Viel Glück ...

„Ich habe es gefunden. Du musst nur aufpassen, es kann sein, es funktioniert erst nach ein paar Anläufen. Ich meine, wer benutzt schon heutzutage noch Feuerzeuge?"
Ich nehme das kleine Teil entgegen und lächle Alice dankbar an.
„Du hast daran gedacht. Super."
Sie winkt ab. „Ach. Es ist doch nur ein Feuerzeug. Du bist dir sicher, dass du nicht warten willst?"
Ich werfe einen kurzen Blick zu ihrem Vater, der auf der Couch sitzt und liest.
„Ja. Bin ich. Ich kann einfach nicht noch länger auf der faulen Haut liegen. Ich will gar nicht wissen, wie es den anderen dort geht und wenn ich daran denke, dass es nur immer schlimmer wird ..."
Ich lasse den Satz ausklingen und starre auf den kleinen, silbernen Gegenstand mit der Flamme in der untersten Ecke.

„Wenn Sie wollen, kann ich Sie fahren", merkt Capryse an, ohne seinen Blick auch nur für eine Sekunde von seinem Buch zu wenden. Die Brille mit dem dünnen Rahmen, welche auf seiner Nase ruht, finde ich noch immer komisch. Sie will nicht so recht zu ihm zu passen.
„Nein, danke", antworte ich nur. „Ich schaffe das schon allein."
„Natürlich. Ganz wie Sie wollen."
Ich fühle mich direkt ein wenig dämlich, sein Angebot ausgeschlagen zu haben, lasse mir aber nichts anmerken.
Ich richte meine nächste Frage stattdessen wieder an Alice:
„Bleibst du heute zum Essen?"
Sie zögert. „Ich weiß nicht so recht. Eigentlich muss ich noch ein paar Sachen besorgen."
„Oh." Ich zucke mit meinen Schultern. „Tja, da kann man nicht viel machen, hm?"
„Nein, kann man wohl nicht." Sie lächelt entschuldigend.
„Soll ich dich hinausbegleiten, Schatz?"

Mit einem leisen Räuspern wendet sie ihren Blick ab.
„Den Weg finde ich schon, Dad. Danke." Sie wirft ihm einen Luftkuss zu, dann ist sie schon verschwunden. Möglichst unbeteiligt sehe ich ihr hinterher.
„Was ist denn los? Muss ich irgendetwas wissen?"
Mein Kopf fährt zu Capryse, der mich über den Rand seiner Brille hinweg mustert.
„Was? Nein, was denn?"
„Oh, ich weiß nicht. Ihr versteht euch gut."
„Was heißt hier schon >gut verstehen<?", erwidere ich und sehe zum Fenster, welches mal wieder zugezogen ist.
Mit einem Brummen erhebt Capryse sich. Seine Augen funkeln wie auf dem Bild, als er es fast geschafft hat, ein Heilmittel gegen Krebs zu entwickeln. Ich hoffe, er vergisst schnell wieder, dass ich mich relativ normal mit seiner Tochter unterhalten habe und stellt mir nicht mehr solcher unangenehmen Fragen.

Ich atme tief durch, dann öffne ich meine Faust und betrachte das Feuerzeug, welches auf meiner Handfläche ruht, erneut. In einer knappen Woche verlasse ich dieses Haus. Ich werde irgendwie nach Richmond kommen, dort in das Gebäude des SEA einsteigen, die anderen Menschen befreien und das Ding oder wenigstens das Labor in die Luft jagen. Vielleicht warte ich ja auch, bis Summit auftaucht und nehme ihn als Geisel. Meine Finger zucken, bei dem Gedanken daran, diese um seinen widerlichen Hals zu legen. Aber schnell schüttel ich den Gedanken ab. Ich bin kein ... ich will kein Mörder mehr sein. Das muss sich in Zukunft vermeiden lassen. Irgendwie.

