Die Befragung
Warm griffen ihre Finger nach meinem Bewusstsein. Es fühlte sich fast an, als würde die Sonne in mir aufgehen. Ganz anders als wie bei Physakris, der kalt in meinen Kopf gegriffen hatte, während er mir das Messer an den Hals gedrückt hatte.
Ich durfte sie nicht zu tief vordringen lassen, das war mir bewusst. Ihre Berührung hatte etwas befremdlich intimes an sich und da wir uns weder richtig kannten noch vertrauten, hatte sie in meinem Kopf kein allzu langes Bleiberecht.
»Also Jackson, wie alt bist du?«, begann Physakris seine Fragerunde.
»Zweiundzwanzig«, sagte ich. Ich fühlte mich schon wieder wie im Verhörraum der Polizei.
»Wohnst du in der Stadt?«
»Wohnen eher weniger, leben schon.«
Er ging nicht näher auf meine Antwort ein.
»Was bezeichnest du als dein Zuhause?«
Also doch, er wollte mehr dazu wissen. Im Prinzip schienen die Silhoutten ähnlich wie ich ein kriminelles Untergrundleben zu führen, im wahrsten Sinne des Wortes. Doch ich wusste nicht wie Eikesha darauf regieren würde, wenn ich zugab, dass ich obdachlos nachts umher schlich und nach irgendetwas von Wert suchte, um ein paar Münzen zu verdienen.
»Zuhause ist da, wo ich mal länger als drei Stunden gut schlafen kann«, war meine Antwort. Sarah warf ihm einen Blick zu.
»Also fühlst du dich hier schon wie zuhause?«, fragte er belustigt.
»Nein, ich habe hier nicht gut geschlafen.«
»Wieso nicht?«, wollte er weiter wissen.
Ein Schamgefühl schlich sich in mein Bewusstsein. Es war unnötig sich dafür zu schämen, doch ich konnte es nicht unterdrücken. »Du hattest einen Alptraum oder?«, fragte Sarah.
»Ja«, räumte ich ein. »Ich habe geträumt wie Sebastian mich mit meinen eigenen Messern umgebracht hat.«
Eikesha hob nachdenklich das Kinn.
»Wo hast du gelernt so zu kämpfen?«
»Ich habe es selber über die Jahre hinweg gelernt. Hier und da haben sich aber immer wieder Leute gefunden, die es mir gezeigt haben.«
»Also bist du kein Polizist?«
Ich zuckte überrascht zusammen, innerlich.
Sarah spürte es natürlich.
»Wir haben deinen Waffengurt gesehen«, sagte sie. Dieser blöde Waffengurt!
»Den habe ich von der Polizei«, gab ich zu.
»Und dein Auftrag ist es uns zu finden?«, traf Eikesha genau ins Schwarze. Mir wurde langsam heiß. Meine Gedanken sortierten sich zu langsam. Ich versuchte mich auf meine Gefühle zu konzentrieren, doch sie waren schneller als meine Gedanken und die waren schon schnell. »Jackson, du brauchst Jahre, um zu lernen wie du deine Gefühle kontrollieren kannst bei einer Befragung wie dieser«, sagte Sarah.
Etwas schnürte mir den Hals zu, ich schloss und öffnete meine Fäuste langsam.
»Ich bin kein Spion. Ich hatte die Wahl: entweder ich musste ins Gefängnis für eine Leiche, für die ich nicht verantwortlich bin oder helfen die Silhouette zu finden«, sagte ich.
»Du bist in kriminelle Machenschaften verwickelt«, stellte Eikesha fest. »Das haben wir uns eigentlich schon gedacht«, gab er wiederum zu. Ich seufzte. Lief ja großartig für mich. Doch er wollte nicht wissen, ob ich vor hatte sie alle an die Polizei auszuliefern. Vermutlich würden sie es nicht so weit kommen lassen. Aber seine nächste Frage führte in eine ähnliche Richtung: »Was bekommst du, wenn du erfolgreich wärst?«
»Ein straffreies Konto, also ich müsste zumindest nicht ins Gefängnis schätze ich.«
»Doch so ganz ohne Pass und Papiere würde es dich vermutlich bald wieder zu unansehnlichen Aufträgen verschlagen«, fuhr er fort.
Darüber was ich danach machen würde, hätte ich den Auftrag erfolgreich abgeschlossen, hatte ich bisher nie nachgedacht. Bisher klang es fast utopisch die Silhouette zu finden, mal von dem Farbteppich ganz abgesehen. Doch eins der beiden Ziele hatte ich schon fast erreicht, um es mal optimistisch zu formulieren. Aber Eikesha hatte wahrscheinlich Recht mit seiner Annahme, dass mein straffreies Konto schnell wieder dahin wäre. Ärger breitete sich in mir aus.
»Ich würde mir schon was einfallen lassen«, gab ich beleidigt zurück. Ich musste mir was einfallen lassen, immer, zu jeder Zeit. Einsamkeit breitete sich in mir aus und ich wollte, dass es aufhörte. Das führte zu nichts. Ich würde allein bleiben. Egal, wie viele wahnwitzige Aufträge ich noch zu erledigen haben würde. Als ich aufblickte, schaute ich direkt in Sarahs Augen. Sie fühlte mit mir, aber nur durch ihre Magie. Ihre heuchlerische Nähe riss einen Spalt in mein Innerstes. Mein Herz wurde schwerer und Eikesha lenkte das Gespräch in eine Richtung, die ich von vornherein nicht einschlagen wollte.
