Stille
Ein statisches Rauschen klingt in meinem Ohr wider, dann meldet sich eine undeutliche Stimme.
„ ... Holt! Vincent Holt, können Sie mich hören? Antworten Sie! Mr. Holt!"
Ich will etwas sagen, doch alles, was über meine Lippen dringt, ist ein Stöhnen. Am liebsten würde ich mich hier und jetzt übergeben.
„Mr. Holt, antworten Sie!"
„Was ... " Ich schnappe nach Luft und blinzle.
„Da ist er, Sir. Er antwortet", knistert es in meinem Ohr und ächzend hebe ich meine Hand an die Schläfe.
Jetzt spüre ich auch den harten Boden unter mir, sehe das Blinken und der schrille Alarmton wird lauter und rückt schließlich in den Vordergrund meines Bewusstseins. Keuchend reiße ich meine Augen auf.
Eine Lagerhalle, ist das Erste, was ich denke. Eine riesige Lagerhalle.
Bis an die Decke stehende Regale voller Kisten, welche auch zwischen ihnen am Boden aufgestapelt sind. Am Ende dieser langen Regalreihe befindet sich eine Flügeltür, genau mir gegenüber, neben der ein rot blinkendes Lämpchen in die Wand eingelassen ist.
Ich stütze mich auf die Knie. Halb überrascht, halb erleichtert stelle ich fest, dass die Schmerzen verflogen sind. Nur noch ab und zu durchfährt mich eine Welle der Übelkeit.
„Mr. Holt, können Sie sprechen?", erklingt wieder die ungeduldige Stimme in meinem Ohr.
„Ja, ich ... " Kräftig schlucke ich. „Ich glaube, ich bin ... ich bin durch."
„Gott sei Dank. Gehen Sie es ruhig an, Ihr Blutdruck und Ihr Herzschlag müssen sich erst noch normalisieren."
Normalisieren. Gerne würde ich jetzt meine Meinung loswerden, aber ich habe das dumpfe Gefühl, dass ich es tatsächlich erst einmal ruhig angehen sollte.
„Was sehen Sie, Mr. Holt?"
Langsam stehe ich auf. Meine Beine wollen einknicken und ich stütze mich an dem nächststehenden Regal ab. Das Portal hinter mir brummt noch immer, die Leine verschwindet in der dunklen Masse und schnell entferne ich mich ein wenig weiter davon.
„Ein ... ein Lager. – Und eben ist der Alarm ausgegangen."
Ich schaue zu dem Lämpchen, welches aufgehört hat zu blinken. In der Halle herrscht nun, abgesehen von dem Brummen des Portals, eine Totenstille.
„Eine Lagerhalle", wiederholt die Stimme in meinem Ohr. „Nun gut, schauen Sie auf Ihre Uhr. Wie spät ist es?"
Ich drehe mein Handgelenk. „Um fünf."
„Um fünf? Genau? Das wäre dann ein Zeitunterschied von fast fünfzehn Minuten." Die Verblüffung ist aus der Stimme herauszuhören, doch schon bei dem nächsten Satz klingt sie wieder völlig gefasst. „Dann sehen Sie sich jetzt in der Halle um. Kommen Sie kurz vor zehn nach fünf zurück, verstanden?"
Ich atme tief durch.
„Also gut. Wenigstens reichen Ihnen auch fünf Minuten weniger."
Schweigen.
Ich bin ein paar Schritte weitergegangen, bleibe jetzt aber wieder stehen.
„Ist alles in Ordnung?"
Ein kurzes Rauchen, dann:
„Ja, Mr. Holt. Keine Sorge."
Ich lebe lange genug, um zu wissen, wann etwas gelogen ist. Das hier ist gelogen.
„Nein, nein. Was ist los?"
„Nichts beunruhi-"
„Sagen Sie es mir oder ich erkunde hier einen Scheißdreck."
„Mr. Holt, wir haben Ihre Vital-" Wieder das Rauschen. Ich tippe an den Knopf in meinem Ohr. „ ... Herz hat aufgehört, zu schlagen."
Ich erstarre. „Was?"
„Sie waren tot, Mr. Holt."
