Die Prüfung - Teil 1

Ich öffnete flatternd die Augenlieder. Die Sonne schien mir ins Gesicht und ich setzte mich aufrecht hin. Wildfremde Leute gingen an mir vorbei. Einige kicherten, andere schauten schnell wieder weg. Neben mir befand sich eine Holzbank und dahinter eine niedergebrannte Feuerstelle. Ich schaute mich verwundert um und stand langsam auf. Dabei klopfte ich mir einige Blätter von der Kleidung. Selbst in meinen Haaren hing sämtliches Zeug vom Waldboden. Ich war im Lager der Silhouetten. Und ich hatte keinen Schimmer wie ich wieder hierher gekommen war. Doch daran sollte mich gleich jemand erinnern.
»Aha! Da ist ja unser verrückter Freund!«, schalte es lachend über den gesamten Platz und jemand kam mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. Jo klopfte mir kräftig auf den Rücken und seine Dreadlocks hüpften belustigt als er meinte: »Du hast deine Position seit gestern Abend kaum verändert.«
Ich kratze mich verlegen am Hinterkopf.
»Ich kann mich an nichts mehr erinnern«, antwortete ich.
Jo bedeutete mir mich auf die Holzbank zu setzten, er nahm direkt neben mir Platz.
»Das kann ich mir vorstellen, du hast die Pfeife kaum aus der Hand geben wollen.«
Jetzt musste ich auch lachen und schüttelte den Kopf. »Die Leute müssen sich ja amüsiert haben.«
Jo reichte mir einen Becher und einen Krug mit Wasser.
»Das kannst du aber laut sagen. Wobei die meisten auch ziemlich besoffen waren. Freddy hat auch irgendwann mitgeraucht und dann gar nichts mehr verstanden.«
Er lachte auf.
Ich trank das Wasser in einem Zug aus. Jo schenkte mir direkt nach.
»Mein Kopf fühlt sich an, als ob er mit Watte ausgestopft wäre«, meinte ich.
»Das geht in ein bis zwei Stunden vorüber und das ist auch gut so, du musst ja fit sein.«
»Fit sein? Wofür?«, wollte ich wissen und nahm noch einen Schluck des kühlen Wassers.
»Na für deine Prüfung.«
Ich spie das Wasser aus meinem Mund direkt wieder aus. »Akon ist heute Nacht eingetroffen«, fuhr Jo fort und grinste.
»Was?«, brachte ich hustend hervor.
»Ich weiß nichts von einer Prüfung.«
»Echt nicht?«, Jo guckte verdutzt.
»Jeder, der zu uns aufgenommen werden will, muss auf sein magisches Potenzial geprüft werden.«
»Wer sagt, dass ich bei euch mitmachen will?«, wollte ich wissen.
»Willst du nicht?«, fragte Jo und nahm mir den Krug Wasser aus der Hand.
»Doch irgendwie schon«, meinte ich langsam.
Jo zuckte mit den Schultern: »Dann ist ja alles geklärt.«
»Eben nicht!«, rief ich empört aus. »Aber das muss ich mit jemandem anderen besprechen.«
»Wie du meinst. Soweit ich gehört hab, findet deine Prüfung am großen Platze statt, wenn die Sonne heute ihren Zenit erreicht, also mittags.«
Ich nickte zustimmend: »Und dieser Akon führt immer alle Prüfungen durch?«
Jo runzelte die Stirn. »Nein, eigentlich macht das einer unserer Meister. Du kannst dich geehrt fühlen, dass unser Anführer persönlich kommt um dich zu sehen.«
»Oder verflucht fühlen«, murmelte ich leise.
»Was?«
»Ach nichts. Wie läuft denn so eine Prüfung ab? Da schauen alle zu oder?«
»Ja in der Regel schon. Aber es gibt kein festes Prüfungsschema. Jede Prüfung ist individuell an den Prüfling angepasst. Manchmal gibt es mehrere Aufgaben. Manchmal nur eine oder es passiert gefühlt gar nichts, das ist immer super langweilig. Ich hoffe bei dir wird es etwas spektakulärer.«
Ich fühlte mich jetzt schon wie ein Tiger in der Manege.
»Das wird ja lustig«, sagte ich trocken.
Jo klopfte mir aufmunternd auf die Schulter.
