gab, die Arielle in Hollywood gelernt hatte, dann war es die, dass Hollywood in der Lage war, jeden Star durch einen jüngeren und billigeren Schauspieler zu ersetzen. Deshalb war das Lächeln, das ihre Lippen umspielte, als sie an diesem Abend wie eine Grand Dame des Films vor die wartenden Fans trat, wirklich echt: Noch nie im Leben war sie so glücklich gewesen, denn sie hatte mit Nick den ersten Mann gefunden, der sie verstand, ihr jeden Wunsch von den Lippen ablas und sogar eine Familie mit ihr gründen wollte.
Ihre Co-Stars Charlie Gilbert und Eliza Bloom waren vor drei Monaten Eltern eines Sohnes geworden, den sie nach Charlies Vater Gus genannt hatten. Die Launen ihres Babys waren auch der Grund, weshalb sie ein wenig zu spät zu ihrer eigenen Filmpremiere kamen. Eliza war dies peinlich, weil sie es hasste, zu einem Termin zu spät zu kommen, während Charlie in der Limousine ganz cool an einem Glas Champagner nippte und seiner Frau versicherte, dass die Premiere wohl kaum ohne sie beide stattfinden würde. Hinzukam, dass sie heute Abend von Charlies Stiefmutter begleitet wurden, und der Stummfilm-Star plante, sogar zu ihrer eigenen Beerdigung zu spät zu kommen. Natürlich hatte Josephine stets eine charmante Begründung dafür parat, warum sie ihre Mitmenschen warten ließ: Heute Abend hatte sie bei dem Versuch, sich eine Zigarette anzuzünden, angeblich um ein Haar ihre falschen Fingernägel in Brand gesetzt.
„Unsinn! Du möchtest nur im Mittelpunkt stehen und uns klarmachen, wer der wirkliche Star in der Familie ist!", entgegnete Charlie, nachdem Eliza und er fünfzehn Minuten in ihrer Limousine auf Josephine gewartet hatten.
„Ach, hör auf: Ich kenne keinen Kerl in der Stadt, der dich nicht um dein Glück beneidet. Da kann man ruhig einmal ein paar Minuten warten!", meinte Josephine und begrüßte Eliza mit einer herzlichen Umarmung. Sie war immer noch ganz aus dem Häuschen, dass Charlie und Eliza wirklich Nägel mit Köpfen gemacht und nicht nur geheiratet hatten, sondern ihr auch bald nach ihrer Hochzeit ihr erstes Enkelkind vorgestellt hatten, einen kleinen Jungen, der Charlie wie aus dem Gesicht geschnitten war. Seitdem Eliza mit Charlie zusammen war, respektierte Josephine sie nicht nur wegen ihres schauspielerischen Talents, sondern vor allem wegen des guten Einflusses, den sie auf Charlie hatte.
Bevor Charlie Eliza getroffen hatte, hatte er zwar immer heimlich von einer Bühnenkarriere geträumt, aber sich nie getraut, in einem Broadway-Stück mitzuspielen. Eliza hatte ihn ermutigt, das Angebot, an ihrer Seite in einer Neuauflage von Noël Cowards Private Lives aufzutreten, anzunehmen. Dass Eliza, Charlie und der kleine Gus schon bald für fast ein Jahr nach New York ziehen würden, gefiel Josephine zwar nicht. Andererseits wusste sie, dass Charlie und Eliza auf dem besten Weg waren, sich als Marke zu etablieren: Wenn sie es schafften, am Broadway einen Hit zu landen, könnten sie irgendwann eine eigene Theatergruppe gründen und wie Vivien Leigh und Laurence Olivier mit guten Stücken auf Tournee gehen. Während Josephine selbst den Fehler gemacht hatte, mit Gus in Hollywood zu bleiben, konnten Eliza und Charlie es schaffen, sich von Hollywood und seinem in die Jahre gekommenen Studio-System unabhängig zu machen.
Obwohl Josephine nicht so viel Applaus bekam wie ihr Stiefsohn und ihre Frau, als sie zu dritt auf dem roten Teppich standen, gab es immer noch sehr viele Menschen, die sie erkannten und als lebende Legende feierten. Weil sie glücklich über die Art war, wie sie vom Publikum begrüßt worden war, entschied Josephine, sich an diesem Abend ausnahmsweise bescheiden zu geben. „Ich bin eigentlich nur Charlies zweites Date!", witzelte sie.
„Du bist viel zu alt, um mein Date zu sein! Außerdem bin ich jetzt verheiratet", gab Charlie höchst amüsiert zurück und hob seine Hände, so dass jeder sehen konnte, dass es tatsächlich wahr war: Charlie Gilbert, der, bevor er am Set von Die Rose von Texas Eliza Bloom getroffen hatte, als ein unverbesserlicher Playboy gegolten hatte, trug jetzt einen Ehering. Er hatte seinen Co-Star drei Monate vor der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes geheiratet, wobei es Charlie und Eliza gelungen war, ihre Beziehung und die Schwangerschaft bis zu ihrer kleinen Hochzeitsfeier im kleinen Kreis auf Josephines Anwesen geheimzuhalten.
Die Menge war begeistert davon, dass der Film zwei Stars zusammengebracht hatte, und klatschte frenetisch. Für einen kurzen Moment schaute Eliza ihren Mann unsicher an, weil sie noch nie so vom Publikum gefeiert worden war. Laut Josephine hatte sie auch noch nie so gut ausgesehen. „Die Liebe lässt dich um gut sieben Jahre jünger aussehen, meine Liebe. Ganz Hollywood wird heute auf Dich neidisch sein!" Das Verblüffende an Elizas Verwandlung war, dass sie nichts anderes getan hatte, als sich zu verlieben. Charlie strich zärtlich ihr just in diesem Moment über den Rücken, um ihr die Sicherheit zu geben, die sie brauchte. Dann lachte er und winkte dem Publikum zu. Eliza, die ihn für seine Fähigkeit, bei öffentlichen Auftritten ganz er selbst zu bleiben, bewunderte, machte einfach dasselbe wie ihr Mann und wirkte sofort viel entspannter. Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte Charlie nie geglaubt, dass jemand mit seinem Leben so zufrieden sein konnte, wie er es gerade war. Er hatte nicht vor, die talentierte Frau an seiner Seite je gehen zu lassen.
An diesem Abend wurde eines der großen Traumpaare Hollywoods geboren. Das Publikum liebte Charlie Gilbert und Eliza Bloom von dem Augenblick an, in dem sie sich zum ersten Mal in Die Rose von Texas die Leinwand teilten. Zusammen konnte dieses Paar alles bewältigen, was es in Zukunft erwartete.
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