»Wie lautet dein Familienname?«
»Ich habe keinen.«
»Hast du Geschwister?«
»Nein«, log ich. Kälte breitete sich in mir aus. Doch es war eine Gefühlsregung meinerseits, nicht Sarahs Magie.
Die Spirale der tiefen Traurigkeit in mir setzte ein. Ich wollte ihr nicht folgen. Sarah würde ihr ebenfalls folgen. Ob sie wirklich eine neue Feindin war, wusste ich noch nicht. Aber manche Erinnerungen hatte ich aus Selbstschutz schon lange weggeschlossen. Und Sarah sollte sie nicht mit all ihren dazugehörigen Gefühlen, dem Hass, der Rachlust ans Tageslicht befördern.
»Dass du verletzlich bist, ist keine Schande Jackson. Wir sind alle Menschen«, sprach Eikesha. Ich fing an zu zittern. Nein! Seine nächste Frage würde ich nicht beantworten.
»Was ist mit deinen Eltern passiert?«
Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Es half nichts. Sarah drang immer tiefer in meine Seele vor. Erinnerungsfetzen huschten hinter meinen geschlossenen Lidern vorbei.
»Waren sie Farbmagier?«
»Müssen sie ja gewesen sein.« Zumindest ein Elternteil, sonst hätte ich keine Magie in mir.
»Wie hast du deine Magie entdeckt?«
Ich versuchte mich auf etwas anderes zu konzentrieren. Sarahs warme Hand auf meiner Brust. Unbewusst legte sich meine Hand um ihr Handgelenk. Ich sank gegen die Gitterstäbe in meinem Rücken und öffnete die Augen.
»Wieso komme ich hier nicht wieder raus?«, fragte ich sie. »Du hältst meine Erinnerung fest, es fühlt sich an wie ein Tunnel, der nur nach vorn weiter führt.«
»Du lässt mich nicht vor, ich lasse dich nicht zurück«, sagte sie konzentriert.
»Lass mich zurück«, wisperte ich leise. Ich spürte Eikeshas Blick von der Seite. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Sarah drängte mich ein kleines Stück weiter in meinen eigenen Abgrund. Mir wurde schwindelig. Eikesha half mir behutsam mich hinzusetzen. Mein Innerstes kämpfte dagegen an sie tiefer fühlen zu lassen. Ich wusste, dass sie es jederzeit einfach tun könnte und das machte mir Angst.
Um zurück auf Eikeshas letzte Frage zu kommen, antworte ich mit dünner Stimme: »Als ich klein war, hab ich mit meinen Freunden und einem kleinen Straßenhund draußen im Park gespielt. Als es dunkel wurde, mussten alle nach Hause gehen. Doch ich wollte noch nicht. Der Hund hatte braunes Fell mit weißen Flecken. Als ich ihn zum Abschied streichelte bekam er auch graue Flecken und flitzte winselnd davon.«
»Hast du seitdem wieder einem Lebewesen seine Farben entzogen?«, fragte Eikesha.
Ich ließ den Kopf auf die Brust sinken und murmelte abwesend, während Sarah ihren Druck auf meine innere Barriere leicht erhöhte: »Nein, ich habe lange Zeit Angst davor gehabt die Magie überhaupt zu verwenden bis ...«, ich stockte und lehnte den Kopf seitlich an eine Gitterstange. Sie kühlte wohltuend meine Schläfe. Ich wollte Sarahs Hand wegreißen, mein Fluchtinstinkt setzte ein. Doch es ging nicht. Sie tauschte mit Eikesha einen Blick im Stillen aus.
»Ich habe keine Familie, ich brauche auch keine. Wieso ist das wichtig für euch?«, wollte ich wissen.
»Sie sind tot«, stellte Sarah fest.
Mir wurde flau im Magen. Der Raum begann sich langsam zu drehen. Trauer zerriss mich innerlich und ich versuchte meine Tränen zurückzuhalten. »Bitte nicht«, flehte ich Sarah mit Blick auf Eikesha an. »Nicht hier, nicht so.« Sie war kurz davor meinen inneren Widerstand zu zerreißen. Kaum mehr als ein dünner Schleier trennten mich vor meinen Gefühlen und den Erinnerungen.
»Du kannst jederzeit zu uns kommen. Für Gefühle muss man sich nicht selbst bestrafen und manche Gefühle sollte man nicht alleine bewältigen«, sagte Eikesha. Damit zog Sarah sich zurück. Der Tunnel war keine Sackgasse mehr und ich atmete zittrig die staubige Luft ein. Sarah löste ihre Hand von mir und war fort. Zumindest aus meinem Bewusstsein. Sie wollte mir helfen aufzustehen, doch ich hob abwehrend die Hände. »Nicht anfassen«, zischte ich.
Eikesha erhob die Stimme: »Es ging uns nicht nur darum, was du erzählst, sondern ob du meine Fragen gewissenhaft beantwortest und das hast du. Selbst am tiefsten Punkt, hast du stets die Wahrheit gesprochen und bist dir und deinem Selbstschutz treu geblieben. Für wie sinnvoll sich dieser in Zukunft für dich erweist, musst du selbst entscheiden.«
»Gebt mir einen Moment allein«, forderte ich.
Eikesha nickte ohne Einwände und wandte sich mit Sarah zum Gehen. Als ihre Schritte im Korridor verhallten, beugte ich mich vor und erbrach die Suppe auf den Boden.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top