Für einen Moment denke ich, mir wird der Boden unter den Füßen weggezogen. Zwar fange ich mich wieder, aber trotzdem kann ich das Zittern meines Körpers nicht abstellen.
Tot. Ich war nicht nur bewusstlos, ich habe schlicht und einfach aufgehört zu atmen.
„Wie ... wie lange war ich ... tot?"
„Für etwa ... ten."
Ich runzle meine Stirn, aufgrund des wieder auftretenden Störgeräusches.
„Können Sie das wiederholen? Ich hab Sie nicht verstanden."
„Für etwa drei Minuten. Berichten ... bitte."
Ich starre auf den Boden. Tot. Ich zwinge mich, ruhig zu atmen.
„Mr. Ho- ... berichten Sie ... "
„Ja, ich ... die Lagerhalle scheint groß zu sein. Sie umfasst vielleicht den doppelten Umfang des Maschienenhauses. Keine Ahnung."
„Verzeihung, kö-"
„Hallo?" Wieder tippe ich gegen den kleinen Knopf. „Können Sie mich hören?"
„Wiederholen Sie die ... " Das Rauschen wird lauter – dann bricht es ab.
Allerdings ist das nicht das einzige Geräusch, welches versiegt. In dem Moment, in dem der Zug des Gurtes plötzlich nachlässt, wirbel ich herum.
„Nein! Was ... " Meine Stimme versagt.
Ich stolpere auf die Stelle zu, an der eben noch das Portal war.
Weg. Es ist einfach weg. Ich rudere mit den Armen in der Luft, doch es besteht kein Zweifel. Mit dem Verstummen des Signals ist auch mein Rückweg verschwunden. Üblkeit überrollt mich in einer völlig neuen Intensität. Hektisch sehe ich mich um, ich werfe sogar einen Blick in die nächste Regalreihe, aber es ist unmissverständlich. Mein Rückweg ist verschwunden. Ich sitze hier fest.
„Hände hoch! Sie da, na los!"
Ich fahre zusammen, als die brüllende Stimme hinter mir ertönt.
„WIRD'S BALD? DIE HÄNDE HOCH!"
Ich drehe mich um. Zwei Männer stehen mit erhobenen Waffen da. Eindeutig Polizisten, nur ihre Uniformen – sind dunkler als sonst. Langsam komme ich dem Befehl nach.
„Und jetzt auf die Knie! NA LOS!"
Ich tue es. Mein Atem geht schwer, sodass ich für die erhobenen Hände ganz dankbar bin.
Die Polizisten kommen auf mich zu. Einer von ihnen spricht in ein silbernes Armband.
„Alles klar, nur ein Zivilist. Verstärkung wird nicht benötigt."
„Die Hände hinter dem Kopf verschränken!", weist mich sein Kollege an.
„Hören Sie", presse ich hervor. „Ich wollte hier nicht ... ich ... können Sie mir sagen, wo ... wo ich bin?"
„DIE HÄNDE HINTER DEN KOPF VERSCHRÄNKEN! SOFORT!"
Ich tue es. Schon steht er hinter mir und zwingt mich vollständig zu Boden. Ich ringe nach Atem.
„Warten Sie, ich bekomme keine ... "
Die Arme werden mir auf dem Rücken verdreht.
„Ich kann nicht atmen", stoße ich hervor.
Mein linkes Handgelenk ist von einem kalten dicken Ring umschlossen worden, aber jetzt hält der Polizist inne.
„Nun gut, kommen Sie wieder auf die Knie und nehmen Sie die Hände hoch. Aber eine falsche Bewegung und der Kollege wird auf Sie schießen."
Ich nicke, bevor er mir wieder hochhilft. Jetzt spüre ich auch wieder die immer wieder aufwallende Übelkeit. Wie ein Tier, welches in mir lauert, kurz davor auszubrechen.
Ich muss von hier weg! Aber wenn ich Simmons richtig verstanden habe, dann wird dieses Portal nicht wieder auftauchen. Wo soll ich denn da bitte hin?
„Stehen Sie unter Drogen?"
Ich schaue auf. Der Polizist vor mir mustert mich von oben bis unten.