»Das klappt schon, Mann. Du bist ein cooler Typ und hast auch was in der Birne. Ich hab Deppen gesehen, die nicht mal einen Fisch fangen können und die Prüfung auch bestanden haben.«
»Danke.«
»Nicht dafür, versuch vorher noch ein bisschen was gesundes zu essen oder so. Und, ähm, vielleicht mal deine Frisur zu machen. Da wachsen immer noch Bäume raus.« Er deutete auf meinen Kopf und wir mussten beide lauthals auflachen.

Nachdem ich mir tatsächlich einen Obstsalat und einen Kaffee bei den ausgebauten Küchenwagons geholt hatte, ging ich schnurstracks Richtung Tipi und Hängemattensiedlung. Wo steckte nur dieser Eikesha? Ich hatte gehofft, dass die Wolken aus meinem Kopf langsam verschwinden würden, aber das taten sie nicht. Ich stapfte frustriert durch die nächste Baumreihe und blieb abrupt stehen. In einigen Metern Entfernung standen Sarah und Eikesha nebeneinander. Sie unterhielten sich. Es schien wichtig zu sein. Das verriet ihre geduckte Körperhaltung und ihre gedämpften Stimmen. Es war mir egal.
Sie merkten zu spät, dass ich mich näherte, obwohl ich daraus kein Geheimnis zu machen versuchte, sodass ich ihre letzten Gesprächsfetzen aufschnappen konnte.
»...Tu es nicht vorher. Akon gibt dir ein Zeichen wenn du eingreifen darfst«, beendete Eikesha seinen Satz.
»Eingreifen wobei?«, fragte ich laut und sie fuhren beide erschrocken herum.
Sarahs Augen funkelten erfreut als sie in meine blickten.
»In die Prüfung, von der ich erfahre bevor ich euer Angebot überhaupt angenommen habe?«, fragte ich weiter.
»Jackson, wie schön dich wohlauf zu sehen«, sagte Eikesha.
»Danke, gleichfalls«, erwiderte ich gleichgültig.
»Wir warten nach wie vor auf deine Rückmeldung bezüglich meines Angebots dich bei uns als Schüler aufzunehmen. Die Prüfung kann wieder abgesagt oder verschoben werden, falls du dich heute dazu nicht in der Lage fühlst. Wir wollten nur rechtzeitig in die Vorbereitung gehen, da Akon nun bei uns ist und wir dir frühestmöglich eine Aufnahme bei uns ermöglichen möchten. Sofern du das Angebot annimmst«, betonte Eikesha noch einmal mit Nachdruck.
Ich überlegte nur kurz und mein wolkigen Gedanken ließen durchblicken, dass ich mich längst entschieden hatte. Ich schaute Eikesha fest in die Augen: »Ich nehme dein Angebot an und werde auch heute in die Prüfung gehen.«
Eikesha nickte: »Eine mutige Entscheidung. Wir werden dich dabei unterstützen.«
Ich atmete hörbar aus. Sarah blickte mich von der Seite an. Um diese Prüfung wurde ein ganz schön großes Drama gemacht. Ich war gespannt.
»Komm kurz vorher nochmal ins Tipi, damit wir dir eine Einweisung geben können«, sagte sie.
»Alles klar, muss ich mich sonst noch vorbereiten?«, wollte ich wissen.
»Nein, ich denke nicht.«

Die Stunden verflogen rasend schnell und ich wartete nervös in dem Tipi für Gäste, wo ich bisher genächtigt hatte. Ich hüpfte von einem Bein auf das andere und schüttelte den Kopf dabei in der Hoffnung, dass die Nebelschwaden darin verschwinden würden. Hatte Jo nicht gesagt, dass es nach ein bis zwei Stunden weg sein würde?
Der Eingang des Tipis wurde aufgeschlagen und Eikesha und Sarah traten herein in dunklen Roben und schwarzen Kapuzen. Die Prüfung war wohl etwas offizielles.
»Bist du bereit?«, fragte Sarah.
»Ziemlich nervös«, gestand ich.
»Es kann dir nichts passieren, achte auf dich und deinen Körper«, sagte Eikesha.
»Hier ist deine Kleidung«, Sarah reichte mir einen Stapel.
Eine knielange graue Leinenhose und ein weites graues Hemd, das man an den Ärmeln hochraffen konnte. Dazu sportlich aussehende Schuhe, die natürlich auch grau waren. Selbst Unterwäsche und Socken waren dazwischen gepackt worden, in grau.