„Colby oder Cheddar?", ruft es aus der Küche und ich sehe auf.
„Cheddar, bitte", erwidere ich laut und lasse das Feuerzeug in meiner Hosentasche verschwinden. Es wäre doch gelacht, wenn ich das nicht schaffen würde. Ich muss die Explosion ja nicht einmal überleben, notfalls setze ich mich einfach wieder zusammen. Und wenn ich verbrenne und ich das nicht mehr kann ... dann ist das doch auch nicht so schlimm.
Etwas verwirrt erhebe ich mich und folge Capryse in die Küche. Einen Grund muss es ja gegeben haben, dass sie das beim SEA nicht probiert haben, oder?
„Ah, Sie wollen helfen. Sehr freundlich."
Ich wische die Gedanken beiseite und mache mich daran, den Tisch zu decken. Am Donnerstag bin ich hier weg. Und wenn das alles vorbei ist, kann ich schauen, wie es weitergeht.

„Amerika", schallt es laut aus dem Mund des Mannes. „Amerika. Ich wünsche allen Männern und Frauen einen guten Tag, viel Gesundheit und die Motivation, etwas für dieses stolze Land zu leisten, welches wir unsere Heimat nennen dürfen. Reinheit, Tapferkeit, Wachsamkeit."
Ich schiele zu Capryse und sehe, dass er mit dem Essen innegehalten hat und die Wörter leise nachspricht. Wie es in dieser Sekunde wahrscheinlich jeder tut, von dem das verlangt wird.
Der Präsident fährt mit seiner Rede fort:
„Heute möchte ich meine Zeit einem ganz besonderen Thema widmen. Euch ist sicher allen bekannt, dass sich aktuell mehrere Vorfälle häufen. Vorfälle, die besorgniserregend sind. Vorfälle, die sich als problematisch entwickeln."

Ich zerdrücke fast meinen Burger, konzentriere mich stattdessen aber auf das Gesicht des Mannes. Die Augen stechen hier genauso heraus, wie auf dem Bild aus dem Internet. Zum wiederholten Male frage ich mich, was damit nicht stimmt.
„Bekannt ist dieses Problem weithin unter dem Namen >Viator<. In der Woche tauchen durchschnittlich drei weitere auf und es sieht nicht so aus, als würde es aufhören. Manchen von ihnen kann man ansehen, dass sie nicht von hier sind. Bei vielen anderen ist die Mutation, die ihr Körper erfährt, jedoch verborgen und es besteht die Gefahr, dass sich diese Kreaturen unter unser Volk mischen. Bürger und Bürgerinnen Amerikas - ich wende mich in dieser Stunde an Sie, um Sie zu warnen. Melden Sie sich bei einer Sichtung unbedingt bei der nächsten Station des Sicherheitsamtes oder rufen Sie direkt bei der zuständigen Behörde an: dem SEA!"

Eine Nummer taucht auf dem unteren Rand des Bildschirms auf und bei den nächsten Worten scheint mir Elwood Sterling fast in die Seele zu schauen.
„Lasst nicht zu, dass dieses starke und freie Land überrollt wird. Vielleicht mag dieser Umstand vielen von euch Sorgen bereiten, wenn nicht sogar Angst einflößen, aber denkt immer daran: Ich habe nicht vor, an zwei Fronten gleichzeitig Krieg zu führen. Dies hier ist kein Krieg! Dies hier ist eine Abnormalität, der wir Einhalt gebieten müssen."
Er blinzelt nicht einmal, sondern sieht starr in die Kamera. Dann richtet er sich ein wenig auf, sodass er stramm dasitzt ... ein bisschen sieht er nun aus wie ein hochrangiger General.
„Damit verabschiede ich Sie herzlichst und wünsche Ihnen eine erfolgreiche und insbesondere sichere Woche." Er legt seine Hand auf die Brust. „Reinheit, Tapferkeit, Wachsamkeit."
„Was für ein Spinner", sage ich nur und Capryse stellt die gläserne Tafel mit einem einfachen „Aus" ab.
„Mag schon sein. Leider ist er einer der wenigen Männer, die diesen Krieg beenden können. Dafür dass Europa angeblich so ein schwacher Gegner ist, hält es nämlich schon viel zu lange stand."

