Unter Wasser
Terrence
Grübelnd wühle ich in meiner Hosentasche und ziehe die sieben Münzen raus. Mir ist ziemlich schnell aufgefallen, dass hier so gut wie immer mit Karten bezahlt wird, aber auch in den Städten dieser Zeit gibt es Bettler und niemand sagt etwas, wenn eine eher veraltete Zahlungsweise erfolgt.
„Und?"
„Zwei Hotdogs. Mehr aber auch nicht."
Jasper brummt unzufrieden bei dem Anblick.
„Dann hol ich eben die Getränke. Und denk dran: Ich will kein verdammtes Sauerkraut!"
„Das ist mir ein einziges Mal passiert. Ich dachte einfach, du bist der Typ für sowas", verteidige ich mich und schaffe es gerade so, ein Grinsen zu unterdrücken. Jasper würde mich glatt köpfen.
„Sauerkraut", fährt er mich an. „Das passiert nicht, das gehört sich schlicht und einfach nicht."
Jetzt grinse ich doch. „Sorry. Kommt nicht wieder vor."
Er gibt ein Knurren von sich. „Ist auch egal. Wir treffen uns wieder hier, stell keinen Blödsinn an."
„Ich war es nicht, der ein Abbild des Staatsoberhauptes ruiniert hat", erwidere ich, aber er hat sich schon abgewandt und ist in der Menschenmenge verschwunden.
Leise kichernd mache ich mich auf der Suche nach einer Imbissbude. Nur weil er sich vorgestern hat erweichen lassen, mit mir nach Wahsington zu gehen, heißt das noch lange nicht, dass er einfacher geworden ist. Es ist lustig, ja, aber mit ihm auszukommen, ist echt schwierig.
Gedankenverloren beobachte ich die Passanten. Es ist unglaublich, wie voll es in den Städten ist, fast noch schlimmer als bei mir Zuhause. Zwar habe ich schnell mitbekommen, dass sie irgendwie ärmer – auf jeden Fall leerer – werden, je weiter man sich dem Stadtrand nähert, und dass sich außerhalb kaum bewohnte Flächen befinden, dafür ist aber innerhalb umso mehr los.
Eine Zeitschrift landet vor meinen Füßen und stirnrunzelnd bücke mich, um sie aufzuheben. Hat sich da gerade eines der Bilder bewegt?
Ich schlage die erste Seite auf und blicke einem villenartigen Anwesen entgegen. Nein, das war sicher nur der Wind. Ich laufe weiter, um nicht die heutige Runde zu verlieren und ... stutze.
„Ist nicht wahr!", hauche ich und starre auf die sich tatsächlich bewegenden Bilder. Und als ich mit meinem Finger vorsichtig darüber wische, verschwimmen diese und der Text selbst und eine neue Seite taucht auf. Diesmal geht es um irgendwelche Zonen in den altkanadischen Wäldern. Und um ... einen Krieg.
„Ich dreh durch, wie bei Harry Potter", flüstere ich leise, unbeachtet des Inhaltes.
Der ist bei so etwas nun wirklich echt nebensächlich. Wenn es etwas gibt, was ich Jasper unbedingt zeigen muss, dann das. Ein Tagesprophet im echten Leben, wo gibt es denn so etwas?
Die Seiten sind so dünn – zugegeben, auch fest –, dass da doch gar keine Technik reinpassen kann. Und doch ist sie höchstwahrscheinlich da und trotzdem kann ich die Zeitschrift falten und in meine Hosentasche schieben, ohne dass etwas kaputt geht. Auf dem ersten Blick.
Immer noch staunend biege ich um die Ecke und sehe einen Hotdog über den Köpfen der Passanten flackern. Volltreffer. Wenn ich jetzt noch Glück habe und nicht allzu lange warten muss, dann bin ich sogar zuerst am Treffpunkt. Jasper weiß zwar nichts von dem kleinen Wettbewerb, aber das macht auch nichts, ich beeile mich ja nicht extra dafür. Und bis jetzt konnte ich schon drei Siege von vier Rennen einfahren. Sieht so aus, als wäre das hier der ...