»Du musst uns leider deine Messer überlassen. Es ist dem Prüfling untersagt eigene Waffen mit in die Prüfung zu nehmen«, sagte Eikesha.
Ich seufzte. Er sollte langsam wissen wie ungern ich mich von meinen eigenen Klingen trennte, aber es half ja nichts. Ich händigte ihm jedes noch so kleine Messer aus. Dann zog ich mich um. Die neuen Anziehsachen waren wirklich bequem. Lediglich die Farbe störte mich.
Eikesha trat vor mich und legte mir beide Hände auf die Schultern. Er blickte mir fest ins Gesicht.
»Es geht heute um die Prüfung deines magischen Potenzials. Dies hilft dich richtig auszubilden, den passenden Meister zu finden. Dieser wird dir natürlich nur vorgeschlagen. Wählen darfst du ihn dann selbst. Versuche nichts beweisen zu wollen oder Eindruck machen zu wollen. Wir möchten deine Stärken sehen, genauso wie deine Schwächen. Dann können wir gemeinsam daran arbeiten. Konzentriere dich auf dich selbst, lass dein Potenzial fließen, lass es sich entfalten. Du kannst niemandem schaden außer dir und selbst darauf geben alle Meister während deiner Prüfung Acht. Es ist eine besondere Ehre unter der Aufsicht von Akon geprüft zu werden. Er wird deine Prüfung leiten. Es gibt eine einzige Regel: Töte niemanden.«
Ich nickte knapp.
»Hast du mich verstanden?«, fragte er.
»Ja.«
»Hast du noch Fragen?«
»Nein.«
Er nahm die Hände von meinen Schultern.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals.
Es würde wohl kein gemütliches Rätselraten werden.
»Folge uns zum Prüfungsplatz.«
Ich ging an Sarah vorbei aus dem Tipi.
»Viel Erfolg«, meinte sie, aber Schatten verbargen ihre Gesichtszüge.

Eikesha voraus, gefolgt von mir und Sarah als Schlusslicht, gingen wir an den Feuerstellen vorbei und liefen schweigend einen kleinen Trampelpfad entlang. Nirgends waren Menschen zu sehen. Alle schienen sich bereits für die Prüfung versammelt zu haben. Und das Alle so viele waren, hatte ich falsch eingeschätzt. Wir kamen auf eine grasbewachsene Lichtung, die der Form und der Größe eines Fußballfeldes glich. Darum herum standen Menschen soweit das Auge reichte. Selbst auf die Bäume, die den Platz umrahmten, waren teilweise Leute geklettert. Eltern hatten ihre Kinder auf die Schultern gesetzt, damit sie besser sehen konnten. Aufgeregte Gespräche mischten sich mit der Mittagshitze im Getümmel der Masse. Ein flaues Gefühl setzte in meiner Magengrube ein.
Die Menschen bildeten einen Korridor sobald sie Eikesha kommen sahen. Ich erhaschte einen Blick auf eine schwarze Robe von hinten irgendwo links vor mir zwischen den Menschen. Ich wusste instinktiv zu wem sie gehörte: Akon.
Wir betraten den Platz an der kurzen Seite vor Kopf. In der Mitte der Rasenfläche stand ein Käfig aus Metall. Sonst war der Platz komplett leer. In dem Käfig konnte ich auf die Entfernung nur einen silbernen Bogen erkennen, der im Sonnenlicht fast majestätisch strahlte. In regelmäßigen Abständen standen Personen in brauner Ledermontur um den Platz herum verteilt.
Langsam drehte ich mich um und da standen sie: alle Meister und Akon. Sie bildeten eine Reihe, Akon stand in ihrer Mitte. Sie trugen alle ihre schwarzen Roben und dunklen Kapuzen. Einige von ihnen waren sogar Frauen fiel mir auf. Doch meine Aufmerksamkeit wurde von einer einzigen Person angezogen. Akon war ein hochgewachsener Mann. Ich konnte nicht viel von ihm erkennen wegen der Robe. Selbst seine Hände waren schwarz behandschuht. Er strahlte eine unfassbare Präsenz aus. Sein Blick ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Es fiel mir schwer mich davon loszureißen. Seine Pupillen waren schwarz wie die Nacht. Sein Gesicht wurde von einzelnen dunklen langen Haarsträhnen umspielt. Mehr Einsicht ließ er mit seiner Kapuze nicht zu. Aufmerksam musterte er mich und ich wünschte mir auch so eine Robe der Anonymität. Ich spürte wie er meine Bewegungen analysierte, wie er in mich griff. Durch meinen Geist flog. Mir wurde schwindelig. Ich blieb kurz stehen und Sarah trat mir versehentlich in die Versen.