Ich antworte nichts darauf, sondern wende meinen Blick ab, um zu der Haustür zu schauen. Noch vier Tage. Dann öffne ich sie.
„Wie wollen Sie nach Richmond kommen?", fragt Capryse, als hätte er meine Gedanken gelesen.
Ich zucke mit den Schultern. „Keine Ahnung. Aber egal, wie lange es dauert, ich werde das schon schaffen."
Auf sein Schweigen hin drehe ich meinen Kopf. „Was?"
„Oh, ich weiß nicht. Aber im Stadtzentrum befindet sich eine Bahnstation. Damit könnten Sie fahren."
„Ich dachte, es gibt hier keine Straßenbahnen mehr", erwidere ich irritiert.
Capryse greift nach einer Serviette. „Nicht solche altmodischen. Die jetzigen sind umso einiges praktischer. Aber Sie werden schon sehen."

Und das wird wohl schneller passieren als gedacht. Es fühlte sich an, wie ein einziger Augenblick, da ist der Donnerstag schon herangerückt und ich stehe vor der weißen Haustür mit dem gläsernen Fenster. Jetzt erst merke ich, wie mein Herz in meinem Brustkorb hämmert und ich schlucke. Summit wird es bereuen, dass er mir und den anderen so grausame Experimente zugemutet hat. Und wenn es nur durch die Vernichtung seines ganzen Stolzes ist.
„Bereit?"
Ich drehe mich um, als Wendell Capryse lächelnd auf mich zukommt. In seiner Hand hält er ein Cappie, welches er mir entgegendrückt.
„Das mag zwar nicht besonders viel ausmachen, ganz nutzlos ist es allerdings auch nicht."
Ich nicke knapp und setze es auf. Kritisch beäugt er mich.
„Na - wird schon gehen."
Ich schlucke. Sehr überzeugt klingt er ja nicht. Aber er lächelt schon wieder.
„Und Sie sind sich sicher, dass ich Sie nicht fahren soll?"
Entschieden schüttel ich meinen Kopf.
„Nicht nötig. Sie haben mir schon genug geholfen. Außerdem denke ich, dass mir ein wenig Eigenständigkeit ganz gut tun wird."
Er nickt. „Das glaube ich auch. - Also. Haben Sie alles, Vincent?"

Ich öffne den Rucksack in meiner Hand. Darin hat Capryse eine aufgeladene Zweitkarte, ein Display, um mich zu orientieren, einen Pullover zum Wechseln und eingewickelte Brote verstaut. Ich starre die Dinge an.
„Sind Sie sich sicher?", frage ich leise.
„Absolut", erwidert er entschlossen und seufzend werfe ich mir den Rucksack auf den Rücken. Alice' Feuerzeug habe ich in meiner Hosentasche verstaut. Sie werde ich wohl nicht noch einmal wiedersehen, aber was nicht ist, ist nicht. Jetzt gibt es erst einmal wichtigere Dinge.
„Na, dann ... gehe ich mal. Vielen Dank, Mr. Capryse. Für alles."
Seine Mundwinkel zucken. „Seit wann denn so förmlich?"
„Woher soll ich das wissen?", brumme ich und füge hinzu: „Tschüss, Wendell."
Wieder einmal blitzen seine Augen vor Belustigung auf und er geht an mir vorbei, um die Tür zu öffnen.
„Ich wünsche Ihnen viel Glück."