Ich halte inne, als ich vor mir zwei junge Frauen in der Menge bemerke, die mich beide argwöhnisch mustern. Unbewusst beiße ich mir auf die Zunge, nicke dann beiden aber freundlich lächelnd zu. Na toll, jetzt tuscheln sie auch noch miteinander und die eine zieht sogar eines dieser coolen Handys aus ihrer Handtasche.
Möglichst ruhig gehe ich an ihnen vorüber. Wenn ich jetzt anfange zu rennen, dann ist das bestimmt das Dümmste, was ich je tun könnte.
Da werden meine Beine weggezogen und ich falle zu Boden. Ziemlich hart schlagen meine Ellenbogen auf den Asphalt. Ich lasse wem auch immer gar keine Gelegenheit, mich zu packen, sondern drehe mich schnell zur Seite und springe wieder auf. Ein weißbärtiger Mann steht vor mir.
„Du!", sagt er laut. „Du bist doch einer von denen."
„Wer, ich?" Ich lächel ein wenig kläglich. „Sorry, Mann, wirklich. Aber meine Mum ist gleich dahinten. Wenn Sie wollen, stelle ich Sie vor, dann können Sie ihr gleich erklären, warum Sie meine Hose ruinieren."
„Du kleiner, rotzfrecher ..."
Das Gesicht des Mannes ist rot angelaufen und er will nach mir greifen. Scheint so, als würde er mir nicht glauben. Ich wirbel herum und nehme meine Beine in die Hand. Ein Fluch folgt mir, dann höre ich auch, wie sich der Bärtige in Bewegung setzt.
„Da ist einer. Ein Viator. Haltet ihn fest!", höre ich eine Frau rufen. Bestimmt eine von den beiden, die mich so seltsam angeschaut haben.
Es gibt genau zwei Reaktionen der Passanten im näheren Umkreis. Ausweichen oder nach mir Greifen. Beides ist scheiße, denn wie soll ich meinen Verfolgern entkommen, wenn es keine dichte Menschenmenge gibt, in der ich verschwinden kann?
Ich stoße eine Jugendliche zur Seite, reiße mich von irgendjemandem los und überquere die Straße. Reifen quietschen und ohrenbetäubendes Hupen lässt mich ein Stück zur Seite wanken. Dann gibt es einen lauten Knall, aber ich habe schon die andere Straßenseite erreicht und dränge mich an den gaffenden Leuten vorbei. Da will man einmal einen Hotdog und dann sowas.
Ich biege um die Ecke, laufe und laufe und laufe – und komme ruckartig zum Stehen. Weiter vorne kommen eben drei Männer und schauen sich ein wenig zu auffällig um.
Ich mache mir erst gar keine Illusionen, ich bin nicht Jasper und habe dementsprechend nicht die geringste Chance gegen so viele. Mit einem Hechtsprung verschwinde ich in einer Seitengasse und bringe mich hinter einem Müllcontainer in Sicherheit. Ich muss nicht lange warten. Rufe ertönen, Schritte werden laut, dann rennen drei Leute an der Gasse vorbei. Eine Frau bleibt sogar stehen und dreht suchend ihren Kopf. Ich ducke mich ein wenig weiter hinter den Container. Auch als sie weiterläuft warte ich noch kurz, könnte doch einer schon hinter der nächsten Ecke lauern. Als aber alles still bleibt, trete ich vorsichtig aus dem Schatten und lunse auf die Straße. Gott sei Dank, niemand zu sehen, der irgendwie ungesundes Interesse an mir zeigt.
Als hätte das Universum oder was auch immer genau darauf reagiert, hallt ein Pfiff über die Straße und ich zucke zusammen. Erst denke ich, man hat mich gesehen und stürzt sich gleich auf mich, dann entdecke ich einen dunkelhäutigen Mann mit einem flachen Irokesenschnitt auf der anderen Straßenseite. Cool.
