Traumlos
Sie versuchte nicht zu starren aus Furcht ihn dadurch zu wecken. Doch er war direkt eingeschlafen als er seine Augen geschlossen hatte. Warm ruhte seine Hand in ihrer. Jackson's Atem ging ruhig und gleichmäßig. Sarah wurde warm ums Herz als sie das Gefühl von Sicherheit erreichte. Die Geräusche der Nacht drangen an ihr Ohr, es kühlte draußen etwas ab. Ohne seine Hand loszulassen, tastete sie nach einer zweiten Wolldecke in Rot und legte sich diese über die Schultern. Er sah so friedlich aus. Doch sie wusste, dass der Schein trügerisch sein konnte. Das Bild von Sebastian in der Krankenstation kam ihr wieder ins Gedächtnis. Sie war zuvor zweimal Jackson begegnet. Zweimal, ohne dass er seine Messer bei sich hatte. Zweimal, ohne dass sie auch nur einen Kratzer abbekommen hätte. Sie erinnerte sich daran, wie er im Viertel der Weber vor diesem Bücherregal stand. Wie er sie eine Sekunde zu spät bemerkt hatte und wie sie aus Vorsicht, er könne ein ebenbürtiger Magier sein, dem gesamten Raum die Farben stahl. Das war mehr als unnötig gewesen. Sie lächelte in sich hinein. Der Käufer des vermeintlichen Farbteppichs war ein stattlicher Mann gewesen zumindest bis sein Blut ihre Magie bestärkte. Sie hatte angenommen, dass Jackson ein Bewohner des Hauses war und er es nicht wert war befragt zu werden. Sie schmunzelte als sie daran dachte, wie er meinte, er wüsste wo der originale Farbteppich war. Sie hatte ihn nie wieder darauf angesprochen. Doch was wenn er wirklich etwas wusste?
Aber was wollte jemand wie Jackson mit dem Farbteppich? Seine Farben würden ihn vermutlich umbringen, da er keinen Schimmer hatte wie er mit ihnen umzugehen hatte. Eine Haarsträhne fiel ihr ins Gesicht. Es war die silberne. Sie zeugte von ihrem ersten Versuch einem Lebewesen die Farbe zu entziehen. Ihr Meister wollte, dass sie am eigenen Körper erfuhr, was dies bedeutete. Sie verübelte es ihm nicht. Die Kopfschmerzen hatten sie stundenlang gequält. Jackson war sofort bewusstlos geworden als sie seinen Haaren die Farbe entzog. Sie schämte sich nun, da er so friedlich schlafend vor ihr lag, obwohl sie ihm das angetan hatte. Es war absurd. Aber sie war auch froh ihn nachts auf der Straße wiedergefunden zu haben. Die blauen Flecken, die seinen Oberkörper gesäumt hatten, sahen schmerzhaft aus als sie ihn endlich heilen durfte. Sie bewunderte sein Durchhaltevermögen, seine Willensstärke. Dafür dass ihn niemand in der Farbmagie besonders viel beigebracht hatte, war er relativ gut. Doch bis er jemand anderen oder gar sich selbst heilen konnte, würde es noch einige Zeit dauern. Sie ließ ihren Blick über seinen Körper wandern. Ob er wohl jede Nacht Alpträume hatte? Bisher spürte sie jedenfalls nichts davon. Seine Gefühle änderten in unregelmäßigen Abständen ihre Intensität. Aber sie waberten sanft und ausgeglichen in ihr Bewusstsein. Sie schnappte sich ein Kopfkissen und legte sich neben ihn. Seine Lider flatterten kurz und ein Lächeln ließ sich in seinen Mundwinkeln erahnen. Sie stellte sich vor, dass es ihr galt. Morgen war sie wieder mit Eikesha verabredet. Sie hatte mittlerweile nur noch ein bis zweimal die Woche Training und konnte viele Übungen allein ohne ihren Meister wiederholen. Wenn sie ein paar Jahre älter wäre, dürfte sie sogar schon die Anfänger trainieren. Sie hatte sich auf der Krankenstation anmelden lassen, weil sie wusste wie viel Leid Farbmagie verbreiten konnte und sie einen Ausgleich brauchte. Doch bis auf ihre nächtlichen Aufträge hatte sie nicht viel Spannendes zutun. Sie streckte ihre Sinne nach Jackson's Verletzungen aus. Seine Rippen waren gut verheilt. Die Gehirnerschütterung von dem Zusammentreffen mit Physakris machte ihr Bedenken. Er hatte irgendetwas genommen was die Kopfschmerzen deutlich abschwächten, doch sie berührte seine Schläfe nochmal, um ganz sicherzugehen, dass er klar kommen würde. Als ob er ohne sie nicht klar käme? Was bildete sie sich eigentlich ein? Dass er sie brauchte? Lächerlich. Da sie ihn gefunden hatte, war es ihre Aufgabe ihn in die Gemeinschaft zu integrieren. Doch sie könnte ihre Aufgabe an jemanden anders übertragen. Mirabella wäre sicherlich ganz außer sich, wenn sie Jackson alles zeigen sollte. Sie hatte schon recht, er besaß eine natürliche Attraktivität, die kaum zu übersehen war. Doch was Sarah faszinierte, war mehr seine Ausstrahlung. Nicht dass sie ihn unattraktiv finden würde, ganz im Gegenteil. Aber er hatte genauso viel Güte wie Zerstörungswut in sich. Er war verletzlich wie auch stark und im Herzen ein guter Mensch, was sie von sich aus nicht unbedingt behaupten würde. Ein Druck in ihrer Hand ließ sie aufschauen. Schauderlich ergoss sich Panik wie ein kalter Wasserfall in ihren Körper. Sie musste zwischendurch eingeschlafen