Die Stadt ist wirklich erschreckend voll. Anders kann ich es nicht ausdrücken. Sobald ich den eher ruhigen Block mit den Einfamilienhäusern und kleinen Gärten verlassen habe, begegne ich von Minute zu Minute mehr Leuten. Ich bin froh, dass ich die Mütze habe, denn so fühle ich mich nicht ganz ausgeliefert. Zurück schaue ich nicht noch einmal.
Stattdessen beschleunige ich meine Schritte und sehe schon bald darauf die Brücke, die über den Fluss führt, in welchen ich bei meiner Flucht gefallen bin. Ich muss schon sagen, ich hatte mehr Glück als Verstand, das irgendwie überstanden zu haben.
„AHHHHHHHHHHHH!"
Ich fahre zusammen und weiche gerade noch rechtzeitig dem Kind aus, dem eben eine Eistüte aus der Hand gefallen ist. Eine Frau, vermutlich die Mutter, eilt zu dem weinenden Jungen. Möglichst schnell lasse ich die beiden hinter mir.

Kommen Sie zu MediCare. We care for your Health. What about you?"
Eine Frau wirft sich an der linken Fassade des Wolkenkratzers in Pose, ein Junge winkt mir gegenüber den Passanten entgegen.
Meine Eltern sind zwar nicht so begeistert von Schokolade" Er grinst. aber Vegelate finden sie echt klasse."
Ich gehe weiter und starre hoch zu dem AirTec, welches zwischen die in den Himmel ragenden Gebäude hindurchschwebt.
Be America. Be yourself. Be happy.
Darunter ist nur eine kleine Kapsel samt breiter Brille - eine VR-Brille - abgebildet worden. Beide durchgestrichen. Verrückt.
Ich senke wieder meinen Kopf und dränge mich möglichst unauffällig durch die Menschenmassen. Heute sind die Bürgersteige noch überfüllter, als in der Nacht meiner Flucht.
Mit konzentrierter Miene starre ich an die Straßennamen, die an den Ecken der Gebäude angebracht wurden.

Pennsylvania Avenue NW

Weit ist es nicht mehr. Ich steuere auf eine eiserne Bank zu, welche sich neben einer kleinen Imbissbude befindet und und stelle meinen Rucksack darauf ab. Geldkarte und Display landen in meiner Jackentasche. Den Pullover werde ich wahrscheinlich nicht brauchen, ich weiß nicht, was sich Capryse dabei gedacht hat. Aber vielleicht erweist er sich ja als nützlich, wenn ich den anderen Eingesperrten geholfen habe. Ich hoffe, es sind nicht so viele, wie Elwood Sterling hat durchscheinen lassen. Wöchentlich drei Menschen. Ich blähe meine Wangen auf und biege um die Ecke. Wenn es wirklich so viele sein sollten, habe ich - und nicht nur ich - wohl ein Problem.
Ich balle meine Fäuste. Aber es kommt gar nicht infrage, deswegen einen Rückzieher zu machen. Ich hebe meinen Blick, als eine gläserne Kuppel vor mir auftaucht. Darunter befindet sich eine lange, gläserne Röhre. Jetzt erst sehe ich, dass sie auf Schienen steht, welche in die Luft aufsteigen und zwischen den Gebäuden verschwinden. Unglaublich! Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass die Konstruktion hält, wenn der Zug darauf fährt und bleibe staunend stehen.

„Hey, du da! Stehen bleiben, Personenkontrolle!"
Ich fahre herum. Mein Körper bebt vor Anspannung und ich bin kurz davor loszustürzen. Aber dann sehe ich, dass die Uniformierten auf einen Jugendlichen zusteuern, welcher einen ziemlich bedröppelten Eindruck macht. Ein Felsblock fällt mir vom Herzen und erleichtert setze ich meinen Weg fort.
„Fuck! Das kann man mit mir nicht mehr machen", murmel ich leise und vergrabe meine zitternden Hände in meinen Jackentaschen. Selbst mein Herzschlag beruhigt sich nur langsam.
Ein lauter Piepton holt mich aus meinen Gedanken und eine Stimme erhebt sich über den Lärm der Stadt.
„Der Zug fährt in fünf Minuten. Wer noch kein Ticket hat, sollte dieses jetzt erwerben. Vielen Dank. - Der Zug fährt in fünf Minuten. Wer noch kein Ticket hat, sollte dieses jetzt erwerben. Vielen Dank."