Er lehnt an einer Hauswand und fixiert mich, dann winkt er mich zu sich heran. Als ich jedoch misstrauisch zurückweiche, lächelt er und deutet nach links. Ich folge seinem Finger und sehe ein paar Jugendliche, die sich entschlossen an den Passanten vorbei auf mich zuschieben. Mein Kopf fliegt wieder zu dem Mann auf der anderen Straßenseite, der nun in die andere Richtung deutet. Das gibt es doch nicht.
Kurzentschlossen springe ich aus meinem aufgedeckten Versteck, renne den Autos ausweichend über die breite Straße und hoffe, dass er mir wirklich helfen will.
„Folge mir, wenn du denen nicht in die Hände fallen willst", sagt der Mann, sobald ich ihn erreicht habe, dreht sich um und läuft los.
Er ist wirklich schnell. Groß und schnell. Sein breites Kreuz verdeckt mir die Sicht nach vorn, aber solange er mich hier herausholt, ist mir das so ziemlich egal. Immer wieder schlägt er Haken, ändert die Richtung oder presst sich in den Schatten einer Seitenstraße oder eines der riesigen Gebäude in dieser Stadt, um eine Gruppe von Leuten an uns vorbeizulassen.
„Warum sind das so viele?", frage ich und er läuft weiter.
„Es gibt seit kurzem eine App", antwortet er und holt plötzlich aus. Ein Mann, der um die Ecke stürmt läuft genau in seine Faust, prallt davon ab und bleibt regungslos am Boden liegen. Vorsichtig steige ich über ihn hinweg.
„Jeder der sie installiert hat, kann sich über die schon entdeckten Viatoren informieren, einen von euch melden und noch im selben Moment bekommen alle im näheren Umkreis eine Nachricht. Die Miliz, also die Einheit des Sicherheitsamtes, die für euch zuständig ist, wird dabei auch gleich alarmiert. Hier durch."
Prüfend sieht er sich um, bevor er mir durch die schmale Straße folgt. Ich seufze.
„Na toll." Dann schaue ich ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Und warum helfen Sie mir?"
„Nächstenliebe klingt unglaubwürdig, oder? Es ist das Geld, aber keine Sorge. Sagen wir es mal so, ein paar von uns haben sich für die Berufung entschieden, euch vor solchen Mobs in Sicherheit zu bringen. Wir haben ein paar Sponsoren, die uns ganz gut bezahlen. Jetzt über die Straße, dann sind wir fast da."
„Äh, warten Sie mal. Was denn für Sponsoren?" Mir kommt eine Idee. „Wohnen die hier oder in der Hauptstadt? Vielleicht könnten wir ja mit ihnen sprechen und ..."
„Ich erkläre dir alles, sobald wir in Sicherheit sind." Wieder lässt der Mann seine wachsamen Augen über die Umgebung schweifen, dann läuft er entschlossenen Schrittes über die Straße. Jetzt erkenne ich auch das Parkhaus, welches vor uns aus dem Asphalt wächst und ich lege meinen Kopf in den Nacken. Das sieht ja mal richtig krass aus.
„Wir verstecken uns hier einfach, bis die Luft rein ist", sagt der Fremde und hält mir lächelnd seine gewaltige Hand entgegen. „Erik Hunter, stets zu Diensten."
Etwas zögerlich ergreife ich sie. „Terrence Miller. Aber nennen Sie mich bitte Terry, das ist cooler."
Der Mann schmunzelt. „Zu Befehl."
Dann deutet er nach vorn. „Das da ist mein Wagen. Wir setzen uns nur rein und warten, bis diese Neandertaler verschwunden sind."
Unwillkürlich muss ich schlucken. Wäre es nicht super dämlich mit einem Fremden ins Auto zu steigen, auch wenn man von ihm gerettet wurde?
„Äh ... können wir auch einfach hier warten? Neben dem Wagen?"