„Apathischer Blick, Zittern, Schweißausbrüche und eine ziemlich seltsame Aufmachung. Wofür ist der Gurt?"
„Nein, das ... ich stehe nicht unter Drogen, Sir. Ich bin nur ... ich bin ... " Ich suche nach Worten.
„Wir werden auf jeden Fall einen Test durchführen, sobald wir in der Zentrale sind."
Ein Piepen ertönt dicht hinter meinem linken Ohr und ich drehe meinen Kopf.
„Was zum Teufel ... "
„Wo ist Ihre ID?", blafft mich der Polizist schon an. Ein zweites Piepen ertönt, dann: „Aaron, er hat keinen Kennchip."
Die Entsicherung der Waffe antwortet. Sofort hebe ich meine Hände weiter nach oben.
„Warte, was ... was meinen Sie? Ich ... "
„Wer sind Sie? Wo ist Ihre Identifikation?" Verständnislos drehe ich meinen Kopf, um beide anzusehen und irgendeine Antwort zu erlangen.
Ich keuche auf, als ich an den Haaren gepackt und hochgerissen werden.
„WO IST IHRE IDENTIFIKATION? WER SIND SIE?"
„Scheiße, ich weiß nicht, was Sie meinen", erwidere ich laut, ohne darauf einzugehen, dass mir der Kerl fast das Trommelfell platzen lässt. Meinen Blick halte ich auf die Mündung der Waffe gerichtet.
„Das reicht mir, wir nehmen ihn jetzt mit", zischt es. Keine Zeit mehr für Überlegungen.
Ich spanne meinen Körper an und werfe mich mit aller Kraft gegen ihn. Wir krachen voller Wucht gegen das nächste Regal und der abgefeuerte Schuss geht ins Leere. Der Polizist sinkt zu Boden und schnell trete ich auf den zweiten zu. Er will die Waffe wieder auf mich richten, doch ich packe sein Handgelenk und versuche, ihn zu entwaffnen und zu Boden zu ringen.
Da zerreißt ein zweiter Knall die Luft. Ein Ruck durchfährt meinen Körper und ich erstarre.
Die Sicht verschwimmt fast sofort vor meinen Augen und ich öffne meinen Mund. Doch statt ein Wort über die Lippen zu bringen, überrollt mich ein Würgen. Auf meiner Zunge schmecke ich Blut.
Dann kippt der Raum. Der Polizist tritt zurück und sieht zu, wie meine Beine einknicken. Ich spüre einen harten Aufprall, dann wird mir schwarz vor Augen.
Der Treffer scheint mich nur kurz übermannt zu haben. Als ich meine Augen wieder aufschlage, sind die Polizisten immer noch da. Sie stehen vor mir und einer spricht eben wieder in sein Handgelenk.
„ ... wurde getroffen, ja. Holen Sie ihn mit dem Hubschrauber ab und schicken Sie noch einen Sanitäter."
„Aaron, ich brauche keinen ... "
„Mein Kollege könnte einen Check gut gebrauchen." Der Ton des Polizisten namens Aaron hat einen strengen Ton angenommen, der keinerlei Widerspruch duldet.
Ich bewege mich nicht. Zum einen, weil ich so eine größere Chance zur Flucht habe und zum anderen, weil ich nicht weiß, wo die Kugel mich getroffen hat und was passieren würde, wenn ich meine Lage verändere. Zuerst sollte ich also herausfinden, wo ich verletzt bin.
Schmerzen habe ich nicht, mein Adrenalinspiegel scheint durch die Decke zu gehen. Das Blut merke ich aber an meiner Haut kleben. Es hat sich sogar unter mir ausgebreitet. Es wundert mich, dass ich noch nicht verblutet und sogar bei Bewusstsein bin.
Als ich realisiere, dass mein Arm unter mir klemmt, taste ich vorsichtig hoch bis zu meiner Brust. Ich finde ein metallenes Röhrchen, eine Wunde aber nicht. Das lässt mich nun doch stutzen. Wie kommt ein abgefeuertes Projektil an diese Stelle, ohne eine Spur zu hinterlassen?
„Warte, ich muss ihn mir noch einmal ansehen, er hatte etwas im Ohr."