»Geh weiter«, zischte sie fast.
Ich holte schnell wieder zu Eikesha auf.
Die beiden positionierten mich im vorderen Drittel des Platzes, dann reihten sie sich bei den anderen Meistern ein.
Sarah stand nun zwischen Akon und Eikesha.
Akon nickte mir knapp zu, dann richtete er seinen Blick auf die Menge.
Mit ausdruckslosem Gesicht erhob er die Stimme und Stille legte sich über die Zuschauer. Meine Muskeln waren bis zum Anschlag gespannt.
»Jackson, deine Prüfung soll nun beginnen. Wir wollen zunächst deine Fertigkeiten mit Waffen bewerten.« Mit einer Handbewegung bedeutete er einem anderen Meister vorzutreten. Physakris.
»Ihr wollte mich doch verarschen«, zischte ich durch zusammengebissene Zähne. Physakris grinste mich blöd aus seiner Kapuze heraus an. Ich versuchte ihn bereits mit meinen Blicken zu töten. Doch dann kam mir wieder die einzige Regel in den Sinn: Töte niemanden.
Wie schade, dachte ich.
Akon fuhr fort: »Physakris wird das Duell als Schiedsrichter leiten.«
Was ein parteiloser Schiedsrichter. Lächerlich, dachte ich mir im Stillen.
»Wähle deine Waffen. Du darfst zwei Stück führen.« Akon deutete auf den metallischen Käfig in der Mitte des Platzes. Ich wandte mich ab und schritt langsam darauf zu. Der Nebel in meinem Kopf hatte sich kaum zurückgezogen. Blöde Pfeife. Das war keine gute Voraussetzung für einen Kampf. Ich spürte die Blicke der Zuschauer auf mir. Es lag eine Spannung in der Luft, die bald zu zerreißen drohte. Am Käfig angekommen, hielt ich kurz inne und schloss die Augen. Ich sammelte meine Konzentration und inspizierte dann die Waffenauswahl. Es war im Grunde genommen fast alles vorhanden. Pfeil und Bogen, Schilde, eine Axt, mehrere Schwerter und Säbel in verschiedenen Ausfertigungen und Längen. Kleine Wurfsterne, Messer und selbst eine Peitsche mit stählernen scharfen Enden. Ich wusste nicht gegen wen oder was ich kämpfen sollte, aber ich stellte mich auf einen Nahkampf ein. Meine Wahl fiel auf zwei Klingen. Ein kurzer Dolch und ein mittellanger Säbel, der auch gut zum parieren und stechen war. Ich wog beide Waffen nachdenklich in der Hand. Sie waren gut austariert. Ich konnte sie jeweils mit einem Finger balancieren. Mit dem Säbel machte ich probeweise ein paar Schläge durch die Luft. Das Rauschen der Klinge versetzte mir eine Gänsehaut. Den Dolch ließ ich mehrmals gekonnt mit einer Hand um sich selbst rotieren. Er war kein Vergleich zu meinem eigenen, aber er würde seine Dienste tun. Zufrieden steckte ich mir den Dolch in den Schuh und knotete ihn mit einem dazugehörigen Lederband am Unterschenkel fest. Den Knoten würde ich mit einer raschen Bewegung öffnen können.
Ich drehte mich zurück zu den Meistern und gab damit das Zeichen, dass ich bereit war.
Die Sonne schien unerbittlich auf den Platz nieder und die Luft über dem Boden flirrte. Doch irgendwie konnte ich die Gesichter von allen auf diese Entfernung noch erkennen. Es handelte sich wahrscheinlich um Farbmagie. Genauso magisch müssten die Silhouetten doch auch ihre schwarzen Roben manipuliert haben. Immerhin ging ich schon ohne ein schwarzes Kleidungsstück in der Mittagssonne fast ein.
Physakris ergriff das Wort: »Wir haben dir einen Herausforderer ausgesucht, der ein Meister seines Gebiets ist.«
Etwas leiser fügte er hinzu, seine Stimme flirrte über den Platz direkt in meinen Geist. »Ich bin gespannt wie lange du durchhalten wirst.« Er lachte in sich und damit auch in mich hinein.