Hunter stutzt, scheint dann aber zu verstehen. Er nickt.
„Aber natürlich."
Wir erreichen den Wagen und er stapft zur Fahrertür. Mich nervös umschauen warte ich. Das Parkhaus ist überraschenderweise nicht besonders voll. Nur am anderen Ende der Etage steht ein rotes Auto – im völligen Kontrast zu dem grauen Wagen meines Retters –, das war es aber auch schon wieder.
„Wie kommt es, dass hier niemand ist?", frage ich in die Stille. Meine Stimme hallt unheimlich von den Wänden wider. Hunter beugt sich in den Wagen.
„Oh, das liegt einfach daran, dass das Parkhaus langsam baufällig wird und es ein bedeutend besseres und günstiger gelegenes in der Nähe gibt. Das hier wird bald abgerissen, aber ich benutze es trotzdem noch sehr gerne."
„Benutzen? Wofür denn?"
„Weißt du, du bist ein schlaues, kleines Kerlchen – Terry", erwidert Hunter nur, anstatt auf meine Frage zu antworten und sein Oberkörper taucht wieder auf. Ich weiche zurück, als ich in seiner Hand eine Waffe entdecke. Er lächelt. „Niemals bei einem Fremden ins Auto steigen."
Sidney
Seit diesen misslungenen Tests sind gerade einmal drei Tage vergangen, aber jeder einzelne davon fühlt sich wie eine kleine Ewigkeit an. Nur die gelegentlichen Wortwechsel mit Katō haben die Zeit ein wenig erträglicher gemacht.
Trotzdem wünsche ich mir jetzt, man würde mich einfach weiter hier versauern lassen, aber die Wachmänner zögern nicht einmal, als sie mich wieder fesseln und mitnehmen. Dumpf hämmert mein Herz gegen meine Brust, während ich starr auf meine Füße blicke. Ich will gar nicht wissen, was die sich ausgedacht haben, um diese Untersuchungen sicherer zu machen. Sicherer für wen?
Fest presse ich meine Augen zusammen und bete, hoffe inständig, dass wenigstens keine Elektroschocks mehr verwendet werden. Da verhaken sich meine Füße ineinander und ich stolpere. Ich reiße meine Augen wieder auf – und werde aus dem festen Griff der Wachen gelassen. Mit voller Wucht komme ich auf dem Boden auf, unfähig, mich irgendwie abzufangen.
„Ts, ts", zischt es über mir. „Hat dir niemand beigebracht, wie man richtig läuft?"
Reiner Spott liegt in den Augen der Männer, als sie mich wieder auf die Beine hieven. Dumpfes Pochen fährt immer wieder durch meine Nase und der Geschmack von Eisen liegt auf meiner Zunge.
„Na los, weitergehen! Diesmal richtig."
Diese verdammten Mistkerle. Nicht einmal etwas sagen kann ich hier. Ich bin völlig machtlos, kann höchsten noch meine Hände zu Fäusten ballen und die Tränen zurückhalten.
Diesmal werde ich in ein anderes Labor gebracht. Ich sehe gleich, dass dieses hier viel größer ist, als das erste.
Dr. Walsh steht auf der anderen Seite des Raumes, voll und ganz mit einem Display beschäftigt, welches neben einem großen, gläsernen Zylinder in die Wand eingelassen wurde. Dieser muss mindestens die sechs Zoll erreichen.
„Was ist das?", frage ich leise, werde aber – ohne eine Antwort zu erhalten – weitergestoßen. Schluckend schaue ich mich im Raum um. Bestimmt zehn Wissenschaftler, wenn nicht sogar mehr, kreuzen gegenseitig ihre Wege. Mal verschwindet einer hinter einem Schreibtisch, einem flimmernden Hologramm oder einer Apparatur, im nächsten Moment erscheinen wieder zwei völlig neue Kittelträger auf der Bildfläche. Die Luft ist von einem monotonen Brummen erfüllt.