„Im?"
Ich halte die Luft an, als sich der Polizist nähert und zu mir herunterbeugt.
„Ein Kopfhörer."
„Warte ... wirklich?"
Verzweifelt muss ich zulassen, dass mir der Knopf aus meinem Ohr entfernt wird.
„Warum hat er keine Identifikation, ist dafür aber verkoppelt?"
„Vielleicht ist er aus Europa."
„Er hat nahezu akzentfrei gesprochen."
„Dann ist er eben übergelaufen."
Vorsichtig hebe ich meinen Kopf. Sie haben mir den Rücken zugedreht und untersuchen nun den kleinen Kopfhörer.
„Dann würde er aber einen Chip haben. Oder eine Narbe von der Entfernung."
Ich wage es. Viel zu verlieren habe ich nicht. Also ziehe ich den Arm unter meinem Körper hervor und stütze mich langsam auf. Keine Schmerzen. Das ist doch schon einmal gut.
Als ich mich auf die Knie kämpfe, sehe ich den glänzenden Ring an meinem Handgelenk. Ich stutze. Ich dachte, sie hätten mir Handschellen umlegen wollen. Das hier sind auf jeden Fall keine.
Schnell wische ich den Gedanken beiseite und werfe einen prüfenden Blick zu den Polizisten. Nur keine Geräusche machen.
Genau neben mir ist eine Lücke zwischen den Kisten, sodass ich in eine andere Regalreihe gelangen kann. Ich stehe auf und...der Gurt.
Er hat ein schleifendes Geräusch auf dem Boden verursacht und die Polizisten wirbeln herum.
„Was zum ... "
Ich hechte nach vorn und durch die Lücke hindurch auf die andere Seite. Sofort rappel ich mich auf und umfasse den Gurt.
„Der lebt ja noch."
„Wir umzingeln ihn. Du da lang, ich hier."
Ich fackel nicht lange und nehme meine Beine in die Hand. So schnell es mein empfindlicher Magen überhaupt zulässt, laufe ich in Richtung Tür. Auf der anderen Seite des Regals höre ich die knallenden Schritte des Polizisten. Er ist schnell.
Trotzdem greife ich im Laufen nach hinten, um den Gurt zu lösen. Das Tempo ziehe ich dabei irgendwie noch weiter an.
Genau am Ende des Ganges knalle ich mit dem Beamten zusammen. Wir verlieren das Gleichgewicht und schlittern beide über den Boden.
Schon in der nächsten Sekunde ist er über mir. Die Waffe kann ich ihm zwar aus der Hand schlagen, dem Fausthieb entgehe ich aber nicht. Mit aller Kraft hebe ich meine Hüfte an, packe ihn an den Armen und schleudere ihn über meinen Kopf.
Ich drehe mich herum und knie mich auf, als ich den anderen Polizisten sehe. Er ist schon fast bei uns angelangt, bleibt jetzt aber stehen, um seine Pistole zu ziehen.
Ich springe auf die Tür zu und – sie ist offen. In Sekundenschnelle habe ich sie von außen wieder geschlossen und binde die beiden Griffe der Flügel mit dem Gurt zusammen. Gerade rechtzeitig. Ein dumpfer Schlag lässt die Tür erzittern, aber es hält.
Ich weiche ein Stück zurück, betrachte die flatternden Überreste eines grellorangenen Bandes, dann wirbel ich herum und hebe meine Hand. Ich greife über meine Schulter und finde die zerrissene Stelle meines Oberteils – keine Wunde.
Noch bevor ich darüber nachdenken kann, ob ich jetzt den Verstand verliere, dringt das gleichmäßige Flapp-Flapp-Flapp von Hubschrauberrotoren zu mir und ich werde mir meiner Situation wieder bewusst.
Hektisch drehe ich meinen Kopf und sehe den Polizeiwagen. Etwas unförmig, aber zweifellos das Fahrzeug eines Gesetzeshüters. Mit wenigen schnellen Schritten bin ich an der Beifahrertür und reiße sie auf. Ich schaffe es, mich von der modernen Inneneinrichtung nicht überrumpeln zu lassen und öffne das Handschuhfach.