Gegenüber von mir teilte sich die Menge und ein Raunen pulsierte durch die Zuschauer als ein Mann in schwarzer Ledermontur und dickem schwarzem Ledermantel die Fläche betrat. Er war schlank, aber seine Muskeln zeichneten sich selbst unter dem Leder leicht ab. Sein Gang wirkte raubtierartig und sein Kopf zuckte wie der eines Vogels umher als er seine Umgebung musterte und schlussendlich nur noch mich fixierte als er vor mir stehen blieb.
»Xiahr, unsere Waffenmeister wird dich herausfordern.« Applaus setzte ein. Der Mann hatte viele Fans, wenn nicht sogar alle hier. Ich rollte genervt die Augen.
Physakris' Stimme ertönte wieder:
»Wähle deine zwei Waffen, Xiahr.«
Dieser breitete seinen Ledermantel flügelartig aus und funkelnd kamen in der Innenseite glänzende Klingen zum Vorschein, die mein Blut zum Kochen brachten. Meine Klingen!
Ich ging sofort in eine Kampfstellung über und hob meinen Säbel vor mein Gesicht.
Xiahr nahm gelassen einen kleinen Wurfdolch aus seiner, besser gesagt meiner Sammlung und ließ ihn spielerisch um den Finger kreisen.
Mein Kopf schoss Richtung Akon und ich fixierte ihn abschätzig. Meine Faust schloss sich fester um den Griff meines Säbels als er fragend eine Augenbraue erhob. Es war eine bodenlose Frechheit einen Kämpfer um seine eigenen Waffen zu beten, um ihn dann damit zu bedrohen.
»Tststs mein Junge, du würdest keine Sekunde gegen Akon überleben«, säuselte mir Xiahr zu. Er hatte meinen Wurfdolch wieder weggesteckt und sich für meine beiden längsten Messer mit Holzgriff entschieden. Es waren Schwesterklingen und zusammen waren sie am tödlichsten.
»Du wagst es mich mit meinen eigenen Klingen zu bedrohen?«, spie ich ihm fast ins Gesicht.
Er kicherte wie ein kleines Kind.
»Kennst du schon die Spielregeln?«
Ich starrte ihn hasserfüllt an:
»Töte niemanden. Ich weiß nicht, ob ich mich daran halten werde.«
Er nickte eifrig: »Wenn du mir keine Wahl lässt, muss ich dich wohl mit deinen eigenen Waffen durchbohren. Derjenige, der sich ergibt, hat verloren«, sagte er freundlich.
»Ich werde mich niemals vor meinen Schwesterklingen ergeben«, knurrte ich.
»Ich hatte gehofft, dass du das sagst.« Xiahr funkelte mir mörderisch entgegen.
Physakris hatte sich bis auf wenige Meter genähert und rief laut aus: »Wollt ihr einen Kampf hören?« Die Menge klatschte.
»Wollt ihr Blut riechen?« Die Menge jubelte.
»Wollt ihr einen weiteren Triumph unseres Waffenmeisters sehen?« Die Menge tobte.
Ich kannte diese Psychospielchen und ignoriere sie. Mit einer Handbewegung drapierte Physakris meine restlichen Klingen aus Xiahrs Ledermantel im Käfig und verschloss ihn. Dort schwebten meine kleinen Klingen nun zwischen den restlichen, die ich nicht gewählt hatte. Xiahr warf seinen Mantel achtlos bei Seite.
»Xiahr ist es nicht erlaubt Farbmagie zu nutzen, außer er muss sich gegen Magie verteidigen. Wer sich zuerst ergibt, verliert«, verkündete Physakris nun offiziell. »Viel Spaß dabei, Jackson«, sagte er wieder nur für meine Ohren bestimmt. Damit verlagerte sich mein eigentliches Ziel. Ich würde erst Xiahr fertig machen und dann Physakris eine Lektion erteilen.
»Möge das Duell beginnen«, rollte Akons Stimme donnernd über das Feld.
Xiahr und ich begannen uns zu umkreisen.
Er hatte meine beiden Klingen jeweils in einer Hand. Ich ließ meinen Dolch an meinem Unterschenkel ruhen, vorerst.