Schnell ziehe ich mein Tempo an und komme ein wenig außer Atem im Eingang der Bahn zum Stehen. Ein kleiner Mann hebt seine Hand. Koboldgrüne Haarsträhnen lugen unter seiner Kappe hervor und ein wenig gelangweilt fragt er:
„Wohin soll's gehen?"
„Richmond."
„Richmond CS, 15 Coins."
„15 Coins?", wiederhole ich und starre überfordert auf die Plastikkarte in meiner Hand. Capryse hat gemeint, es wären nur zehn. „Ganz sicher?", frage ich. „Mir wurde gesagt, die Fahrt kostet nur zehn Coins."
Der Mann zuckt mit den Schultern. „Tja, neue Regelung. Die Preise für Transport wurden angehoben. Wir müssen unser Geld auch irgendwie verdienen."
„Aber ich habe nicht mehr."
„Ist das mein Problem?"
Ich Trottel musste aber auch ablehnen, als mir Capryse noch mehr geben wollte. Ich habe gesagt, dass ich nicht zurückkommen würde, aber jetzt ... kann ich zusehen, wie sich meine Entschlossenheit langsam in Luft auflöst. Ich kann doch nicht jetzt schon am Ende meiner kleinen Aktion sein.

„Hören Sie", zische ich. „Ich muss in diesem Zug mitfahren. Gibt es denn keine Möglichkeit, dass ..."
„Sie halten den Verkehr auf!", unterbricht der Mann mich und sieht zum ersten Mal richtig auf. Er runzelt seine Stirn. „Kenn' ich Sie?"
„Nein. Tun Sie nicht." Nervös sehe ich mich um.
„Doch, natürlich! Sie kommen mir bekannt vor, sind Sie ni-"
„Meine Fresse, nicht jeder hat so viel Zeit, sich die Füße in den Bauch zu stehen!"
Ich werde ruppig zur Seite geschubst und ein Mann mittleren Alters drückt dem Schaffner eine Karte in die Hand.
„Arkendale ES!"
Ich nutze die Gelegenheit und verdrücke mich eilig. Kurz darauf muss ich mit ansehen, wie der Zug ohne mich abfährt. Er gleitet den Schienen hoch und ein paar Sekunden später hat ihn die Silhouette der Stadt verschluckt.
Ich reibe mir über die Stirn. Verflucht! Was jetzt? Resigniert setze ich mich in Bewegung. Es muss noch eine andere Lösung geben! Irgendetwas muss ich doch ...
Ich stolpere zurück, als urplötzlich ein silberner Wagen vor mir hält. Die dunkle Scheibe fährt herunter und ... ich schnappe nach Luft.
„Steigen Sie ein!"
Weder widerspreche noch antworte ich etwas darauf. Ich gehe um den Wagen herum, öffne die Beifahrertür und lasse mich auf den Sitz fallen. Sobald die Tür wieder geschlossen ist, fährt Capryse los. Das Cappie landet auf dem Rücksitz.

Eine Weile herrscht Schweigen zwischen uns, dann sagt er:
„Ich habe jetzt erst gesehen, dass sie die Preise erhöht haben. Ich dachte mir schon, dass Sie ziemlich aufgeschmissen sind."
„Das hätte ich auch so geschafft", erwidere ich. Und daraufhin:
„Danke."
Er nickt. „Keine Ursache, mein Lieber."
Ein wenig abwesend beobachte ich die vorbeiziehenden Menschen, Gebäude und Bahnstationen. In jedem neuen Block, den wir erreichen, verdunkelt für ein paar Sekunden ein AirTec das Innere des Wagens. Ich werfe einen Seitenblick auf Capryse. Hier riecht es noch einmal ein wenig intensiver nach Zimt und Alkohol, was mich ein wenig verwirrt. Ich habe Capryse nie mit diesen Sachen gesehen. Wahrscheinlich ist es einfach nur sein Deodorant.
„Ruhen Sie sich nur noch ein wenig aus", bemerkt dieser in jenem Moment. „Ich wecke Sie, sobald wir da sind."
Ich antworte nicht, sonder folge mit meinen Augen der Umgebung auf der anderen Seite des Fensters. Aber als wir die Stadt verlassen, seufze ich nur und lehne mich zurück. Vielleicht wäre es wirklich nicht allzu schlecht, mich noch ein wenig auszuruhen.