„Ah, da ist er ja."
Wir haben diesen Zylinder erreicht,welcher auf einer relativ geringen Bodenerhebung steht, und Dr. Walsh dreht sich zu uns. Seine kleinen Augen hat er fest auf mich gerichtet, was mich wohl hätte zurückweichen lassen, wenn mir die zwei Uniformierten nicht den Fluchtweg versperren würden. Der Mann lächelt, dann hebt er seine Hand, scheint jemanden zu sich zu rufen.
„Na, wie geht es uns? Haben wir den kleinen Urlaub genossen?", fragte er, ohne den Blick für auch nur eine Sekunde von mir abzuwenden.
Ich starre nur schweigend auf einen Knopf seines Kittels. Mir fällt jetzt sowieso keine Antwort dazu ein.
„Wenn dem so ist, dann fangen wir doch gleich an. Zieh bitte dein Oberteil aus."
Mir werden die Handschellen abgenommen und etwas verkrampft tue ich es. Mit zwei, drei schnellen Schritten gelangt Walsh auf das Podest. Zischend gleitet das Glas der Röhre zurück und mit einer einladenden Handbewegung winkt er mich zu sich.
„Wenn ich bitten darf."
Ich beiße mir auf die Zunge und wage einen knappen Blick über meine Schulter. Völlig unbeeindruckt haben sich die Wachen hinter mich aufgestellt.
„Was ... was ist das?", frage ich mit möglichst fester Stimme.
Der Ärger breitet sich wie ein dunkler Schatten auf dem Gesicht des Doktos aus.
„Muss ich mich wiederholen?", gibt er drohend zurück.
„Ich ... nein, ich ... ich wollte nur wissen, was ..."
„Dann los!"
Noch in der selben Sekunde werde ich von den Wachen gepackt und nach vorne gezerrt. Selbst wenn ich die Überwindung dazu gefunden hätte, hätte ich wohl kaum die Kraft aufbringen können, mich gegen die eisernen Griffe zu wehren. Ein Keuchen kommt über meine Lippen, als sich die dicken Finger noch fester in meine Oberarme bohren. Dr. Walsh hat dafür nur ein leises Schnauben übrig, dann stolpere ich auch schon den Stufen hinauf.
„Stell dich hinein!", befiehlt der Doktor knapp. Das kann er sich eigentlich sparen, da die Männer nicht einmal innehalten, sondern mich direkt reinschieben. Und noch ehe ich die Zeit habe, die neue Situation überhaupt zu verarbeiten, reißen sie schon meine Arme nach oben und – es gibt ein leises Klicken. Mein Kopf ruckt hoch.
„Hey, was ..."
„Öffne den Mund!"
Eine Frau taucht vor mir auf und hält mir eine gummiartige Maske entgegen. Eine Maske, in der eine Beißschiene verarbeitet ist. Nicht wieder so ein Ding!
Ich will zurückweichen, doch weder habe ich dafür genug Platz noch die nötige Bewegungsfreiheit.
Seufzend lehnt sich Dr. Walsh gegen den Zylinder und mustert mich mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Wollen wir das nicht lieber beschleunigen, mein Guter? Mach den Mund auf, dann fangen wir an. Je schneller du tust, was man dir sagt, desto schneller kannst du auch wieder zurück."
Schluckend schließe ich meine Augen.
„Lasst mich doch einfach in Ruhe", flüstere ich, obwohl ich genau weiß, wie sinnlos es ist.
„Jetzt!", höre ich noch die bedrohlich ruhige Stimme des Arztes, dann öffne ich meine Augen, nur um zu sehen, dass die zwei Wachmänner kleine Schocker in den Händen halten. Ich verkrampfe mich und öffne nun doch vorsichtig den Mund. Tief durchatmen, nicht in Panik verfallen!
Dieses Vorhaben wird zu einer wahren Mammutaufgabe, als mir die Frau die Maske auf das Gesicht drückt. Ich will nicht. Ich will einfach nicht!