Erleichtert greife ich nach der erhofften Karte. Darunter kommen tatsächlich eine Pistole samt Magazin und ein flacher, schwarzer Kasten zum Vorschein. Ersteres nehme ich an mich, den Kasten lasse ich jedoch da. Der Hubschrauber ist schon viel zu nah. Karte und Pistole plus Magazin umklammerte ich fest, dann schaue ich mich nach einem Fluchtweg um.
Die Lagerhalle, sehe ich jetzt, scheint nur ein kleiner Teil eines riesigen Gebäudekomplexes zu sein, welcher auf einer Anhöhe steht. Der Zaun vor mir sieht nur improvisorisch aus, zwischen die Stangen kann man sich mühelos hindurchquetschen. Für einen Moment erstarre ich ob der gläsernen und stählernen Gebäude, die in der Mitte der Stadt vor mir in den Himmel ragen und einem dunklen Meer kleinere Häuser umgeben werden. Dann gebe ich mir jedoch einen Ruck und beginne den Abstieg. So schnell ich kann, setze ich einen Fuß vor den anderen und bringe Stück für Stück hinter mich. Mein Atem geht immer noch hektisch, aber ich laufe unbeirrt weiter.
Der Hubschrauber fliegt jetzt schon fast über mir, weshalb ich meine Schritte noch einmal beschleunige, sobald ich unten angekommen bin. Mit einem Satz überquere ich einen nicht allzu breiten, dafür aber schmutzigen Wasserlauf und renne auf die ersten Häuser zu. Eben landet der Helikopter auf der Anhöhe.
Sobald ich mich hinter einigen der ersten Gebäude des Stadtrandes außer Sichtweite gebracht habe, lehne ich mich gegen eine bröckelige Mauer und atme tief durch. Meine Hände zittern und das Hämmern meines Herzens dröhnt mir in den Ohren. Dann geben meine Beine nach und schnell lasse ich mich zu Boden sinken.
„Ganz ruhig", flüstere ich mir zu. „Ganz ruhig, das ist nicht weiter schlimm, ich bekomme das wieder hin. Ich habe alles unter Kontrolle, ich muss einfach nur ruhig bleiben. Einfach-nur-ruhig-bleiben."
Ich fahre mir einmal durch die Haare, entferne mit einem Ruck den Aufkleber an meinem Hals und kämpfe mich zurück auf die Beine. Zuerst muss ich weiter, mir einen für den Anfang sicheren Platz suchen.
Die Karte schiebe ich mir in den Hosenbund, die Waffe, welche ich nach wie vor in den Händen behalte, umklammere ich etwas fester.
Vorsichtig laufe ich weiter und schaue mich dabei nach allen Seiten um. Bis jetzt habe ich hier noch keinen Menschen gesehen, nur einige der Vorhänge der Häuser bewegen sich.
Ich bin ein wenig überrascht, dass diese hier – im Gegensatz zu denen, die ich noch vor wenigen Minuten aus der Ferne gesehen habe – so brüchig und elend sind. Trotzdem scheinen hier Leute zu leben, weshalb ich möglichst immer im Schatten bleibe.
Der Ring an meinem Handgelenk drückt dieses unangenehm zusammen. Den muss ich später auch loswerden.
Die Hauptsache ist im jetzigen Moment jedoch, so viel Abstand wie möglich zwischen mich und der Lagerhalle zu bringen. Wenn es Simmons schafft, ein neues Portal zu finden, dann wird er mich auch zurückholen, dessen bin ich mir sicher. Es wäre ungünstig, wenn ich zu genau dem Zeitpunkt irgendwo festgehalten werde.
Dann fällt mir der Himmel auf den Kopf. Von einem Moment auf den anderen wird es dunkel und ein tosendes Rauschen erfüllt die Luft. Ein riesiges Monstrum taucht über den Dächern auf und ich ducke mich weg, den Kopf mit meinen Armen abschirmend.
Doch ... es ist nur ein Luftschiff – eine Art Luftschiff. Denn dann erblicke ich die Schrift an der Seite des Flugobjektes.