sein, denn die Morgendämmerung setzte ein und Jackson schien in einem Alptraum gefangen. Er lag auf dem Rücken, das Gesicht ihr zugewandt. Sie erwiderte den klammernden Griff seiner Hand mit einem sanften Druck, um zu zeigen, dass sie noch da war. Er hatte über Nacht die Decke von sich geworfen und diese zerknüllte sich am Fußende der Matte. Sie überlegte ihn einfach zu wecken, doch dann würde er sich bestimmt direkt an den schlechten Traum erinnern und sie hätte ihre Aufgabe verbockt. Sie versuchte das beklemmende Gefühl der Panik und Angst von ihm zu nehmen, doch es funktionierte nicht. Gefühle waren einfach nicht so wie körperliche Schmerzen. Sie legte ihre Hand auf seine Brust, die sich schnell hob und senkte. Er murmelte etwas Verständnisloses. Sie wusste nicht was er träumte, doch sie vermutete, dass es um seine Eltern ging. Sie versuchte es umgekehrt: nicht seine Gefühle zu nehmen und auf sich zu übertragen, sondern ihre in ihn fließen zu lassen. Sie dachte an etwas Schönes. Sie war an einem schneebedeckten Tag mit Eikeshas im Wald unterwegs. Die Erinnerung lag einige Jahre zurück, doch es hatte so viel Spaß gemacht. Es war eine ihrer Unterrichtsstunden und es ging darum Farben von einer Pflanze auf ein Element zu übertragen. Sie hatte zuvor in der Stadt mit ihm zehn Blumensträuße gekauft. Als sie wieder im Lager angekommen waren, durfte sie jede Blume berühren und grau färben. Es kribbelte sie schon allein bei dem Gedanken daran wieder in den Fingerspitzen. Sie musste die einzelnen Farbnuancen in sich sortieren, zusammenfassen und bündeln, damit sie alle zehn Sträuße schaffte. Dann stapften sie in den Wald und Eikesha erklärte ihr wie sie Farben nicht nur in sich sondern auch in den Elementen speichern konnte. Als sie es schaffte die erste Schneeflocke Pink zu färben quickte sie vor Begeisterung. Ein paar Stunden später tollte sie durch eine kunterbunte Schneedecke und wich Eikeshas wohlgesinnten Schneebällen aus. Am nächsten Morgen zeigte sie Mirabella den bunten Schneewald und die beiden verbrachten den ganzen Tag dort. Ihr war als atmete sie wieder die kühle Luft des Winters ein und ein Glücksgefühl durchströmte sie. Sie entzog ihrer Wolldecke die Farbe und schickte sie mit diesem Glücksgefühl in Jackson's Pullover. Karminrot ummantelte er seinen Oberkörper. Danach versuchte sie ihn ihre Gefühle spüren zu lassen. Es funktionierte. Sein Atem wurde langsamer und irgendwann nahm sie ihre Hand von seiner Brust. Er rollte sich zusammen und zog sie einfach mit sich. Doch sie schlief nicht nochmal ein.
Ich schlug die Augen auf. Sonnenlicht flutete das kleine Tipi. Ich spürte einen Blick auf mir und setzte mich auf. Sarah saß in einem Stuhl neben dem Trinkwasserfass und schaute mich an.
»Guten Morgen«, sagte sie.
Jetzt lagen dunkle Schatten um ihre Augen und sie sah übernächtigt und zerknittert aus. Sie war wohl die ganze Nacht wach.
»Hallo«, sagte ich und schob die Decke von mir. Dabei fiel mein Blick auf meinen Pullover, der nun karminrot leuchtete. Die braunen Schlammflecken hoben sich jetzt noch auffälliger davon ab. Ich ließ es unkommentiert.
»Wie hast du geschlafen?«, fragte sie.
»Ganz gut«, antwortete ich. Ich überlegte kurz und fügte hinzu: »Ich hab geräumt in einem bunten Winterwald zu spielen. Das war wirklich verrückt.«
Sarah blinzelte verwundert.
»Ach, das ist wirklich verrückt.«
Sie wirkte als wollte sie noch etwas hinzufügen, doch tat es nicht. Der Eingang des Zeltes wurde zurückgeschlagen und Freddy erschien mit einem Stapel frischer Klamotten auf dem Arm.
»Hey! Jackson! Gut siehst gut aus! Ich mein, ausgeschlafen«, rief er mit viel zu viel Energie.
Er warf einen Blick auf Sarah.
»Ich störe doch nicht oder?«, fragte er nun etwas leiser.
»Nein, alles gut«, sagte sie schnell.
Er reichte mir die neuen Klamotten.
»Wir haben auch Duschen«, fügtet er hinzu.
»Lass mich raten, ich stinke wie ein Wildschwein«, sagte ich zu Sarah gewandt. Ein Lächeln huschte müde über ihr Gesicht.
»Wie geht's dem Kopf?«, wollte Freddy wissen.
»Gut, ich glaube deine Kräutermischung hat geholfen.«
»Das freut mich. Also dann bis später vielleicht«, sagte er und verschwand wieder durch die Zeltöffnung.
Sarah stand auf und schöpfte etwas Wasser aus dem Fass. Ich zog mein Oberteil aus und wollte gerade das frische T-Shirt überstreifen als sie sich wieder umdrehte. Röte stieg ihr die Wangen empor als sie den Blick von mir los riss und ihr Gesicht in dem Wasserbecher vergrub.
»Wo sind die Duschen?«, fragte ich und zog das Shirt über den Kopf.
»Ähm, ich kann dir den Weg noch zeigen, dann muss ich aber für ein paar Stunden weg.«
Sie verließ direkt das Zelt. Ich wechselte noch schnell die Hose und folgte ihr.
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