Wofür ist die überhaupt da, was ... ich schlucke einmal kräftig, als sie einen Schlauch daran befestigt. Eine Atemmaske, schießt es mir durch den Kopf. Das ist eine verdammte Atemmaske und sie wollen diese Röhre mit Sicherheit unter Wasser setzen. Hektisch schüttel ich mit dem Kopf und fange an, an den Fesseln zu rucken, aber die Frau nimmt mir nur das Halsband ab, tritt zurück und mit einem munteren Lächeln lässt Dr. Walsh die Öffnung schließen. Nur noch mein eigener Herzschlag und mein hektischer Atem unter der Maske hervor sind zu hören, sonst nichts. Der blanke Schweiß steht mir auf der Stirn und ich versuche, den Arzt da draußen wenigstens mit meinem Blicken anzuflehen, mich hier wieder rauszulassen.
Dann ertönt ein leises Gluckern. Meine Augen weiten sich, als warmes, ja, fast heißes Wasser meine Füße umspielt. Das kann nicht deren Ernst sein! Das können die einfach nicht machen, das ist doch absolut barbarisch!
Verzweifelt versuche ich, mich zu befreien, aber es will einfach nicht funktionieren. Das Wasser steigt viel zu schnell, erreicht schon nach wenigen Sekunden meine Knie. Und die Männer und Frauen da draußen, auf der anderen Seite des dicken Glases, schauen einfach nur ungerührt zu oder kümmern sich gar nicht weiter darum. Die Hose, welche ich noch trage, ist jetzt völlig mit Wasser vollgesogen und der Wasserspiegel steigt über meinen Bauchnabel. Bitte nicht! Bitte, bitte nicht!
Und dann schießt ein solcher Schmerz durch meinen Rücken bis hinauf in meinen Nacken, dass mein Schrei sogar durch die Beißschiene unglaublich laut in meinen Ohren widerhallt. Für einen Moment wird mir schwarz vor Augen, das Blut rauscht in meinem Kopf, dann hat das Wasser auch schon mein Kinn erreicht. Der Druck in meinem Rücken und Nacken presst mir Tränen aus den Augen. Dann läuft der Zylinder endgültig voll und das darauffolgende Feuer in meinen Adern lässt mich zuckend die Augen in den Kopf drehen.
Asura
Für eine Sekunde hält meine Faust inne – nachdenklich beiße ich mir auf die Unterlippe –, dann klopfe ich an.
„Ja, bitte?", kommt es kurz darauf leise von der anderen Seite der Tür und ich öffne sie. Mit einem überraschten Lächeln schaut Fellar auf.
„Ah, Asura. Schön, dich zu sehen, wie kann ich dir helfen?"
Wortlos schließe ich die Tür, laufe durch den Raum bis zu dem Sessel, in dem er lesend sitzt und bleibe dort mit verschränkten Armen vor ihm stehen. Ich kann es einfach nicht fassen, dass ich immer noch hier bin. Aber jetzt muss ich meiner Ratlosigkeit ein Ende setzen. Und wenn ich das will, muss ich alles wissen.
Fellar – zu mir aufschauend – zieht eine seiner Augenbrauen in die Höhe.
„Ist alles in Or-"
„Ich habe ein paar Fragen."
Trotz meiner Unterbrechung, lächelt er und nickt knapp. „Nur zu."
„Wie bezahlen Sie all das hier? Die Unterkunft, das Essen, die Kleidung ... keine Ahnung, alles, was so anfällt."
„Nun, das kommt alles aus meiner eigenen Tasche. Weshalb – interessiert dich das?"
Er hat meinen Ansatz, ihn erneut zu unterbrechen, mit einem strengen Blick unterbunden. Jetzt lächelt er aber wieder.
Ich kneife meine Augen zusammen. „Ach, und dafür wurde Ihnen auch der Lohn erhöht oder will der SEA seinen Mitarbeiter auch gleich mit an den Bettelstab bringen?"