Capryse muss mich nicht einmal wecken. Ich wache von ganz allein auf. Der Wagen hat angehalten und stirnrunzelnd setze ich mich auf.
„Warum halten wir? Was ist da los?"
Ein wenig hektisch schaue ich mich um. Als mein Begleiter jedoch einfach nur nach vorne nickt und knapp „Stau" antwortet, lasse ich mich aufatmend zurückfallen. Ich habe schon fast mit einer Polizeikontrolle gerechnet, da ist das hier um Längen besser.
„Wie lange schon?"
Capryse fährt mit seinem Zeigefinger über ein Display, welches da sitzt, wo eigentlich das Radio hingehört.
„Schon eine gute halbe Stunde. Ich vermute stark, dass eines dieser neuen Automobile versagt hat. Erneut."
„Erneut?"
Er nickt. „Oh ja. H-Autos sind seit nunmehr elf Jahren aus der Mode, da kommen ich und sicher auch der Rest unseres Vaterlandes mit den Einer-Wagen viel besser zurecht." Er schnaubt spöttisch. „Die neuen Quantenmotoren sind sozusagen eine vorübergehende Lösung des SEA. An Verbesserungen wird aber noch immer geforscht."

Stirnrunzelnd sehe ich ihn von der Seite an.
„Sagen Sie mal, gibt es eigentlich irgendeinen Bereich, in dem dieses bescheuerte Unternehmen nicht tätig ist?"
„Oh ja, in der Tat. Abwehrsysteme werden der GIS überlassen."
GIS? Was bedeutet das?"
Er stockt ein wenig. „Das ist die Group for International Safety. Sozusagen die zweitwichtigste Unternehmung auf unserem Kontinent. Natürlich des Krieges wegen. Von ihnen wurde beispielsweise die Große ..." Er gibt ein tiefes Seufzen von sich.
„Es geht weiter", murmelt er. „Bitte, Kollege Leichtfuß, lassen Sie mich jetzt nicht hängen."
Verwirrt werfe ich einen Blick auf das Auto vor uns, welches ruckelnd in Bewegung kommt, das Stück auffährt, welches freigeworden ist ... und wieder wankend zum Stehen kommt. Wendell Capryse' Anspannung ist fast greifbar.
„Und er tut es schon wieder."
„Kollege Leichtfuß?"
„Nun, sein Fuß bleibt nicht wirklich lange auf dem Pedal und selbst, wenn er ihn herunternimmt, dann doch recht abrupt, sodass der Wagen - nun, auf lange Sicht werden das seine Bremsen nicht mitmachen. Das hält der gute Mann allerdings schon seit Anfang an so. Jedes Mal muss ich befürchten ... nun, es ist auch unerheblich. Sie wissen, was ich meine."