Xiahr beobachtete mich mit Argusaugen. Er schätze ab wie ich mich bewegte. Er machte ein paar Schritte auf mich zu, dann wieder zurück. Ich wahrte immer den gleichen Abstand zu ihm. Mein Sichtfeld verkleinerte sich. Ich blendete alles um meinen Feind herum aus. Es gab nur ihn und mich. Das Blut rauschte in meinen Ohren. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Ich ließ ihm keine Zeit für weitere Analysen und preschte hervor. Mein erster Hieb zielte direkt auf seine Kehle, meine Absicht deutlich erkennbar.
Unsere Klingen trafen kreischend aufeinander und die Wolken in meinem Kopf waren mit einem Mal verpufft. Ich war hellwach.
Schnell drehte ich mich um die eigenen Achse, sodass ich sein zweites Schwert ebenfalls mit meinem Säbel ableiten konnte. Dann gab ich ihm mit dem Ellenbogen einen Hieb auf Kinn und Kehlkopf. Er taumelte kurz zurück und die Menge machte einen erschrockenen Laut. Etwas lief warm meinen Oberarm hinab. Ich schaute teilnahmslos die Schnittwunde darauf an. »Und? Tun die eigenen Klingen weh?« Xiahr wischte sich Blut von seiner gesprungenen Unterlippe und seine Augen funkelten bedrohlich. Er hatte nun erkannt, dass ich nicht der kleine dumme Junge war, von dem er als Kontrahent ausgegangen zu sein schien.
Er griff direkt an und wir begannen uns ineinander und umeinander zu drehen. Jeder versucht die Deckung des anderen zu durchstoßen. Ich versuchte ihm eine Klinge aus der Hand zu treten, doch der Bastard ließ sie nicht fallen. Ich merkte schnell den Nachteil nur eine Waffe in der Hand zu haben, da ich nicht wirklich zu Angriffen kam und nur damit beschäftigt war seine Klingen abzublocken. Bis auf ein paar kleine Schnittwunden war ich noch nicht näher an ihn herangekommen. Das machte mich wütend. Kalt lief mir der Schweiß den Nacken hinab. Ich wischte meine Handflächen an der Hose trocken.
»Na, gibst du schon auf?«, stichelte Xiahr.
»Wohl kaum.« Ich grinste.
Mit Schwung sprintete ich auf ihn zu, duckte mich unter seinem ersten Hieb weg und schlitterte am Boden liegend an ihm vorbei. Dabei parierte ich seinen zweiten Stoß. Als er endlich sein Gewicht verlagerte, um sich zu mir herumzudrehen, stellte ich ihm ein Bein und rang ihn dann zu Boden. Er ließ eine seiner Klingen los, um meinen Faustschlag, direkt auf seine Schläfe gerichtet, abzublocken. Ich hechtete hinter seiner Klinge her. Das würde mir einen enormen Vorteil verschaffen, wenn ich drei statt zwei Waffen hätte und eine davon sogar meine eigene wäre. Doch Xiahr war schneller. Er griff mir in die Haare und riss meinen Kopf zurück, sodass ich schmerzerfüllt aufschrie. Mit einem Tritt in seine Magengrube konnte ich mich befreien. Ich rappelte mich schnell auf. Es blieb kaum Zeit zum Luft holen, denn Xiahr tat etwas sehr unerwartetes. Er schleuderte seine zweite Klinge direkt auf mich, sodass er für einen Moment seine einzige Waffe aufgab. Ich blockte sie in letzter Sekunde ab. Dann spürte ich einen Schmerz in meinem Bein explodieren. Die Klinge hatte mir einen tiefen Schnitt am Oberschenkel zugefügt, ich griff nach meinem schmerzenden Bein. Doch Xiahr sammelte seine Klinge auf, dann war er auch schon über mir und ich lag wieder am Boden.
»Sieh zu und lerne«, presste er hinter zusammengebissenen Zähnen hervor. Mein Rücken drückte sich fest ins grüne Gras unter mir. Xiahr holte mit seiner Klinge aus und rammte sie knapp neben meinem Kopf ins Erdreich. Ich versetzte ihm einen Stoß mit dem Knauf meines Säbels an den Kopf. Er kippte ein Stück zur Seite, sodass ich ihn von mir herunter wälzen konnte. Humpelnd stand ich auf und entfernte mich ein paar Schritte. Mein Atem ging stoßweise, ich musste mich beruhigen. Die Schnittwunde an meinem Bein war tiefer als die an meinem Arm, aber es war noch nichts verloren. Trotzdem lief nun die Zeit gegen mich. Bald würde sich der Blutverlust bemerkbar machen.