Die Bürger von Sektor 4 werden angewiesen, in ihren Häusern zu bleiben. Das Öffnen der Türen ist unter keinen Umständen gestattet, es sei denn, es handelt sich um ein Mitglied des Amtes für Sicherheit. Verdächtige Personen sind sofort zu melden.
Besonders ist ein Augenmerk zu haben auf hier beschriebene Person:
Männlich
Mitte zwanzig
Circa 5 Fuß, 10 Zoll groß
Kurz geschorene, rote Haare
Fünf Minuten, auf keinen Fall länger. So schnell hat die Polizei eine Fahndung ausgerufen. Ich hoffe, dass ich wenigstens noch ein paar Minuten bekomme, um weit genug zu kommen.
Ich reiße meinen Blick von dem Luftschiff los und setze meinen Blick eilig fort. So schnell es geht, wenn man leise und unauffällig sein muss, haste ich durch die dunklen Straßen. Den Überblick habe ich schon längst verloren, ich weiß nur, dass ich mich immer weiter von dem Stadtrand entferne.
Hinter den zugezogenen Fenstern flackert ab und zu ein Lichtschein hervor, aber das Luftschiff scheint die Runde gemacht zu haben. So gut wie niemand ist draußen. Nur einmal zucke ich zusammen, als in der Gasse links von mir schnelle Schritte ertönen. Es scheint kein Polizist gewesen zu sein.
Dann, zwei Straßen weiter, sehe ich es. Ein so zerfallenes Gebäude, dass darin niemand leben kann. Eine Seite des Hauses ist komplett eingestürzt, die Fensterscheiben sind so gut wie nicht mehr vorhanden und der Eingang besteht einfach nur aus einem dunklen Loch.
Auf dieses strebe ich schnell zu und verschwinde im Inneren des Gebäudes. Ich betrete nicht gleich den erstbesten Raum, sondern suche mir einen an der Rückseite, welcher ein Fenster hat, aus dessen Rahmen keine Splitter ragen. Ich habe mir lange genug die Zelle mit einem Kerl geteilt, der bei drei Banküberfällen dafür gesorgt hat, dass ein Fluchtweg offen ist. In all den Jahren nimmt man sich den ein oder anderen Ratschlag mit.
Ich lasse mich in der Ecke des Raumes nieder. Abgesehen von ein paar kaputten Blumentöpfen ist hier alles leer. Nur noch ein wenig herbgefallener Putz liegt zusammen mit der Erde aus den Tontöpfen auf dem Boden.
Ich schließe meine Augen und atme tief durch. Jetzt erst wird mir die ganze Sache erst richtig bewusst.
Ich befinde mich offensichtlich in einer völlig fremden Welt, ohne eine Ahnung davon zu haben, welche Regeln hier gelten. Ich balle meine zitternden Hände zu Fäusten. Wie soll ich mich denn bitte aus dieser Lage wieder befreien?
„Okay. Keine Panik", flüstere ich mir zu und fache diese damit nur noch weiter an. „Zuerst einmal das, was du hast."
Entschlossen nicke ich. Es bringt mir nichts, mich hier zusammenzurollen, als wäre ich ein Igel. Einen Plan. Den brauche ich jetzt!
Zuallererst widme ich mich der Pistole. Sie ist etwas länger als die Modelle, die ich kenne, dazu ist der Abzug seltsam glatt, fast wie Glas. Ein rotes Leuchten fällt mir an der Unterseite der Waffe auf.
Stirnrunzelnd betrachte ich sie. Sie ist fast genauso ungewohnt wie die Handschelle, an meinem linken Handgelenk.
Sie ist fast handbreit, hat aber nirgends ein Schloss oder eine Verbindungsstelle. Wie soll man damit denn jemanden fesseln, geschweige denn den Ring wieder öffnen?
Entweder klemmt man irgendetwas in den Spalt, der den metallenen Ring zusammenhält oder man muss auf rohe Gewalt zurückgreifen oder es ist irgend eine elektrische Vorrichtung. Etwas muss ich auf jeden Fall tun, da ich nicht so auf der Straße herumlaufen kann.
Ich greife gerade nach der Pistole - als ich etwas höre. Für den Bruchteil einer Sekunde ertönt ein leises Surren.
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