Langsam nicke ich.
„Irgendwie, ich habe nie gelernt, wie man Auto fährt. Aber sie wollten auch etwas erzählen", sage ich schnell und ein Ausdruck des Erinnerns breitet sich auf dem fahlen Gesicht aus.
„Ah ja, richtig. Die GIS hat unter anderem die Große Mauer errichtet, welche wohl als achtes Weltwunder gelten kann."
Ich wende meinen Blick von der langen Schlange der Autos ab.
„Eine Mauer? Sagen Sie bloß, da hat dieser Sterling in den Geschichtsbüchern geblättert und diese wahnwitzige Idee umgesetzt, eine an der Grenze zu Mexiko zu bauen."
Capryse schiebt seine rechte Augenbraue in die Höhe. „Das ist ein Scherz, richtig?"
„Wissen Sie, die Voraussetzung von einem Scherz ist, dass er lustig ist."
Capryse räuspert sich. „Kein Scherz, wer hätte das geahnt! Nein, ich meine die Mauer, welche sich um ganz Amerika zieht."
„Sie reden hier von ... einer Mauer um ganz Nordamerika?"
„Nein, nein. Nicht nur der Norden des Landes", berichtigt er mich. „Vor den Küsten dieser Nation wurde eine riesige Mauer errichtet, welche Angriffe aus der Luft sowie Angriffe unter Wasser abzuwehren vermag, außerdem ein Frühwarnsystem beinhaltet und ... nun ja, die Welt da draußen von uns abschottet."

Ich starre ihn an.
„Aber ... ich dachte, ihr führt nur Krieg gegen Europa. Was ist denn mit dem ganzen Rest?"
„Oh, der Vater der BUS handelt zurzeit einen Vertrag mit Grönland aus."
„Mit Grönland? Aber warum denn das?"
„Nun, Grönland besitzt einige der wenigen Rohstoffe, welche uns noch fehlen."
„Das ist ja echt krass", murmel ich und starre auf die flimmernde Straße und die riesigen Fabriken, welche sich links und rechts davon auf den kahlen Landstrichen auftürmen. Sie geben schon ein imposantes Bild ab, auch, wenn jeglicher Luxus, den ich in der Stadt gesehen habe, fehlt. So langsam glaube ich, dass dieser wirklich nur in diesen vorhanden ist. Denn je weiter wir uns von Städten entfernen, desto armseliger wird das alles hier.
Ich kneife meine Augen zusammen, um all die neuen Informationen zu verarbeiten. Von dem Fahrersitz ertönt ein erneutes Seufzen.

„Nun, da wären wir."
Ich zucke aus zusammen, als ich aus meinen Gedanken geholt werde. Capryse sieht mir mit einem kläglichen Lächeln entgegen und deutet zur Frontscheibe.
Schnell drehe ich meinen Kopf. Wir sind da. So schnell schon? Tief atme ich durch, jetzt geht es also wirklich los.
„Vincent? Ist alles in Ordnung?"
Ich fahre mir einmal durch die Haare und lächle.
„Ja", antworte ich beruhigend. „Ich bin gerade nur ein wenig überrumpelt, weil wir schon angekommen sind."
„Oh, verzeihen Sie mir." Er nickt wieder nach vorn. „Das wäre es auf jeden Fall, mein Lieber."
Ich folge seinem Blick und sehe das längliche Gebäude des SEA auf der anderen Straßenseite. Wir selbst befinden uns in einer Seitengasse, weit genug entfernt, dass man den Haupteingang nur von der Seite sehen kann - trotzdem schlägt mein Herz unwillkürlich höher. Ich schlucke.
„Da wär'n wir also", murmel ich trotzdem leise.

Capryse legt seine Hand auf meine Schulter und ich sehe in seine hell leuchtenden Augen.
„Sie haben sich wacker geschlagen. Nicht mehr lange, dann ist es geschafft." Er zögert kurz. „Ich würde an Ihrer Stelle nur noch ein wenig warten. Ab 19:00 Uhr gehen die ersten Leute und der Türsteher war normalerweise immer ein wenig unaufmerksamer, in Hinblick auf den bevorstehenden Feierabend."
„Und ... wenn wir ... wenn ich einfach eine Hintertür nehme?"
Capryse sieht mich für eine Sekunde mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck an, dann schüttelt er seinen Kopf.
„Ich habe keinen Schlüssel und diese Türen sind absolut einbruchssicher. Das können Sie mir glauben."
„Gut", lenke ich ein. „Dann warte ich eben."

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