Die beiden Kämpfer entfernten sich kurzzeitig voneinander. Jackson wirkte angeschlagen, aber auch Xiahr sah zu Sarahs Überraschung nicht mehr ganz so fit aus. Seine braunen Haare standen in alle Richtungen ab und die Tatsache, dass Jackson ihn kurz zu Boden gebracht hatte, war seinem Ego sicherlich ein Dorn im Auge. Die Zuschauer schienen ebenso wie die Kämpfer kurz durchzuatmen.
Sie war beeindruckt. Xiahr ließ nach und nach seine Gnade schwinden, das zeigten seine gezielten Angriffe. Zu Beginn hatte er noch ausprobiert wie Jackson die verschiedensten Attacken bewältigte. Nun zielte er fast immer auf Kopf, Herz und Kehle.
Mittlerweile hatte er eine Klinge verloren. Doch bei Xiahr geschah nichts aus Zufall. Der Plan war Jackson so viel Bodenkontakt zuzufügen wie nur möglich. Im Boden waren bestimme Edelsteine eingepflanzt, die das magische Potenzial anregten. Außerdem sollten Jacksons Kräfte bis aufs Äußerste strapaziert werden. Genauer wurde sie in die Prüfungsvorbereitung nicht involviert, was unüblich war. Vermutlich verbot ihre Beziehung zu Jackson weitere Details zu erfahren. Sie hasste es wie ein Kind behandelt zu werden, dass bei der kleinsten Kleinigkeit alles ruinieren könnte. Dass die Prüfung auf Jacksons Emotionen abzielte, konnte Sarah erahnen. Es war ein interessanter Schachzug Xiahr mit seinen Klingen auszustatten. Das machte Jackson mehr als nur wütend. Das konnte sie bis zum Rande des Platzes fühlen. Doch das brachte alles nichts, wenn Xiahr ihn nicht näher an den Boden bringen konnte.
Wie auf ein Kommando fegte Xiahr Jackson in diesem Moment von den Füßen. Er fiel der Länge nach hin. Die Zuschauer applaudierten leise. Jackson wand sich unter seinem Klammergriff wie eine Schlange am Boden. Er bekam offensichtlich schlecht Luft. Er schlug immer wieder mit der Faust in Xiahs Armbeuge bis dieser endlich nachgab. Dann rollte er sich blitzschnell zur Seite, griff für Xiahrs Augen unmöglich zu sehen, nach seinem Dolch am Bein und zog ihn geschmeidig einmal über Xiahrs Brust. Sarah stockte der Atem.

Es befriedigte mich mehr als genug meinen Dolch in Blut getränkt zu sehen. Xiahr sah fassungslos an sich herab und berührte die Schnittwunde. Rot floss das Blut aus seiner Lederkluft. Jetzt bleckte ich die Zähne wie ein Raubtier. Ich konnte alles an ihm wahrnehmen. Seine muskulöse Statur, das Heben uns Senken seiner Schultern mit jedem Atemzug. Der Schweiß bedeckte seine Stirn und hatte seine Haare durchnässt. Die Hauptschlagader wölbte sich über seinen kräftigen Hals.
»Bringen wir es zu Ende!«, schrie ich ihn an.
Funken sprühten als mein Dolch erneut auf seine Klinge traf und kreischend abgelenkt wurde. Er drehte sich geschickt ein, gab mir einen Schlag in die Magengrube, sodass ich kurz die Körperspannung verlor. Dann packte er mich grob und warf mich über seine Schulter. Beim Aufprall ließ ich meinen Dolch fallen. Meine Konzentration nahm ab. Ich hustete, weil sich die Luft aus meinen Lungen presste und robbte ein paar Meter von Xiahr weg. Tastend fuhren meine Finger durchs Gras, doch sie fanden keinen Dolch mehr. Ich fluchte. Xiahr trat mir seitlich in die Rippen, sodass ich mich vor Schmerzen krümmte. 
»Gib auf Jackson, du hast versagt.«
»Niemals!«, presste ich hervor.
Ich stieß mit dem Kopf gegen etwas Hartes.
Der Waffenkäfig. Natürlich.