„Ich fürchte, diesen Ansatz musst du mir erläutern, meine Liebe", erwidert der Mann nur.
Muss ich das? Also gut.
Ich hebe mein Kinn. „Nun, wissen Sie, was mich an dieser ganzen philantropischen Nummer am Meisten gestört hat? Die Aussage, dass wir in so einem offensichtlichen Versteck am Sichersten sind. Warum werden wir nicht alle aufgegriffen, sobald wir das Haus verlassen oder einer dieser Verbrecher von uns eingefangen wird? Man könnte uns doch einfach verfolgen, es gäbe nichts Einfacheres. Außerdem werden täglich Viatoren geschnappt, welche sich hier ganz in der Nähe aufhalten. Unwahrscheinlich, dass wir nicht auch dran sind, oder?"
Fellar legt sein Buch auf die Sessellehne und führt seine Fingerspitzen aneinander.
„Das sind äußerst interessante Überlegungen. Aber dir ist sicher entgangen, dass wir helfen. Die Miliz hat Prioritäten und wird wohl zuallererst die wirklich gefährlichen Viatoren einfangen. Es überrascht mich in der Tat, dass du dieses Wort überhaupt in den Mund nimmst, ist es doch alles andere als positiv."
Ich schnaube. „Die wirklich gefährlichen von uns. Keiner von und ist gefährlich, das ist Unsinn!"
„In Ordnung."
Ich verziehe mein Gesicht.
„Konnte ich dir helfen oder hast du noch eine weitere Frage, meine Liebe?"
„Die habe ich in der Tat", zische ich. „Wie kommt es, dass Sie Gefangene befreien können?"
„Sagte ich das nicht bereits?", entgegnet er verwundert. „Als Mitarbeiter des SEA ist es um ein Vielfaches einfacher ..."
„Ach, und wie lange tun Sie das schon?"
„Oh, ich weiß nicht. Vielleicht seit einem knappen Jahr. Zugegeben, ein wenig fehlt noch bis dahin."
„Und die Sicherheitsmaßnahmen wurden in all der Zeit nicht erhöht? Die Mitarbeiter wurden nicht überprüft? Gar nichts wurde unternommen? Es muss doch auffallen, wenn immer und immer wieder Leute aus diesen Zellen verschwinden. Zellen, welche videoüberwacht sind, die von mehreren Dutzend Frauen und Männern bewacht werden und die in der Mitte einer kleinen Festung liegen. Im Ernst? Halten Sie mich für so dämlich? Kommen Sie schon, so blöd sind Sie nicht."
Herausfordernd sehe ich ihn an und er ... er seufzt.
„Du hast recht."
Ich erstarre. „Wie bitte?"
Langsam erhebt der Alte sich aus seinem Sessel und ich weiche ein Stück zurück, die Kiefer fest aufeinandergepresst. Mit diesem Lächeln habe ich nicht gerechnet und ich verfluche meine Leichtsinnigkeit, alleine zu ihm gegangen zu sein. Wenigstens Marcos hätte ich mitnehmen können, dann wäre er auch endlich mal aufgewacht.
„Nun, du liegst richtig", wiederholt Fellar. „Und um deine erste Frage zu beantworten: Das Gehalt, das man mir auszahlt, wurde tatsächlich etwas angepasst. Ich bin beeindruckt, wie scharfsinnig du bist."
Ich schnaube. „Sagen Sie mir einfach, was Sie damit bezwecken! Warum lässt das diese ... diese Organisation überhaupt zu, hm?"
„Nun, wie ich schon sagte, haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, kriminelle jeglicher Art zu stellen", antwortet er ruhig, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. „Allen voran sollte die größte Konzentration aber auf einem Fremden liegen, der andere seit einiger Zeit gegen unser System anstachelt."
„Warum wohl!", zische ich nur und überlege, wie schnell ich das Zimmer verlassen und wie viele ich noch alarmieren kann, bevor er Alarm schlägt.