Xiahr schien meine Gedanken zu lesen und versuchte mich davon wegzuzerren.
»Nein«, schrie ich. Meine Finger umklammerten eisig die Gitterstäbe.
Mit einem gezielten Tritt in Xiahrs Gesicht hatte ich kurz Ruhe vor ihm. Ich zog mich am Käfig hoch und griff nach meinen schwebenden Messern im Inneren, doch sie wichen aus. Ich versuchte es erneut, aber sie schwebten wieder davon. Wie von Zauberhand geleitet. Physakris.
Ich spürte wie Xiahr sich von hinten näherte. Ich duckte mich und er stieß sein Langmesser geradewegs in den Käfig, wo es klimpernd meine fliegenden Messer zum Tanzen brachte. Ich nahm seinen Kopf in beide Hände und rammte ihn gegen die Gitterstäbe. Benommen sackte der Waffenmeister zu Boden. Ich griff wieder in den Käfig, doch konnte keins meiner Messer berühren. Ich sah Physakris grinsende Visage auf der anderen Seite des Platzes. Das war einfach zu viel. Ein kräftiger Windstoß fuhr durch das Blätterdach der nahegelegenen Bäume. Ich war blind vor Rachlust, würde doch nur irgendwo eine Klinge liegen. Meine Augen suchten das Gras ab. Da! Etwas glitzerndes hatte sich einige Meter neben mir im Grün versteckt. Sofort hastete ich hin und bückte mich danach. Als ich wieder aufblickte, schaute ich etwas weiter entfernt in die geschockten Gesichter der ersten Zuschauerreihe. Sie blickten hinter mich. Ich hörte ein leises Sirren in der Luft. Ohne mich umzudrehen, wusste ich was da auf mich zugeflogen kam. Xiahr hatte das Langmesser aus dem Käfig fischen können. Ich drehte mich in einer einzigen fließenden Bewegung zur Seite und das silberne Geschoss verschwand Richtung Zuschauer. Ich nahm alles wie in Zeitlupe war. Das Messer prallte plötzlich an einer unsichtbaren Wand ab, die kurz bläulich aufleuchtete als sie aktiv wurde. Ich schaute mich irritiert um und erkannte jetzt, welche Aufgabe die Leute in brauner Lederkluft am Rande des Platzes hatten. Sie schufen einen Schutzwall, nein eine Kuppel, um die Zuschauer vor Unfällen zu schützen. Kinder blickten mich mit weit aufgerissen Augen an. Kinder, die das Messer aufgespießt hätte, wenn der Schutzwall nicht da gewesen wäre. Ich drehte mich um und sah Xiahr, der hustend an dem Käfig lehnte. Ich hatte noch nicht gewonnen. Mit drei Schritten Anlauf machte ich einen unmenschlich großen Sprung und landete direkt vor Xiahr.
»Endlich bist du soweit«, sagte er leise.
Ich wusste nicht was er damit meinte.
Drohend legte ich ihm die Klinge kalt an den Hals. »Ergib dich«, sagte ich ruhig.
»Ein wahrer Meister ergibt sich nie.«
»Ahh!«, ich schlug verärgert gegen den Käfig. Ich hatte gewonnen, er musste sich einfach nur ergeben.
Ich schaute auf meine Klinge in der Hand. Es war tatsächlich meine eigene. Endlich.
Diesen kleinen unkonzentrierten Moment meinerseits nutze Xiahr aus. Er schlug auf mein verwundetes Bein und ich knickte wie ein hilfloses Reh ein. Ich sah kurz Sterne und merkte wie sich seine Hand um meine legte, die die Klinge zwischen uns hielt. Mein Sichtfeld klärte sich schnell wieder und ich erkannte, dass ich auf Xiahr lag. Seine Fleischwunde an der Brust presste sich warm gegen mein dünnes Hemd. Ich stützte mein gesamtes Körpergewicht auf die Klinge und Zentimeter für Zentimeter kam sie seiner Kehle näher.
»Ergib dich endlich«, forderte ich ihn erneut auf.
»Du sollst dich ergeben«, schrie ich so laut, dass es über den gesamten Platz hallte.
Dann erfasste mich plötzlich ein Windstoß und riss mich von Xiahr runter.
Ich konnte nicht sagen in welche Himmelsrichtung mein Langmesser flog.
Ich sah nur noch Himmel, Erde. Himmel und Erde. Himmel.

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