„Asura, bitte. Bleib für einen Moment bei der Sache, in Ordnung? Dieser Test hier ist ein wohlüberlegtes Risiko von Seiten unseres ehrwürdigen Vaters, um die Integration von den Leuten zu ermöglichen, die es hierher verschlägt."
„Test?"
Ich höre mein Blut in den Ohren rauschen und balle meine Fäuste. Hatte ich also doch recht mit meiner Vermutung.
„Das hier ist ein verdammtes Experiment?"
„Bleib bitte dort stehen. Solltest du mir etwas antun, kann ich leider nichts mehr für dich tun."
„Soll das etwa eine Drohung sein?" Ich glaube, gleich zu explodieren. „Für Sie sind wir doch alle nur ein Mittel zum Zweck! Und wenn wir den nicht erfüllen, rufen Sie wieder Ihre Freunde. Warum passt nicht gleich jemand auf uns auf, der einem Aufstand auch gewachsen ist?"
„Ach, bin ich das nicht?"
Spöttisch lächle ich ihn an. „Ich glaube nicht, dass Sie Marcos kommen sehen oder Ayame standhalten würden."
„Oh, das muss ich gar nicht. Ich gebe euch eine Chance, Asura, durch mich wurde dieser Test doch erst gestartet."
Ich hebe mein Kinn. „Sie sind ein verdammter Heuchler. Von wegen, eine Chance."
„Nimmst du mir diese kleine Lüge zu eurer Sicherheit wirklich so übel?"
„Ja!?" Fassungslos sehe ich ihn an.
Tröstend lächelt er. „Glaubst du, sie könnten sich wirklich sicher fühlen, wenn sie glauben, jederzeit wieder eingesperrt zu werden? Sie müssen sich erst von diesen Strapazen erholen, ehe sie diese Informationen verarbeiten können."
Bebend funkle ich ihn an. „Tun Sie doch nicht so scheinheilig", fauche ich ihn an. „Sie sind falsch!"
„Solltest du mich nicht mit am besten verstehen?"
Ich halte inne. „Wie bitte?"
„Nun, du hältst mir meine Fehler vor und ich stehe auch sehr gerne dazu. Aber was ist mit dir? Was ist mit deinen, was ist mit den neuesten Entwicklungen in der Technikbranche des SEA, um euch besser kontrollieren zu können?"
Augenblicklich wird meine Kehle rau wie Schleifpapier.
„Ich habe nicht angeboten, diese Dinger zu entwickeln, das ist ja wohl nicht meine Schuld!"
„Oh nein, ist es tatsächlich nicht. Aber aus irgendeinem Grund scheinst du das anzunehmen. Oder weshalb gibst du dir solche Mühe, es zu verschweigen? Es kann natürlich sein, dass ich mich irre, aber ich hatte den Eindruck, dass du diesem Thema gezielt ausweichst."
Er legt seinen Kopf schief und sieht mich fragend an. Dieser verfluchte Mistkerl!
„Natürlich tu ich das, das waren verdammte Experimente, die man da an Menschen durchführt", fahre ich ihn an. „Sie können sich die Mühe einer Erpressung sparen, im Notfall vertrauen die anderen lieber mir als Ihnen."
„Aber, aber. Weshalb sollte ich eine Erpressung in Erwägung ziehen? Von mir wird das niemand erfahren, mein Ehrenwort – auch, wenn du davon nicht viel halten magst. Dir steht es natürlich auch vollkommen frei zu gehen und auf meinen Schutz zu verzichten. Lass mich nur vorher noch erwähnen, dass der Großteil der erwachsenen Anwesenden Bescheid weiß."
„Wie bitte?"
„Oh ja. Es kam bereits mehrere Male vor, dass man mich gezielt um die Wahrheit bat, welche ich niemandem vorenthalte. Natürlich darfst du dich gerne selbst versichern, Marcos oder Ayame helfen dir da sicher gerne weiter.
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